»Ein wirklicher Fund.« Ulrich Greiner in 'Die Zeit'
Als Cassandra Edwards sich zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester Judith aufmacht, hat sie vor allem eines im Sinn: die Vermählung zu verhindern. Was will ihre hochmusikalische Schwester mit irgendeinem durchschnittlichen, jungen Arzt? Kompromisse und Mittelmaß sind ihr ein Gräuel, und sich selbst treu zu bleiben, ist in ihrer Familie oberstes Gebot. Wird Cassandra auf der Suche nach sich selbst in ihrer symbiotischen Beziehung zu Judith gefangen bleiben? Wird Judith sich aus der beklemmenden schwesterlichen Zweisamkeit befreien können? Beiden steht eine existenzielle Herausforderung bevor.
Ein hochintelligenter, witziger und zeitloser Roman über Bindung, die Spielarten von Erotik und unsere Suche nach der großen, erfüllenden Liebe, jener Seelenverwandtschaft, die von unserer Einsamkeit eine Brücke zum anderen schlägt.
Als Cassandra Edwards sich zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester Judith aufmacht, hat sie vor allem eines im Sinn: die Vermählung zu verhindern. Was will ihre hochmusikalische Schwester mit irgendeinem durchschnittlichen, jungen Arzt? Kompromisse und Mittelmaß sind ihr ein Gräuel, und sich selbst treu zu bleiben, ist in ihrer Familie oberstes Gebot. Wird Cassandra auf der Suche nach sich selbst in ihrer symbiotischen Beziehung zu Judith gefangen bleiben? Wird Judith sich aus der beklemmenden schwesterlichen Zweisamkeit befreien können? Beiden steht eine existenzielle Herausforderung bevor.
Ein hochintelligenter, witziger und zeitloser Roman über Bindung, die Spielarten von Erotik und unsere Suche nach der großen, erfüllenden Liebe, jener Seelenverwandtschaft, die von unserer Einsamkeit eine Brücke zum anderen schlägt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2017NEUE TASCHENBÜCHER
Mühelos wie
ein Skalpell
Cassandra schenkt sich nach, Cognac mit Soda, „viel nuancenreicher als Scotch“. Judith zieht im Pool Bahnen. Cassandra studiert französische Literatur an der Eliteuni in Berkeley und bezeichnet sich halbironisch als „existenzialistische Zen-Marxistin Freud’scher Ausrichtung“. Judith heiratet bald einen Arzt. Davon hält Cassandra natürlich nichts. Zwei ungleiche Zwillingsschwestern lässt Dorothy Baker in ihrem letzten Roman von 1962 voneinander berichten: Die eine unbedarft und schön wie ihr antikes Vorbild, die männertötende Judith, die andere, nach der Unglücksprophetin Kassandra benannt, von einschüchternder Intelligenz, mit der sie nicht umzugehen weiß. „Zwei Schwestern“, das zum Glück vor ein paar Jahren vom „New York Review of Books“ wiederentdeckt wurde, ist voller unaufdringlicher literarischer Anspielungen und kleiner, genau beobachteter Nebensächlichkeiten, in denen die ganze Welt aufblitzen kann. Die fast beiläufigen psychologischen Analysen dringen mühelos wie ein Skalpell unter die Oberfläche. Ein Roman für heiße Sommertage, wenn die Luft um den Pool flimmert und alles gar nicht so perfekt sein kann. NICOLAS FREUND
Dorothy Baker: Zwei Schwestern. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. dtv, München 2017. 280 Seiten, 10, 90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mühelos wie
ein Skalpell
Cassandra schenkt sich nach, Cognac mit Soda, „viel nuancenreicher als Scotch“. Judith zieht im Pool Bahnen. Cassandra studiert französische Literatur an der Eliteuni in Berkeley und bezeichnet sich halbironisch als „existenzialistische Zen-Marxistin Freud’scher Ausrichtung“. Judith heiratet bald einen Arzt. Davon hält Cassandra natürlich nichts. Zwei ungleiche Zwillingsschwestern lässt Dorothy Baker in ihrem letzten Roman von 1962 voneinander berichten: Die eine unbedarft und schön wie ihr antikes Vorbild, die männertötende Judith, die andere, nach der Unglücksprophetin Kassandra benannt, von einschüchternder Intelligenz, mit der sie nicht umzugehen weiß. „Zwei Schwestern“, das zum Glück vor ein paar Jahren vom „New York Review of Books“ wiederentdeckt wurde, ist voller unaufdringlicher literarischer Anspielungen und kleiner, genau beobachteter Nebensächlichkeiten, in denen die ganze Welt aufblitzen kann. Die fast beiläufigen psychologischen Analysen dringen mühelos wie ein Skalpell unter die Oberfläche. Ein Roman für heiße Sommertage, wenn die Luft um den Pool flimmert und alles gar nicht so perfekt sein kann. NICOLAS FREUND
Dorothy Baker: Zwei Schwestern. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. dtv, München 2017. 280 Seiten, 10, 90 Euro.
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Manche Bücher sind so großartig, dass sie auch ein halbes Jahrhundert in der Versenkung verbringen können, ohne Staub anzusetzen. Brigitte 20170601
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2015Zwillinge im gleichen Hochzeitskleid
Die Brautjungfer auf der Selbstmörderbrücke: Dorothy Bakers "Zwei Schwestern"
Äußerlich gleichen sich die Zwillinge aufs Haar, aber ihre Charaktere sind grundverschieden. Cassandra ist extravagant, geistreich, narzisstisch, eine "existentialistische Zen-Marxistin Freud'scher Ausrichtung", die keinen Hehl daraus macht, dass sie Kompromisse und Mittelmaß verachtet. Ganz oder gar nicht, siegen oder untergehen: Das kann bei einer Frau, die zu viele Pillen und Drinks schluckt und nicht nur in ihrer "Rimbaud-Phase" die Marseillaise singt, leicht ins Auge gehen. Ihre Zwillingsschwester Judith ist auch hochbegabt, aber vernünftiger und pragmatischer. Sie hat weder den Ehrgeiz noch die Kraft, ständig gegen den Strom zu schwimmen; deshalb wird sie Jack Finch heiraten. Für Cassie ist schon der Gedanke an Mann, Kinder und Familie widerlicher Verrat. Menschen ihres Formats und Talents dürfen "sich nicht unter Wert verkaufen".
Vierundzwanzig Jahre lang fühlten sich die Schwestern nur "gemeinsam vollständig, mit dem Rücken zur Wand, der Wand bitterster Empörung". Wie bei Platons Kugelwesen war keine Hälfte ohne die andere ganz. Dass dieses "uralte Einssein", das gemeinsame "stimmige Leben" gegen die Welt, plötzlich nichts mehr gelten soll, kann Cassandra nicht verwinden: "Es ist nicht einfach, so zu sein wie wir, wir müssen ständig auf irgendwelche Kleinigkeiten achten. Ich habe meiner Ärztin zu erklären versucht, dass es darauf ankommt, unablässig an unserer größtmöglichen Verschiedenheit zu arbeiten, denn erst wenn eine Kluft besteht, kann man sie überbrücken. Und das Überbrücken ist das eigentliche Projekt."
Der Konflikt zwischen einer verliebten Braut und einer Brautjungfer, der dieser Wie-hieß-er-gleich-noch-Kerl instinktiv zuwider ist, lässt sich nicht überbrücken. Cassandra, die klassische Unheilsbotin, warnt und höhnt, schmollt, droht und fleht, und als sie mit Rhetorik, Romantik und kleinen Sabotagetricks nicht mehr weiterkommt, schreckt sie auch vor einem Suizidversuch nicht zurück. Jack, perfekt als Arzt wie als Schwager und Gentleman, rettet ihr das Leben; die Hochzeit findet statt, das Ende bleibt offen. Am Anfang, als Cassandra über die Golden Gate Bridge zur Familienranch fuhr, erschien ihr die Brücke wie ein "leuchtendes Exit-Zeichen in einem überfüllten, stickigen Hörsaal, in dem ich mir, wie so oft, eine nicht eben brillante Vorlesung anhören muss. Aber natürlich können nicht alle Vorlesungen brillant sein; man kann sie über sich ergehen lassen und das Nützliche daraus ziehen, und wenn das Exit-Zeichen funkelt und lockt, kann man sie ignorieren." Auf der Rückfahrt nach Berkeley wirft Cassandra Ballast in Gestalt eines weißen Söckchens von der Selbstmörderbrücke und schwört: "Lehn dich nicht an. Richte dich auf. Finde einen Weg."
"Cassandra at the Wedding" erschien 1962, drei Jahre später zum ersten Mal auf Deutsch, aber dass dieser vor Witz und Intelligenz funkelnde Roman über die Trennung zweier siamesisch aneinandergefesselten Zwillinge über fünfzig Jahre alt ist, sieht man höchstens daran, dass Ferngespräche hier noch vermittelt werden und ein Bikini als "unerhört mediterraner" Badeanzug gilt. Cassandra mit ihrem aus Verzweiflung und Übermut, Männerhass und Lebensangst gespeisten flapsigen Sarkasmus wirkt manchmal wie eine Schwester von Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann. Dorothy Baker (1907-1968), die Frau des Schriftstellers Howard Baker, war zu ihrer Zeit nicht ganz unbekannt. "Young Man With a Horn" (1938), ihr Roman über den Jazzmusiker Bix Beiderbecke, wurde mit Kirk Douglas und Lauren Bacall verfilmt. "Trio", ihr zweiter Roman über eine lesbische Dreiecksbeziehung, provozierte 1943 einen Skandal, als christliche Moralisten die Absetzung einer Theaterfassung am Broadway erzwangen. "Cassandra at the Wedding" war dann noch einmal ein Achtungserfolg, aber das war Baker zu wenig. Sie war "nicht gut genug", um zu den Besten zu gehören, und so hatte sie für ihre "sogenannte Karriere" nur Geringschätzung übrig. Bakers Verachtung für die Konventionen, Tabus und Klischees der normalen "Dumpfbacken", ihre Bewunderung der labilen Wunderkinder, frankophilen Rebellen und Neurotikerinnen, die sich arrogant über die "rohen Dummheiten dieser Welt" erheben, kam in den fünfziger Jahren noch nicht so gut an.
Anders als die meisten der in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckten amerikanischen Autoren aus der Zeit - John Cheever, James Salter, Richard Yates, Paula Fox, zuletzt Alfred Hayes - hadert Baker auch nicht groß mit dem American Way of Life. Die Edwards genießen auf ihrem großbürgerlichen Anwesen in den Bergen, fern von der Tristesse der Suburbs mit ihren Cocktailpartys, flüchtigen Affären und gescheiterten Illusionen, die Errungenschaften der Konsumkultur ohne Scham und Schuldgefühle. Man ist sich selbst genug zwischen Pool und Klavier, Bibliothek und Hausbar; der Arzt im Haus, Champagner und eine Portion Zynismus ersetzen die Analytikerin. Cassandra und Judith teilen sich einen Bösendorfer-Flügel und einen exklusiven Riley-Sportwagen. Dass sie, unabhängig voneinander, das gleiche schlicht-elegante Kleid aus weißer Seide für die Hochzeit kauften, ist allerdings eine Katastrophe: Die Zwillinge wollten sich immer individuell unterscheiden, aber nicht mal beim Shoppen sind sie "einzeln und verschieden". Baker setzt die Symbolik von Kleidern, Möbeln und Sprache mit diskreter Raffinesse und Formbewusstsein bis ins Detail ein; die Übersetzerin Kathrin Razum meistert den Tonfall und die exquisiten Wortspiele mit großer Bravour.
Manches an dem Roman ist wohl autobiographisch grundiert; so sollen die beiden Baker-Töchter für die Zwillinge Pate gestanden haben. Der Vater ist, ähnlich wie Howard Baker, ein früh emeritierter Philosophieprofessor, der seine Weltverachtung in Hennessy und kultiviertem Stoizismus ertränkt; seine Frau Jane, eine berühmte unkonventionelle Schriftstellerin, ist auch drei Jahre nach ihrem Tod immer noch das Zentrum der Familie. Die vornehm-fröhliche Großmutter kümmert sich um die Außenbeziehungen der Familie, und das ist auch nötig. Alle Edwards glauben nämlich, anders und besser als die anderen zu sein: gebildeter, geschmackvoller, europäischer. "Glaub's mir einfach - wir sind etwas Besonderes", sagt Cassandra einmal. "Wir fangen an zu leben, wo bei anderen die Vorstellungskraft versagt." Dorothy Baker teilte vielleicht diesen Hochmut, aber man kann es ihr nicht verdenken. Nur wenige können so elegant und virtuos mit Worten, klassischen Zitaten, freudianischen und mythologischen Symbolen spielen und gleichzeitig rühren und fesseln.
MARTIN HALTER
Dorothy Baker:
"Zwei Schwestern". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum.
Mit einem Nachwort von Peter Cameron. dtv Verlagsgesellschaft, München 2015. 281 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Brautjungfer auf der Selbstmörderbrücke: Dorothy Bakers "Zwei Schwestern"
Äußerlich gleichen sich die Zwillinge aufs Haar, aber ihre Charaktere sind grundverschieden. Cassandra ist extravagant, geistreich, narzisstisch, eine "existentialistische Zen-Marxistin Freud'scher Ausrichtung", die keinen Hehl daraus macht, dass sie Kompromisse und Mittelmaß verachtet. Ganz oder gar nicht, siegen oder untergehen: Das kann bei einer Frau, die zu viele Pillen und Drinks schluckt und nicht nur in ihrer "Rimbaud-Phase" die Marseillaise singt, leicht ins Auge gehen. Ihre Zwillingsschwester Judith ist auch hochbegabt, aber vernünftiger und pragmatischer. Sie hat weder den Ehrgeiz noch die Kraft, ständig gegen den Strom zu schwimmen; deshalb wird sie Jack Finch heiraten. Für Cassie ist schon der Gedanke an Mann, Kinder und Familie widerlicher Verrat. Menschen ihres Formats und Talents dürfen "sich nicht unter Wert verkaufen".
Vierundzwanzig Jahre lang fühlten sich die Schwestern nur "gemeinsam vollständig, mit dem Rücken zur Wand, der Wand bitterster Empörung". Wie bei Platons Kugelwesen war keine Hälfte ohne die andere ganz. Dass dieses "uralte Einssein", das gemeinsame "stimmige Leben" gegen die Welt, plötzlich nichts mehr gelten soll, kann Cassandra nicht verwinden: "Es ist nicht einfach, so zu sein wie wir, wir müssen ständig auf irgendwelche Kleinigkeiten achten. Ich habe meiner Ärztin zu erklären versucht, dass es darauf ankommt, unablässig an unserer größtmöglichen Verschiedenheit zu arbeiten, denn erst wenn eine Kluft besteht, kann man sie überbrücken. Und das Überbrücken ist das eigentliche Projekt."
Der Konflikt zwischen einer verliebten Braut und einer Brautjungfer, der dieser Wie-hieß-er-gleich-noch-Kerl instinktiv zuwider ist, lässt sich nicht überbrücken. Cassandra, die klassische Unheilsbotin, warnt und höhnt, schmollt, droht und fleht, und als sie mit Rhetorik, Romantik und kleinen Sabotagetricks nicht mehr weiterkommt, schreckt sie auch vor einem Suizidversuch nicht zurück. Jack, perfekt als Arzt wie als Schwager und Gentleman, rettet ihr das Leben; die Hochzeit findet statt, das Ende bleibt offen. Am Anfang, als Cassandra über die Golden Gate Bridge zur Familienranch fuhr, erschien ihr die Brücke wie ein "leuchtendes Exit-Zeichen in einem überfüllten, stickigen Hörsaal, in dem ich mir, wie so oft, eine nicht eben brillante Vorlesung anhören muss. Aber natürlich können nicht alle Vorlesungen brillant sein; man kann sie über sich ergehen lassen und das Nützliche daraus ziehen, und wenn das Exit-Zeichen funkelt und lockt, kann man sie ignorieren." Auf der Rückfahrt nach Berkeley wirft Cassandra Ballast in Gestalt eines weißen Söckchens von der Selbstmörderbrücke und schwört: "Lehn dich nicht an. Richte dich auf. Finde einen Weg."
"Cassandra at the Wedding" erschien 1962, drei Jahre später zum ersten Mal auf Deutsch, aber dass dieser vor Witz und Intelligenz funkelnde Roman über die Trennung zweier siamesisch aneinandergefesselten Zwillinge über fünfzig Jahre alt ist, sieht man höchstens daran, dass Ferngespräche hier noch vermittelt werden und ein Bikini als "unerhört mediterraner" Badeanzug gilt. Cassandra mit ihrem aus Verzweiflung und Übermut, Männerhass und Lebensangst gespeisten flapsigen Sarkasmus wirkt manchmal wie eine Schwester von Sylvia Plath und Ingeborg Bachmann. Dorothy Baker (1907-1968), die Frau des Schriftstellers Howard Baker, war zu ihrer Zeit nicht ganz unbekannt. "Young Man With a Horn" (1938), ihr Roman über den Jazzmusiker Bix Beiderbecke, wurde mit Kirk Douglas und Lauren Bacall verfilmt. "Trio", ihr zweiter Roman über eine lesbische Dreiecksbeziehung, provozierte 1943 einen Skandal, als christliche Moralisten die Absetzung einer Theaterfassung am Broadway erzwangen. "Cassandra at the Wedding" war dann noch einmal ein Achtungserfolg, aber das war Baker zu wenig. Sie war "nicht gut genug", um zu den Besten zu gehören, und so hatte sie für ihre "sogenannte Karriere" nur Geringschätzung übrig. Bakers Verachtung für die Konventionen, Tabus und Klischees der normalen "Dumpfbacken", ihre Bewunderung der labilen Wunderkinder, frankophilen Rebellen und Neurotikerinnen, die sich arrogant über die "rohen Dummheiten dieser Welt" erheben, kam in den fünfziger Jahren noch nicht so gut an.
Anders als die meisten der in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckten amerikanischen Autoren aus der Zeit - John Cheever, James Salter, Richard Yates, Paula Fox, zuletzt Alfred Hayes - hadert Baker auch nicht groß mit dem American Way of Life. Die Edwards genießen auf ihrem großbürgerlichen Anwesen in den Bergen, fern von der Tristesse der Suburbs mit ihren Cocktailpartys, flüchtigen Affären und gescheiterten Illusionen, die Errungenschaften der Konsumkultur ohne Scham und Schuldgefühle. Man ist sich selbst genug zwischen Pool und Klavier, Bibliothek und Hausbar; der Arzt im Haus, Champagner und eine Portion Zynismus ersetzen die Analytikerin. Cassandra und Judith teilen sich einen Bösendorfer-Flügel und einen exklusiven Riley-Sportwagen. Dass sie, unabhängig voneinander, das gleiche schlicht-elegante Kleid aus weißer Seide für die Hochzeit kauften, ist allerdings eine Katastrophe: Die Zwillinge wollten sich immer individuell unterscheiden, aber nicht mal beim Shoppen sind sie "einzeln und verschieden". Baker setzt die Symbolik von Kleidern, Möbeln und Sprache mit diskreter Raffinesse und Formbewusstsein bis ins Detail ein; die Übersetzerin Kathrin Razum meistert den Tonfall und die exquisiten Wortspiele mit großer Bravour.
Manches an dem Roman ist wohl autobiographisch grundiert; so sollen die beiden Baker-Töchter für die Zwillinge Pate gestanden haben. Der Vater ist, ähnlich wie Howard Baker, ein früh emeritierter Philosophieprofessor, der seine Weltverachtung in Hennessy und kultiviertem Stoizismus ertränkt; seine Frau Jane, eine berühmte unkonventionelle Schriftstellerin, ist auch drei Jahre nach ihrem Tod immer noch das Zentrum der Familie. Die vornehm-fröhliche Großmutter kümmert sich um die Außenbeziehungen der Familie, und das ist auch nötig. Alle Edwards glauben nämlich, anders und besser als die anderen zu sein: gebildeter, geschmackvoller, europäischer. "Glaub's mir einfach - wir sind etwas Besonderes", sagt Cassandra einmal. "Wir fangen an zu leben, wo bei anderen die Vorstellungskraft versagt." Dorothy Baker teilte vielleicht diesen Hochmut, aber man kann es ihr nicht verdenken. Nur wenige können so elegant und virtuos mit Worten, klassischen Zitaten, freudianischen und mythologischen Symbolen spielen und gleichzeitig rühren und fesseln.
MARTIN HALTER
Dorothy Baker:
"Zwei Schwestern". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum.
Mit einem Nachwort von Peter Cameron. dtv Verlagsgesellschaft, München 2015. 281 S., geb., 19,90 [Euro].
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'Der Roman ist frei von Patina: Exzellente Erzählkunst ist zeitlos. Sie bleibt immer aktuell.' The Guardian