Nach oben kommen. Das war immer der Plan. Seit Jahrhunderten. Dafür hat sie, dafür haben alle vor ihr gekämpft. Und als Schwarze Frau stand ihr letztlich nur ein Weg offen: Völlige Verausgabung, Oxbridge, Londoner Hochfinanz, ein Freund mit Geld so alt und dreckig wie das Empire. Doch als sie endlich eingeladen wird, Mitglied einer Familie, Angehörige einer Klasse, Teil eines Landes zu werden, muss sie am eigenen Körper erfahren, dass die erlittenen Ungerechtigkeiten tiefere Wurzeln geschlagen haben. Wie kann sie sich retten? Wie mit dem Erbe der Geschichte leben?
Mit Zusammenkunft ist Natasha Brown die literarische Sensation gelungen: ein virtuoser, verdichteter Roman über die Anstrengungen der Gegenwart und die toxische Wirkung der Vergangenheit in unseren Worten, Werten, Besitztümern. Natasha Brown stürzt Schuld und Schönheit und Menschlichkeit ununterscheidbar ineinander, mit elektrisierenden Folgen.
Mit Zusammenkunft ist Natasha Brown die literarische Sensation gelungen: ein virtuoser, verdichteter Roman über die Anstrengungen der Gegenwart und die toxische Wirkung der Vergangenheit in unseren Worten, Werten, Besitztümern. Natasha Brown stürzt Schuld und Schönheit und Menschlichkeit ununterscheidbar ineinander, mit elektrisierenden Folgen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Rose-Maria Gropp liest die vielen abgebrochenen Sätze in Natasha Browns gefeiertem Debütroman nicht als Hinweis auf mangelndes Erzählvermögen, sondern als Stilmittel für das zerbrochene Selbstverständnis der Protagonistin. Bei dieser handelt es sich um eine junge, erfolgreiche schwarze Frau in England, die mit ihrer Identität und ihrem Anpassungserfolg in der Gesellschaft hadert. Wie intensiv diese sich im Buch selbst beobachtet, wirkt auf Gropp verstörend. Ein Masochismus, den die rassistische, kolonialistische und sexistische Gesellschaft hervorruft, ahnt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2022Sie kam nicht aus Afrika
Kurz und schmerzhaft: Natasha Browns Roman "Zusammenkunft" stellt der britischen Klassengesellschaft eine harte Diagnose.
Unter dem Titel "Assembly" erschien dieser schmale Roman im vorigen Jahr in London und wurde zum durchschlagenden Erfolg. Er ist das literarische Debüt von Natasha Brown, deren frühere Karriere im Londoner Finanzwesen ungefähr der ihrer Protagonistin entsprochen hat. Dabei kalkuliert Brown sehr genau, wie sie mit Klassismus und Rassismus, Kolonialismus, Diversität und Sexismus ins Mark der britischen Gesellschaft trifft. Die Besprechungen fielen positiv bis hymnisch aus.
Die Ich-Erzählerin ist namenlos. Sie ist eine junge und attraktive schwarze Frau in England, Angehörige der zweiten Generation von Einwanderern. Immer wieder wird sie mit der Vermutung konfrontiert, sie käme "aus Afrika". Nur am Rand wird klar, dass die Herkunft ihrer Vorfahren Jamaika ist, die ehemalige britische Kolonie. Jamaikas Geschichte war, noch davor, von der Verschleppung afrikanischer Sklaven gezeichnet. Aber in ihren Ursprüngen kann und will sie keinen Teil ihrer Identität ausmachen. Sie hat an einer Eliteuniversität Mathematik studiert und avancierte hoch in der Bankenwelt. Darüber berichtet sie vor Schulklassen, zur Motivation Jugendlicher. Doch auch ihr sozialer Aufstieg, ihre brillante Performance und damit verbunden finanzielle Unabhängigkeit geben ihr keinen Halt. Es ist nur einer der Schläge ins Gesicht, die sie, mehr oder weniger offen, auszuhalten hat; sie müsse doch zugeben, dass ihr nicht nur ihr Geschlecht, sondern ihre schwarze Hautfarbe dabei hilfreich sei.
Sie ist liiert mit einem jungen wohlhabenden Politikberater, er zählt zur englischen Oberschicht, es wäre eine perfekte Allianz. Unbeschwert kann indessen auch ihr Freund nicht sein; einmal heißt es, dass er morgens seine Citalopram schluckt, ein Mittel gegen Depressionen und Angststörungen. Auf ihm lastet die Tradition, der angeborene Anspruch seiner Familie in paternalistischer Tradition, denn vom souverän auftretenden Vater stammen die Titel und das Erbe. Die Mutter ihres Freunds hatte "eingeheiratet": "Die Zwiespältigkeit der Mutter war traditioneller. Einmal hat sie mich mit dem peinlichen Spruch ,die aktuelle Herzdame unseres Jüngsten' vorgestellt und dabei die Bekannte, die gefragt hatte, wissend angelächelt." Sie kommt zu dem Schluss: "Unter der Feindseligkeit der Mutter lag eine Unsicherheit, mit der ich mich fast identifizierte." Das geschah, bevor sie jetzt zu einer Party auf dem Landsitz der Eltern geladen ist, die ihren Hochzeitstag feiern.
Was die eigentliche Schlagkraft von Natasha Browns Roman ausmacht und ihn verstörend sein lässt, ist die Intensität ihrer Selbstbefragung, bis hin zur Selbstquälerei. Der Masochismus in ihr ist Manie, er ist ihr subkutan eingeschrieben: "Generationen der Aufopferung; harte Arbeit, noch härteres Leben. So viel gelitten, so viel aufgegeben - für diese Chance. Für mein Leben. Und ich habe es versucht, habe versucht dem gerecht zu werden. Aber nach Jahren des Abmühens, des Abkämpfens gegen die Strömung, bin ich so weit, meine Arme sinken zu lassen. Mit dem Strampeln aufzuhören. Das Wasser einzuatmen. Ich bin erschöpft. Vielleicht ist es Zeit, diese Geschichte zu beenden." Sie kann nicht Heimat finden in einer noch so multikulturellen, diversen Umgebung, nicht heimatlich werden in sich selbst. Ihre Kollegin und Freundin Rach, "klein, verzogen, energiegeladen" und, auch ohne dass es gesagt würde, wohl weißer Hautfarbe, sieht das so: ",Es ist das Prinzip', hat Rach früher an diesem Tag zu mir gesagt. 'Scheiß auf den Sexismus - mach ihn dir zu Nutze!'" Diese rüde Pragmatik steht der Ich-Erzählerin nicht zur Verfügung, der die Überwindung der ethnischen Kategorien zunehmend unmöglich erscheint: "Aber mir war schlecht vom Erreichen, vom Durchhalten. Vom Aufstieg."
In einem georgianischen Townhouse eines eleganten Londoner Viertels hat sie eine Wohnung gekauft und angemessen ausgestattet: "Wenn ich für einen Abend allein bin, in diesem geschmackvollen Zuhause, das ich mir eingerichtet habe, streife ich die Kleidung des Tages ab. Schäle Schichten, Stoffe von meiner Haut bis nichts mehr darunterliegt. Doch, nichts weiter offenbart sich, kein verstecktes Selbst, keine Nacktheit. Kein exotisches, ungeschütztes Anderes. Nichts." Sie bleibt sich selbst eine Fremde. Diese Entfremdung auch vom eigenen Körper findet eine Entsprechung in der ihr gestellten Krebsdiagnose, die sie ihrem Freund verschweigt, und in ihrem - vielleicht - Entschluss, die lebensrettende Therapie abzulehnen. Ob die Alternative der Nichtbehandlung, damit die Option des Sterbens ein Ausweg ist, muss dahingestellt bleiben.
Browns Protagonistin ist eine ständige Beobachterin ihrer selbst, als flöge eine Drohne über die Felder ihrer professionellen wie privaten Existenz. Das eine ist mit dem anderen untrennbar verknüpft, für sie als schwarze Frau noch stärker als ohnehin. Einmal, als sie vor dem Beginn des herrschaftlichen Fests über das Gelände des Anwesens, das den Eltern ihres Freunds gehört, geht, steht in einer Anmerkung, die zum Romantext gehört: "Es ist bemerkenswert. Sogar in der scheinbaren Privatsphäre meiner eigenen Gedanken fühle ich mich (immer noch) gezwungen zu beschränken, was ich sage."
Es sind nur 113 Seiten, gedruckt mit viel Raum dazwischen. Das gibt Luft zum Durchatmen angesichts der scharfkantigen Sätze, die Jackie Thomae in die deutsche Übersetzung geholt hat. Die ständigen Abbrüche und Neuansätze im Buch könnten den Eindruck entstehen lassen, dass Brown kein kontinuierliches Erzählen gelinge. Sie lassen sich aber besser als ein Stilmittel verstehen für das zerbrochene Selbstverständnis ihrer Protagonistin, der kein Vertrauen in eine eigene Erzählung, keine Legitimation für das Dasein in dieser großen Nation und ihrer verfestigten Gesellschaftsordnung zur Verfügung steht. Dennoch bleibt der Schluss offen: "Plötzlich, so unsicher" ist noch keine finale Entscheidung gegen die Chance einer "Zusammenkunft". ROSE-MARIA GROPP
Natasha Brown: "Zusammenkunft".
Roman.
Aus dem Englischen von Jackie Thomae. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 113 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kurz und schmerzhaft: Natasha Browns Roman "Zusammenkunft" stellt der britischen Klassengesellschaft eine harte Diagnose.
Unter dem Titel "Assembly" erschien dieser schmale Roman im vorigen Jahr in London und wurde zum durchschlagenden Erfolg. Er ist das literarische Debüt von Natasha Brown, deren frühere Karriere im Londoner Finanzwesen ungefähr der ihrer Protagonistin entsprochen hat. Dabei kalkuliert Brown sehr genau, wie sie mit Klassismus und Rassismus, Kolonialismus, Diversität und Sexismus ins Mark der britischen Gesellschaft trifft. Die Besprechungen fielen positiv bis hymnisch aus.
Die Ich-Erzählerin ist namenlos. Sie ist eine junge und attraktive schwarze Frau in England, Angehörige der zweiten Generation von Einwanderern. Immer wieder wird sie mit der Vermutung konfrontiert, sie käme "aus Afrika". Nur am Rand wird klar, dass die Herkunft ihrer Vorfahren Jamaika ist, die ehemalige britische Kolonie. Jamaikas Geschichte war, noch davor, von der Verschleppung afrikanischer Sklaven gezeichnet. Aber in ihren Ursprüngen kann und will sie keinen Teil ihrer Identität ausmachen. Sie hat an einer Eliteuniversität Mathematik studiert und avancierte hoch in der Bankenwelt. Darüber berichtet sie vor Schulklassen, zur Motivation Jugendlicher. Doch auch ihr sozialer Aufstieg, ihre brillante Performance und damit verbunden finanzielle Unabhängigkeit geben ihr keinen Halt. Es ist nur einer der Schläge ins Gesicht, die sie, mehr oder weniger offen, auszuhalten hat; sie müsse doch zugeben, dass ihr nicht nur ihr Geschlecht, sondern ihre schwarze Hautfarbe dabei hilfreich sei.
Sie ist liiert mit einem jungen wohlhabenden Politikberater, er zählt zur englischen Oberschicht, es wäre eine perfekte Allianz. Unbeschwert kann indessen auch ihr Freund nicht sein; einmal heißt es, dass er morgens seine Citalopram schluckt, ein Mittel gegen Depressionen und Angststörungen. Auf ihm lastet die Tradition, der angeborene Anspruch seiner Familie in paternalistischer Tradition, denn vom souverän auftretenden Vater stammen die Titel und das Erbe. Die Mutter ihres Freunds hatte "eingeheiratet": "Die Zwiespältigkeit der Mutter war traditioneller. Einmal hat sie mich mit dem peinlichen Spruch ,die aktuelle Herzdame unseres Jüngsten' vorgestellt und dabei die Bekannte, die gefragt hatte, wissend angelächelt." Sie kommt zu dem Schluss: "Unter der Feindseligkeit der Mutter lag eine Unsicherheit, mit der ich mich fast identifizierte." Das geschah, bevor sie jetzt zu einer Party auf dem Landsitz der Eltern geladen ist, die ihren Hochzeitstag feiern.
Was die eigentliche Schlagkraft von Natasha Browns Roman ausmacht und ihn verstörend sein lässt, ist die Intensität ihrer Selbstbefragung, bis hin zur Selbstquälerei. Der Masochismus in ihr ist Manie, er ist ihr subkutan eingeschrieben: "Generationen der Aufopferung; harte Arbeit, noch härteres Leben. So viel gelitten, so viel aufgegeben - für diese Chance. Für mein Leben. Und ich habe es versucht, habe versucht dem gerecht zu werden. Aber nach Jahren des Abmühens, des Abkämpfens gegen die Strömung, bin ich so weit, meine Arme sinken zu lassen. Mit dem Strampeln aufzuhören. Das Wasser einzuatmen. Ich bin erschöpft. Vielleicht ist es Zeit, diese Geschichte zu beenden." Sie kann nicht Heimat finden in einer noch so multikulturellen, diversen Umgebung, nicht heimatlich werden in sich selbst. Ihre Kollegin und Freundin Rach, "klein, verzogen, energiegeladen" und, auch ohne dass es gesagt würde, wohl weißer Hautfarbe, sieht das so: ",Es ist das Prinzip', hat Rach früher an diesem Tag zu mir gesagt. 'Scheiß auf den Sexismus - mach ihn dir zu Nutze!'" Diese rüde Pragmatik steht der Ich-Erzählerin nicht zur Verfügung, der die Überwindung der ethnischen Kategorien zunehmend unmöglich erscheint: "Aber mir war schlecht vom Erreichen, vom Durchhalten. Vom Aufstieg."
In einem georgianischen Townhouse eines eleganten Londoner Viertels hat sie eine Wohnung gekauft und angemessen ausgestattet: "Wenn ich für einen Abend allein bin, in diesem geschmackvollen Zuhause, das ich mir eingerichtet habe, streife ich die Kleidung des Tages ab. Schäle Schichten, Stoffe von meiner Haut bis nichts mehr darunterliegt. Doch, nichts weiter offenbart sich, kein verstecktes Selbst, keine Nacktheit. Kein exotisches, ungeschütztes Anderes. Nichts." Sie bleibt sich selbst eine Fremde. Diese Entfremdung auch vom eigenen Körper findet eine Entsprechung in der ihr gestellten Krebsdiagnose, die sie ihrem Freund verschweigt, und in ihrem - vielleicht - Entschluss, die lebensrettende Therapie abzulehnen. Ob die Alternative der Nichtbehandlung, damit die Option des Sterbens ein Ausweg ist, muss dahingestellt bleiben.
Browns Protagonistin ist eine ständige Beobachterin ihrer selbst, als flöge eine Drohne über die Felder ihrer professionellen wie privaten Existenz. Das eine ist mit dem anderen untrennbar verknüpft, für sie als schwarze Frau noch stärker als ohnehin. Einmal, als sie vor dem Beginn des herrschaftlichen Fests über das Gelände des Anwesens, das den Eltern ihres Freunds gehört, geht, steht in einer Anmerkung, die zum Romantext gehört: "Es ist bemerkenswert. Sogar in der scheinbaren Privatsphäre meiner eigenen Gedanken fühle ich mich (immer noch) gezwungen zu beschränken, was ich sage."
Es sind nur 113 Seiten, gedruckt mit viel Raum dazwischen. Das gibt Luft zum Durchatmen angesichts der scharfkantigen Sätze, die Jackie Thomae in die deutsche Übersetzung geholt hat. Die ständigen Abbrüche und Neuansätze im Buch könnten den Eindruck entstehen lassen, dass Brown kein kontinuierliches Erzählen gelinge. Sie lassen sich aber besser als ein Stilmittel verstehen für das zerbrochene Selbstverständnis ihrer Protagonistin, der kein Vertrauen in eine eigene Erzählung, keine Legitimation für das Dasein in dieser großen Nation und ihrer verfestigten Gesellschaftsordnung zur Verfügung steht. Dennoch bleibt der Schluss offen: "Plötzlich, so unsicher" ist noch keine finale Entscheidung gegen die Chance einer "Zusammenkunft". ROSE-MARIA GROPP
Natasha Brown: "Zusammenkunft".
Roman.
Aus dem Englischen von Jackie Thomae. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 113 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Was die eigentliche Schlagkraft von Natasha Browns Roman ausmacht und ihn verstörend sein lässt, ist die Intensität ihrer Selbstbefragung ...« Rose-Maria Gropp Frankfurter Allgemeine Zeitung 20220517