Was wir erst heute wahrhaft begreifen: Weit mehr als Kriege und Technologien, Religionen und Ideologien beeinflussten und lenkten seit Anbeginn der Zeit die Natur und das Klima die Geschicke der Menschen. Der Globalhistoriker Peter Frankopan spannt einen weiten Bogen, von den frühesten Quellen bis in unsere Gegenwart, und erzählt die Menschheitsgeschichte neu - wobei uns das, was wir heute als Verhängnis erfahren, in vielfältigster Gestalt wiederbegegnet: Klimatische Veränderungen haben den Aufstieg erster Hochkulturen etwa im Industal ermöglicht, aber auch zum Fall großer Reiche wie der Ming-Dynastie in China oder der Maya in Mittelamerika geführt; ein Naturereignis wie der Ausbruch des Vulkans Samalas auf Indonesien hatte im 13. Jahrhundert politische Auswirkungen noch im fernen England; und schon in der Antike beschrieben die Philosophen, wie der Mensch die Natur für immer verändert.
Nach «Licht aus dem Osten» legt Peter Frankopan ein neues, großes Geschichtswerk vor, das Jahrtausende durchmisst und dabei eine ungeheure Aktualität atmet: für ein neues Verständnis nicht nur unserer historischen Entwicklung, sondern auch der Kräfte, die unsere Zukunft bestimmen.
Nach «Licht aus dem Osten» legt Peter Frankopan ein neues, großes Geschichtswerk vor, das Jahrtausende durchmisst und dabei eine ungeheure Aktualität atmet: für ein neues Verständnis nicht nur unserer historischen Entwicklung, sondern auch der Kräfte, die unsere Zukunft bestimmen.
Ein unendlich faszinierendes Buch. The Times
Perlentaucher-Notiz zur 9punkt-Rezension
Im Interview mit der taz spricht Frankopan über die Bedeutung des Klimas für die Weltgeschichte. So bringt er etwa den Untergang des Römischen Reichs mit einer gravierenden Abkühlung in Zusammenhang, oder ökologische Probleme mit Pogromen gegen Minderheiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2023„Wir sind die
Architekten unseres
eigenen Unglücks“
Der Historiker Peter Frankopan über
Imperien, Klima-Sündenböcke, Verschwendung
–
und die Frage, warum die Menschen denken, sie
könnten mit den natürlichen Ressourcen
tun, was sie wollen
INTERVIEW: JÖRG HÄNTZSCHEL
Peter Frankopan lehrt in Oxford Geschichte, aber mit seinem neuesten Buch, „Zwischen Erde und Himmel“ bewegt er sich jenseits der konventionellen Grenzen seiner Disziplin. Nicht Könige und Feldherren sind die Protagonisten, sondern das Klima, das nach Frankopans Ansicht die Geschicke der Menschheit viel stärker beeinflusste als bisher angenommen – und das nun vom Menschen verändert wird wie nie zuvor. Mit ungewissem Ausgang.
SZ: Das Klima galt früher oft als etwas wie die Tapete der Geschichte, bloßer Hintergrund. Sie schreiben, sein Einfluss sei viel bedeutender gewesen.
Peter Frankopan: Zunächst einmal ging es mir darum, die Menschheitsgeschichte in unserer natürlichen Umwelt zu verorten. Wir müssen uns darüber klar werden, dass der Mensch ein biologischer Organismus ist. Der zweite Punkt: Viele meiner Kollegen schreiben über römische Kaiser oder die dramatischen Existenzen der Reichen und Berühmten. Ich interessiere mich mehr dafür, was die Leute essen, welche Kleider sie tragen und woraus die Kleider gemacht sind. Nehmen sie die Caracala-Thermen in Rom, die täglich Tausende besuchten. Die Bäder wurden mit Holz beheizt. Was passierte also mit den Wäldern in Italien? Meistens waren die Menschen dumm, holzten alles ab. Das machen wir bis heute. Wir denken anders über Imperien, wenn wir auch an die Ökologie denken.
Sogar der Antisemitismus war teils eine Folge des Klimas.
Wenn die Ressourcen durch niedrige Temperaturen und schlechte Ernten rar werden, wird ein Schuldiger gesucht. Oft sind das Leute, die anders aussehen, andere Religionen praktizieren, andere Sprachen sprechen, andere Kleider tragen. Das ist im 21. Jahrhundert nicht anders.
Viele der Ereignisse, die Sie beschreiben, sind erst seit jüngster Zeit belegbar.
Historiker haben bisher vor allem nachgelesen, was in der Vergangenheit passiert ist, und dann Verbindungen zu Archäologie und Kunst hergestellt. Das ändert sich gerade, dank neuer Methoden, die neue Erkenntnisse erlauben. Die nächste Generation von Historikern wird auch naturwissenschaftliche Verfahren beherrschen. Zu dem neuen Material gehören Klimadaten. Bohrkerne aus den Gletschern Europas, aus Grönland oder der Antarktis enthalten Informationen über die atmosphärischen Bedingungen von vor Tausenden von Jahren. Versteinerte Pollen verraten uns, ob die Menschen Landwirtschaft betrieben haben. DNA-Analyse erlaubt ganz neue Einsichten über die Verbreitung von Epidemien wie der Pest.
Dennoch: Warum hat man das Klima bislang nicht ernster genommen?
Vielleicht hat man den Klimahistorikern nur nicht zugehört. Geschichte wurde eben anders gelehrt. Aber vor 200 Jahren waren die Menschen besessen vom Klima. Thomas Jefferson zum Beispiel fürchtete, dass menschliche Eingriffe in die Landschaft das Klima verändern würden. Deshalb zeichnete er die Wetterdaten über Jahrzehnte hin auf. Am Morgen der Unabhängigkeitserklärung kaufte er sich in einem Laden in Philadelphia ein neues Thermometer. Schon Hesiod warnte davor, die Umwelt zu verschmutzen. Die Frage ist, warum wir in den letzten 100 Jahren dachten, wir könnten das Klima beherrschen. Totalitäre Regime wie die von Mao oder Stalin sind berüchtigt für ihre Vorstellungen, sie könnten die Natur umbauen. Aber auch überall sonst bildeten sich die Menschen ein, sie könnten mit den natürlichen Ressourcen tun, was sie wollten.
Das ist die bittere Ironie: Wir wollten die Natur beherrschen und haben sie damit erst wirklich unbeherrschbar gemacht. Fiel es den Menschen auch früher so schwer, die Folgen ihres Umgangs mit der Welt zu verstehen?
Es gab in allen Zivilisationen ein Bewusstsein, dass das Überleben in Gefahr ist, wenn man die Natur nicht achtet. Das ist die Geschichte des Gartens Eden. Adam und Eva lebten in Harmonie mit der Natur. Dann missachten sie Gottes Befehl, indem sie die Frucht vom Baum der Erkenntnis essen, und fortan müssen die Menschen mit Staub, Unkraut und Dornen leben und Angst haben. Von der Sintflut ist nicht nur in der Bibel die Rede, auch in der Torah, im Koran, in sumerischen, mesopotamischen und ägyptischen Texten. Diese Geschichten warnen nicht nur vor Gott, sondern auch vor einer Natur, die sich gegen uns wenden kann, vor der Auslöschung der Menschheit. Die gute Nachricht ist: Es gibt uns noch, wir haben immer noch lange Lebenserwartungen, die letzten 20, 30 Jahre waren gut für die meisten Menschen. Aber wenn du zu viel ausgibst und es nicht zurückzahlen kannst, können die Folgen sehr schmerzhaft sein.
Warum waren trotz dieser Warnungen Christen und Europäer die größten Umweltzerstörer?
Ob in China oder in Indien, in jedem Winkel der Erde sehen Sie ökologische Verwüstung. Wir waren in Europa nur früher dran mit der Industrialisierung, waren die ersten, die Kohle verbrannt haben. Nein, das Problem ist unsere Spezies. Der Mensch verhält sich sehr ungewöhnlich. Tiere essen nicht mehr als sie benötigen und gehen dann ins Gym, um wieder dünn zu werden. Lynn White schreibt, die judeo-christliche Tradition sei besonders schlimm, Susan Sontag sagt, Europäer seien der Krebs. Ich glaube, Imperien sind der Krebs. Imperien ging es immer darum, Ressourcen ins Zentrum zu bringen, ohne Rücksicht auf Folgen für die Menschen an der Peripherie.
Können wir vom heutigen Klima so sprechen wie vom Klima im 12. Jahrhundert? Schließlich sind Dürren oder Stürme keine rein natürlichen Phänomene mehr.
Der menschliche Einfluss ist spürbar seit dem Beginn der Industrialisierung, aber die große Beschleunigung fand erst in den letzen 30 Jahren statt. Das Ende des Kalten Kriegs, die Öffnung Chinas haben den Verbrauch von Ressourcen in einem nie dagewesene Ausmaß befeuert. Die Menschheit hat 50 Prozent aller je verbrannten fossilen Energien in den letzten 30 Jahren verbrannt. Aber wo ziehen wir die Grenze zwischen natürlichem und menschlichem Einfluss? Die Wissenschaft ist uneins. Die Anthropocene Working Group, die den Beginn des Anthropozäns nachweist, datiert den Beginn des neuen Erdzeitalters auf die Mitte des 20. Jahrhunderts. Manche Historiker plädieren für ein Datum um 1750. Und dann gibt es Kollegen, denen der Begriff Anthropozän missfällt, weil er unterstellt, dass die Menschen der wichtigste Organismus des Planeten ist, nicht das Plankton oder der Regenwald des Amazons.
Gerät in Ihrer Geschichte dramatischer Klimaereignisse nicht die Tatsache aus dem Blick, dass das Holozän klimatisch ungewöhnlich stabil war und dass dieses stabile System nun zu kollabieren droht?
Wenn Sie Pessimist sind, ist die Menschheitsgeschichte eine Geschichte des Versagens, eine Geschichte von Imperien, die unfähig sind, auf Krisen zu reagieren. Wenn das Glas für Sie halb voll ist, sehen Sie eine erstaunliche Resilienz der Menschheit gegenüber Katastrophen, ob natürlich oder menschengemacht. Wahrscheinlich ist die zweite Perspektive die lohnendere. Wir sollten an die großen Symphonien denken, die Kunstwerke und andere großartige Schöpfungen des Menschen. Ohne zu vergessen, dass sie von Sklaverei, Verfolgung, dem Holocaust und vielem anderen Leiden begleitet wurden.
Nicht nur unser Leben, auch unser Denken beruht auf einer verlässlichen Natur. Was passiert in unserem Kopf, wenn diese Verlässlichkeit dahin ist?
Das müssen Sie jemanden fragen, der intelligenter ist als ich. Als Historiker ist meine Aufgabe, zu erzählen, (deutsch) „wie es eigentlich gewesen ist“, deutlich zu machen, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Klarzumachen, dass das sechste großes Artensterben nicht nur bevorsteht, sondern wir eventuell schon mitten darin sind. Dass wir vor dramatischen Kipppunkten stehen, mit denen alles, was in den letzten 10 000 Jahren normal war, vorbei sein könnte. Die Welt ist so warm wie seit 25 000 Jahren nicht, die CO2-Konzentration ist höher als in den letzten zwei Millionen Jahren. Wie kamen wir vom Garten Eden zu einer Welt, die unsere Vorfahren nicht wiedererkennen würden? Wir sind die Architekten unseres eigenen Unglücks.
Seltsam, dass jeder von uns einen so machtvollen Selbsterhaltungsinstinkt besitzt, dass der Menschheit dieser Instinkt aber völlig fehlt.
Mich lassen viele Dinge nachts wach liegen, mehr noch als der Klimawandel: die Gefahr einer nuklearen Eskalation, Vulkanausbrüche, Pandemien, die schlimmer sein werden als Covid 19. Aber eines ist klar: Wir leben in einer fragmentierten Welt. Wir Europäer sollten darüber nachdenken, wie wir unseren Mitmenschen jetzt helfen können. Ihnen später zu helfen, wird schwieriger und teurer sein. Das erste, was wir machen können, ist aufzuhören mit der Verschwendung. Das scheint mir nicht schwer, denn Verschwendung mag eigentlich niemand. Wussten Sie, dass für die Herstellung einer Jeans 7500 Liter Wasser nötig sind, soviel wie ein Mensch in sieben Jahren trinkt? Seit ich es weiß, habe ich mir nichts mehr zum Anziehen gekauft.
Sie wirken trotz allem doch auch vorsichtig optimistisch.
Man sollte die Erfindungskraft unserer Gattung nie unterschätzen. Aber wir müssen hoffen, dass wir das Gute im Menschen bekommen, nicht das Monster. Das Monster erscheint oft in der Geschichte. Wir sollten uns auf auf unsere Triumphe, auf unsere Überlebensfähigkeit konzentrieren.
Peter Frankopan, geboren 1971, lehrt Globalgeschichte in Oxford. Er hat zur Geschichte des byzantinischen Reichs geforscht. Bekannt wurde er als Autor mehrerer Geschichts-Bestseller zur Seidenstraße und zu den Kreuzzügen. Foto: Imago
„Es gab in allen Zivilisationen ein Bewusstsein, dass das Überleben in Gefahr ist, wenn man die Natur nicht achtet.“ Erdrutsch in Petropolis, Brasilien, 2022.
Foto: Florian Plaucheur/AFP
Peter Frankopan:
Zwischen Erde
und Himmel. Eine Menschheitsgeschichte. Rowohlt Berlin, 2023. 1024 Seiten, 44 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Architekten unseres
eigenen Unglücks“
Der Historiker Peter Frankopan über
Imperien, Klima-Sündenböcke, Verschwendung
–
und die Frage, warum die Menschen denken, sie
könnten mit den natürlichen Ressourcen
tun, was sie wollen
INTERVIEW: JÖRG HÄNTZSCHEL
Peter Frankopan lehrt in Oxford Geschichte, aber mit seinem neuesten Buch, „Zwischen Erde und Himmel“ bewegt er sich jenseits der konventionellen Grenzen seiner Disziplin. Nicht Könige und Feldherren sind die Protagonisten, sondern das Klima, das nach Frankopans Ansicht die Geschicke der Menschheit viel stärker beeinflusste als bisher angenommen – und das nun vom Menschen verändert wird wie nie zuvor. Mit ungewissem Ausgang.
SZ: Das Klima galt früher oft als etwas wie die Tapete der Geschichte, bloßer Hintergrund. Sie schreiben, sein Einfluss sei viel bedeutender gewesen.
Peter Frankopan: Zunächst einmal ging es mir darum, die Menschheitsgeschichte in unserer natürlichen Umwelt zu verorten. Wir müssen uns darüber klar werden, dass der Mensch ein biologischer Organismus ist. Der zweite Punkt: Viele meiner Kollegen schreiben über römische Kaiser oder die dramatischen Existenzen der Reichen und Berühmten. Ich interessiere mich mehr dafür, was die Leute essen, welche Kleider sie tragen und woraus die Kleider gemacht sind. Nehmen sie die Caracala-Thermen in Rom, die täglich Tausende besuchten. Die Bäder wurden mit Holz beheizt. Was passierte also mit den Wäldern in Italien? Meistens waren die Menschen dumm, holzten alles ab. Das machen wir bis heute. Wir denken anders über Imperien, wenn wir auch an die Ökologie denken.
Sogar der Antisemitismus war teils eine Folge des Klimas.
Wenn die Ressourcen durch niedrige Temperaturen und schlechte Ernten rar werden, wird ein Schuldiger gesucht. Oft sind das Leute, die anders aussehen, andere Religionen praktizieren, andere Sprachen sprechen, andere Kleider tragen. Das ist im 21. Jahrhundert nicht anders.
Viele der Ereignisse, die Sie beschreiben, sind erst seit jüngster Zeit belegbar.
Historiker haben bisher vor allem nachgelesen, was in der Vergangenheit passiert ist, und dann Verbindungen zu Archäologie und Kunst hergestellt. Das ändert sich gerade, dank neuer Methoden, die neue Erkenntnisse erlauben. Die nächste Generation von Historikern wird auch naturwissenschaftliche Verfahren beherrschen. Zu dem neuen Material gehören Klimadaten. Bohrkerne aus den Gletschern Europas, aus Grönland oder der Antarktis enthalten Informationen über die atmosphärischen Bedingungen von vor Tausenden von Jahren. Versteinerte Pollen verraten uns, ob die Menschen Landwirtschaft betrieben haben. DNA-Analyse erlaubt ganz neue Einsichten über die Verbreitung von Epidemien wie der Pest.
Dennoch: Warum hat man das Klima bislang nicht ernster genommen?
Vielleicht hat man den Klimahistorikern nur nicht zugehört. Geschichte wurde eben anders gelehrt. Aber vor 200 Jahren waren die Menschen besessen vom Klima. Thomas Jefferson zum Beispiel fürchtete, dass menschliche Eingriffe in die Landschaft das Klima verändern würden. Deshalb zeichnete er die Wetterdaten über Jahrzehnte hin auf. Am Morgen der Unabhängigkeitserklärung kaufte er sich in einem Laden in Philadelphia ein neues Thermometer. Schon Hesiod warnte davor, die Umwelt zu verschmutzen. Die Frage ist, warum wir in den letzten 100 Jahren dachten, wir könnten das Klima beherrschen. Totalitäre Regime wie die von Mao oder Stalin sind berüchtigt für ihre Vorstellungen, sie könnten die Natur umbauen. Aber auch überall sonst bildeten sich die Menschen ein, sie könnten mit den natürlichen Ressourcen tun, was sie wollten.
Das ist die bittere Ironie: Wir wollten die Natur beherrschen und haben sie damit erst wirklich unbeherrschbar gemacht. Fiel es den Menschen auch früher so schwer, die Folgen ihres Umgangs mit der Welt zu verstehen?
Es gab in allen Zivilisationen ein Bewusstsein, dass das Überleben in Gefahr ist, wenn man die Natur nicht achtet. Das ist die Geschichte des Gartens Eden. Adam und Eva lebten in Harmonie mit der Natur. Dann missachten sie Gottes Befehl, indem sie die Frucht vom Baum der Erkenntnis essen, und fortan müssen die Menschen mit Staub, Unkraut und Dornen leben und Angst haben. Von der Sintflut ist nicht nur in der Bibel die Rede, auch in der Torah, im Koran, in sumerischen, mesopotamischen und ägyptischen Texten. Diese Geschichten warnen nicht nur vor Gott, sondern auch vor einer Natur, die sich gegen uns wenden kann, vor der Auslöschung der Menschheit. Die gute Nachricht ist: Es gibt uns noch, wir haben immer noch lange Lebenserwartungen, die letzten 20, 30 Jahre waren gut für die meisten Menschen. Aber wenn du zu viel ausgibst und es nicht zurückzahlen kannst, können die Folgen sehr schmerzhaft sein.
Warum waren trotz dieser Warnungen Christen und Europäer die größten Umweltzerstörer?
Ob in China oder in Indien, in jedem Winkel der Erde sehen Sie ökologische Verwüstung. Wir waren in Europa nur früher dran mit der Industrialisierung, waren die ersten, die Kohle verbrannt haben. Nein, das Problem ist unsere Spezies. Der Mensch verhält sich sehr ungewöhnlich. Tiere essen nicht mehr als sie benötigen und gehen dann ins Gym, um wieder dünn zu werden. Lynn White schreibt, die judeo-christliche Tradition sei besonders schlimm, Susan Sontag sagt, Europäer seien der Krebs. Ich glaube, Imperien sind der Krebs. Imperien ging es immer darum, Ressourcen ins Zentrum zu bringen, ohne Rücksicht auf Folgen für die Menschen an der Peripherie.
Können wir vom heutigen Klima so sprechen wie vom Klima im 12. Jahrhundert? Schließlich sind Dürren oder Stürme keine rein natürlichen Phänomene mehr.
Der menschliche Einfluss ist spürbar seit dem Beginn der Industrialisierung, aber die große Beschleunigung fand erst in den letzen 30 Jahren statt. Das Ende des Kalten Kriegs, die Öffnung Chinas haben den Verbrauch von Ressourcen in einem nie dagewesene Ausmaß befeuert. Die Menschheit hat 50 Prozent aller je verbrannten fossilen Energien in den letzten 30 Jahren verbrannt. Aber wo ziehen wir die Grenze zwischen natürlichem und menschlichem Einfluss? Die Wissenschaft ist uneins. Die Anthropocene Working Group, die den Beginn des Anthropozäns nachweist, datiert den Beginn des neuen Erdzeitalters auf die Mitte des 20. Jahrhunderts. Manche Historiker plädieren für ein Datum um 1750. Und dann gibt es Kollegen, denen der Begriff Anthropozän missfällt, weil er unterstellt, dass die Menschen der wichtigste Organismus des Planeten ist, nicht das Plankton oder der Regenwald des Amazons.
Gerät in Ihrer Geschichte dramatischer Klimaereignisse nicht die Tatsache aus dem Blick, dass das Holozän klimatisch ungewöhnlich stabil war und dass dieses stabile System nun zu kollabieren droht?
Wenn Sie Pessimist sind, ist die Menschheitsgeschichte eine Geschichte des Versagens, eine Geschichte von Imperien, die unfähig sind, auf Krisen zu reagieren. Wenn das Glas für Sie halb voll ist, sehen Sie eine erstaunliche Resilienz der Menschheit gegenüber Katastrophen, ob natürlich oder menschengemacht. Wahrscheinlich ist die zweite Perspektive die lohnendere. Wir sollten an die großen Symphonien denken, die Kunstwerke und andere großartige Schöpfungen des Menschen. Ohne zu vergessen, dass sie von Sklaverei, Verfolgung, dem Holocaust und vielem anderen Leiden begleitet wurden.
Nicht nur unser Leben, auch unser Denken beruht auf einer verlässlichen Natur. Was passiert in unserem Kopf, wenn diese Verlässlichkeit dahin ist?
Das müssen Sie jemanden fragen, der intelligenter ist als ich. Als Historiker ist meine Aufgabe, zu erzählen, (deutsch) „wie es eigentlich gewesen ist“, deutlich zu machen, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Klarzumachen, dass das sechste großes Artensterben nicht nur bevorsteht, sondern wir eventuell schon mitten darin sind. Dass wir vor dramatischen Kipppunkten stehen, mit denen alles, was in den letzten 10 000 Jahren normal war, vorbei sein könnte. Die Welt ist so warm wie seit 25 000 Jahren nicht, die CO2-Konzentration ist höher als in den letzten zwei Millionen Jahren. Wie kamen wir vom Garten Eden zu einer Welt, die unsere Vorfahren nicht wiedererkennen würden? Wir sind die Architekten unseres eigenen Unglücks.
Seltsam, dass jeder von uns einen so machtvollen Selbsterhaltungsinstinkt besitzt, dass der Menschheit dieser Instinkt aber völlig fehlt.
Mich lassen viele Dinge nachts wach liegen, mehr noch als der Klimawandel: die Gefahr einer nuklearen Eskalation, Vulkanausbrüche, Pandemien, die schlimmer sein werden als Covid 19. Aber eines ist klar: Wir leben in einer fragmentierten Welt. Wir Europäer sollten darüber nachdenken, wie wir unseren Mitmenschen jetzt helfen können. Ihnen später zu helfen, wird schwieriger und teurer sein. Das erste, was wir machen können, ist aufzuhören mit der Verschwendung. Das scheint mir nicht schwer, denn Verschwendung mag eigentlich niemand. Wussten Sie, dass für die Herstellung einer Jeans 7500 Liter Wasser nötig sind, soviel wie ein Mensch in sieben Jahren trinkt? Seit ich es weiß, habe ich mir nichts mehr zum Anziehen gekauft.
Sie wirken trotz allem doch auch vorsichtig optimistisch.
Man sollte die Erfindungskraft unserer Gattung nie unterschätzen. Aber wir müssen hoffen, dass wir das Gute im Menschen bekommen, nicht das Monster. Das Monster erscheint oft in der Geschichte. Wir sollten uns auf auf unsere Triumphe, auf unsere Überlebensfähigkeit konzentrieren.
Peter Frankopan, geboren 1971, lehrt Globalgeschichte in Oxford. Er hat zur Geschichte des byzantinischen Reichs geforscht. Bekannt wurde er als Autor mehrerer Geschichts-Bestseller zur Seidenstraße und zu den Kreuzzügen. Foto: Imago
„Es gab in allen Zivilisationen ein Bewusstsein, dass das Überleben in Gefahr ist, wenn man die Natur nicht achtet.“ Erdrutsch in Petropolis, Brasilien, 2022.
Foto: Florian Plaucheur/AFP
Peter Frankopan:
Zwischen Erde
und Himmel. Eine Menschheitsgeschichte. Rowohlt Berlin, 2023. 1024 Seiten, 44 Euro.
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