Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 1,00 €
  • Broschiertes Buch

Beim Anstehen um Molke lernt Malwida Meisenbug Herrn Holtei kennen. Dem passionierten Türklinkensammler gelingt es, in Malwida eine Leidenschaft zu wecken, die ihr die entbehrungsreiche Realität im Dresden der Nachkriegszeit ertragen hilft. Fürs Sammeln entbrannt, macht sie sich auf die Jagd nach alten Postkarten und begegnet dabei manch spannender Geschichte. Die sich erinnernde Augenzeugin Karla Schneider erzählt mit Witz und viel Gespür fürs Detail von einer Kindheit ohne Väter und Großväter.

Produktbeschreibung
Beim Anstehen um Molke lernt Malwida Meisenbug Herrn Holtei kennen. Dem passionierten Türklinkensammler gelingt es, in Malwida eine Leidenschaft zu wecken, die ihr die entbehrungsreiche Realität im Dresden der Nachkriegszeit ertragen hilft. Fürs Sammeln entbrannt, macht sie sich auf die Jagd nach alten Postkarten und begegnet dabei manch spannender Geschichte.
Die sich erinnernde Augenzeugin Karla Schneider erzählt mit Witz und viel Gespür fürs Detail von einer Kindheit ohne Väter und Großväter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Als das Pausenbrot noch einen echten Tauschwert hatte
Für Kinder von damals und heute: Karla Schneider erzählt von einer leidenschaftlichen Sammlerin

Der Trennstrich durch Karla Schneiders erzählerisches Werk war bisher klar gezogen: hier die elegante, luzide Prosa, gediegen schimmernd in ihrem Wortreichtum - dort, im Kinderbuchregal, die dickeren Bände für die Jüngeren: geradlinige, gehaltvolle Geschichten, die in freundlicher Spannung von Abenteuer und Aufbruch erzählen. Verglichen mit der feinen Leichtigkeit und Kühle des Stoffes, aus dem ihre anderen Erzählungen sind, wirken Karla Schneiders Kinderromane wie rote Wollpullover - warm und robust und ein bißchen kratzig.

Mit ihrem neuesten Roman ändert sich das. Der Trennstrich hat ausgesetzt, ein "Zwischen"-Buch ist an seiner Stelle erschienen, eine Kindheitserzählung, die sich laut Klappentext an Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen richtet. Solch ein Buch zwischen den Gattungen liegt ganz im Trend einer Zeit, in der die "Kinderbücher für Erwachsene" fast schon ein eigenes Regal in der Buchhandlung für sich beanspruchen könnten. Auch das inhaltliche Gerüst, eine Nachkriegskindheit in Dresden, paßt gut in diesen Rahmen. Hier lauert allerdings Gefahr: Es ist gut möglich, daß ein Autor, der sich mit einer Kindheitsgeschichte ausgerechnet an junge Leser wendet, damit nur dem nostalgisch gehätschelten Kind im lesenden Erwachsenen etwas zu sagen hat. Heikles Terrain also, auf das sich Karla Schneider begibt. Aber das ist für diese Autorin nichts Neues, und außerdem hat sie ihr Kindheitsbuch bereits geschrieben, klug und mit der nötigen Distanz: "Kor, der Engel", erschienen bei Haffmans 1992, ist dankenswerterweise gar kein Kinderbuch.

Manches, was den Erwachsenen dort berührt und erheitert haben mag, ist nun auch jüngeren Lesern zugänglich. Wir haben es in dem neuen Roman offensichtlich mit demselben kleinen Mädchen zu tun, das am Rande des zerbombten Dresden als vaterloses Einzelkind aufwächst, "zwischen Kloppe und Glück", wie es im Titel des Buches heißt. Karla Schneider hat nun eine neue, fortlaufende Geschichte aus dem großen Panoramabild des "Kor" komponiert und einige Miniaturen daraus wunderbar vergrößert. Vor allem aber hat sie zu einer schlichteren Sprache gefunden, ohne die Zwielichtigkeit und Kapriziosität dieses Kinderlebens zu verraten.

Das Glück der Malwida Meisenbug rührt zu großen Teilen aus ihrer Sammelleidenschaft, und auch die Kloppe kommt davon, letztlich. Daß sie überhaupt zur Sammlerin wird, daran hat Herr Holtei maßgeblichen Anteil, der alte Hagestolz, den sie beim Schlangestehen kennenlernt. Er ist auch für den ersten Satz des Buches verantwortlich: "Neun Jahre sind ein gutes Alter, um mit der ersten Sammlung zu beginnen." Wie praktisch, Malwida ist gerade neun, und sie beginnt. Sorgfältig wird das Objekt ihrer zukünftigen Begierde ausgewählt - Postkarten sollen es sein. Nicht lange danach sammelt sie so dringend und gierig, wie es ihr der erfahrene Herr Holtei vorausgesagt hat. Die "alten Meisenbugs" - das Doppelpack aus Mutter und Großmutter - tun die Sache als Albernheit ab; Zuckermarken hat man zu sammeln, damit man zu Ostern einen Kuchen backen kann. Ruppig und streng sind "Memmi" und "Babbel" oft in ihrer Erziehungsübermacht, aber ihre rauh-herzliche Liebe zu Malwida steht fest. Die ihrerseits ist Expertin im Herausschlagen gewisser Vorteile, im Schmeicheln, auch im Vertuschen.

Karla Schneider zeichnet ein so genaues Bild von diesem Drei-Frauen-Haushalt, daß dem Leser fast der dazugehörige Familiengeruch um die Nase weht. Sie spürt den selbstverständlichsten wie den entlegensten Empfindungen nach, ohne sie ans Licht zu zerren, und sie beschreibt Körpergefühle so, daß man sie wiedererkennt, ohne sie zu kennen: "Die Strumpfhalter am Leibchen baumelten lose unter ihrem Rock, und die Luft strich ihr um die nackten Beine, ein großartiges Gefühl." Kein falscher Ton verirrt sich in die Geschichte, dafür vieles aus dem Meisenbugschen Familienvokabular und, natürlich, die Wörter der fünfziger Jahre. Hier könnte auch der Stolperstein für Kinder liegen. Möglich, daß manche erst auf den Geschmack gebracht werden müssen wie Malwida, die sich anfangs nicht so gierig auf die aus der Westzone geschmuggelten Fressalien stürzt wie Mutter und Großmutter. Aber sie zögert nicht lange: "Kuck doch!" ruft ihre Mutter. "Kuck bloß, wie unser Küken schnabuliert. Jetzt ist sie auch auf den Trichter gekommen, was gut schmeckt."

Wichtiger als das Zeitkolorit, das diese Geschichte liebevoll ausmalt, ist die Tiefenschärfe ihrer Figuren, bis in die kleinste Nebenrolle hinein. Verschlagenheit, Verlogenheit, Erbarmen oder finstere Antipathie - vieles schimmert auf und wird unaufgelöst wieder verdeckt vom Lauf des Geschehens. Manches kann sich klammheimlich verändern, denn zwischen Kloppe und Glück hält das Leben viele Zwischentöne bereit. Es ist eine große Wohltat, wenn jemand die einmal ausspielt. MONIKA OSBERGHAUS

Karla Schneider: "Zwischen Kloppe und Glück oder Wer sammelt, hat mehr vom Leben". Beltz & Gelberg Verlag, Weinheim 1997. 315 S., geb., 29,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr