»Skala sah ihn spöttisch an: Konnte es wirklich so lange dauern, bis bei Baumeister der Groschen fiel? 2000 ml einer schottischen Wolke waren hier auf Flasche gezogen worden, ein minimaler Eingriff, wie Skala versicherte.Weiß war die Wolke gewesen, auch orangefarben, mit leichten Grautönen, folgte Baumeister den Eintragungen auf dem Formular, sie roch wie Sommergras, war weiblichen Geschlechts und gehörte - jetzt oder damals? - der Glasgow School of Art.
Wieder reichte Skala Fotos, beide nahmen Platz am Tisch und Skala begann zu erzählen, wie er mit Irene Graham, Christian Günneberg, Peter Mai und George Wyllie zum Ben Lomond aufgestiegen war, zu einem cloud walk, einem Wolkenspaziergang.«
Baumeister ist Schriftsetzer, der gemeinsam mit seiner Linotype-Maschine ausgemustert wurde und nun frühpensioniert und verwitwet im hessischen Odenwald auf einem viel zu großen Grundstück lebt. Von der Welt, die ein halbes Menschenleben so aussah, als würde sie immer so weiterbestehen, ist ihm nach dem Tod seiner Frau, dem Auszug seiner Tochter und der technischen Revolution im Buchsatz nicht mehr viel geblieben. Seinen Enkeln wird er wohl einmal erklären müssen, was eine Stechuhr war, eine Kantine, eine Urabstimmung [...]Paula, Baumeisters Tochter, studiert in Kiel, wo sie ihre Examensarbeit 'Zukunft der Arbeit' konzipiert: Wenn sie zu Besuch kommt, blühtBaumeister auf.Eines Tages lernt Baumeister auf einem Waldweg den 'Spaziergangswissenschaftler' Richard Skala kennen. Skala arbeitet jenseits derKategorien von Nützlichkeit und Verwertbarkeit, und Baumeister wird bald Archivar dessen zahlreicher Kunstwerke.In der Auseinandersetzung mit Skalas Kunst erarbeitet sich Baumeister die Möglichkeit, sein Leben noch einmal völlig neu zu gestalten, anders zu erzählen. Er wird Skalas kongenialer Partner und geht mit seinem 'neuartigen Archivkonzept' sogar über dessen Radikalität hinaus.Wer glaubt, es hier nur mit der skurrilen Phantasie des Autors zu tun zu haben, der täuscht sich. Der Spaziergangswissenschaftler in derNovelle hat ein reales Vorbild.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Wieder reichte Skala Fotos, beide nahmen Platz am Tisch und Skala begann zu erzählen, wie er mit Irene Graham, Christian Günneberg, Peter Mai und George Wyllie zum Ben Lomond aufgestiegen war, zu einem cloud walk, einem Wolkenspaziergang.«
Baumeister ist Schriftsetzer, der gemeinsam mit seiner Linotype-Maschine ausgemustert wurde und nun frühpensioniert und verwitwet im hessischen Odenwald auf einem viel zu großen Grundstück lebt. Von der Welt, die ein halbes Menschenleben so aussah, als würde sie immer so weiterbestehen, ist ihm nach dem Tod seiner Frau, dem Auszug seiner Tochter und der technischen Revolution im Buchsatz nicht mehr viel geblieben. Seinen Enkeln wird er wohl einmal erklären müssen, was eine Stechuhr war, eine Kantine, eine Urabstimmung [...]Paula, Baumeisters Tochter, studiert in Kiel, wo sie ihre Examensarbeit 'Zukunft der Arbeit' konzipiert: Wenn sie zu Besuch kommt, blühtBaumeister auf.Eines Tages lernt Baumeister auf einem Waldweg den 'Spaziergangswissenschaftler' Richard Skala kennen. Skala arbeitet jenseits derKategorien von Nützlichkeit und Verwertbarkeit, und Baumeister wird bald Archivar dessen zahlreicher Kunstwerke.In der Auseinandersetzung mit Skalas Kunst erarbeitet sich Baumeister die Möglichkeit, sein Leben noch einmal völlig neu zu gestalten, anders zu erzählen. Er wird Skalas kongenialer Partner und geht mit seinem 'neuartigen Archivkonzept' sogar über dessen Radikalität hinaus.Wer glaubt, es hier nur mit der skurrilen Phantasie des Autors zu tun zu haben, der täuscht sich. Der Spaziergangswissenschaftler in derNovelle hat ein reales Vorbild.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2009Künstlerschicksale
Seit dem Tod seiner Frau lebt der frühpensionierte Schriftsetzer Wilhelm Baumeister allein auf einem viel zu großen Grundstück im Odenwald. Wenn nicht gerade seine Tochter Paula zu Besuch ist, widmet er sein Leben der Bewahrung des Gewesenen. Auf dem Weg zum Friedhof trifft er den Spaziergangswissenschaftler Richard Skala, der Wolken auf Flaschen zieht und nach Fundort, taktilen Qualitäten und Geschlecht klassifiziert. Baumeister ist fasziniert und gründet in seinem Haus, das zu einem "Museum der guten Jahre" erstarrt war, das Richard-Skala-Archiv. Rainer Wieczoreks Novelle dokumentiert Ideen, die er selbst nicht umgesetzt hat, und sein Verständnis von Kunst: Skala, der Wolkensammler, macht den Menschen, die nicht wissen, wonach sie suchen, Vorschläge - "absurde, ironische Vorschläge" zwar, aber "weniger absurd als die Berufswelt", wie Baumeister sie kennt. Vor der Faszination für Skalas Werk und Baumeisters Aufleben stehen allerdings lange, ein wenig farblose Beschreibungen der Landschaft um Darmstadt. (Rainer Wieczorek: "Zweite Stimme". Eine Künstlernovelle. Dittrich Verlag, Berlin 2009. 144 S., geb., 16,80 [Euro].) edie
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seit dem Tod seiner Frau lebt der frühpensionierte Schriftsetzer Wilhelm Baumeister allein auf einem viel zu großen Grundstück im Odenwald. Wenn nicht gerade seine Tochter Paula zu Besuch ist, widmet er sein Leben der Bewahrung des Gewesenen. Auf dem Weg zum Friedhof trifft er den Spaziergangswissenschaftler Richard Skala, der Wolken auf Flaschen zieht und nach Fundort, taktilen Qualitäten und Geschlecht klassifiziert. Baumeister ist fasziniert und gründet in seinem Haus, das zu einem "Museum der guten Jahre" erstarrt war, das Richard-Skala-Archiv. Rainer Wieczoreks Novelle dokumentiert Ideen, die er selbst nicht umgesetzt hat, und sein Verständnis von Kunst: Skala, der Wolkensammler, macht den Menschen, die nicht wissen, wonach sie suchen, Vorschläge - "absurde, ironische Vorschläge" zwar, aber "weniger absurd als die Berufswelt", wie Baumeister sie kennt. Vor der Faszination für Skalas Werk und Baumeisters Aufleben stehen allerdings lange, ein wenig farblose Beschreibungen der Landschaft um Darmstadt. (Rainer Wieczorek: "Zweite Stimme". Eine Künstlernovelle. Dittrich Verlag, Berlin 2009. 144 S., geb., 16,80 [Euro].) edie
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Für Rezensent Jochen Schimmang hat diese Novelle levitatorisches Potential. Bevor der Rezensent davonschwebt, gibt er uns noch folgenden Rat: Diese "schönste Entdeckung des Bücherherbstes" zu lesen. Um nämlich in den Genuss einer zwar verstiegen klingenden, doch laut Schimmmang letztlich ganz und gar von romantischer Ironie getragenen, elegant beiläufig erzählten Dreiecksgeschichte um einen ehemaligen Schriftsetzer, seine Tochter und einen Wolkenkünstler zu kommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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