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Pulitzer-Preisträger für das beste Sachbuch 2017 - eine erzählerische Studie des modernen urbanen Amerika, anhand des Themas Wohnen wird ein neues Bild von Armut und Ungleichheit gezeichnet.
Matthew Desmond nimmt den Leser mit in die ärmsten Viertel von Milwaukee, einer mittelgroßen, normalen amerikanischen Großstadt. Er erzählt die Geschichte von acht Familien am Rande der Gesellschaft. Die meisten armen Mieter stecken heute über die Hälfte ihres Einkommens in die Miete, so dass Zwangsräumungen zu einem alltäglichen Phänomen geworden sind - vor allem für alleinerziehende Mütter. Matthew…mehr

Produktbeschreibung
Pulitzer-Preisträger für das beste Sachbuch 2017 - eine erzählerische Studie des modernen urbanen Amerika, anhand des Themas Wohnen wird ein neues Bild von Armut und Ungleichheit gezeichnet.

Matthew Desmond nimmt den Leser mit in die ärmsten Viertel von Milwaukee, einer mittelgroßen, normalen amerikanischen Großstadt. Er erzählt die Geschichte von acht Familien am Rande der Gesellschaft. Die meisten armen Mieter stecken heute über die Hälfte ihres Einkommens in die Miete, so dass Zwangsräumungen zu einem alltäglichen Phänomen geworden sind - vor allem für alleinerziehende Mütter. Matthew Desmond zeigt in seinem scharf beobachteten und erzählerischen Meisterwerk die unfassbare Ungleichheit in Amerika. Das Buch verändert unseren Blick auf Armut und wirtschaftliche Ausbeutung und erinnert mit seinen unvergesslichen Szenen von Hoffnung und Verlust daran, wie wichtig es ist, ein Zuhause zu haben.

»Wer Zwangsgeräumt liest, versteht, dass man kein ernsthaftes Gespräch über Armut führen kann, ohne über Wohnraum zu sprechen. Außerdem möchte man es dringend jedem Politiker in die Hand drücken.« The New York Times
Autorenporträt
Desmond, MatthewMatthew Desmond ist Professor für Soziologie und Sozialwissenschaften an der Harvard University und Co-Direktor des Justice and Poverty Project. Für seine Forschung und seine Bücher wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem McArthur »Genius« Grant. Er schreibt regelmäßig für die New York Times und Chicago Tribune.

Zimmermann, VolkerVolker Zimmermann, geboren 1979, studierte Geschichte und Literaturwissenschaften in Erfurt und am Dartmouth College. Seit 2004 lebt er in Paris und übersetzt Literatur aus dem Französischen und Englischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2024

Ein System, sie zu knechten
In seinem neuen Buch zeigt Matthew Desmond, wie Reichtum und Armut in den USA einander bedingen

Die Vereinigten Staaten gehören zu den Ländern, in denen es sich als reicher Mensch ausgesprochen angenehm leben lässt. Für arme Menschen gilt das Gegenteil. Das liegt einerseits daran, dass im Land des Überflusses arm sein besonders schmerzhaft ist. Aber auch - das ist zumindest die These des jüngst erschienenen Buches "Armut. Eine amerikanische Katastrophe" von Matthew Desmond -, weil Nicht-Arme davon profitieren, dass Millionen andere in Armut leben.

Matthew Desmond ist Soziologe, Pulitzerpreisträger und Aktivist. Er ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und forscht seit Jahren zu Armut in den Vereinigten Staaten. In seinem Buch gehe es nicht nur um die Armen, schreibt er zu Beginn. "Es geht vielmehr darum, wie die andere 'andere Hälfte' lebt, und darum, wie einige Menschen kleingehalten werden, damit sich andere entfalten können." Desmonds Buch ist ein Sachbuch, ja. Aber vor allem ist es Anklage und Plädoyer. Desmond klagt die "unverständliche und unverschämte Ungleichheit" in den Vereinigten Staaten an und fordert, dass "jeder von uns zum Armutsbekämpfer wird". Sein Buch lässt er mit den Worten enden: "Es reicht nicht aus, wenn wir dieses Problem [die Armut, Anm. d. Red.] nur verstehen. Wir müssen es beseitigen."

Doch wie ließe sich Armut beseitigen? Desmond meint: Indem wir - er spricht immer von "wir", wenn er vom begüterteren Teil der amerikanischen Bevölkerung spricht - die Axt an jenes System anlegen, das die Armen arm hält und jene, die nicht arm sind, zum "unbewussten Feind der Armen" macht. So verweist Desmond auf die Ausbeutung auf dem Arbeits-, dem Wohnungs- und dem Geldmarkt. Er erwähnt Hausbesitzer, die ein Vermögen damit verdienen, verwahrloste Wohnungen an arme Familien zu vermieten. Banken, die mit Überziehungsgebühren einen "steten Strom an Einnahmen" generierten. Und Unternehmen, die dank des technisches Fortschritts ihre Mitarbeiter zu mehr Effizienz zwingen könnten, während sie immer mehr Verantwortung auf sie abwälzten. Beispiel Uber: Die Fahrer stellen ihr eigenes Auto zur Verfügung, tanken auf eigene Kosten und müssen sich selbst versichern.

"Sozialer Aufstieg gehört nicht mehr zum amerikanischen Alltag, heute sehen viel zu viele junge Menschen einer ungewissen Zukunft entgegen", klagt Desmond. Für ihn sind die Vereinigten Staaten ein "Sozialstaat für die Reichen". Dieser sei wichtiger als die Bekämpfung von Armut. "Die Vereinigten Staaten könnten die Armut morgen beenden, und zwar ohne neue Schulden zu machen, wenn sie konsequent gegen Steuervermeidung vorgehen und die so eingenommenen Summen an die weiterleiten würden, die sie am dringendsten benötigen." Desmond zitiert eine Schätzung des Finanzamtes, der zufolge dem amerikanischen Staat rund eine Billion Dollar pro Jahr aufgrund Steuervermeidung durch die Lappen geht.

An dieser Stelle wäre es leicht für den Leser, die Schuld bei skrupellosen Unternehmen, gewissenlosen Politikern oder bösen Vermieter zu suchen. Es ist das Verdienst des Buches, diese Ausrede nicht gelten zu lassen. Immer wieder betont Desmond: Alle sind "Nutznießer der Ausbeutung". Ein Beispiel: "Per Handy bestellen wir Taxis, Lebensmittel, Pizza oder Handwerker, alles zu Kampfpreisen. Wir sind die Herren dieser neuen Bedienstetenwirtschaft mit ihren anonymen und unterbezahlten Knechten, die rund um die Uhr für uns bereitstehen."

Doch wenn alle von der Armut profitieren, wieso sollten sie dann für deren Abschaffung eintreten? Oder anders gefragt: Sind Desmonds Theorien im Kern zwar nachvollziehbar, aber eben doch auch sehr naiv - insbesondere in dem so tief gespaltenen Amerika? Nicht unbedingt, findet er. "Ein Amerika ohne Armut wäre weder eine Utopie noch ein Land der grauen Uniformität", schreibt er. Vielmehr würden alle von der Abschaffung der Armut profitieren. "Das Ende der Armut würde den breiten Wohlstand mehren." Und ohne Armut, so seine Argumentation, wären die Vereinigten Staaten freier. "Eine Nation, die sich zu einer Beseitigung der Armut bekennt, ist eine Nation, die sich wahrhaft zur Freiheit bekennt."

Desmond setzt auf den Druck von Bewegungen. Das "Washington", das die Rassendiskriminierung abgeschafft und Gesetze zum Ausbau von Krankenversicherung, Sozialstaat und Bildung ausgebaut habe, sei genauso dysfunktional gewesen wie das "Washington" heute. "Trotzdem fanden gewöhnliche Bürger Möglichkeiten, ihre Vorstellungen durchzusetzen."

Dass das auch heute gelingen könnte, daran hat zumindest Desmond keinen Zweifel. Er teilt eine Beobachtung: Im November 2020 demonstrierte eine Gruppe vorwiegend Schwarzer und Latinos in Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, für einen Mindestlohn von 15 Dollar in der Gastronomie. Auf einmal tauchte eine Gruppe von Weißen mit "Make America Great Again"-Kappen auf. Sie wollten gegen den Wahlsieg Joe Bidens demonstrieren. Als sie hörten, dass die Arbeiter für höhere Löhne demonstrierten, schüttelten sie ihnen die Hände. Und schlossen sich den Protesten an. TATJANA HEID

Matthew Desmond: Armut. Eine amerikanische Katastrophe.

Rowohlt Polaris Verlag, Hamburg 2024. 304 S., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2018

„Das Ghetto ist gut zu mir“
Der Soziologe Matthew Desmond erzählt Familienschicksale aus dem ärmsten Viertel von Milwaukee.
In „Zwangsgeräumt“ zeigt er, welche enormen Profite im Geschäft mit der Armut zu erzielen sind
VON MATTHIAS KOLB
An einem bitterkalten Januarnachmittag präparieren zwei Kinder in Milwaukee Schneebälle. Weiße Haufen türmen sich am Straßenrand und die beiden bewerfen vorbeifahrende Autos. Als aus einem plötzlich ein Mann springt, flüchten Jori und sein Cousin ins Haus. Der wütende Autofahrer bricht das billige Schloss mit einigen Tritten auf, dann verschwindet er. Als die Vermieterin von der kaputten Tür erfährt, schickt sie Arleen, der alleinerziehenden Mutter von Jori, eine Räumungsklage.
Wer heute in den USA arm ist, den kann ein einziger Schneeball tief ins Elend stürzen. Arleen zieht vorübergehend mit Jori und ihrem asthmakranken Sohn Jafaris in ein Obdachlosenheim und findet erst Monate später eine neue Wohnung. Die Afroamerikanerin gehört zu jenen Personen, die der Soziologe Matthew Desmond für eineinhalb Jahre begleitet hat. Er lebte 2008/2009 in der North Side, dem schwarzen Armenviertel Milwaukees, und mit jenen Menschen, die oft als White Trash abgetan werden.
„Ich habe ihre Kinder gehütet, von ihren Tellern gegessen und neben ihnen geschlafen“, berichtet Desmond über diese intensive Zeit, in der er das Vertrauen der Menschen gewann. Sie ließen ihn ihre Unterhaltungen aufzeichnen und aus den 5000 Seiten Material entstand nach der Doktorarbeit „Zwangsgeräumt“, eines der besten Bücher über den gegenwärtigen Zustand der USA; 2017 wurde es mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, und sowohl Barack Obama als auch Bill Gates empfehlen dringend die Lektüre, um zu verstehen, wieso der Aufstiegsmythos des American Dream für so viele nur noch eine hohle Phrase ist.
Meisterhaft verwebt Desmond die Geschichten von acht Familien mit Analysen und Statistiken, die er mitunter selbst erhoben hat. So wurde zwischen 2008 und 2011 jeder achte Mieter in Milwaukee zum Wohnungswechsel gezwungen und jeder vierte Geringverdiener gibt mindestens 70 Prozent seines Einkommens für die Miete aus.
So kann jede zusätzliche Belastung, sei es eine Beerdigung, eine plötzliche Krankheit oder eine Autoreparatur, dazu führen, dass die Miete nicht beglichen werden kann – und dann rücken jene Teams an, die fast alle Sheriff Departments gebildet haben: Speziell geschulte Polizisten, die ausschließlich Zwangsräumungen und Vollstreckungen durchführen. Die Möbel und Taschen landen entweder auf dem Bürgersteig oder werden von Spediteuren zu horrenden Preisen eingelagert, wodurch der Schuldenberg weiter wächst.
Desmond räumt auf mit dem Vorurteil, dass arme Amerikaner in Sozialwohnungen leben oder üppige Zuschüsse kriegen. Nur jede vierte Person, die ein Anrecht auf Mietunterstützung hat, erhält diese, betont er: „So etwas wäre bei Essensmarken unvorstellbar, doch bei Wohnungen nehmen wir es hin.“ Besonders erhellend ist der Einblick in die Maschinerie der Profitmaximierung. Desmond hat dreißig Vermieter interviewt, und einige öffneten ihre Geschäftsbücher. Tobin (alle Namen sind Pseudonyme) hat 1995 den „College Mobile Home Park“ mit 131 Wohnwagen für
2,1 Millionen Dollar gekauft. 2004 war alles abbezahlt und nun macht Tobin
450 000 Dollar Gewinn – jedes Jahr. Diese Summe streicht er ein, obwohl Milwaukee den Park wegen Dutzender Verstöße als „biologische Gefahrenquelle für die Umgebung“ eingestuft hat.
Dass dort weiter Menschen leben und 550 Dollar für einen Trailer bezahlen, stört den Stadtrat kaum. Allgegenwärtig ist die Überzeugung, Armut sei die Folge individuellen Versagens. Der Doktorand Desmond lebte vier Monate dort – meist ohne heißes Wasser. Berührend ist sein Porträt der Nachbarin Larraine, einer Großmutter mit maximal fünf Dollar Tagesbudget. „Als sie rausgeworfen wurde, schlich sie sich in den Wohnwagen ihres Bruders, der keine Heizung hat. Sie verkroch sich unter vielen Decken und fiel in eine tiefe Depression“, erinnert sich Desmond.
Viel Zeit verbringt der Autor in der Rostlaube der Afroamerikanerin Sherrena. Der Sportwagen der ehemaligen Lehrerin bleibt in der Garage, wenn sie die bar zu zahlenden Mieten einsammelt. „Das Ghetto ist gut zu mir“, sagt die Neu-Millionärin. Längst wissen Investoren, dass die Profitmarge in der heruntergekommenen Innenstadt höher ist als in den Vororten, wo anspruchsvolle Mieter eine gute Ausstattung fordern und die Steuern höher sind. „Wenn man sich auf die Geringverdiener spezialisiert, hat man ein regelmäßiges Einkommen. Das ist keine Zukunftsinvestition, sondern für jetzt“, erklärt ein Vermieter auf einer Spezialmesse.
Desmond will aufrütteln, ihm geht es um die Folgen für die Gesellschaft. Wer in überteuerten und minderwertigen Wohnungen lebt, wird schneller krank und findet nicht die nötige Sicherheit, um über das Monatsende hinaus zu planen, sich weiterzubilden oder einem besseren Job zu suchen. Arleens Söhne Jori und Jafaris wechseln wegen der Umzüge ständig die Schule. Wie sollen sie konzentriert lernen, wenn die Familie bei Freunden unterkommt oder mit 120 Gestrandeten im Obdachlosenheim schlafen muss?
Im Winter 2017 sagte Desmond der SZ: „Als ich mit der Recherche begann, dachte ich: ‚Kinder schützen sicher vor dem Rauswurf‘“ Seine Daten zeigen aber, dass die meisten in Milwaukee evakuierten Menschen Kinder haben, die im Durchschnitt sieben Jahre alt sind. Oft habe er Faktoren wie Ausbildung, Hautfarbe oder Verschuldung in Modellen geprüft, so Desmond: „Das Ergebnis war immer gleich: Mit Kindern steigt das Risiko einer Zwangsräumung um das Dreifache.“
Gewiss: Auch für ärmere Weiße, die nur Hilfsjobs haben oder mit Schmerzmittelsucht kämpfen, ist die Lage brutal. Am härtesten trifft es aber einkommensschwache schwarze Frauen, deren Männern oft inhaftiert sind. „Poor black men were locked up, poor black women were locked out“, bilanziert Desmond. Solche Formulierungen kann die an sich gute Übersetzung von Volker Zimmermann und Isabelle Brandstetter nur mit sperrigen Worten übertragen.
Der Vergleich passt leider: Wie eine Gefängnisstrafe bleibt eine Zwangsräumung in den USA mitunter ein Leben lang in den Akten sowie den Datenbanken kommerzieller Anbieter stehen. Dies verhindert oft, dass die Betroffenen Zugang zu Sozialleistungen erhalten oder zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Wie dramatisch die Lage für Mütter ist, zeigt ein Beispiel aus der Bronx: Dort hat das Vollstreckungsgericht eine Tagesstätte eingerichtet, um die vielen Kinder zu betreuen, damit die Verfahren abgearbeitet werden können.
Egal ob er den 23. Dezember in „Saal 400“ des Gerichtsgebäudes in Milwaukee verbringt oder seine Protagonisten zum Arbeitsamt begleitet: Als Autor zeigt Matthew Desmond enormes Talent (schon sein erstes Buch „On the Fireline“ über Arizonas Feuerwehrmänner wurde 2007 ausgezeichnet). Er biedert sich nicht an und macht Menschen wie Arleen und Larraine nicht zu Heiligen. Natürlich treffen sie falsche Entscheidungen, aber Desmond macht deutlich, dass für Arme jeder Fehler größere Konsequenzen haben kann als für Angehörige in der Mittelschicht.
Auch die Vermieter werden nicht nur als gierige Bösewichte beschrieben. Tobin und Sherrena kommen ihren Mietern oft entgegen und bieten an, ausstehende Schulden durch Handwerkerarbeit auszugleichen. Gerade die Afroamerikanerin Sherrena wirkt mitunter wie eine Sozialarbeiterin, die manchen Mietern aus der Krise helfen will, aber es ist doch stets klar, wie die Macht verteilt ist.
Im Gespräch wirkt Matthew Desmond fast schüchtern, aber seine Kritik hat es in sich. „Ausbeutung“ sei das beste Wort, um die gegenwärtige Situation zu beschreiben. Er wirft seinen Landsleuten vor, sich selbst zu belügen. Armut werde als „trauriger Zufall“ angesehen oder als moralisches Versagen. „Beide Sichtweisen sehen Armut nur als ,Mangel‘. Dabei zeigt der Wohnungsmarkt: Der Gewinn des Vermieters ist der Verlust des Mieters. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir es hinnehmen wollen, dass das Einkommen des Vermieters 30 oder 50 Mal so groß wie das des Mieters.“
Diese scharfen Worte finden Gehör. Desmond ist einer der wichtigsten US-Intellektuellen unter 40 und unter anderem Gewinner des Genius-Award der Mac-Arthur-Stiftung. Wann der 38-Jährige eigentlich schläft, ist angesichts seines Arbeitspensums ungewiss. Er schreibt Reportagen für den New Yorker und das New York Times Magazine und baut an der Elite-Uni Princeton das „Eviction Lab“ auf. Mit einem Dutzend Mitarbeitern legt er eine Datenbank zum Thema Zwangsräumungen an, die öffentlich zugänglich ist. 83 Millionen Gerichtsakten sind integriert. Und vor Jahren hat er „Just Shelter“ gegründet, eine Organisation, die Aktivisten vernetzt.
Desmond warnt davor, die Verantwortung nur bei den marktgläubigen Republikanern zu sehen. Der politische Wille fehle oft auch unter Demokraten. „Die Wohnungspolitik in den USA hilft jenen Bürgern, die ohnehin am meisten haben. Im Budget ist die vorgesehene Summe für Steuererleichterungen für Eigenheimbesitzer drei Mal höher als jene für sozialen Wohnungsbau.“
Desmond will nicht radikal umverteilen, sondern die Höchstgrenze dieser Abschreibung auf 500 000 Dollar halbieren: „Damit wären neun Milliarden frei, um Wohngutscheine an eine Million Familien zu verteilen. Deren Leben würde sich fundamental verbessern, während die Wohlhabenden nicht darben müssen.“
Dass dieses außergewöhnliche Buch nichts an Aktualität verloren hat, zeigen zwei Meldungen. Anfang April zeigte eine Studie des Eviction-Lab-Teams, dass allein 2016 eine knappe Million US-Amerikaner wegen Zwangsräumungen mit Gerichten in Kontakt kamen. Die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen, da viele freiwillig gehen, um nicht aktenkundig zu werden. Für Desmond steht fest: Was er in Milwaukee beobachtet hat, ist ein landesweites Phänomen und nicht auf Großstädte beschränkt.
„So etwas wäre bei Essensmarken
unvorstellbar, doch bei
Wohnungen nehmen wir es hin.“
„Die Wohnungspolitik in den USA
hilft jenen Bürgern, die
ohnehin am meisten haben.“
Matthew Desmond: Zwangsgeräumt. Armut und Profit in der Stadt. Aus dem Amerikanischen von Volker Zimmermann und Isabelle Brandstetter. Ullstein Verlag, Berlin 2018. 544 Seiten, 26 Euro. E-Book 24,99 Euro.
Wohnungsräumung wegen nicht bezahlter Miete, Februar 2016 in Wauwatosa, Wisconsin.
Foto: Joshua Lott/NYT/Redux/laif
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"Desmond erzählt höchst gekonnt, und er bietet unaufdringlich Fakten." Michael Hochgeschwender FAZ 20180601