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In diesem Band werden weniger die großen politischen und militärischen Ereignisse thematisiert als vielmehr die Frage wie der Krieg von den Menschen erlebt wurde. Damit rücken alltags- und erfahrungsgeschichtliche Probleme ins Blickfeld. Durch die Analyse von Selbstzeugnissen, von ikonographischen, musikalischen und statistischen Quellen gelingt es den Autoren, in die "Nähe eines fernen Krieges" zu kommen.

Produktbeschreibung
In diesem Band werden weniger die großen politischen und militärischen Ereignisse thematisiert als vielmehr die Frage wie der Krieg von den Menschen erlebt wurde. Damit rücken alltags- und erfahrungsgeschichtliche Probleme ins Blickfeld.
Durch die Analyse von Selbstzeugnissen, von ikonographischen, musikalischen und statistischen Quellen gelingt es den Autoren, in die "Nähe eines fernen Krieges" zu kommen.
Autorenporträt
Benigna von Krusenstjern, geb. 1947, Historikerin mit den Schwerpunkten 17. und 20. Jahrhundert. Begann als Redakteurin für internationale Politik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DAGAP), danach langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Geschichte.

Hans Medick ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erfurt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Pioniertat und Standardwerk zugleich ist dieser Sammelband in den Augen von Rezensent Michael Jeismann. Er verspreche "Blicke auf den Dreißigjährigen Krieg aus der Nähe" und halte dies Versprechen ein. Kein Zeitraum der frühneuzeitlichen Geschichte sei so "mit Vergangenheitsbedeutung aufgeladen und zugleich doch so wenig unter neuen historiografischen Fragestellungen" erforscht worden. Aus dieser "Sicherheitsverwahrung" sind die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts nach Ansicht des Rezensenten durch das vorliegende Buch nun befreit. Darüber hinaus habe nun auf seinem "Terrain" die "Alltags- und Mikrogeschichte den Begriff der Erfahrung heimisch gemacht". Besonders lobend hervorgehoben werden Beiträge von Wolfgang Behringer über die Revolution des Zeitungs- und Nachrichtenwesens, von Karin Jansson über Soldaten und Vergewaltigung oder Peter Buchel über den Alltag eines Soldaten. Zu den "Glanzstücken" zählt der Rezensent den Aufsatz von Hans Medick über die Zerstörung Magdeburgs, in dem Medick "von Abschnitt zu Abschnitt" die Historisierung dieses Ereignisses und " seine Einbettung in zeitgenössische Erwartungen und politisch-historiografische Erwartungen" verfolge.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018

Kugeln im Mund
Hans Medicks Alltagsgeschichten aus dem Dreißigjährigen Krieg
Im Dörfchen Agawang bei Augsburg fehlten Leichen. Der Pfarrer von Kutzenhausen war gekommen, um eine Messe zu lesen. Danach wollte er neun Agawanger beerdigen, die wenige Wochen zuvor gestorben waren. Verhungert. Vier Leichname waren noch auffindbar. Und die anderen? Was der Kutzenhausener Pfarrer auf diese Frage zu hören bekam, erschreckte ihn fürchterlich. Man habe sie aufgegessen, die Witwen Millerin und Reglerin hätten die toten Menschen zubereitet. Weil sie sonst selbst verhungert wären.
Dieser an den Augsburger Domprobst erstattete Bericht aus dem Dreißigjährigen Krieg ist im Jahr 1839 publiziert worden, er geriet gleich wieder in Vergessenheit. Nun hat Hans Medick das Schreiben des Pfarrers neu aufbereitet, und es ist exemplarisch für das neue Buch des Historikers. Kaum eine andere der vielen neuen Studien zum Dreißigjährigen Krieg führt ihren Lesern die Sorgen und Nöte, die Grausamkeiten und die menschlichen Abgründe so plastisch vor Augen wie die des Göttinger Historikers.
Er erzählt seine Geschichten dieses Krieges an ausgewählten Originalquellen. Und weil sich Medick, Jahrgang 1939, der Alltagsgeschichte verschrieben hat, die er gegen den Argwohn von Sozial- und Politikhistorikern mit dem geradezu niedlich klingenden Begriff Mikrogeschichte als Disziplin seines Faches etabliert hat, lebt diese Geschichte vergessener Menschen. Sie haben hier Namen. Die Reglerin, die Millerin und Appolonia Thüringer, die ihren eigenen Mann verschlang. Schmeckte es?, wollte der Pfarrer wissen. Nicht schlecht, bekam er zur Antwort, am besten seien Hirn, Herz und Nieren gewesen. Der Dompropst wies den Pfarrer dann an, milde zu bleiben und die Kannibalen nicht mit Schlägen zu bestrafen.
Für Hans Medick wäre die schauderhafte Überlieferung nun Anlass, einen Gedächtnisort einzurichten in Agawang. Er beklagt, dass „in den Web-Auftritten des Ortes auch noch im 21. Jahrhundert geschwiegen“ werde. Solche Mahnungen sind im Kontext dieser brutalen Mikro-Geschichten durchaus zulässig.
Die politischen Dimensionen des Krieges blendet er keineswegs aus. Auch Protagonisten wie Tilly und Gustav Adolf spielen ihre Rollen, von Wallenstein ediert Medick den Hilferuf an Feldmarschall Pappenheim vor der Schlacht bei Lützen, zu der sich der Historiker bei den Archäologen umtut. Sie entdeckten vor sieben Jahren ein Massengrab am Schlachtfeld, auf dem der Schwedenkönig starb.
Die meisten Gebeine stammen von den Angehörigen einer schwedischen Infanterieeinheit. Medick, den Mikrogeschichtler und historischen Anthropologen, fasziniert ein solcher Fund: Die Knochen einfacher Soldaten brechen „die einseitige Fixierung auf den getöteten Schwedenkönig“ auf und „lassen ganze Trauma-Biographien ablesen“. In den Kiefern von zwei Skeletten fanden sich zwei unverschossene Bleikugeln. Das heißt: Sie wurden getroffen, als sie selbst gerade ihre Waffen zum Schuss präparierten – man weiß, dass die Soldaten ihre Kugeln dabei im Mund deponierten. Näher kann man dem Schrecken kaum kommen. Ecce homo: So schauderhaft ist Krieg.
Seine Pflichten hat Medick nebenbei und souverän erfüllt. Er hat die, wie er sagt, „teilweise forschungsintensiven“ Opera von Peter Wilson, Georg Schmidt und Herfried Münkler studiert und verarbeitet, wobei man raten darf, welchen Autor er mit der Einschränkung „teilweise“ wohl kompromittiert. Und dann hat er mit seinen „Zeugnissen vom Leben mit Gewalt“ eine ganz andere Geschichte gestrickt. Ein Anti-Kriegs-Buch.
RUDOLF NEUMAIER
Hans Medick: Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 448 Seiten, 29,90 Euro.
Den Knochenfunden von Lützen
lassen sich ganze
Trauma-Biografien ablesen
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