Malaparte war Faschist, Kommunist, Wendehals, Egozentriker, Narziss, Dandy und Held und manchmal wirkt es, als habe Malaparte keine Sünde auslassen wollen, wie sie sich die Intellektuellen während der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts haben zuschulden kommen lassen. Dass er aber zugleich ein großer Reisender, ein Kenner des alten Kontinents, einer der schärfsten Beobachter und originellsten Denker Europas war, ist kaum bekannt. Egal, ob er über die "englischen Manieren" oder die "schwedische Insel" schreibt, aus der Nachkriegsgesellschaft in Deutschland und Frankreich berichtet, oder ob er in den frühen fünfziger Jahren sich für die Welt der chilenischen Indios begeistert oder am Ende seines Lebens von Maos China fasziniert ist: Seine stilistisch unverwechselbaren Reisereportagen sind oft von einer überraschenden Weitsicht und noch in ihren Fehlurteilen erhellend. Erstmals ins Deutsche übersetzt, präsentieren sie einen ebenso eigenwilligen wie faszinierenden Beobachter der europäischen Katastrophe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2007Ein Mann von 1914
Nur Romane konnte er nicht richtig: Das bleibt von Malaparte
"Curzio Malaparte war ein höchst sonderbarer Schriftsteller." Das schreibt, in seinem Text über "Die Casa Malaparte", Bruce Chatwin, der seinerseits auch ein höchst sonderbarer Schriftsteller war. Chatwins Text ist dem Band mit Reisereportagen Malapartes beigegeben, den der Verlag mit dem selten dämlichen Untertitel "Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" versehen hat.
Vielleicht sind Stilblüten dieser Art aber auch unvermeidlich angesichts der Figur des Autors, der 1898 als Kurt Erich Suckert im toskanischen Prato geboren wurde und heute vor fünfzig Jahren als Curzio Malaparte in Rom gestorben ist. Denn bei der Rezeption Malapartes hat das schillernde Erscheinungsbild des Autors immer wieder den Blick auf seine Texte verstellt. Malaparte war ein Meister der Selbstinszenierung und wäre deshalb im jüngeren Literaturbetrieb gewiss hochwillkommen gewesen.
Curzio Malaparte beginnt seine Karriere 1914 als sechzehnjähriger Kriegsteilnehmer an der französischen Front und später in den italienischen Alpen. Er ist nacheinander Attaché des italienischen Botschafters in Belgien und in Polen, Sekretär des faschistischen Bürgermeisters von Florenz (er trat 1921 der faschistischen Partei bei), Herausgeber einer faschistischen Theoriezeitschrift, von 1929 bis 1931 Leiter der angesehenen "La Stampa", Auslandskorrespondent verschiedener Zeitungen, Kriegsberichterstatter in Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien sowie an der russischen sowie finnischen Front und 1944 Verbindungsoffizier für die amerikanischen Alliierten.
Nach dem Krieg ist er weiterhin viel auf Reisen und wird Anfang 1957 während einer China-Reise wegen Lungenkrebses in ein Krankenhaus eingeliefert. Im März bringt ihn ein Flugzeug zurück nach Rom, wo er vier Monate später stirbt. An seinem Totenbett sollen sich der Legende nach die Kommunistische Partei und die katholische Kirche um das Seelenheil des Sterbenden gebalgt haben, und er soll sowohl Mitglied der Ersteren geworden wie auch in den Schoß der Letzteren gefallen sein.
Vielleicht war aber der verwirrende Lebensweg des Curzio Malaparte - er legte sich diesen Namen, das Antonym von Bonaparte, 1925 zu - gar nicht so sehr ein Produkt der Selbstinszenierung, obwohl die dem Band beigegebenen Fotos deutlich von der Eitelkeit des Dargestellten sprechen, sondern einfach nur ein Spiegel der Wirren des zwanzigsten Jahrhunderts. So interpretiert es jedenfalls der Herausgeber Jobst Welge in seiner klugen und nirgends hagiographischen Einleitung. Was in Malaparte vielleicht lebenslang miteinander stritt und sich nicht versöhnen konnte, war die Gleichzeitigkeit sozialrevolutionärer und zutiefst reaktionärer Überzeugungen und Attitüden. Eric Hobsbawm hat dieses Jahrhundert das Zeitalter der Extreme genannt. Unter diesem Aspekt ist Malaparte eine seiner Symbolfiguren.
Schriftsteller war er aber auch. Ein Schriftsteller, der sich in seinen beiden berühmtesten Büchern "Kaputt" und "Die Haut" um eine Ästhetik des Hässlichen und Extremen bemühte, die Bruce Chatwin zu dem Urteil bewegte, sie sei "so ekelerregend wie verlogen". In der Tat liest sich Malaparte vor allem in "Kaputt" ein bisschen so, als hätte Ernst Jüngers abenteuerliches Herz schwere Rhythmusstörungen bekommen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg traf dieser Ton aber offenbar auf ein Bedürfnis, denn als Malaparte 1947 nach Paris übersiedelte, konnte er sich von den Tantiemen für "Kaputt" eine recht kostspielige Wohnung in der Nähe der Champs-Elysées leisten.
Was sich zur selben Zeit auf dem anderen Seine-Ufer abspielte und wofür die Namen Sartre und Camus standen, das lehnte er eher ab - aus Enttäuschung, dass ihn die Franzosen trotz des Erfolgs seines Buches auch in ihrem Land nicht mit offenen Armen empfingen, sondern in ihm den ehemaligen Faschisten sahen. Auszüge aus dem Pariser Tagebuch sind in Jobst Welges Auswahl enthalten, und sie zeigen mehr als alle anderen Beiträge in diesem Band, dass Malaparte als Reisejournalist, als Feuilletonist ungleich stärker und präziser war denn als Romancier.
Denn die meisten Beiträge in diesem Band sind trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Zeitgebundenheit sehr lesenswert. Es gibt ein wunderschönes Porträt Finnlands aus dem Jahr 1942, zwei großartige Texte über die Belagerung Leningrads und aufmerksame Blicke auf das Deutschland der Nachkriegszeit; aber von besonderer Bedeutung ist der Auszug aus dem Pariser Tagebuch, das man sich gern als Ganzes ins Deutsche übersetzt wünschte. Unter dem 4. September 1947 macht Malaparte sich Gedanken darüber, wie sehr das französische Volk sich verändert hat und wo in Paris man "nebeneinander, aber nicht vermischt, nicht vermengt, einander fremd, die alte Rasse der Franzosen, der Franzosen Frankreichs, und jene neue Rasse" finden kann, "die allmählich in Europa entsteht, die europäische Rasse".
Die beschreibt er als "eine vielleicht zynischere, kältere, misstrauischere Rasse, weniger mutig vielleicht, weniger moralisch im bürgerlichen Sinn". Er begreift, dass er trotz aller Sympathie nicht mehr dazugehört zu diesen Zwanzigjährigen "in Moskau, in Kiew, in Berlin, in Prag, in Italien", die sich alle so ähnlich sind, dass er vielmehr "ein Mann von 1914" ist - und zudem in Paris, das er zu seiner Heimat machen wollte, ein Außenseiter bleiben wird. Eine ganz und gar nicht weinerliche Melancholie durchzieht diese Seiten, die harte und heroische Attitüde ist verschwunden, und Malaparte schreibt so gut, so genau und so unangestrengt wie nie. Da verzeiht man ihm schließlich auch die Bücher, mit denen er Erfolg hatte.
JOCHEN SCHIMMANG
Curzio Malaparte: "Zwischen Erdbeben". Streifzüge eines europäischen Exzentrikers. Herausgegeben von Jobst Welge. Aus dem Italienischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 360 S., Fotos, geb., 30,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nur Romane konnte er nicht richtig: Das bleibt von Malaparte
"Curzio Malaparte war ein höchst sonderbarer Schriftsteller." Das schreibt, in seinem Text über "Die Casa Malaparte", Bruce Chatwin, der seinerseits auch ein höchst sonderbarer Schriftsteller war. Chatwins Text ist dem Band mit Reisereportagen Malapartes beigegeben, den der Verlag mit dem selten dämlichen Untertitel "Streifzüge eines europäischen Exzentrikers" versehen hat.
Vielleicht sind Stilblüten dieser Art aber auch unvermeidlich angesichts der Figur des Autors, der 1898 als Kurt Erich Suckert im toskanischen Prato geboren wurde und heute vor fünfzig Jahren als Curzio Malaparte in Rom gestorben ist. Denn bei der Rezeption Malapartes hat das schillernde Erscheinungsbild des Autors immer wieder den Blick auf seine Texte verstellt. Malaparte war ein Meister der Selbstinszenierung und wäre deshalb im jüngeren Literaturbetrieb gewiss hochwillkommen gewesen.
Curzio Malaparte beginnt seine Karriere 1914 als sechzehnjähriger Kriegsteilnehmer an der französischen Front und später in den italienischen Alpen. Er ist nacheinander Attaché des italienischen Botschafters in Belgien und in Polen, Sekretär des faschistischen Bürgermeisters von Florenz (er trat 1921 der faschistischen Partei bei), Herausgeber einer faschistischen Theoriezeitschrift, von 1929 bis 1931 Leiter der angesehenen "La Stampa", Auslandskorrespondent verschiedener Zeitungen, Kriegsberichterstatter in Frankreich, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien sowie an der russischen sowie finnischen Front und 1944 Verbindungsoffizier für die amerikanischen Alliierten.
Nach dem Krieg ist er weiterhin viel auf Reisen und wird Anfang 1957 während einer China-Reise wegen Lungenkrebses in ein Krankenhaus eingeliefert. Im März bringt ihn ein Flugzeug zurück nach Rom, wo er vier Monate später stirbt. An seinem Totenbett sollen sich der Legende nach die Kommunistische Partei und die katholische Kirche um das Seelenheil des Sterbenden gebalgt haben, und er soll sowohl Mitglied der Ersteren geworden wie auch in den Schoß der Letzteren gefallen sein.
Vielleicht war aber der verwirrende Lebensweg des Curzio Malaparte - er legte sich diesen Namen, das Antonym von Bonaparte, 1925 zu - gar nicht so sehr ein Produkt der Selbstinszenierung, obwohl die dem Band beigegebenen Fotos deutlich von der Eitelkeit des Dargestellten sprechen, sondern einfach nur ein Spiegel der Wirren des zwanzigsten Jahrhunderts. So interpretiert es jedenfalls der Herausgeber Jobst Welge in seiner klugen und nirgends hagiographischen Einleitung. Was in Malaparte vielleicht lebenslang miteinander stritt und sich nicht versöhnen konnte, war die Gleichzeitigkeit sozialrevolutionärer und zutiefst reaktionärer Überzeugungen und Attitüden. Eric Hobsbawm hat dieses Jahrhundert das Zeitalter der Extreme genannt. Unter diesem Aspekt ist Malaparte eine seiner Symbolfiguren.
Schriftsteller war er aber auch. Ein Schriftsteller, der sich in seinen beiden berühmtesten Büchern "Kaputt" und "Die Haut" um eine Ästhetik des Hässlichen und Extremen bemühte, die Bruce Chatwin zu dem Urteil bewegte, sie sei "so ekelerregend wie verlogen". In der Tat liest sich Malaparte vor allem in "Kaputt" ein bisschen so, als hätte Ernst Jüngers abenteuerliches Herz schwere Rhythmusstörungen bekommen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg traf dieser Ton aber offenbar auf ein Bedürfnis, denn als Malaparte 1947 nach Paris übersiedelte, konnte er sich von den Tantiemen für "Kaputt" eine recht kostspielige Wohnung in der Nähe der Champs-Elysées leisten.
Was sich zur selben Zeit auf dem anderen Seine-Ufer abspielte und wofür die Namen Sartre und Camus standen, das lehnte er eher ab - aus Enttäuschung, dass ihn die Franzosen trotz des Erfolgs seines Buches auch in ihrem Land nicht mit offenen Armen empfingen, sondern in ihm den ehemaligen Faschisten sahen. Auszüge aus dem Pariser Tagebuch sind in Jobst Welges Auswahl enthalten, und sie zeigen mehr als alle anderen Beiträge in diesem Band, dass Malaparte als Reisejournalist, als Feuilletonist ungleich stärker und präziser war denn als Romancier.
Denn die meisten Beiträge in diesem Band sind trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Zeitgebundenheit sehr lesenswert. Es gibt ein wunderschönes Porträt Finnlands aus dem Jahr 1942, zwei großartige Texte über die Belagerung Leningrads und aufmerksame Blicke auf das Deutschland der Nachkriegszeit; aber von besonderer Bedeutung ist der Auszug aus dem Pariser Tagebuch, das man sich gern als Ganzes ins Deutsche übersetzt wünschte. Unter dem 4. September 1947 macht Malaparte sich Gedanken darüber, wie sehr das französische Volk sich verändert hat und wo in Paris man "nebeneinander, aber nicht vermischt, nicht vermengt, einander fremd, die alte Rasse der Franzosen, der Franzosen Frankreichs, und jene neue Rasse" finden kann, "die allmählich in Europa entsteht, die europäische Rasse".
Die beschreibt er als "eine vielleicht zynischere, kältere, misstrauischere Rasse, weniger mutig vielleicht, weniger moralisch im bürgerlichen Sinn". Er begreift, dass er trotz aller Sympathie nicht mehr dazugehört zu diesen Zwanzigjährigen "in Moskau, in Kiew, in Berlin, in Prag, in Italien", die sich alle so ähnlich sind, dass er vielmehr "ein Mann von 1914" ist - und zudem in Paris, das er zu seiner Heimat machen wollte, ein Außenseiter bleiben wird. Eine ganz und gar nicht weinerliche Melancholie durchzieht diese Seiten, die harte und heroische Attitüde ist verschwunden, und Malaparte schreibt so gut, so genau und so unangestrengt wie nie. Da verzeiht man ihm schließlich auch die Bücher, mit denen er Erfolg hatte.
JOCHEN SCHIMMANG
Curzio Malaparte: "Zwischen Erdbeben". Streifzüge eines europäischen Exzentrikers. Herausgegeben von Jobst Welge. Aus dem Italienischen übersetzt von Michael von Killisch-Horn. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2007. 360 S., Fotos, geb., 30,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als schillernde, widersprüchliche Figur beschreibt Jochen Schimmang den Schriftsteller Curzio Malaparte, der unter anderem Herausgeber einer faschistischen Theoriezeitschrift war und als Kriegsberichterstatter halb Europa bereiste. Er sieht bei ihm sozialrevolutionäre und zugleich reaktionäre Überzeugungen und Attitüden, was ihn in seinen Augen zu einer Symbolfigur des "Zeitalters der Extreme" macht. Die nun vorliegende Text-Auswahl von Jobst Welge bestätigt für Schmimmang, dass Malaparte als Reisejournalist und Feuilletonist wesentlich stärker war denn als Romancier. Die meisten Beiträge des Bandes scheinen ihm trotz oder wegen ihrer Zeitgebundenheit überaus "lesenswert". Neben einem "wunderschönen Porträt" Finnlands aus dem Jahr 1942 hebt er Texte über die Belagerung Leningrads sowie über das Deutschland der Nachkriegszeit lobend hervor. Besonders gefallen hat ihm zudem ein Auszug aus Malapartes Pariser Tagebuch, das er gern als Ganzes auf Deutsch lesen würde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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