Arnold Esch beschreibt in seinem neuen Buch, das auf jahrzehntelange eigene Forschungen und Wanderungen zurückgeht, den Verfall des hochentwickelten römischen Straßensystems nach dem Ende des Römischen Reiches. Er erklärt, warum einzelne Strecken schon früh außer Gebrauch gerieten, während andere überdauerten:
Einsichten, die man für das Auffinden römischer Straßen im Gelände auch heute noch nutzen kann. Ein wunderbares Buch über die Freuden und Mühen historischer Erkenntnis in freier Landschaft. Der Zerfall Italiens in kleinere Räume schuf in der Endphase des Römischen Reiches neue Bedingungen und neue Prioritäten und änderte Funktion und Ziel der Straßen, die sich, die rücksichtslose römische Gerade aufgebend, nun wieder dem Geländerelief anpassten. Wir sehen in diesem Buch, das archäologische und historische Betrachtungsweise zusammenführt, wie antike Straßen wahrgenommen, wie sie im Lokalverkehr genutzt oder zu Pilgerstraßen wurden, wie unter verfallenen Brückenbögen Furten entstanden - kurzum: Wir lernen die historische Entwicklung mit dem Auge zu erfassen. Im zweiten Teil des Buches wird das am Beispiel der Via Amerina Schritt für Schritt gezeigt, die zwischen Antike und Mittelalter besondere Bedeutung gewann.
Einsichten, die man für das Auffinden römischer Straßen im Gelände auch heute noch nutzen kann. Ein wunderbares Buch über die Freuden und Mühen historischer Erkenntnis in freier Landschaft. Der Zerfall Italiens in kleinere Räume schuf in der Endphase des Römischen Reiches neue Bedingungen und neue Prioritäten und änderte Funktion und Ziel der Straßen, die sich, die rücksichtslose römische Gerade aufgebend, nun wieder dem Geländerelief anpassten. Wir sehen in diesem Buch, das archäologische und historische Betrachtungsweise zusammenführt, wie antike Straßen wahrgenommen, wie sie im Lokalverkehr genutzt oder zu Pilgerstraßen wurden, wie unter verfallenen Brückenbögen Furten entstanden - kurzum: Wir lernen die historische Entwicklung mit dem Auge zu erfassen. Im zweiten Teil des Buches wird das am Beispiel der Via Amerina Schritt für Schritt gezeigt, die zwischen Antike und Mittelalter besondere Bedeutung gewann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2011Schnurgerade Wege für die Legionen
Doch auch römischer Basalt hält nicht ewig: Arnold Esch gibt Straßenansichten von Antike und Mittelalter
Aus den festgefügten Steinplatten der römischen Straßen, aus ihren unzerstörbaren Chausseen, so bemerkte Theodor Mommsen einmal, rede die unverwüstliche Solidität, die energische Tüchtigkeit des römischen Wesens. Als es mit dieser Solidität und Tüchtigkeit vorbei war, als es in Rom keinen Kaiser und an den einstigen Grenzen keine Legionen mehr gab, verschwanden die Römerstraßen in Italien nicht sofort. Aber unzerstörbar waren sie auch nicht. Was mit ihnen geschah, als Goten, Langobarden, Byzantiner und Franken, die Päpste, die Kommunen, die Kaiser von jenseits der Alpen und die Borgia sich in die Geschichte Nord- und Mittelitaliens einschrieben, erzählt nun mit souveräner Gelehrsamkeit Arnold Esch.
Der Leser bekommt eigentlich zwei Bücher, verbunden durch die Fotos, die der als Historiker wie als Archäologe des Mittelalters ausgewiesene Autor überwiegend selbst aufgenommen hat. Zunächst führt Esch an Beispielen aus der gesamten Region vor, wie sich das Ende der Antike von der Straße aus gesehen darstellte. Die Römer hatten ihre großen "viae publicae" möglichst schnurgerade durch die Landschaft geschlagen. Das von Rom aus angestrebte Ziel, ein Hafen oder eine rasch mit Truppen zu entsetzende Kolonie, bestimmte die Ratio der Trassenführung. Die Landschaft wurde dem unterworfen.
Diese Fixierung, früh auch Ausdruck eines herrscherlichen Gestus, machte viele Kunstbauten erforderlich: Brücken, Geländeeinschnitte, befestige Böschungen zum Hang hin, nach unten Substruktionen. Alle diese Bauten bedurften der Inspektion und Instandhaltung; Man brauchte Geld und musste die Anwohner zwingen können, Ressourcen bereitzustellen.
Theoderich der Große hatte sich darum noch einmal bemüht, am Ende des sechsten Jahrhunderts hörte dann jedoch jede staatliche Fürsorge für das Straßennetz auf. Durch Unterspülung oder Erdrutsch unpassierbare Stücke wurden nun umgangen. Während die antike Straße Hindernisse bewältigte, so spitzt Esch zu, geht die mittelalterliche Straße Hindernissen aus dem Weg. Das römische Basaltpflaster als solches erwies sich zwar als enorm widerstandsfähig, wurde aber selbst in den Abschnitten, die benutzbar blieben, nicht immer geschätzt, da es glatt und für Zugtiere gefährlich war.
Doch entscheidend für die Weiterbenutzung war nicht der Zustand des Pflasters, sondern die Frage, ob die monumentale Verbindung noch als solche gebraucht wurde. Das Imperium Romanum vermochte nicht zum wenigsten durch seine Straßen global zu agieren. Im frühen Mittelalter jedoch gab es zwar immer noch weit marschierende Heere, doch entscheidend für das Straßenwesen waren nun regionale und lokale Interessen. Die Straßen hatten die größeren Siedlungen zu bedienen, oft gar zu durchziehen, den Nahhandel zu erleichtern und Güter anzubinden.
Wo Städte und Magnaten den Wegebau an sich zogen, wurden die römischen Geraden verlassen, und man passte die Trassenführung dem Gelände an. Nur streckenweise, wo die einstigen Magistralen noch nützlich und benutzbar waren, gebrauchte man sie weiter, ihrem ursprünglichen Zweck nach, aber auch als nicht bepflügbare Grenzmarkierung, als Damm oder hochbebuschte Hecke. Die Transformation vollzog sich nicht nur in Trassenführung und Baukörper, sondern auch im nahen Umfeld der einst von Gräbern, Meilensteinen und Nutzbauten dichtgesäumten Römerstraßen. Antike Bauten wurden abgetragen, um Material für Kirchen und Kapellen zu gewinnen.
Historiographisch ist dem Autor ein kleines Wunder gelungen. Der große Bruch zwischen Antike und Mittelalter, die vielen kleinen Veränderungen, die das Leben der Menschen an und mit den Straßen als kontinuierlichen Prozess der Umgestaltung erscheinen lassen - sie kommen hier als zwei Seiten derselben Medaille vor. Methodisch liegt ein Musterbeispiel integraler Geschichtsforschung vor, ohne große Geste, mit feinem Pinsel und Blick für lebensweltliche Kontexte: Esch liest antike Meilensteine und nachantike Geschichtsschreiber, mittelalterliche Urkunden, frühneuzeitliche Kataster und Itinerare aus allen Epochen, die spätantike Tabula Peutingeriana und Karten im Maßstab 1:25 000 aus der Zeit Mussolinis.
Vor allem aber ist sein Buch ein Aufruf, die Straßen selbst im Gelände zu erkunden. Zu den praktischen Hinweisen gehört, die vegetationsarme Zeit zu wählen und genau, sehr genau hinzusehen, auf kleinste Auffälligkeiten zu achten und die Gesetze der einfachen Physik zu bedenken: Wenn die konisch behauenen Basaltpflastersteine verstürzen, liegen sie auf der glatten Oberseite, weil die größer ist.
Im zweiten, längeren Teil des Buches begibt sich Esch auf die Spuren der Via Amerina, die von Baccano nach Amelia führte. Weil sie in der Antike nur eine schmalere und weniger bedeutende Parallelstraße zur Via Flaminia war, konnte diese von Anfang an regionale Straße - gegen die allgemeine Entwicklung - im Mittelalter an Bedeutung zunehmen. Zugleich ist ihr Verlauf nicht in allen Abschnitten gesichert; im Atlas des "Neuen Pauly" ist sie daher überwiegend gestrichelt gezeichnet.
Esch hat hier also echte Pionierarbeit geleistet. Allerdings richtet sich dieser Teil des Buches wirklich in erster Linie an Nachforscher, denen festes Schuhwerk und ein robustes Auto empfohlen werden; im Lehnstuhl sieht man sich trotz der vielen, bisweilen etwas klein reproduzierten Bilder und Skizzen von der Fülle der Informationen rasch erschlagen. Angenehmer Grusel kommt immerhin auf bei der Annäherung an eine aufgegebene Kirche: "Vorsicht, einbrechender Boden, einbrechendes Dach". Die lapidare Anweisung, "man überschreite irgendwie das Gewässer", wird Hardcore-Wanderer herausfordern, und beim Abstieg in ein "feuchtes Dunkel aus bemoostem Fels und Mauerwerk" mag sich eine Seilsicherung empfehlen.
UWE WALTER.
Arnold Esch: "Zwischen Antike und Mittelalter". Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina.
C. H. Beck Verlag, München 2011. 208 S., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doch auch römischer Basalt hält nicht ewig: Arnold Esch gibt Straßenansichten von Antike und Mittelalter
Aus den festgefügten Steinplatten der römischen Straßen, aus ihren unzerstörbaren Chausseen, so bemerkte Theodor Mommsen einmal, rede die unverwüstliche Solidität, die energische Tüchtigkeit des römischen Wesens. Als es mit dieser Solidität und Tüchtigkeit vorbei war, als es in Rom keinen Kaiser und an den einstigen Grenzen keine Legionen mehr gab, verschwanden die Römerstraßen in Italien nicht sofort. Aber unzerstörbar waren sie auch nicht. Was mit ihnen geschah, als Goten, Langobarden, Byzantiner und Franken, die Päpste, die Kommunen, die Kaiser von jenseits der Alpen und die Borgia sich in die Geschichte Nord- und Mittelitaliens einschrieben, erzählt nun mit souveräner Gelehrsamkeit Arnold Esch.
Der Leser bekommt eigentlich zwei Bücher, verbunden durch die Fotos, die der als Historiker wie als Archäologe des Mittelalters ausgewiesene Autor überwiegend selbst aufgenommen hat. Zunächst führt Esch an Beispielen aus der gesamten Region vor, wie sich das Ende der Antike von der Straße aus gesehen darstellte. Die Römer hatten ihre großen "viae publicae" möglichst schnurgerade durch die Landschaft geschlagen. Das von Rom aus angestrebte Ziel, ein Hafen oder eine rasch mit Truppen zu entsetzende Kolonie, bestimmte die Ratio der Trassenführung. Die Landschaft wurde dem unterworfen.
Diese Fixierung, früh auch Ausdruck eines herrscherlichen Gestus, machte viele Kunstbauten erforderlich: Brücken, Geländeeinschnitte, befestige Böschungen zum Hang hin, nach unten Substruktionen. Alle diese Bauten bedurften der Inspektion und Instandhaltung; Man brauchte Geld und musste die Anwohner zwingen können, Ressourcen bereitzustellen.
Theoderich der Große hatte sich darum noch einmal bemüht, am Ende des sechsten Jahrhunderts hörte dann jedoch jede staatliche Fürsorge für das Straßennetz auf. Durch Unterspülung oder Erdrutsch unpassierbare Stücke wurden nun umgangen. Während die antike Straße Hindernisse bewältigte, so spitzt Esch zu, geht die mittelalterliche Straße Hindernissen aus dem Weg. Das römische Basaltpflaster als solches erwies sich zwar als enorm widerstandsfähig, wurde aber selbst in den Abschnitten, die benutzbar blieben, nicht immer geschätzt, da es glatt und für Zugtiere gefährlich war.
Doch entscheidend für die Weiterbenutzung war nicht der Zustand des Pflasters, sondern die Frage, ob die monumentale Verbindung noch als solche gebraucht wurde. Das Imperium Romanum vermochte nicht zum wenigsten durch seine Straßen global zu agieren. Im frühen Mittelalter jedoch gab es zwar immer noch weit marschierende Heere, doch entscheidend für das Straßenwesen waren nun regionale und lokale Interessen. Die Straßen hatten die größeren Siedlungen zu bedienen, oft gar zu durchziehen, den Nahhandel zu erleichtern und Güter anzubinden.
Wo Städte und Magnaten den Wegebau an sich zogen, wurden die römischen Geraden verlassen, und man passte die Trassenführung dem Gelände an. Nur streckenweise, wo die einstigen Magistralen noch nützlich und benutzbar waren, gebrauchte man sie weiter, ihrem ursprünglichen Zweck nach, aber auch als nicht bepflügbare Grenzmarkierung, als Damm oder hochbebuschte Hecke. Die Transformation vollzog sich nicht nur in Trassenführung und Baukörper, sondern auch im nahen Umfeld der einst von Gräbern, Meilensteinen und Nutzbauten dichtgesäumten Römerstraßen. Antike Bauten wurden abgetragen, um Material für Kirchen und Kapellen zu gewinnen.
Historiographisch ist dem Autor ein kleines Wunder gelungen. Der große Bruch zwischen Antike und Mittelalter, die vielen kleinen Veränderungen, die das Leben der Menschen an und mit den Straßen als kontinuierlichen Prozess der Umgestaltung erscheinen lassen - sie kommen hier als zwei Seiten derselben Medaille vor. Methodisch liegt ein Musterbeispiel integraler Geschichtsforschung vor, ohne große Geste, mit feinem Pinsel und Blick für lebensweltliche Kontexte: Esch liest antike Meilensteine und nachantike Geschichtsschreiber, mittelalterliche Urkunden, frühneuzeitliche Kataster und Itinerare aus allen Epochen, die spätantike Tabula Peutingeriana und Karten im Maßstab 1:25 000 aus der Zeit Mussolinis.
Vor allem aber ist sein Buch ein Aufruf, die Straßen selbst im Gelände zu erkunden. Zu den praktischen Hinweisen gehört, die vegetationsarme Zeit zu wählen und genau, sehr genau hinzusehen, auf kleinste Auffälligkeiten zu achten und die Gesetze der einfachen Physik zu bedenken: Wenn die konisch behauenen Basaltpflastersteine verstürzen, liegen sie auf der glatten Oberseite, weil die größer ist.
Im zweiten, längeren Teil des Buches begibt sich Esch auf die Spuren der Via Amerina, die von Baccano nach Amelia führte. Weil sie in der Antike nur eine schmalere und weniger bedeutende Parallelstraße zur Via Flaminia war, konnte diese von Anfang an regionale Straße - gegen die allgemeine Entwicklung - im Mittelalter an Bedeutung zunehmen. Zugleich ist ihr Verlauf nicht in allen Abschnitten gesichert; im Atlas des "Neuen Pauly" ist sie daher überwiegend gestrichelt gezeichnet.
Esch hat hier also echte Pionierarbeit geleistet. Allerdings richtet sich dieser Teil des Buches wirklich in erster Linie an Nachforscher, denen festes Schuhwerk und ein robustes Auto empfohlen werden; im Lehnstuhl sieht man sich trotz der vielen, bisweilen etwas klein reproduzierten Bilder und Skizzen von der Fülle der Informationen rasch erschlagen. Angenehmer Grusel kommt immerhin auf bei der Annäherung an eine aufgegebene Kirche: "Vorsicht, einbrechender Boden, einbrechendes Dach". Die lapidare Anweisung, "man überschreite irgendwie das Gewässer", wird Hardcore-Wanderer herausfordern, und beim Abstieg in ein "feuchtes Dunkel aus bemoostem Fels und Mauerwerk" mag sich eine Seilsicherung empfehlen.
UWE WALTER.
Arnold Esch: "Zwischen Antike und Mittelalter". Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina.
C. H. Beck Verlag, München 2011. 208 S., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zwei Bücher in einem hat der Rezensent zu empfehlen, aber auch festes Schuhwerk! Dass der Autor Archäologe und Historiker ist, merkt Uwe Walter rasch, und fotografieren kann er auch. So ensteht vor Walters Augen ein Buch über die römische Straße zwischen Antike und Mittelalter, das er wegen seiner souveränen Gelehrsamkeit, aber auch aufgrund seines Verständnisses für lebensweltliche Zusammenhänge schätzt und das er historiografisch betrachtet schon für ein kleines Wunder hält. Seiner Meinung nach gelingt der integrale Blick auf die Prozesse der Umgestaltung an den römischen Straßen, die Darstellung eines Kontinuums des Lebens. Weil dafür sowohl Karten und Urkunden als auch das Gelände vor Ort sehr aufmerksam erkundet wird, wird der Rezensent sogar zum Wanderer auf rutschigen Basaltbrocken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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