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Dieses Buch zeichnet den Weg zur deutschen Einheit in seinem ebenso spannenden wie spannungsreichen Wechselspiel zwischen Kreml und Kanzleramt nach - von Gorbatschows Bonn-Besuch im Juni 1989 über Flucht der DDR-Bürger, Fall der Mauer und 2 + 4-Prozeß bis hin zur Ratifizierung der Deutschlandverträge im Obersten Sowjet 1991. Auf den Spuren der sowjetischen Deutschlandpolitik dieser Jahre ist es dem Auto gelungen, das widersprüchliche und vielstimmige Auf und Ab der sowjetischen Entscheidungsfindung zu entwirren und jene Kreml-Türen einen guten Spalt zu öffnen, hinter denen das Schicksal der…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch zeichnet den Weg zur deutschen Einheit in seinem ebenso spannenden wie spannungsreichen Wechselspiel zwischen Kreml und Kanzleramt nach - von Gorbatschows Bonn-Besuch im Juni 1989 über Flucht der DDR-Bürger, Fall der Mauer und 2 + 4-Prozeß bis hin zur Ratifizierung der Deutschlandverträge im Obersten Sowjet 1991. Auf den Spuren der sowjetischen Deutschlandpolitik dieser Jahre ist es dem Auto gelungen, das widersprüchliche und vielstimmige Auf und Ab der sowjetischen Entscheidungsfindung zu entwirren und jene Kreml-Türen einen guten Spalt zu öffnen, hinter denen das Schicksal der Deutschen im Jahr der Einigung maßgeblich entschieden wurde. Das Buch stützt sich auf umfangreiche Forschungen und Gespräche mit Zeitzeugen vor allem in Moskau, Berlin und Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.1998

Als der Eckstein des Imperiums zerbröselte
Moskau, die Wiedervereinigung und Genschers seltsame Alleingänge / Eine gründliche Studie der russischen Machtlosigkeit

Rafael Biermann: Zwischen Kreml und Kanzleramt. Wie Moskau mit der deutschen Einheit rang. Studien zur Politik, Band 30. Herausgegeben im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1997. 799 Seiten, 88,- Mark.

Am Schluß geriet das Drama zur Farce: Kurz vor der Wiedervereinigung ersuchte Lothar de Maizières DDR-Regierung Moskau darum, den Freundschaftsvertrag von 1975 außer Kraft zu setzen. Am 2. Oktober 1990 lag das Ersuchen dem Obersten Sowjet vor. Zwei Tage lang stritten sich Perestrojka-Anhänger und Altkommunisten erbittert darüber. Am 4. Oktober setzte der zuständige Ausschuß den Vertrag endlich außer Kraft und datierte den Entschluß auf den 3. Oktober zurück, so Julij Kwizinskij, bis 1990 Botschafter in Bonn, "um sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben". Zur Ratifizierung des Zwei-plus-vier-Vertrages verstand sich der Oberste Sowjet erst März 1991. Außenminister Schewardnadse trat darüber im Zorn zurück. Rafael Biermann schließt daraus auf die Intensität Moskauer Widerstände gegen die Wiedervereinigung und auf die Leistung Michael Gorbatschows, der sie überwand. Ebenso naheliegend wäre der Schluß, daß es schlicht gleichgültig war, was Moskau tat oder nicht tat, unterschrieb oder nicht unterschrieb.

Nicht immer gewinnt Biermann - er ist jetzt Mitarbeiter im Planungsstab des Verteidigungsministeriums - genug Abstand von seinem Untersuchungsgegenstand, um zu erkennen, daß Moskau im Wiedervereinigungsjahr gar nicht wirklich Akteur war. Das ist kein Wunder, denn eigentlich wollte Biermann ein Buch schreiben über Moskauer Entscheidungsprozesse und darüber, warum Gorbatschow den Deutschen doch zugestand, was Moskau ihnen vierzig Jahre verweigert hatte. Herausgekommen ist dabei eine sehr gründliche Studie der Machtlosigkeit Moskaus: Seit dem Fall der Mauer entschied Moskau in Deutschland über nichts anderes mehr als allein darüber, ob es sich lächerlich machen wollte oder nicht. Gorbatschows engster Ratgeber Anatolij Tschernjajew gesteht: "Die Vereinigung Deutschlands . . . wäre sowieso zustande gekommen - ohne uns und uns zum Trotz." Wahrscheinlich hätte Moskau nicht einmal die Mitgliedschaft des vereinten Deutschland in der Nato verhindern können. Moskau sei außerstande, Deutschlands Vereinigung zu stoppen, rief Schewardnadse 1990 seinen Kritikern entgegen, "es sei denn mit Gewalt". Aber nicht einmal diese Wahl hatte Moskau noch. Denn seit der Jahreswende 1989/90 hätten russische Panzer, wenn überhaupt, nicht nur in Berlin, sondern gleichzeitig in Warschau, Prag, Budapest und Bukarest rollen müssen - von Wilna und Tiflis nicht zu reden.

Gorbatschow hatte die Lawine schon 1987 angestoßen mit seiner Parole von der "Freiheit der Wahl". Gemeint war, vielleicht zur Beruhigung der Perestrojka-Kritiker in Moskau, daß den "sozialistischen Bruderstaaten" die Perestrojka nicht aufgezwungen werden sollte. Die kommunistischen Regime sollten freie Hand haben, nicht die Völker. Als 1989 die Völker doch das Angebot testeten, konnte Gorbatschow, schon um seiner Perestrojka willen, schwerlich zur Breschnew-Doktrin zurück. Gorbatschow, kein Kenner deutscher Fragen, hat womöglich nicht deutlich genug gesehen, daß die DDR ein sehr künstliches Geschöpf Moskaus war - und Eckstein des sowjetischen Imperiums. Als er im Herbst 1989 seine Hand von ihr zurückzog, kam alles ins Rutschen.

Die Wiedervereinigung Deutschlands führten nun herbei: die Ungarn, die den Eckstein und das sowjetische Imperium loswerden wollten; die Ostdeutschen, die sich, einmal in Bewegung, nicht mehr aufhalten ließen; der Bundeskanzler, der genau wußte, was er wollte, und keine Gelegenheit ausließ, das Tempo zu beschleunigen; die Amerikaner, die das Unternehmen gegen die mißtrauischen Verbündeten in London und Paris sicherten. Gorbatschow, so Biermann, "war nicht der Agierende, sondern der Reagierende".

Zwei Ereignisse ragen auch aus Moskauer Sicht heraus: Bundeskanzler Kohls Zehn-Punkte-Plan und die Volkskammerwahlen in der vergehenden DDR. Der Kanzler kündigte die alte Ostpolitik und machte Bonner Wirtschaftshilfe von politischen und wirtschaftlichen Reformen - sprich: der Selbstaufgabe - der DDR abhängig. Gorbatschow hatte recht, wenn er das ein "Diktat" nannte. Dagegen unternehmen konnte er nichts: Die DDR war bankrott, um seine Perestrojka stand es nicht besser. Gorbatschow war bereits abhängig von Bonn.

Fast noch wichtiger waren die Volkskammerwahlen am 18. März. Es ist aufschlußreich, bei Biermann über Gorbatschows Kalkül zu lesen: Den Wahlsieg der SPD hatte auch Gorbatschow schon eingeplant. Die SED-PDS sollte dann mit der Ost-SPD koalieren. Gorbatschow zielte dabei auf Bonn. Er stützte seine Hoffnung auf Ibrahim Böhme und Oskar Lafontaine. Im Verein mit Lafontaine sollte Böhme - der Vorsitzende der Ost-SPD wurde alsbald als Stasi-Agent enttarnt - das Tempo bremsen und Moskau in die Hände spielen. Bei seinem Moskau-Besuch im Februar erfüllte Lafontaine sowjetische Erwartungen: Er lehnte öffentlich die Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato ab.

In der letzten Stunde der DDR griff Moskau also auf die Volksfront- und Parteiverschmelzungstaktik der ersten Stunde zurück. Und wie 1945 bis 1946 ging es um das ganze Deutschland. Aber ohne die Schergen der Sowjetischen Militäradministration und ohne die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen ging das Kalkül nicht auf. Der überwältigende Wahlsieg der CDU-geführten "Allianz für Deutschland" war Plebiszit für den kürzesten Weg zur Wiedervereinigung. Gegen das Bündnis des Kanzlers mit den Ostdeutschen - um nichts anderes handelte es sich - konnte weder Gorbatschow noch Lafontaine etwas ausrichten.

Unter den Umständen waren die Zwei-plus-vier-Verhandlungen, wie Kwizinski, selber kein Anhänger der Wiedervereinigung, es später formulierte, aus sowjetischer Sicht tatsächlich "von Anfang an eine verlorene Partie". Um so größere Rätsel gibt die Verhandlungsführung Außenminister Genschers auf. Biermann bemüht sich um Verständnis. Aber auch er kommt nicht umhin, zu berichten, wie Genscher eine westliche Verhandlungsposition nach der anderen aufgab, noch bevor die Verhandlungen darüber begonnen hatten: Am 25. Januar störte Genscher den Wiedervereinigungsplan des Kanzlers mit dem Vorschlag, die Zukunft Deutschlands auf der KSZE-Gipfelkonferenz zu verhandeln, ganz so, schreibt Biermann, "wie Moskau es wünschte". Sechs Tage später wollte er den Westen auf das Versprechen festlegen, daß es "eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten . . . nicht geben" würde. Genscher präjudizierte damit nicht nur die Sicherheit der DDR, sondern auch die der entstehenden Demokratien im zerfallenden Warschauer Pakt. Der Kanzler und die westlichen Verbündeten waren fassungslos. Am 5. Mai schlug Schewardnadse vor, die Verhandlungen über die äußeren Aspekte der Einheit von der Herstellung der inneren Einheit abzukoppeln: Moskau wollte nicht unter Zeitdruck verhandeln müssen. Genscher ließ sich den Vorschlag einleuchten.

Im Rückblick sieht das Auswärtige Amt ein, daß die Annahme des Entkopplungsvorschlags ein "großer Fehler" gewesen wäre. Kohl habe "untrügerischen Sinn für das richtige Timing" bewiesen, Genscher habe "gewackelt". Es sollte nicht das letzte Mal sein. Ohne von der Bundesregierung dazu autorisiert worden zu sein und wiederum bevor Moskau sich überhaupt geäußert hatte, bot er im Juni Schewardnadse an, die Stärke der Bundeswehr auf 280000 bis 300000 Mann zu begrenzen. In Bonn und gegenüber Washington behauptete er, Moskau wünsche eine Obergrenze von 250000 bis 300000 Mann. "Wie Genscher zu dieser Zahl kam", wundert sich Biermann nach gründlicher Recherche, "ließ sich nicht nachvollziehen." Tatsächlich akzeptierte Gorbatschow im Juli ohne Umstände Kohls erstes Verhandlungsangebot: 370000 Mann. Noch im Flugzeug nach Moskau, schreibt Biermann in einer Fußnote, hatte sich Genscher mit Verteidigungsminister Stoltenberg über die Bundeswehrstärke gestritten - und über die Wehrpflicht. Der Leser scheut die Schlußfolgerung, daß Genscher den Moskauer Verhandlungsgegner nur vorschob, um ein innenpolitisches Ziel zu realisieren - die Abschaffung der Wehrpflicht. "Ist es denn schlecht", fragte am 8. Juni die Prawda, "daß viele Vorstellungen Genschers uns nahe sind oder gar mit unseren übereinstimmen?" - Nicht unbedingt, aber erklärungsbedürftig ist es schon.

Eine positive Wirkung hatten Genschers Alleingänge doch: Sie beschleunigten die Kopfklärung in London und Paris, wo bald die Furcht vor den neutralistischen Tendenzen der Deutschen das Unbehagen an der Wiedervereinigung Deutschlands überwog. Wie noch in allen Berichten über die Wiedervereinigung stimmt auch in Biermanns Studie sehr nachdenklich, was man über die Haltung der westeuropäischen Verbündeten Bonns liest. Paris und London mühten sich nach Kräften, im Verein mit Moskau die Wiedervereinigung zu verhindern. Tatsächlich drohte Mitterrand Bonn sogar mit der Wiederkehr der französisch-britisch-russischen "Tripleentente" (Jacques Attali). Doch anders als zu Beginn des Jahrhunderts war 1990 ein europäisches Bündnis gegen Deutschland nicht möglich. Moskau war zu schwach, um Akteur zu sein, und Bonn hatte den stärksten Partner: Washington.

Biermanns Buch verlangt aufmerksame Leser, und die hat es auch verdient. HEINRICH MAETZKE

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