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Dieser Band untersucht in vergleichender Perspektive die Entstehung und Entwicklung unvollständiger Demokratisierungen und behandelt bisher vernachlässigte Probleme der Demokratieforschung.

Produktbeschreibung
Dieser Band untersucht in vergleichender Perspektive die Entstehung und Entwicklung unvollständiger Demokratisierungen und behandelt bisher vernachlässigte Probleme der Demokratieforschung.
Autorenporträt
Dr. phil., geb. 1965 in Dorsten/Westfalen, ist Geschäftsführerin und Akademische Rätin des Zentralinstituts für Regionalforschung der Universität Erlangen-Nürnberg. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist die Migrations- und Integrationspolitik in Europa
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.08.2002

Note: Mangelhaft
Viele Demokratien funktionieren mehr schlecht als recht
PETRA BENDEL, AUREL CROISSANT, FRIEDBERT W. RÜB (Hrsg.): Zwischen Demokratie und Diktatur. Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen, Leske + Budrich, Opladen 2002. 359 Seiten, 34,90 Euro.
In den letzten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts brachen Dutzende von Diktaturen – und beileibe nicht nur die kommunistischen – zusammen; aus ihren Trümmern entstanden Demokratien. Aber viele dieser Demokratien funktionieren mehr schlecht als recht. Sie siedeln in einem Graubereich zwischen demokratischen Verfassungsstaaten und Diktaturen. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel prägte für diese Staaten den Begriff „defekte Demokratien”.
Die beiden kundigen Beiträge seiner Schüler Aurel Croissant und Peter Thierry skizzieren die Konturen des Forschungskonzepts. Sie unterscheiden wie Merkel drei Untertypen der defekten Demokratie:die „exklusive Demokratie”, die „Enklavendemokratie” und schließlich die „illiberale Demokratie”. Das Wesensmerkmal einer exklusiven Demokratie ist, dass ein bedeutender Teil der Bürger auf Grund von Analphabetismus, Armut, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit von den Wahlen ausgeschlossen wird. Bis 1998 fiel beispielsweise Lettland wegen des ethnisch begründeten Ausschlusses der dort lebenden großen russischen Minderheit in diese Kategorie.
Enklavendemokratien wiederum sind Staaten, in denen nicht legitimierte Institutionen wie die Mafia, Großgrundbesitzer, Guerillabewegungen oder das Militär die politische Macht haben, bestimmte politische Entscheidungen unabhängig von den demokratischen Mehrheitsverhältnissen zu ihren Gunsten zu lenken. Häufig sichert sich auch, etwa in Chile, ein ehemaliger Diktator im Demokratisierungsprozess eine Vetomacht.
In illiberalen Demokratien wie Russland und der Türkei ist die Einhaltung der Bürgerrechte nicht immer gewährleistet. Illiberale Zustände können dabei aus einer Machtüberschreitung der demokratisch Gewählten, aber auch aus ihrer Unfähigkeit zur Verhinderung von Übergriffen der Sicherheitsorgane entstehen. Diese drei Varianten der defekten Demokratien bezeichnen die Autoren als Untertypen demokratischer Staaten.
Andere Forscher plädieren dafür, die Staaten im Graubereich zwischen Demokratie und Diktatur als eigenständigen Typus der hybriden Regime anzusehen. Gero Erdmann argumentiert, das Konzept der hybriden Regime versuche „all jenen politischen Systemen gerecht zu werden, in denen ohne institutionelle Veränderungen im vorgegebenen Verfassungsgefüge jederzeit die Demokratie ‚ausbrechen' kann”. Diese Umschreibung des Konzepts begründet paradoxerweise, warum es sinnvoller sein kann, unter dem Banner der demokratischen Systeme die Untertypen „defekt” und „funktionierend” zu bilden, als eine neue Kategorie hybrider Regime zwischen Demokratie und Diktatur zu installieren. Ohnehin drückt die Wendung „defekte Demokratie” weit anschaulicher als der schwammige Allerweltsbegriff „hybride Regime” aus, dass diese Demokratien im besten Falle auf ihrem Weg von der Diktatur zur Demokratie sind, wobei einige Schäden noch zu beheben sind.
Notwendige Probleme
Wem das alles zu theoretisch ist, der findet in diesem Band aber auch zehn detailreiche Regional- und Länderanalysen. Sie decken die gesamte Weltkarte ab – von Asien über Osteuropa und Afrika bis Lateinamerika. Bedenkenswert ist allerdings mit Blick auf viele dieser Staaten die These von Peter Thiery, dass in jungen Demokratien bestimmte Defekte notwendig sein könnten, um den Rückfall in eine Diktatur zu verhindern. So wäre, glaubt er, in Chile ohne den Demokratiedefekt der Vetomacht des Ex-Diktators Pinochet die (Wieder-)Einführung der Demokratie wohl nicht zu haben gewesen.
Naiv wäre es zu glauben, Demokratiedefekte verschwänden nach der schwierigen Startphase junger Demokratien von selbst. Schließlich gibt es das Phänomen der etablierten defekten Demokratie. So gelingt es Kolumbien seit Jahrzehnten nicht, seine schwerwiegenden Demokratieprobleme zu überwinden. Das Beispiel zeigt jedoch auch, das schwerwiegende Missstände keineswegs zwangsläufig zu einem Zusammenbruch der Demokratie führen. Empirisch betrachtet sind die defekten Demokratien den funktionierenden bei der Systemstabilität wie bei den Policy-Leistungen innerer Sicherheit und wirtschaftlicher Wohlfahrt im Durchschnitt weit unterlegen. Und so bleibt die Königsfrage dieses neuen Forschungszweiges: Auf welche Weise können aus defekten Demokratien funktionierende gemacht werden?
STEFFEN KAILITZ
Der Rezensent ist Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz.
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