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Zwei Leben ist ein höchst anregender und aufschlußreicher, ebenso unterhaltender wie eleganter biographischer Essay über Gertrude Stein und Alice B. Toklas. Unbefangen und respektvoll nähert sich Janet Malcolm ihrem Gegenstand. Während sie den bisher Stein-Fremden Lust auf Werk und Leben der legendenumwobenen Autorin und ihrer Gefährtin macht, hat ihr Buch auch den Kennern Neues mitzuteilen. So erfahren wir zum ersten Mal Genaueres über die Jahre des Zweiten Weltkriegs, die Stein und Toklas als Jüdinnen im nazibesetzten Frankreich verbrachten, nachdem sie sich bewußt gegen eine Rückkehr in die…mehr

Produktbeschreibung
Zwei Leben ist ein höchst anregender und aufschlußreicher, ebenso unterhaltender wie eleganter biographischer Essay über Gertrude Stein und Alice B. Toklas. Unbefangen und respektvoll nähert sich Janet Malcolm ihrem Gegenstand. Während sie den bisher Stein-Fremden Lust auf Werk und Leben der legendenumwobenen Autorin und ihrer Gefährtin macht, hat ihr Buch auch den Kennern Neues mitzuteilen. So erfahren wir zum ersten Mal Genaueres über die Jahre des Zweiten Weltkriegs, die Stein und Toklas als Jüdinnen im nazibesetzten Frankreich verbrachten, nachdem sie sich bewußt gegen eine Rückkehr in die Vereinigten Staaten entschieden hatten. Stein sparte ihr Jüdischsein aus, sie verdrängte es, soweit sie nur konnte, und ließ sich von ihrem antisemitischen Freund Bernard Fay, der Zugang zu den höchsten Kreisen des Vichy-Regimes und zu Pétain selbst hatte, protegieren.
Oder: Malcolm berichtet von ihren Gesprächen mit Leon Katz, dem einzigen, der Alice Toklas nach Steins Tod wirklich zumSprechen brachte - auch über sorgsam Verschwiegenes wie eine unglückliche frühe Liebe Steins, die Eingang nicht nur in ihre Notizbücher, sondern auch in Werke wie The Making of Americans, Drei Leben und Q.E.D. (BS 1055) fand, was Alice Toklas noch viele Jahre später zu rasenden Eifersuchtsanfällen provozierte.
Autorenporträt
Malcolm, Janet
Janet Malcolm veröffentlichte u.a. eine Doppelbiographie The Silent Woman: Sylvia Plath and Ted Hughes und ein Buch über Tschechow. Sie schreibt für The New Yorker und für The New York Review of Books und lebt in New York.

Hirte, Chris
Chris Hirte, geboren 1948, studierte Germanistik und Anglistik in Berlin. Heute ist er als Publizist und literarischer Übersetzer tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2009

Zwei große alte Schachteln

In ihrem Essay über Gertrude Stein und Alice B. Toklas stellt Janet Malcolm die richtigen Fragen - und findet manche neue Antwort.

Wie sind Gertrude Stein und Alice B. Toklas wirklich gewesen? Wer wollten sie für die Öffentlichkeit sein, und wie sahen sie selbst sich im Verborgenen? Janet Malcolm arbeitet sich in ihrem Essay "Zwei Leben: Gertrude und Alice" an diesem Innen und Außen ab, erkundet weniger bekannte Seiten aus dem Leben der Schriftstellerin Gertrude Stein und ihrer "Frau", Alice B. Toklas: Es sind ihre gemeinsamen Jahre in Bilignin und Culoz in Nordfrankreich während des Zweiten Weltkriegs.

Ignorant oder böswillig muss sein, wer in Janet Malcolms unbefangener Wortkraft Ketzerisches lesen will: Hier wird keine Königin vom Thron gestoßen. Malcolm rüttelt zwar mächtig an Schablonen, in die die beiden Frauen gern eingepasst wurden und sich doch nie so richtig einfügten: Gertrude, das starrsinnige Genie, das alle liebten, und Alice, ihre treue Liebste, die "missmutige alte Schachtel".

Janet Malcolm stellt nun Fragen, die Sprengkraft enthalten, zum Beispiel diese: Wie konnten die beiden Frauen, ein jüdisch-lesbisches Paar, den Nationalsozialisten entkommen? Die Autorin hat genau recherchiert, wie Stein und Toklas die Kriegsjahre in Frankreich verbrachten, nachdem sie sich bewusst gegen eine Rückkehr nach Amerika entschieden hatten. Stein verschwieg ihre jüdische Herkunft. Malcolm verfolgt die Spur, dass sie von ihrem antisemitischen Freund Bernard Fäay geschützt wurde, der Zugang zu den höchsten Kreisen des Vichy-Regimes und auch zu Pétain selbst hatte.

Die Essayistin verhält sich zu ihrem Forschungsobjekt wie jemand, der liebt, aber an der Liebe des Partners zweifelt und deshalb immer weiter gräbt: "Durch den Verkauf eines oder mehrerer Picasso-Blätter half Toklas, die Flucht (von Fäay) zu finanzieren." In jede verfügbare Lebensritze sieht der Leser hinein. Malcolms Ton wird streng, wenn sie beschreibt, wie Gertrude Stein taktiert, sich ihres antisemitischen Freundes bedient, nicht zu ihrer Frauenliebe steht. Dann gibt sich die Autorin wieder verständnisvoll und forscht weiter. Ihre Anerkennung für die beiden Frauen bleibt erhalten; es ist eine Haltung zwischen Bewunderung und Erschrecken. Janet Malcolm zerstört Legenden, um aus den Scherben anschließend ein menschlicheres Bild zusammenzusetzen. Sie betrauert aber auch die großen Rätsel, die sich nicht lösen lassen, bleibt auf der Hut, wenn die Belege Lücken aufweisen.

Die Stärke dieses Buchs ist seine essayistische Form: Der Entstehungs- und Forschungsprozess ist transparent. Auch die Verwicklungen der Autorin auf dem Weg zur meist nur temporären Wahrheit werden nachgezeichnet. Der Leser bangt dabei um jede neue Erkenntnis, können sich die Bedeutungen doch gleich wieder zum Buchstabentanz erheben und sich neu gruppieren: Warum schweigt der Literaturwissenschaftler Leon Katz, der Einzige, der Alice Toklas nach Steins Tod zum Sprechen brachte? Malcolm befragt dazu drei Wissenschaftler, Ulla Dydo, Edward Burns und Bill Rice. Sie alle machen Katz verantwortlich dafür, dass Steins Werk heute nicht zum Universitätskanon zählt: "Sie glauben, dass die Veröffentlichung der kommentierten Notizhefte das kritische Echo erzeugt hätte, das nötig ist, um ein solches Werk in den akademischen Kanon zu befördern."

"Zwei Leben: Gertrude und Alice" ist fragmentarisch und will auch keine Einheit schaffen. Der Essay nimmt dem Leser so auch die Angst vor dem Scheitern an der Lektüre des Meisterwerks "The Making of Americans". Denn: Gertrude Stein ist immer überlegen. Wir dürfen nur erleben, miterleben, was uns die Geheimnisse ihres Geschriebenen überlassen. Was unverrückbar bleibt, ist das Zeugnis dieser Liebe: Gertrude Stein preist das große Glück, "jemanden zu finden, irgendeinen, der wirklich mag, was man mag, macht, tut, ist".

"Und wer das Buch als ein Pfeifen im dunklen Wald auffasst, erahnt etwas von der Großartigkeit", schreibt Janet Malcolm über die Autobiographie "Alice B. Toklas" von Gertrude Stein und könnte damit ihr eigenes Buch nicht besser beschreiben. Natürlich muss sie um ihre eigene Haltung gegenüber diesen beiden großen Frauen kämpfen. Dass dabei ein Essay herauskommt, der in Passagen durchaus kritisch ist, verkraftet das Werk Gertrude Steins allemal.

SWANTJE KARICH

Janet Malcolm. "Zwei Leben: Gertrude und Alice". Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 165 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schockiert war Verena Auffermann über Janet Malcolms Porträt der Exil-Schriftstellerin Gertrude Stein und ihrer Geliebten, Alice Toklas. Einen "Vernichtungsschlag" habe Malcolm hier führen wollen, so böswillig und skrupellos ziehe sie über die beiden Frauen her. Malcolm versuche gar nicht erst, ihre Generalattacke wissenschaftlich zu begründen. Desweiteren ignoriere sie völlig die Wirkungsgeschichte der Schriftstellerin, kritisiert Auffermann. Daher sieht sie in den Vorwürfen eine persönliche Abrechnung und kann den biografischen Versuch lediglich als "Klatschbuch mit Fußnoten" deklassieren. Besonders belächele Malcolm die Merkmale, für die Stein überhaupt erst bekannt geworden ist: ihre Dekonstruktion von Sprache und Syntax, ihr repetetiver Stil, ihr radikaler Bruch mit literarischen Konventionen. Dass außerdem die amerikanische Jüdin Stein nie in die USA zurückwollte, findet Malcolm ebenfalls bemitleidenswert, berichtet Auffermann, und für Alice Toklas habe Malcolm ohnehin kein annähernd neutrales Wort übrig. Selbst wenn sich Stein-Gegner über diese Denunziation freuen mögen - für die Rezensentin steht fest, dass sie dem Ruf der "Revolutionärin der Moderne" nichts anhaben kann.

© Perlentaucher Medien GmbH