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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2007

Die Achse und die Araber
Palästina, der Faschismus und der Nationalsozialismus

Wenige Wochen nach dem "Sieg Hitlers", wie seine Ernennung zum Reichskanzler 1933 genannt wurde, sprach eine arabische Zeitung in Palästina sogleich von einer neuen Gefahrenlage. Denn Hitler werde nicht zögern, "seine Pläne gegenüber den Juden" umzusetzen. "Wir werden Wellen von Flüchtlingen in dieses Land erleben." Die deutschen Juden, so der Autor des Artikels, seien "reiche Industrielle", "die hier das Land aus unseren Händen wegnehmen werden". Diese Stellungnahme zeigt zweierlei. Erstens lässt sie die Wurzel des arabisch-jüdischen Konflikts in Palästina erkennen, der stellenweise auch auf eine genuin antijüdische Grundhaltung von Arabern, ganz elementar aber auf den kontinuierlichen Zuzug von Juden - vor 1933 vornehmlich aus Osteuropa - zurückzuführen war. Zweitens wird deutlich, dass die Frontstellung gegen die Juden bei dem palästinensischen Journalisten keineswegs eine durchgehend positive Wahrnehmung des Nationalsozialismus zur Folge hatte. Letzteres ist es vor allem, was René Wildangel hervorheben will. Er schreibt gegen eine Sicht an, die das Verhältnis zwischen der arabischen Welt in Palästina und dem italienischen Faschismus beziehungsweise deutschen Nationalsozialismus auf die Anlehnung von Amin al-Husaini, des Muftis von Jerusalem, an die Achsenmächte und insbesondere an Deutschland reduzieren möchte. Der in diesem Fall tatsächlich bestehende Schulterschluss von arabischen Nationalisten und den Nationalsozialisten dürfe nicht übersehen lassen, dass die arabisch-palästinensische Reaktion auf den Nationalsozialismus durchaus vielstimmig war.

Vorbehalte gegen die Herrschaft und Politik der Nationalsozialisten konnten, wie das obige Beispiel zeigt, pragmatisch begründet sein. Sie resultierten aber oft genug aus der prinzipiellen Ablehnung der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer aggressiven Außenpolitik. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, wer der Träger staatlicher Hoheitsgewalt in Palästina war. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs lag sie bei der britischen Mandatsmacht. Wildangel untersucht facettenreich die palästinensische Öffentlichkeit im Spannungsfeld von britischen Behörden, die der immer wieder aufflammenden und oft gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden nie wirklich Herr werden konnten, und den Achsenmächten, die den arabisch-jüdischen Konflikt für ihre Zwecke der territorialen Expansion und Judenvernichtung instrumentalisieren wollten.

GOTTFRIED NIEDHART

René Wildangel: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2007. 444 S., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.06.2008

Hitlers Mann in Jerusalem
Das schillernde Bild des Großmuftis Amin el-Husseini
Schwarz und weiß sind diese beiden Bücher. René Wildangel möchte die Palästinenser vom Vorwurf der Kollaboration mit den Nazis entlasten, während Klaus Gensicke diese gerade anhand des Großmuftis von Jerusalem, Amin el-Husseini, zu beweisen sucht. Arabern würden gerne Sympathien für die Nazis angelastet, wie es Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers und Matthias Küntzel tun, beklagt Wildangel. Da die Autoren aber kein Arabisch sprächen, seien sie einseitig. Dem begegnet Wildangel dadurch, indem er palästinensische Zeitungen aus der britischen Mandatszeit analysiert. Er glaubt, so belegen zu können, dass es auch arabische Ablehnung und Kritik an den Nazis gab. Wer hätte das aber je bestritten? Außerdem fällt sein Bild el-Husseinis hinter den Stand zurück, den etwa ein palästinensischer Wissenschaftler wie Philip Mattar bereits erarbeitet hat. So richtig es auch ist, die Araber nicht auf den Mufti zu reduzieren, so darf man ihn dennoch nicht schönreden. Sein früherer Sekretär sagte über die Nazis und den Mufti: El-Husseini fühlte sich ganz als einer von ihnen.
Wildangel wiegelt dagegen ab: Der Mann, der im Zweiten Weltkrieg als Hitlers Gast in Berlin lebte, habe nur in Radiosendungen für den Nahen Osten mitgearbeitet, in denen allerdings zum Dschihad gegen die Alliierten gehetzt wurde. Aber mit der Vernichtungspolitik habe el-Husseini nichts zu tun gehabt. Dagegen sprächen seine Aufrufe zum Mord an den Juden, sein rassistischer Hass und sein Wissen um den Holocaust. Gensicke berichtet darüber in seiner Dissertation von 1988, die als aktualisierte Zweitauflage hier vorliegt. Er hat allerdings nur deutsche Akten eingesehen. Wildangel erwähnt Gensicke lediglich.
Als Hitler an die Macht kam, bot sich ihm el-Husseini an. Nach den arabischen Aufständen gegen die Briten legte der Mufti Berlin 1937 einen Vertragsentwurf vor: Er wolle Waffen und Hilfe für seine arabischen Nationalisten, dafür betreibe er Nazipropaganda im islamischen Raum und Sympathiewerbung für den Kriegsfall. Der jüdische Handel werde boykottiert, deutsches Kapital genutzt und der Terror – seine Wortwahl – in den Mandatsländern forciert und „mit allen Mitteln” die Schaffung eines Judenstaats in Palästina blockiert. Dieser Vertrag wird in beiden Büchern überhaupt nicht erwähnt.
Hitler kündigte dem Mufti Ende 1941 an, „die Judenfrage zu lösen”. Komme sein Militär bis in den Kaukasus, dann schlage die Stunde des Großmuftis als Führer der Araber. Berlin strebe auch die „Vernichtung der Juden” im britischen Herrschaftsbereich an. In Berlin erbat sich el-Husseini eine „möglichst große Judenwohnung”. Er schickte bald einen Getreuen los, um das Konzentrationslager Sachsenhausen zu inspizieren. Das war nicht nur ein SS-Muster-, sondern ein Vernichtungslager mit Krematorium. Gensicke, der offensichtlich die neuere Literatur nicht kennt, erwähnt den Besuch nicht. Für Wildangel, bei dem der Mufti fälschlich jenes KZ selbst aufsuchte, lässt die Inspektion aber nicht auf nähere Kenntnis der Vernichtungspolitik schließen. Für Gensicke steht dagegen die Verstrickung des Muftis in den Holocaust außer Zweifel.
Dass den Mufti die Immigration von Juden nach Palästina nicht freute, ist nachvollziehbar. Dass er aber noch Nazis aufwiegelte, Tausende in Europa verfolgter Juden nicht nach Palästina zu entlassen, gibt der Mufti in seinen Memoiren zu. Hätten die Autoren diese gelesen, wüssten sie, was ihm SS-Reichsführer Himmler Mitte 1943 verriet: „Bis jetzt haben wir etwa drei Millionen Juden vernichtet.”
Die beiden Autoren ignorieren viele wichtige Details. Der Mufti bekam aus dem Fonds des Außenministers (der vom geraubten Gold der Juden gespeist wurde) im Monat 50 000 Mark und weitere 25 000 in Devisen. Er hatte ein Berliner Büro, einen Stab mit meist 12 Personen, eine Suite im „Adlon” sowie zehn Appartements und Häuser. Der Rassist und religiöse Judenhasser hatte sogar die Idee, zionistische Treffen in Tel Aviv und Jerusalem zu bombardieren. Adolf Eichmanns Gehilfe Dieter Wisliceny sagte aus: Eichmann habe dem Mufti „die Lösung der europäischen Judenfrage” im Kartenraum erklärt. Daraufhin habe dieser Himmler um einen Berater gebeten, wenn er beim „Endsieg” nach Palästina gehe. Wildangel bezweifelt, ob Eichmann ihm die „Endlösung” tatsächlich offen dargelegt habe.
In beiden Werken fehlen die Grautöne.
WOLFGANG G. SCHWANITZ
RENÉ WILDANGEL: Zwischen Achse und Mandatsmacht. Palästina und der Nationalsozialismus. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2007. 444 Seiten, 32,00 Euro.
KLAUS GENSICKE: Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 248 Seiten, 49,90 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht wirklich zufrieden ist Rezensent Wolfgang G. Schwanitz mit Rene Wildangels Buch über Palästina und den Nationalsozialismus. Den Anspruch, die Palästinenser vom Vorwurf der Kollaboration mit den Nazis zu entlasten, kann der Autor in seinen Augen nicht überzeugend einlösen. Dass es auch Araber gab, die die Nazis kritisiert und abgelehnt haben, wie Wildangel am Beispiel palästinensischer Zeitungen aus der britischen Mandatszeit zeigt, hat nach Ansicht von Schwanitz niemand bestritten. An der Naziverstrickung des antisemitischen Großmuftis El-Husseini ändere das nichts. Schwanitz hält Wildangel vor, hinter den Stand der Forschung zurückzufallen, den zum Beispiel der palästinensische Wissenschaftler Philip Mattar erreicht hat. Zudem kann er dem Autor nicht den Vorwurf ersparen, ein schönfärberisches Bild el-Husseinis zu malen. Schließlich moniert er an dem Buch die etwas plakative Darstellung.

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