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Die "Soziale Marktwirtschaft", die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, hat seit ihrer Einführung 1949 zu Wohlstand und sozialer Sicherheit geführt. Mittlerweile werden ihre Auswirkungen jedoch kritisch hinterfragt.
Grund genug, nach den ursprünglichen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft zu fragen. Ihre Prinzipien wurden schon 1942/43 in der "Freiburger Denkschrift", einem Dokument der Bekennenden Kirche und des deutschen Widerstands, niedergelegt. Autoren waren führende Ökonomen wie Walter Eucken, Constantin von Dietze und Adolf Lampe.
Die vorliegende Arbeit analysiert
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Produktbeschreibung
Die "Soziale Marktwirtschaft", die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland, hat seit ihrer Einführung 1949 zu Wohlstand und sozialer Sicherheit geführt. Mittlerweile werden ihre Auswirkungen jedoch kritisch hinterfragt.

Grund genug, nach den ursprünglichen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft zu fragen. Ihre Prinzipien wurden schon 1942/43 in der "Freiburger Denkschrift", einem Dokument der Bekennenden Kirche und des deutschen Widerstands, niedergelegt. Autoren waren führende Ökonomen wie Walter Eucken, Constantin von Dietze und Adolf Lampe.

Die vorliegende Arbeit analysiert erstmals diesen Schlüsseltext der Sozialen Marktwirtschaft, stellt die Autoren vor und geht der Frage nach, ob die Soziale Marktwirtschaft ohne ihren christlichen Hintergrund überhaupt zu verstehen ist.
Autorenporträt
Dr. Stephan Holthaus lehrt Christliche Ethik an der Freien Theologischen Hochschule Gießen und ist Direktor des Instituts für Ethik & Werte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2015

Macht gegen die Sünde
Eine Untersuchung der Freiburger Denkschrift

Die "Freiburger Schule" bleibt ein Faszinosum. Die Erinnerung an den Ökonomen Walter Eucken (1891 bis 1950), den Juristen Franz Böhm (1895 bis 1977) und ihre ordoliberalen Mitstreiter ist bis heute von Verehrung getragen. Sie werden wegen ihres Engagements im Widerstand gegen das NS-Regime bewundert und als Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft gepriesen. Und als es nach der globalen Finanzkrise von 2008 in der öffentlichen Debatte darum ging, den "Kapitalismus" einzuhegen, hatte der "Dritte Weg" der Freiburger wieder Konjunktur.

Dabei blieb der geistesgeschichtliche Boden unergründet, auf dem dieses Konzept entstand - obwohl gerade dies für die Frage, ob und inwieweit es heute noch zu überzeugen vermag, von größter Bedeutung ist. Umso wertvoller ist es, dass Stephan Holthaus, Professor für Christliche Ethik und Apologetik mit Schwerpunkt Wirtschaftsethik in Gießen, mit feinem Kamm über die berühmte "Freiburger Denkschrift" geht, ein Geheimdokument des akademischen Widerstandes über den Entwurf einer Nachkriegsordnung für Deutschland.

"Politische Gemeinschaftsordnung: ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit" - so lautet die Überschrift des 1943 abgeschlossenen Papiers, das auf Initiative des evangelischen Pfarrers Dietrich Bonhoeffer und in enger Bindung an die "Bekennende Kirche" zustande kam. Es handelt sich mithin um ein zwar zutiefst religiös motiviertes, nicht aber theologisches Werk. Als die Gestapo nach dem Attentat Graf Stauffenbergs auf Hitler am 20. Juli 1944 ein Exemplar der Denkschrift entdeckte, wurden die meisten Beteiligten verhaftet, etliche gefoltert, einige hingerichtet. Es ist ein Rätsel, warum Eucken, der mit einer Jüdin verheiratet war, der Verhaftung entging.

In seiner übersichtlich gegliederten, sehr reichhaltigen und gut lesbaren Abhandlung stellt Holthaus die einzelnen Beteiligten, ihr wissenschaftliches OEuvre und ihren religiösen Werdegang vor, arbeitet den jeweiligen Einfluss auf verschiedene Passagen der Denkschrift heraus, erklärt die inhaltlichen Spannungen innerhalb der Gruppe und stellt das Ganze in den Kontext des theologischen wie des ökonomischen Denkens der Zeit. Er beleuchtet die Vorläufer im ordnungstheoretischen Denken, in der christlichen Soziallehre und im Widerstand ebenso wie die sich anschließende Rezeption und politische Wirkung.

Die "Anlage 4" zur Denkschrift, hauptsächlich verfasst von den Ökonomen Constantin von Dietze, Walter Eucken und Adolf Lampe, enthält "Richtschnuren und Verbote, die sich nach unserem Glauben aus Gottes Wort für die Wirtschaft und ihre Ordnung ergeben". Mit ihrer ethischen Begründung der Wettbewerbsordnung gilt sie als Schlüsseltext für die spätere Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik. Auf sie konzentriert sich der Autor, obgleich er auch die anderen Anlagen einer zwar knapperen, aber ebenfalls differenzierten Analyse und Einordnung unterzieht, insbesondere die hochnotpeinliche "Anlage 5" zur "Judenfrage".

Holthaus fördert eine Menge Ambivalenzen zutage, die womöglich auch erklären, weshalb es jenseits eines oberflächlichen Bekenntnisses zur Sozialen Marktwirtschaft aus heutiger Sicht nicht für jedermann ganz einfach ist, an das Denken der Freiburger Wissenschaftler anzuschließen. Das beginnt schon mit der hochtönenden - ordnungsethische und individualethische Perspektiven verquickenden - Forderung, eine christlich begründete Wirtschaftspolitik müsse eine Ordnung entwickeln, die "den denkbar stärksten Widerstand gegen die Macht der Sünde ermöglicht".

Die Sünde kommt hier nicht erst durch den totalitären Staat ins Spiel; jeder Mensch ist Sünder. Die staatliche Ordnung soll nicht nur die gesellschaftliche Koordination freiheitlich und ergebnisoffen ermöglichen; der "starke Staat" steht, obschon Menschenwerk, unter dem Anspruch, "als sittliche Ordnungsmacht" den Menschen ob dessen Sündhaftigkeit einzuhegen. Individuelle Freiheit gehöre "zuchtvoll gebändigt und eingefügt in den Rahmen einer festen und streng überwachten Gesamtordnung", heißt es. Diese Gesamtordnung gerät zu einer von Pessimismus getragenen Ordnung der Abwehr, der Neutralisierung des Bösen. Deshalb unterliegt das Privateigentum einem Gemeinwohlvorbehalt; deshalb betonen die Freiburger unentwegt die "sittlichen Gegenwirkungen gegen den Privategoismus", welcher die Wirtschaftsordnung bedürfe.

Typisch für die Zeit ist auch das mit viel Pathos vorgetragene Lamento der Freiburger über das "völlig entseelte technisierte Massenmenschentum" und die Säkularisierung. Holthaus weist zudem auf ihr "rückwärtsgerichtetes Geschichtsbewusstsein mit seiner Idealisierung des ,christlichen Abendlands'" hin, auf den fehlenden Zugang zur parlamentarischen Demokratie und ihre elitäre Sehnsucht nach einer "Notabelnschicht der politisch Einsichtigen und sittlich Zuverlässigen". Problematisch ist auch das - letztlich erfolglose - Bemühen der durchwegs protestantischen Denker, durch das Konzept der "Schöpfungsordnung" Ersatz für die katholische Naturrechtslehre zu finden, die in ihrer Unbestimmtheit zu Missbrauch einlädt und sich so dann aber auch bei ihnen hinterrücks doch wieder einschleicht.

Das vielleicht wichtigste Verdienst von Holthaus besteht darin, dass er dieses Suchen und Ringen der Freiburger Verfasser der Denkschrift vor Augen führt und erkennen lässt, dass darin durchaus nicht nur eine Schwäche liegt. Zwar haben sich die Begriffswelten seit den vierziger Jahren verändert, viele Kategorien sind inzwischen klarer gefasst. Dennoch sind Ambivalenzen, Widersprüche und Reibungen heute wie damals Teil einer Wahrheit, in der es kein Schwarzweiß gibt, sondern nur die Notwendigkeit des immer neuen Ausbalancierens. Dem Staat zu misstrauen kann nicht bedeuten, ihm gar keine Aufgabe mehr zu übertragen; eine gute Ordnung zu entwickeln - entlässt den Einzelnen nicht aus der moralischen Pflicht.

KAREN HORN

Stephan Holthaus: Zwischen Gewissen und Gewinn - Die Wirtschafts- und Sozialordnung der "Freiburger Denkschrift" und die Anfänge der Sozialen Marktwirtschaft. Lit-Verlag, Berlin 2015, 311 Seiten, 29,90 Euro

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