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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Stadt, Planung, Geschichte
  • Verlag: Springer, Basel
  • Seitenzahl: 340
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 806g
  • ISBN-13: 9783764352196
  • Artikelnr.: 26290076
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.1996

Die Ideologie kapituliert vor der Großstadt
Kompetenzwirrwarr und verstohlene Modernisierung: Tilman Harlander untersucht den Wohnungsbau im Nationalsozialismus

Die adrett gereihten Eigenheime, in norddeutschem Ziegel oder alpenländischem Kratzputz, mit Satteldach und Holzfensterladen, haben die Vorstellung vom Wohnungsbau im Nationalsozialismus geprägt, damals und noch lange danach. Im Vorgarten blühten die Sonnenblumen, hinterm Haus sorgten Kohlbeete für Nahrung in dürftiger Zeit. Daß sich in den späteren dreißiger Jahren und erst recht nach den Zerstörungen des Luftkriegs Normierung und Industrialisierung des Bauens im Denken der Planer durchsetzten, fand keinen Eingang mehr in die opulenten Bilderbücher des Dritten Reiches. Der beabsichtigte Massenwohnungsbau hätte schwerlich zur Polemik gegen die "kunstvernichtende Unkultur des liberalistischen Zeitalters" und zum geforderten "deutschen Kulturempfinden" gepaßt.

Daß auch der nationalsozialistische Wohnungsbau jenem Modernisierungsprozeß unterlag, ohne den im Dritten Reich weder die Rüstungswirtschaft noch die Vernichtungslager möglich gewesen wären, hat die Forschung nachgetragen. Es gehört längst genauso zum gesicherten Wissen wie die quantitativ bescheidenen Ergebnisse des Wohnungsbaus oder das Kompetenzchaos der Planungsagenturen. Mit Wohnungsbau waren in der ständigen Dualität von Staat und Partei einerseits das Reichsarbeitsministerium, andererseits die Deutsche Arbeitsfront mit ihrem Reichsheimstättenamt befaßt. Aber auch die Gauleiter, die einzelnen Waffengattungen, der "Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft" Albert Speer, der Landwirtschafts- und der Finanzminister mischten mit. Von Gleichschaltung konnte keine Rede sein.

Der Wildwuchs konkurrierender Instanzen entsprach dem Ehrgeiz der Protagonisten und wurde als Mittel der Herrschaftskontrolle geduldet. Ob er im Wohnungsbau auch wirklich gewollt war, ist angesichts der scharfen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitsministerium und Arbeitsfront zu bezweifeln. Die "große Harmonie des neuen Reiches", den "einheitlichen Kulturwillen" gab es nur in den Darstellungen der Propaganda. Ihr allerdings gelang es, wie Tilman Harlander anmerkt, sogar entscheidende Kurskorrekturen des Regimes zu verschleiern oder erst mit großer Verspätung zuzugeben. So kamen die frühzeitige Kaltstellung des Reichskommissars für das Siedlungswesen Gottfried Feder und die Abkehr von seinem Programm der Großstadtfeindschaft und Dezentralisierung der Öffentlichkeit kaum zu Bewußtsein.

Im großen und ganzen haben die Bau-und Planungshistoriker ein einigermaßen übereinstimmendes Bild entwickelt. Die Konkurrenz der Instanzen, die Widersprüche in Programm und Ästhetik, der Modernisierungsschub sind in der Literatur oftmals dargestellt worden, am wirksamsten für ein größeres Publikum bei Werner Durth, Winfried Nerdinger und Wolfgang Schäche. Jetzt ist Detailarbeit geboten. Harlander hat sich für seine umfangreiche Studie zur Wohnungspolitik des Nationalsozialismus, mit der er sich in Aachen habilitierte, im Koblenzer Bundesarchiv tief in das Aktenstudium versenkt. Die Arbeit an den Einzelheiten entspricht der Forschungslage. Aber sie ist auch dem widerspruchsreichen Sujet angemessen, dem nur mit Nuancengenauigkeit beizukommen ist. Den Winkelzügen der Organisationen, der Fluktuation ihrer Zuständigkeiten, ihren unablässig produzierten Gesetzen und Erlassen bringt der Autor ein geduldiges Interesse entgegen, das gewöhnliche Leser der Lektüre von Kriminalromanen reservieren.

Als eine Zentralfigur der nationalsozialistischen Wohnungspolitik hat Harlander den Chef der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley ausgemacht, der seine DAF und ihren Freizeitkonzern "Kraft durch Freude" zu einem Wirtschaftsimperium ausbaute. Ley war alter Kämpfer, ehrgeizig, ordinär, fanatisch, dem Alkohol zugetan, ein korrupter Schwadronierer. Harlander baut ihn in seinem Buch zum Gegenspieler des distinguierten, flexiblen Speer auf. Hitler deckte seinen Paladin, aber das Interesse des "Führers" an Architektur reichte nicht bis zum profanen Wohnungs- und Siedlungsbau. Ungestört von Interventionen Hitlers konnte sich Ley so der Erweiterung seiner Kompetenzen widmen.

Natürlich stellt sich auch in diesem Buch die Frage der Kontinuität. Auch Harlander verabschiedet die Vorstellung radikaler Umbrüche und Neuanfänge. Zusammenhänge reichen über den Wechsel der politischen Systeme hinweg. Die Kontinuität in Richtung Bundesrepublik interessiert ihn weniger; sie ist bereits bei Durth kompetent dargestellt. Die Kontinuität zur Weimarer Republik sieht Harlander vor allem zu den Jahren nach 1930, als der Reformwohnungsbau der zwanziger Jahre mit seinen staatlichen Subventionen, seiner Bereitschaft zu Experimenten und seinem egalitären Denken der Weltwirtschaftskrise und der Brüningschen Deflationspolitik zum Opfer gefallen war. Kleine Wohnungen am Stadtrand hieß nun die Devise.

Aber mit dem Aufbau neuer Industrien, hauptsächlich von Rüstungsbetrieben, gerieten nach der Mitte der dreißiger Jahre ganze Städte wie Wolfsburg oder Salzgitter auf die Zeichentische der Planer. Schon deshalb verbot es sich, die sozialromantische Fehde gegen die großen Städte weiterzuführen. Mit Siedlungshäuschen allein war kein Städtebau zu machen. Ley erscheint bei Harlander als ein Politiker, der auf Modernisierung setzte und "Volkswohnungen" so rationell herstellen wollte wie Volkswagen oder Volksempfänger.

Nach den ersten Erfolgen der "Blitzkriege" wurden Massenfertigung und Massenproduktion zu Planzielen für die Zeit nach dem Kriege. In diesem Ziel gab es Konsens mit Speer und dessen "Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte". Ernst Neufert, der Normierungsfachmann Speers und frühere Weggefährte von Walter Gropius, schlug eine Hausbaumaschine vor, der man die Baumaterialien vorne eingab, während sie hinten vierstöckige Hauszeilen ausspie. Alle Rationalisierungsträume der Weimarer Republik waren übertroffen. Es blieb freilich beim Programm. Die von Monat zu Monat desolatere Kriegssituation ließ nicht einmal die ausreichende Produktion von Behelfsheimen zu.

Die zahlreichen Kehrtwendungen in der Baupolitik, die Harlander nachzeichnet, enden in einer letzten, absurden Pointe: Kurz vor Kriegsende gingen NS-Politiker und Planer wie Ley auf Distanz zu den eigenen Rationalisierungsabsichten. Das Wohnungsproblem könne auch mit zwanzig Millionen zwangsrekrutierten ausländischen Arbeitern gelöst werden. Der einschlägige Aktenvermerk datiert vom 14. Februar 1945. Die Amerikaner standen am Rhein und die Russen an der Oder. WOLFGANG PEHNT

Tilman Harlander: "Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine". Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus. Birkhäuser Verlag, Basel/Berlin/Boston 1995. 344 S., 87 Abb., br., 86,- DM.

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