Bewegend und einfühlsam
Wolfgang Böhm ist mit seinem Roman „Zwischen Brüdern“ ein wunderbares Buch über das Leben und die Beziehung zwischen zwei ungleichen Brüdern im Wien der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelungen.
Ganz unaufdringlich und dabei doch eindringlich nimmt uns Viktor, der ältere
und bodenständigere Bruder, als Erzähler mit in eine Welt, die zwischen Schönheit und…mehrBewegend und einfühlsam
Wolfgang Böhm ist mit seinem Roman „Zwischen Brüdern“ ein wunderbares Buch über das Leben und die Beziehung zwischen zwei ungleichen Brüdern im Wien der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelungen.
Ganz unaufdringlich und dabei doch eindringlich nimmt uns Viktor, der ältere und bodenständigere Bruder, als Erzähler mit in eine Welt, die zwischen Schönheit und Fortschrittsoptimismus einerseits und Nationalismus und Antisemitismus andererseits zunehmend zerrissen ist. Wir erleben die gesellschaftlichen Veränderungen im düsterer werdenden Wien, fühlen mit Viktor die schon im Untergrund der goldenen Zwanziger brodelnde Bedrohung, die letztlich in der Diktatur des Nationalsozialismus mündet. Obwohl Böhms Roman nicht nur Gesellschaftsroman, sondern vor allem ein familiärer Beziehungsroman ist, bleibt diese entfaltete Welt noch lange nach Beendigung der Lektüre präsent.
Vielleicht ist das so, weil es dem Autor gelingt, uns mit den beiden Hauptfiguren, aber auch den Nebenfiguren intensiv mitfühlen zu lassen. Das ist umso bemerkenswerter, weil der Erzähler Viktor seinen Bruder Hans keineswegs idealisiert, sondern in all seiner Widersprüchlichkeit und Unfassbarkeit darstellt – und doch ergeht es uns Lesenden wie Viktor, der seinen Bruder bei all seinen Fehlern nicht hassen, sondern seine „Liebe für ihn nur in eine andere Form“ gießen kann. Letztlich schreibt Böhm einen Roman über Liebe, und zwar einen der schönsten, die ich diesbezüglich je gelesen habe. Das Buch macht nachdenklich und betroffen, es berührt, erstaunt, es erschafft neben den beiden genannten Protagonisten mit wenigen Pinselstrichen weitere Figuren, deren Lebensgeschichte man gerne weiterverfolgen würde, z.B. Annemarie, die Kellnerin in Hans‘ Stammcafé…
Noch hervorheben möchte ich die sprachliche Gestaltung: Viktors besonnener Art entsprechend fließt die Sprache zart und von bemerkenswerter Treffsicherheit zumeist ruhig dahin, um immer wieder unvergesslich schöne Formulierungen zu finden wie die oben zitierte, an denen auch Hans mit seinem unvergänglichen Sinn für das Schöne seine helle Freude hätte.
Unbedingt lesen! Eine Empfehlung für alle Feingeister.