In kaum einem anderen europäischen Land sind Kirchen- und Landesgeschichte so eng verquickt wie in Russland; ohne die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche ist die russische Geschichte vieler Epochen nicht zu verstehen. Thomas Bremer beleuchtet in einem chronologischen Durchgang die Kirchengeschichte, aber auch das Verhältnis der russischen Kirche zum Staat und zum Westen, die Rolle des Mönchtums u. v. m. - ein spannendes und verständlich geschriebenes Kompendium.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2008Kremlkreuz
Thomas Bremer entdeckt die russische Orthodoxie
Als die Zaren noch von Moskau aus ihr Reich regierten, traf die Opposition "Kreuz und Kreml", wie der Buchtitel lautet, nicht zu. Zar und Patriarch residierten damals beide im Kreml und regierten der byzantinischen Theorie nach im Einvernehmen das Reich. Der Kreml verkörperte diese "Symphonie" von geistlicher und weltlicher Macht, doch das ist lange her. Nachdem Peter der Große die Hauptstadt nach St. Petersburg verlegt hatte, degradierte er 1721 die Kirche zu einer staatlichen Behörde. Lenin brachte die Machtzentrale zurück in den Kreml, die Kirche musste aber von dort weichen und wurde verfolgt. Erst seit dem Ende der Sowjetunion darf in den Kremlkirchen wieder die Göttliche Liturgie gefeiert werden, Staat und Kirche rücken fast wie einst eng zusammen.
Russland lässt sich ohne Kenntnis der orthodoxen Kirche kaum verstehen. Doch trotz ihrer abendländischen Wurzeln bleibt diese für westliche Betrachter oft fremd und geheimnisvoll. Diese Barriere versucht Thomas Bremer, der in Münster Ostkirchenkunde lehrt, abzubauen. Er hat deshalb keine chronologische Geschichte geschrieben, sondern eher eine allgemeine Einführung in die russische Orthodoxie. Auf knappem Raum durchmisst er die mehr als tausend Jahre von der Christianisierung bis zu Putin. Zur Sprache kommen die Verwaltungsstrukturen und das Verhältnis zu Staat, Mönchtum und Theologie; es geht um Spiritualität und Ikonenfrömmigkeit, um die spannungsreiche Beziehung zum Westen und zur ökumenischen Bewegung.
Bremer zeigt auf, dass die traditionelle Staatsnähe der Kirche die Herausbildung einer loyalen Haltung auch zum Sowjetstaat begünstigte. Heute mache die russische Orthodoxie den Wandel von einer imperialen zu einer nationalen Religion durch. Wenn die Russen sich heute mehrheitlich als orthodox bezeichnen, dann sei dies Ausdruck einer kulturellen Identität und nicht eines religiösen Bekenntnisses. Bremers Buch ist als erste Information zum Thema unbedingt zu empfehlen.
WOLFRAM VON SCHELIHA.
Thomas Bremer: "Kreuz und Kreml". Kleine Geschichte der orthodoxen Kirche in Russland. Herder Verlag, Freiburg 2007. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Bremer entdeckt die russische Orthodoxie
Als die Zaren noch von Moskau aus ihr Reich regierten, traf die Opposition "Kreuz und Kreml", wie der Buchtitel lautet, nicht zu. Zar und Patriarch residierten damals beide im Kreml und regierten der byzantinischen Theorie nach im Einvernehmen das Reich. Der Kreml verkörperte diese "Symphonie" von geistlicher und weltlicher Macht, doch das ist lange her. Nachdem Peter der Große die Hauptstadt nach St. Petersburg verlegt hatte, degradierte er 1721 die Kirche zu einer staatlichen Behörde. Lenin brachte die Machtzentrale zurück in den Kreml, die Kirche musste aber von dort weichen und wurde verfolgt. Erst seit dem Ende der Sowjetunion darf in den Kremlkirchen wieder die Göttliche Liturgie gefeiert werden, Staat und Kirche rücken fast wie einst eng zusammen.
Russland lässt sich ohne Kenntnis der orthodoxen Kirche kaum verstehen. Doch trotz ihrer abendländischen Wurzeln bleibt diese für westliche Betrachter oft fremd und geheimnisvoll. Diese Barriere versucht Thomas Bremer, der in Münster Ostkirchenkunde lehrt, abzubauen. Er hat deshalb keine chronologische Geschichte geschrieben, sondern eher eine allgemeine Einführung in die russische Orthodoxie. Auf knappem Raum durchmisst er die mehr als tausend Jahre von der Christianisierung bis zu Putin. Zur Sprache kommen die Verwaltungsstrukturen und das Verhältnis zu Staat, Mönchtum und Theologie; es geht um Spiritualität und Ikonenfrömmigkeit, um die spannungsreiche Beziehung zum Westen und zur ökumenischen Bewegung.
Bremer zeigt auf, dass die traditionelle Staatsnähe der Kirche die Herausbildung einer loyalen Haltung auch zum Sowjetstaat begünstigte. Heute mache die russische Orthodoxie den Wandel von einer imperialen zu einer nationalen Religion durch. Wenn die Russen sich heute mehrheitlich als orthodox bezeichnen, dann sei dies Ausdruck einer kulturellen Identität und nicht eines religiösen Bekenntnisses. Bremers Buch ist als erste Information zum Thema unbedingt zu empfehlen.
WOLFRAM VON SCHELIHA.
Thomas Bremer: "Kreuz und Kreml". Kleine Geschichte der orthodoxen Kirche in Russland. Herder Verlag, Freiburg 2007. 256 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Zufrieden äußert sich Rezensentin Gemma Pörzgen über Thomas Bremers Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche und ihrer Beziehung zum Staat. Die Darstellung der Jahrhunderte währenden Symbiose von Kirche und Staat, die erst mit der Oktober-Revolution 1917 unterbrochen wurde, scheint ihr überaus kundig. Besonders interessiert haben sie die Ausführungen des Theologen über das heutige Verhältnis von orthodoxer Kirche und russischem Staat. Hier hätte sie gern noch mehr erfahren. Bremers Darstellung selbst lobt sie insgesamt als sehr profund, moniert aber den verschachtelten Aufbaus des Buchs als etwas "verwirrend". Vor allem kritisiert sie das Fehlen eines Kapitels über die Beziehung zum Judentum und die antisemitischen Tendenzen in der orthodoxen Kirche.
© Perlentaucher Medien GmbH
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