In neun Fallstudien analysieren Historiker aus fünf verschiedenen Ländern die Rolle der Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Das Buch enthält Beiträge über "rechte" wie "linke" Diktaturen: über den italienischen Faschismus, den Nationalsozialismus und das Franco-Regime in Spanien, sowie über die Sowjetunion, die Volksrepublik China, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und die DDR. Im Vordergrund stehen folgenden Fragen: Haben die Universitäten in der Entstehungsphase der Diktatur die Autonomie der Hochschulen verteidigt oder waren sie Vorkämpfer der Diktatur? Führte die Etablierung der Diktatur zu einem Bruch mit der Universitätstradition? Welche Konsequenzen hatte die Durchsetzung der Diktatur für die Struktur und das Selbstverständnis der Universität, für die Inhalte von Lehre und Forschung? Wie sind Hochschullehrer und Studenten mit der neuen, durch die Diktatur geschaffenen Realität umgegangen? Inwieweit entstand nach Etablierung der Diktatur die Herausbildung einer neuen, mit den Interessen des Regimes verbundenen akademischen Elite? Gehörten die Universitäten innerhalb der Diktatur eher zu den systemtragenden oder zu den systemgefährdenden Kräften? Ein wichtiges Buch, auch für Fragen an die heutigen Universitäten. Sind sie ein Bollwerk der Demokratie?
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.06.2003Schlechtes Zeugnis
für Professoren
Universitäten in
der Diktatur
Damit die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit objektiv und zweckfrei sind, müssen diejenigen, die sie hervorbringen, unabhängig sein. Dieses Postulat ist ein Ergebnis eines langwährenden Säkularisationsprozesses und wurde insbesondere von den italienischen Humanisten, den französischen Aufklärern und den deutschen idealistischen Philosophen entwickelt. Seine vollkommenste Ausprägung erfuhr es im Modell der Humboldtschen Universität. Ihre Professoren verstanden sich als Könige, die ihr Reich mit niemandem teilten. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff dekretierte am Ende des 19. Jahrhunderts stolz, er brauche die Wahl seiner Forschungsgegenstände nicht zu rechtfertigen. Der Staat habe allein die Aufgabe, ihn angemessen zu alimentieren.
Ein solches Konzept konnte nur in einer Zeit entstehen, in der die Wissenschaften, die die mannigfachen Determinationen der Menschen untersuchen – Soziologie, Ökonomie, Genetik, Psychologie, Politologie – noch in ihren Anfängen steckten. Der egalitäre Traum von der Gelehrtenrepublik, dass allein Wissen und Können über die Rangfolge ihrer Mitglieder entscheide, litt von Anfang an daran, dass Frauen ausgeschlossen blieben und Arme nur mühsam zu akademischen Ehren kamen. Spätestens in den Kriegen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts ließen sich viele Professoren zudem vor den Karren des Nationalismus spannen und ebneten so den Mächtigen den Weg, sie auch in normalen Zeiten für politische Ziele zu instrumentalisieren.
Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes legen die Ergebnisse eines von ihnen in Berkeley organisierten Kongresses vor, der dem Spannungsverhältnis von Universitäten und Diktaturen im 20. Jahrhundert gewidmet war. Im wesentlichen werden Hochschulsysteme in kommunistischen (Sowjetunion, Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, China, SBZ/DDR) bzw. faschistischen (Italien, Spanien, Deutschland) Ländern miteinander verglichen. Das ist methodisch innovativ und vielversprechend, auch wenn die Ergebnisse des Vergleichs kaum überraschen. Linke wie rechte Diktaturen gleichen sich darin, dass sie ihre Universitäten durch Reglementierung des Zugangs, Einschränkung der Selbstverwaltung, ideologische Vorgaben, Privilegierung anwendungsorientierter Fächer und nationale Abschottung gleichschalten. Wegen der Unterschiede zwischen Nationalsozialismus, Faschismus und Falangismus differieren die darauf aufbauenden Ausbildungssysteme, wohingegen die in Moskau ersonnenen Vorgaben in den Satellitenstaaten getreulich kopiert wurden. In Connellys Einführung und Grüttners Schlußüberlegungen werden die Fragestellungen wie die Ergebnisse prägnant resümiert.
Der Band ist bis auf das fehlende Namensregister höchst informativ und lenkt den Blick auf Zusammenhänge, die bisher kaum im Kontext betrachtet wurden. Doch wer Neuland betritt, muss Lücken in Kauf nehmen. So fehlen die zahlreichen nichtlaizistischen Universitäten der großen Weltreligionen – der Bogen spannt sich von der El Hazar in Kairo bis hin zur Gregoriana in Rom –, die ihren Angehörigen weltanschauliche Vorgaben machen, ohne dass man ihnen den Anspruch der Wissenschaftlichkeit rundum bestreiten könnte. Auch ist der Band allzu europazentriert. Gehören die Universitäten auf Kuba, im Iran oder in Rhodesien zum Untersuchungsgegenstand oder nicht?
Unterfinanzierte Massen
Dankenswerterweise widmen mehrere Beiträge dem professoralen und studentischen Widerstand ihre Aufmerksamkeit und zeigen, wie sich insbesondere in den osteuropäischen Volksdemokratien die Studentenschaft ab den fünfziger Jahren an die Spitze von Bürgerrechtsbewegungen setzte. Den Professoren wird diesbezüglich ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, doch sollte nicht vergessen werden, dass es den Nazis nicht gelang, die Universitäten der von ihnen besetzten Länder unter ihr Joch zu zwingen. Professoren und Studenten in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Jugoslawien, Polen und der Tschechei gaben ihr Leben auch für die Freiheit von Forschung und Lehre.
Bleibt abschließend die Frage, ob das Konzept der Universität von den Beiträgern nicht zu statisch gesehen wird. Was hat die heutige Massenuniversität, die, jedenfalls in Deutschland, chronisch unterfinanziert ist und von der Wissenschaftsverwaltung mit fruchtlosen Reformvorschlägen gegängelt wird, noch mit den hehren Idealen des 19. Jahrhunderts gemein? Das hier von Spezialisten recht akademisch behandelte Wechselverhältnis von akademischer Freiheit und politischer Einflussnahme war und ist nicht nur in Diktaturen des 20. Jahrhunderts virulent, sondern begleitet die moderne Universität in ihrer bald tausendjährigen Geschichte Tag für Tag. Die Herausgeber haben ein Thema angestoßen, das wegen seiner bildungspolitischen Implikationen viel aktueller ist, als es scheinen mag. Die hier dargestellten Hintergründe bieten Stoff genug für eine breite Diskussion der Rolle der Universität in den demokratisch verfassten Gemeinwesen der globalisierten Welt.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
JOHN CONNELLY – MICHAEL GRÜTTNER (Hrsg.): Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003, 285 S., 40 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
für Professoren
Universitäten in
der Diktatur
Damit die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit objektiv und zweckfrei sind, müssen diejenigen, die sie hervorbringen, unabhängig sein. Dieses Postulat ist ein Ergebnis eines langwährenden Säkularisationsprozesses und wurde insbesondere von den italienischen Humanisten, den französischen Aufklärern und den deutschen idealistischen Philosophen entwickelt. Seine vollkommenste Ausprägung erfuhr es im Modell der Humboldtschen Universität. Ihre Professoren verstanden sich als Könige, die ihr Reich mit niemandem teilten. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff dekretierte am Ende des 19. Jahrhunderts stolz, er brauche die Wahl seiner Forschungsgegenstände nicht zu rechtfertigen. Der Staat habe allein die Aufgabe, ihn angemessen zu alimentieren.
Ein solches Konzept konnte nur in einer Zeit entstehen, in der die Wissenschaften, die die mannigfachen Determinationen der Menschen untersuchen – Soziologie, Ökonomie, Genetik, Psychologie, Politologie – noch in ihren Anfängen steckten. Der egalitäre Traum von der Gelehrtenrepublik, dass allein Wissen und Können über die Rangfolge ihrer Mitglieder entscheide, litt von Anfang an daran, dass Frauen ausgeschlossen blieben und Arme nur mühsam zu akademischen Ehren kamen. Spätestens in den Kriegen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts ließen sich viele Professoren zudem vor den Karren des Nationalismus spannen und ebneten so den Mächtigen den Weg, sie auch in normalen Zeiten für politische Ziele zu instrumentalisieren.
Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes legen die Ergebnisse eines von ihnen in Berkeley organisierten Kongresses vor, der dem Spannungsverhältnis von Universitäten und Diktaturen im 20. Jahrhundert gewidmet war. Im wesentlichen werden Hochschulsysteme in kommunistischen (Sowjetunion, Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, China, SBZ/DDR) bzw. faschistischen (Italien, Spanien, Deutschland) Ländern miteinander verglichen. Das ist methodisch innovativ und vielversprechend, auch wenn die Ergebnisse des Vergleichs kaum überraschen. Linke wie rechte Diktaturen gleichen sich darin, dass sie ihre Universitäten durch Reglementierung des Zugangs, Einschränkung der Selbstverwaltung, ideologische Vorgaben, Privilegierung anwendungsorientierter Fächer und nationale Abschottung gleichschalten. Wegen der Unterschiede zwischen Nationalsozialismus, Faschismus und Falangismus differieren die darauf aufbauenden Ausbildungssysteme, wohingegen die in Moskau ersonnenen Vorgaben in den Satellitenstaaten getreulich kopiert wurden. In Connellys Einführung und Grüttners Schlußüberlegungen werden die Fragestellungen wie die Ergebnisse prägnant resümiert.
Der Band ist bis auf das fehlende Namensregister höchst informativ und lenkt den Blick auf Zusammenhänge, die bisher kaum im Kontext betrachtet wurden. Doch wer Neuland betritt, muss Lücken in Kauf nehmen. So fehlen die zahlreichen nichtlaizistischen Universitäten der großen Weltreligionen – der Bogen spannt sich von der El Hazar in Kairo bis hin zur Gregoriana in Rom –, die ihren Angehörigen weltanschauliche Vorgaben machen, ohne dass man ihnen den Anspruch der Wissenschaftlichkeit rundum bestreiten könnte. Auch ist der Band allzu europazentriert. Gehören die Universitäten auf Kuba, im Iran oder in Rhodesien zum Untersuchungsgegenstand oder nicht?
Unterfinanzierte Massen
Dankenswerterweise widmen mehrere Beiträge dem professoralen und studentischen Widerstand ihre Aufmerksamkeit und zeigen, wie sich insbesondere in den osteuropäischen Volksdemokratien die Studentenschaft ab den fünfziger Jahren an die Spitze von Bürgerrechtsbewegungen setzte. Den Professoren wird diesbezüglich ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, doch sollte nicht vergessen werden, dass es den Nazis nicht gelang, die Universitäten der von ihnen besetzten Länder unter ihr Joch zu zwingen. Professoren und Studenten in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen, Jugoslawien, Polen und der Tschechei gaben ihr Leben auch für die Freiheit von Forschung und Lehre.
Bleibt abschließend die Frage, ob das Konzept der Universität von den Beiträgern nicht zu statisch gesehen wird. Was hat die heutige Massenuniversität, die, jedenfalls in Deutschland, chronisch unterfinanziert ist und von der Wissenschaftsverwaltung mit fruchtlosen Reformvorschlägen gegängelt wird, noch mit den hehren Idealen des 19. Jahrhunderts gemein? Das hier von Spezialisten recht akademisch behandelte Wechselverhältnis von akademischer Freiheit und politischer Einflussnahme war und ist nicht nur in Diktaturen des 20. Jahrhunderts virulent, sondern begleitet die moderne Universität in ihrer bald tausendjährigen Geschichte Tag für Tag. Die Herausgeber haben ein Thema angestoßen, das wegen seiner bildungspolitischen Implikationen viel aktueller ist, als es scheinen mag. Die hier dargestellten Hintergründe bieten Stoff genug für eine breite Diskussion der Rolle der Universität in den demokratisch verfassten Gemeinwesen der globalisierten Welt.
FRANK-RUTGER HAUSMANN
JOHN CONNELLY – MICHAEL GRÜTTNER (Hrsg.): Zwischen Autonomie und Anpassung: Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2003, 285 S., 40 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Idealvorstellung der Universitäten als Hort der Bildung und der freien Wissenschaften hat mit der Realität nicht allzu viel gemein. Dieser Ansicht sind auch der Autoren des vorliegenden Buches und präsentieren die Ergebnisse eines von ihnen in Berkley organisierten Kongresses, der dem Spannungsverhältnis von Universitäten und Diktaturen im 20. Jahrhundert gewidmet war. Frank-Rutger Hausmann kommt zu dem Urteil, dass es, bis auf das fehlende Namensregister höchst informativ sei. Als methodisch innovativ und vielversprechend bezeichnet er den Vergleich von Hochschulpolitik und Hochschulen in kommunistischen und faschistischen Staaten. Dass die Ergebnisse des Vergleichs dabei kaum überraschen, schmälere den Erkenntnisgewinn der Bücher nicht, denn linke wie rechte Diktaturen würden sich darin gleichen, die Universitäten durch verschiedene Mittel, wie zum Beispiel Reglementierung des Zugangs, Einschränkung der Selbstverwaltung und ideologische Vorgaben gleichzuschalten. Schade findet er bei dieser Studie nur das Fehlen der nichtlaizistischen Universitäten der Weltreligionen, von der El Hazar in Kairo bis zur Gregoriana in Rom.
© Perlentaucher Medien GmbH
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