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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2014

Kirche zwischen Konformität und Konfliktbereitschaft

Auch Einrichtungen im Bistum Limburg haben Zwangsarbeiter beschäftigt. Zwei Historiker führen die Zeit von 1939 bis 1945 auf beeindruckende Weise vor Augen.

Von Stefan Toepfer

FRANKFURT. Ein Pater als Verräter, eine Gestapo-Außenstelle auf dem Ordensgelände, ein Lager für 57 Kriegsgefangene sowie ebenfalls auf dem Areal untergebrachte 107 Zivilarbeiter: Die Geschichte des Missionshauses der Pallottiner in Limburg zwischen 1939 und 1945 ist ein bedrückendes Beispiel für die Verstrickung katholischer Einrichtungen im Bistum Limburg in das nationalsozialistische System der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Akribisch haben die beiden Frankfurter Historiker Joachim Rotberg und Barbara Wieland diesen Teil der Diözesangeschichte aufgearbeitet - das Ergebnis liegt nun in zwei, fast 1500 Seiten umfassenden Bänden vor.

In dem Missionshaus waren so viele Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beschäftigt wie in keinem anderen katholischen Haus auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Tätig waren sie etwa in der 60 Hektar großen Landwirtschaft des Klosters. Der Leiter der Einrichtung, Pater Kolberg, verriet Ordensbrüder an die Gestapo, auch wegen ihres angeblich zu positiven Umgangs mit ausländischen Arbeitern - den Autoren zufolge "eine weitere, in der Forschung ebenfalls singuläre Erkenntnis".

Rotberg und Wieland zeichnen die Vorgänge in diesem Haus und in 40 weiteren katholischen Institutionen nach, in denen Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Aber nicht nur das: Sie untersuchten im gesamten Bistum, wie Pfarrer und Gemeindemitglieder in ihren Orten mit untergebrachten Arbeitskräften umgegangen sind.

Die Historiker begleitet das Thema schon seit dem Jahr 2000. Damals begann die katholische Kirche, sich mit diesem Teil ihrer Geschichte zu befassen, es wurde ein Entschädigungs- und Versöhnungsfonds eingerichtet. Zum Limburger Projekt, das im Auftrag von Bischof Franz Kamphaus von dem Kirchenrechtler Thomas Schüller geleitet wurde, gehörten in drei aufeinanderfolgenden Jahren auch Besuche ehemaliger Zwangsarbeiter in Polen und Weißrussland sowie Gegenbesuche und eine Wanderausstellung. 18 Fremdarbeiter wurden als noch lebend ermittelt; sie bekamen je 5000 Mark beziehungsweise rund 2500 Euro aus dem Entschädigungsfonds, in sieben weiteren Fällen wurde Geld an Erben gezahlt - eine, so Rotberg und Wieland, "späte, aber für die individuelle Biographie gleichwohl sehr wichtige Geste der Versöhnung".

Nach einem ersten "Werkstattbericht" im Jahr 2001 bildete die Aufarbeitung Rotbergs und Wielands ein Kapitel in dem 2008 von der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Band über Zwangsarbeit, 2009 legten sie ihren Abschlussbericht Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst vor. Es entstand die Idee, aus den Beiträgen Doktorarbeiten zu machen. Rotberg und Wieland forschten weiter und wurden Ende 2010 an der Goethe-Universität promoviert. Dann wurden die beiden Arbeiten zu einem Werk zusammengeführt, das jetzt vorliegt und einen tiefen Blick in die Bistumsgeschichte bietet.

Die Historiker haben 274 Orte und Häuser im Bistum unter die Lupe genommen - eine in dieser Form einmalige Untersuchung. Zwischen 1939 und 1945 waren in Einrichtungen 317 Zivilarbeiter und 142 Kriegsgefangene beschäftigt - nach Einschätzung von Rotberg und Wieland wohl nur ein Teil der tatsächlichen kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse im Bistumsgebiet. "Für einige Einrichtungen liegen keine Quellen mehr vor, oder sie wurden der Recherchegruppe nicht vorgezeigt."

Die Bereitschaft der Institutionen, Auskunft zu geben, war unterschiedlich ausgeprägt. Beispielsweise hieß es bei den Limburger Pallottinern anfangs, es habe dort gar keine Zwangsarbeiter gegeben. Hingegen stand der damalige Abt des Zisterzienserklosters Marienstatt im Westerwald hinter dem Projekt, wie Rotberg schildert. Auch die Dernbacher Schwestern und die Pallottinerinnen in Limburg stellten Akten zur Verfügung. "Aber auch dort mussten wir erst Vertrauen gewinnen", sagt Wieland. Erstmals wurden auch Kirchenbücher und Chroniken der Pfarreien hinzugezogen.

Die Bistumsleitung hat bis 1943 zum Einsatz der Zwangsarbeiter geschwiegen. "Weder deren Zusammenpferchung und Schwerstarbeit in den Industriegebieten Frankfurts und im Raum Wetzlar noch der flächendeckende Einsatz deportierter Polen in den agrarisch geprägten Regionen des Bistums - und auch nicht die Mordtaten an Ausländern in Hadamar - waren für Bischof Hilfrich oder Generalvikar Göbel Anlass zu einer wenigstens theologisch codierten Verlautbarung, etwa zum Thema gerechter Lohn oder menschenwürdige Behandlung von Fremden", bilanzieren die Historiker. Eine, so Rotberg, "deutliche Kursänderung" gab es 1943. Im September jenes Jahres beklagten die Bischöfe in einem gemeinsamen Hirtenbrief Menschenrechtsverletzungen an Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen.

Bischof Hilfrich war vor allem an der Seelsorge für die Katholiken unter den Zwangsarbeitern gelegen. Davon zeugt seine schriftliche Eingabe beim Reichskirchenminister, nachdem der Gauleiter von Hessen-Nassau im Sommer 1940 ein allgemeines Kirchenverbot für polnische Zivilarbeiter erlassen hatte.

Die Seelsorge an Zwangsarbeitern unterlag strengen Einschränkungen. Rotberg fasst die Haltung des Bischofs so zusammen: Was staatlich erlaubt gewesen sei, zum Beispiel Zuschüsse für einen ukrainischen Sonderseelsorger, habe gemacht werden können. Barrieren aber, etwa das Verbot der Seelsorge und sozialen Fürsorge in Zivilarbeiterlagern durch kirchliches Personal ohne Einvernehmen mit der Deutschen Arbeitsfront oder der Gestapo, seien akzeptiert beziehungsweise hingenommen worden.

Nachzulesen ist aber auch, wie sich einzelne Pfarrer seelsorgerlich um Zwangsarbeiter kümmerten. Weil er Vorschriften nicht einhielt, kam Alfons Spix, Vize-Provinzial der Arnsteiner Patres, ins Konzentrationslager Dachau, wo er 1942 umkam. In den Frankfurter Adlerwerken wirkte der französische Priester Robert Adolphe, der als Kriegsgefangener nach Deutschland gekommen war. Das Bischöfliche Ordinariat wusste von ihm. Dem Trägerverein des Frankfurter Monikaheims attestieren Rotberg und Wieland, dass er sich "im Gegensatz zu den Fürsorgeabteilungen des Frankfurter Caritasverbands mit erheblichem Aufwand um Fremdarbeiterinnen und ihre Kinder gekümmert hat". Der Pfarrer von Biedenkopf besuchte die in seinem großen Sprengel verteilt lebenden Polen und lud sie zu Gottesdiensten ein, was ihm eine deutliche Verwarnung der Gestapo einbrachte.

Rotberg und Wieland beurteilen das, was Geistliche und Laien zugunsten von Zwangsarbeitern taten, zwar nicht als Widerstand gegen das Regime, aber als "Resistenz": Solidarisches Verhalten habe die ausländerpolitische Grundlinie des NS-Staates konterkariert, "die Religionspraxis der Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter von jener der deutschen Bevölkerung rigide zu trennen". Was kirchliche Häuser als Arbeitgeber angeht, resümieren die Autoren, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter "in der Regel erträglich" gewesen seien.

Selbst im Missionshaus der Pallottiner hielten sich nicht alle an Vorschriften. Ein Beispiel: Die zwölf Jahre alte Ewjenija Kiselowa aus Weißrussland wurde wie ein deutsches Mädchen angezogen und frisiert, so dass sie in ihrer Freizeit durch Limburg laufen konnte - auch weil sie das Ostarbeiter-Zeichen nicht tragen musste. Ähnliches ist aus dem Wiesbadener Josefs-Hospital überliefert. Von einer "humanen Behandlung" von Zwangsarbeitern sprechen die Historiker bei den Barmherzigen Brüdern in Montabaur.

Rotberg und Wieland lassen aber keinen Zweifel daran, dass sich auch das Bistum Limburg mitten hineinbegeben habe "in die zum Teil von einem drakonischen Strafsystem beherrschten Strukturen der nach rassischen Gesichtspunkten gegliederten Ausländerbeschäftigung im ,Dritten Reich'."

Das zweibändige Werk von Joachim Rotberg und Barbara Wieland, "Zwangsarbeit für die Kirche. Kirche unter Zwangsarbeitern" ist 2014 im Verlag der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte erschienen, hat 1490 Seiten und kostet 115 Euro.

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