Das Gesetz des Handelns
„Zwischen euch verschwinden“ von Gudrun Lerchbaum ist kein 0815 Whodunit-Kriminalroman, sondern die packende Geschichte einer Frau, die durch Verkettung unglücklicher Umstände, auch durch diverse Todesfälle, in immer mehr Abhängigkeit, Illegalität und Unterdrückung
gerät.
Bereits das Cover mit diesem undeutlichen Frauengesicht assoziiert das Verwaschene einer…mehrDas Gesetz des Handelns
„Zwischen euch verschwinden“ von Gudrun Lerchbaum ist kein 0815 Whodunit-Kriminalroman, sondern die packende Geschichte einer Frau, die durch Verkettung unglücklicher Umstände, auch durch diverse Todesfälle, in immer mehr Abhängigkeit, Illegalität und Unterdrückung gerät.
Bereits das Cover mit diesem undeutlichen Frauengesicht assoziiert das Verwaschene einer Existenz. Das Buch erschien 2023 und spielt in der Gegenwart. Das Buch gliedert sich in Teil eins, Marias Zeit als Kellnerin, und Teil zwei als Pflegerin. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Die detaillierten Beschreibungen des Umfelds erzeugen anschauliche Bilder im Kopf und machen Stimmungen nachempfindbar.
Man ist von der ersten Seite an mitten im Geschehen, versucht Marias Reaktionen und Handlungen nachzuvollziehen, was mir nicht von Anfang an gelang. Man spürt deutlich das bedrückende Ambiente, die Einengung, unter der sie zu Lebzeiten der Mutter litt. Als niemand mehr da ist, der Entscheidungen fällt, überfordert sie die plötzliche Freiheit. Verunsichert ergreift sie die Flucht. Schwer verständlich anfangs. Doch je länger ich Marias Werdegang mit verfolgte, desto klarer wurde mir ihr Charakter. Die Wesenszüge eines Menschen, dem es völlig an Selbstwertgefühl fehlt. Maria wurde immer bevormundet, von dominanten Menschen unterdrückt, von den Eltern, dem Ex-Mann. Das hat sie geprägt und führt dazu, dass sie immer wieder in prekäre Situationen, in Abhängigkeit gerät, immer von Neuem ausgenutzt wird, zu einem leichten Opfer wird, als Schwarzarbeiterin, als Pflegekraft.
Normalerweise ist es für mich wichtig, mich mit einer Figur des Romans identifizieren zu können. Das gelang mir bei Maria nicht, zu kontrovers waren ihre Aktionen. Aber sie war mir von Beginn an sympathisch. Sie tat mir leid, wie sie jeweils vom Regen in die Traufe schlitterte, scheinbar chancenlos, aus diesem Tief jemals herauszukommen. Marias Gedanken geben tiefe Einblicke in ihre Psyche, ihre Hilflosigkeit, ihre Wut. Viel zu lange verhält sie sich zu passiv, zu lange nimmt sie alles schweigend hin. Dennoch, Maria lernt dazu, Maria lernt sich zu wehren, lernt sich mehr und mehr durchzusetzen, lernt, ihre Position zu verbessern. Jede Begegnung mit Menschen, ob diese ihr wohlgesinnt sind oder ihr Böses wollen, trägt zu ihrer Entwicklung bei. Maria erkennt, wie sie es nennt, das Gesetz des Handelns. Von Seite zu Seite wünschte ich ihr ein besseres Leben, ein bisschen Glück. Der dramatische Showdown führt zu einer überraschenden Wende und lässt hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Abgesehen von dem Schicksal der Protagonistin, das einem unmittelbar packt, weil man mit ihr leidet und dieselbe Wut gegen all jene spürt, die sie ausnutzen, bedrängen und attackieren, ist es die Kernthematik des Romans, die einen nachdenklich stimmt. Maria steht stellvertretend für Tausende und Abertausende Menschen, denen es tatsächlich so geht, ob mit der eigenen Identität oder wie Maria mit einer falschen. Illegale Arbeitskräfte, in Privathaushalten agierende Pflegekräfte, ich denke, da gibt es viele, die ebenso schamlos ausgenutzt, diskriminiert und unterdrückt werden.
„Zwischen euch verschwinden“ ist ein Buch, das man gelesen haben sollte. Von mir eine eindeutige Leseempfehlung mit 5 Sternen.