"Zwischen Macht und Mittelmaß" analysiert die britische Außenpolitik in den Jahren 1989 und 1990. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die britische Regierung angesichts der weltpolitischen Umbrüche dieser Jahre die Chance wahrgenommen hat, den britischen Einfluß im machtpolitischen Gefüge Europas und in der internationalen Politik zu wahren. Der Autor konzentriert sich auf drei essentielle Bereiche britischer Außenpolitik: die Beziehungen zu Deutschland, zur Europäischen Gemeinschaft und zu den USA.
Das Ergebnis der Fallstudien ist eindeutig: Die britische Regierung konnte die Position Großbritanniens im neuen europäischen und internationalen Gefüge nicht behaupten. Sie war nicht in der Lage, auf die fundamentalen politischen Veränderungen flexibel und rasch zu reagieren. Der sich seit langem abzeichnende Wandel des Vereinigten Königreichs von der kolonialen Weltmacht zur europäischen Mittelmacht erfuhr mit dem Ende des Kalten Krieges seine Besiegelung.
Das Ergebnis der Fallstudien ist eindeutig: Die britische Regierung konnte die Position Großbritanniens im neuen europäischen und internationalen Gefüge nicht behaupten. Sie war nicht in der Lage, auf die fundamentalen politischen Veränderungen flexibel und rasch zu reagieren. Der sich seit langem abzeichnende Wandel des Vereinigten Königreichs von der kolonialen Weltmacht zur europäischen Mittelmacht erfuhr mit dem Ende des Kalten Krieges seine Besiegelung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2001Abstieg zur Mittelmacht?
Außenpolitik der Regierung Thatcher 1989/90
Norbert Himmler: Zwischen Macht und Mittelmaß. Großbritanniens Außenpolitik und das Ende des Kalten Krieges. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2001. 296 Seiten, 68,- Mark.
Über Großbritanniens Rolle im Kalten Krieg streitet die Politik- und Zeitgeschichtsforschung, seit in den achtziger Jahren vornehmlich britische Historiker ihrer Regierung einen gewichtigen Anteil am Zustandekommen und Fortgang des Ost-West-Konflikts zuschreiben und deren Weltmachtposition nach 1945 damit indirekt aufzuwerten suchten. Himmler gehört zur Schar jener Kritiker, die der einstigen kolonialen Weltmacht seit Kriegsende einen kontinuierlichen Abstieg bescheinigen: Das Vereinigte Königreich endet in der Umbruchphase des Kalten Krieges 1989/90 als europäische Mittelmacht; isoliert unter den EG-Partnern, die special relationship mit den Vereinigten Staaten defekt und kaum mehr fähig, eigene Interessenpositionen in der Nato zu behaupten. Der Grund ist schnell gefunden: Mangel an Flexibilität der Regierung Thatcher, die auf fundamentale Veränderungen nicht prompt reagierte. Als Beleg wird das Versagen der Premierministerin in drei untersuchten Politikfeldern angeführt: Deutschland, Europa und den anglo-amerikanischen Beziehungen.
Wer das einschlägige Schrifttum und die publizierten Quellen kennt, für den bietet Himmlers Studie eine schöne Zusammenfassung, aber wenig Neues. Einmal mehr bestätigt sich das hinlänglich bekannte Bild angespannter deutsch-britischer Beziehungen und der retardierenden Politik Margaret Thatchers in dieser Periode des Umbruchs. In Bundeskanzler Kohl sah sie einen christdemokratischen Provinzpolitiker, dessen Macht und Ansehen in der Welt auf der starken D-Mark beruhten. Umgekehrt hielt Kohl sie für unfähig, sich auf moderne Integrationsentwicklungen westlicher Industriegesellschaften einzustellen, weil ihr Denken sich in insularen Sicherheits- und Machtkategorien des britischen Empires aus dem 19. Jahrhundert bewegte.
Hauptstreitpunkt in der Bündnispolitik war im Frühjahr 1989 die Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen. Kohl plädierte für eine Verzögerung, wollte Gorbatschow nicht weiter in Bedrängnis bringen und strebte Verhandlungen mit Moskau an. Thatcher befürchtete eine Schwächung der Nato.
Bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit erlitt sie eine der wenigen außenpolitischen Niederlagen. Ihre Besorgnis galt dem erneuten Aufstieg Deutschlands zur dominierenden Nation des Kontinents. Eine überstürzt herbeigeführte Einheit förderte aus ihrer Sicht drei ungünstige Entwicklungen: den europäischen Föderalismus zur Bindung Deutschlands, die Stärkung der deutsch-französischen Achse und möglicherweise den schrittweisen Abzug amerikanischer Truppen aus Europa.
Sie wollte zunächst die Demokratisierung in Osteuropa vorantreiben, den Wiedervereinigungsprozeß möglichst lange hinauszögern und amerikanische Truppen in Deutschland belassen, um Gorbatschow die Stationierung einiger weniger sowjetischer Truppen auf unbestimmte Zeit anbieten zu können. Somit schien eine bessere Kontrolle über Deutschland gesichert. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), politisch gestärkt, würde der drohenden Isolierung der Sowjetunion begegnen und nach alter britischer Gleichgewichtsphilosophie die Macht der Deutschen auf dem Kontinent austarieren. Im Januar 1990 unternahm Thatcher bei Mitterrand den vergeblichen Versuch, dem wiedervereinigten Deutschland eine britisch-französische Ententepolitik entgegenzusetzen, und fand auch bei Bush keine Unterstützung.
Zwar stellte die Wiedervereinigung, wie Thatcher behauptete, keine historische Unausweichlichkeit dar. Doch war sie nicht in der Lage, eine überzeugende Alternative zur Lösung der deutschen Frage 1989/90 beizusteuern. Das Versäumnis lag sowohl bei der germanophoben Regierungschefin als auch in der Unfähigkeit anderer Regierungsmitglieder, sich durchzusetzen. Selbst Außenminister Douglas Hurd und ihre engen Berater konnten sie nicht vom fundamentalen Wandel der Deutschen zur Demokratie in den voraufgegangenen 40 Jahren überzeugen. Folglich kam die Regierung nie aus ihrer anfänglichen Widerstandshaltung heraus, geriet wegen ihrer inflexiblen Haltung in eine selbstverschuldete Isolierung und ließ sich die Chance entgehen, aktiv den Einigungsprozeß mit zu steuern.
Ebensowenig vermochte Thatcher den Diskussionen um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion Einhalt zu gebieten, wiewohl das Foreign Office das Dilemma erkannte. Einige aufschlußreiche Einschätzungen beteiligter Zeitzeugen findet man leider nur in Fußnoten verpackt.
Doch reicht der Nachweis derlei Schwächen der Regierung Thatcher aus, um das Vereinigte Königreich in Bausch und Bogen zu einer europäischen Mittelmacht zu deklassieren? Ein Urteil über dessen Außenpolitik am Ende des Kalten Krieges läßt sich nicht auf drei Bereiche reduziert fällen. Vor allem die Ziele britischer Ostpolitik gegenüber der Sowjetunion und Polen bedürfen genauer Analyse. Doch darauf hat Himmler verzichtet. So bleiben naheliegende Fragen unbeantwortet - etwa ob die frühere Kolonialmacht bei der Bewältigung des Konfliktes im südlichen Afrika oder in der Phase des Golfkrieges genauso unbeweglich agierte und lediglich den Part einer mittleren Macht spielte. Bei einer etwas breiteren Anlage der Untersuchung wäre der Erkenntnisertrag sicherlich größer gewesen.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Außenpolitik der Regierung Thatcher 1989/90
Norbert Himmler: Zwischen Macht und Mittelmaß. Großbritanniens Außenpolitik und das Ende des Kalten Krieges. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2001. 296 Seiten, 68,- Mark.
Über Großbritanniens Rolle im Kalten Krieg streitet die Politik- und Zeitgeschichtsforschung, seit in den achtziger Jahren vornehmlich britische Historiker ihrer Regierung einen gewichtigen Anteil am Zustandekommen und Fortgang des Ost-West-Konflikts zuschreiben und deren Weltmachtposition nach 1945 damit indirekt aufzuwerten suchten. Himmler gehört zur Schar jener Kritiker, die der einstigen kolonialen Weltmacht seit Kriegsende einen kontinuierlichen Abstieg bescheinigen: Das Vereinigte Königreich endet in der Umbruchphase des Kalten Krieges 1989/90 als europäische Mittelmacht; isoliert unter den EG-Partnern, die special relationship mit den Vereinigten Staaten defekt und kaum mehr fähig, eigene Interessenpositionen in der Nato zu behaupten. Der Grund ist schnell gefunden: Mangel an Flexibilität der Regierung Thatcher, die auf fundamentale Veränderungen nicht prompt reagierte. Als Beleg wird das Versagen der Premierministerin in drei untersuchten Politikfeldern angeführt: Deutschland, Europa und den anglo-amerikanischen Beziehungen.
Wer das einschlägige Schrifttum und die publizierten Quellen kennt, für den bietet Himmlers Studie eine schöne Zusammenfassung, aber wenig Neues. Einmal mehr bestätigt sich das hinlänglich bekannte Bild angespannter deutsch-britischer Beziehungen und der retardierenden Politik Margaret Thatchers in dieser Periode des Umbruchs. In Bundeskanzler Kohl sah sie einen christdemokratischen Provinzpolitiker, dessen Macht und Ansehen in der Welt auf der starken D-Mark beruhten. Umgekehrt hielt Kohl sie für unfähig, sich auf moderne Integrationsentwicklungen westlicher Industriegesellschaften einzustellen, weil ihr Denken sich in insularen Sicherheits- und Machtkategorien des britischen Empires aus dem 19. Jahrhundert bewegte.
Hauptstreitpunkt in der Bündnispolitik war im Frühjahr 1989 die Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen. Kohl plädierte für eine Verzögerung, wollte Gorbatschow nicht weiter in Bedrängnis bringen und strebte Verhandlungen mit Moskau an. Thatcher befürchtete eine Schwächung der Nato.
Bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit erlitt sie eine der wenigen außenpolitischen Niederlagen. Ihre Besorgnis galt dem erneuten Aufstieg Deutschlands zur dominierenden Nation des Kontinents. Eine überstürzt herbeigeführte Einheit förderte aus ihrer Sicht drei ungünstige Entwicklungen: den europäischen Föderalismus zur Bindung Deutschlands, die Stärkung der deutsch-französischen Achse und möglicherweise den schrittweisen Abzug amerikanischer Truppen aus Europa.
Sie wollte zunächst die Demokratisierung in Osteuropa vorantreiben, den Wiedervereinigungsprozeß möglichst lange hinauszögern und amerikanische Truppen in Deutschland belassen, um Gorbatschow die Stationierung einiger weniger sowjetischer Truppen auf unbestimmte Zeit anbieten zu können. Somit schien eine bessere Kontrolle über Deutschland gesichert. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), politisch gestärkt, würde der drohenden Isolierung der Sowjetunion begegnen und nach alter britischer Gleichgewichtsphilosophie die Macht der Deutschen auf dem Kontinent austarieren. Im Januar 1990 unternahm Thatcher bei Mitterrand den vergeblichen Versuch, dem wiedervereinigten Deutschland eine britisch-französische Ententepolitik entgegenzusetzen, und fand auch bei Bush keine Unterstützung.
Zwar stellte die Wiedervereinigung, wie Thatcher behauptete, keine historische Unausweichlichkeit dar. Doch war sie nicht in der Lage, eine überzeugende Alternative zur Lösung der deutschen Frage 1989/90 beizusteuern. Das Versäumnis lag sowohl bei der germanophoben Regierungschefin als auch in der Unfähigkeit anderer Regierungsmitglieder, sich durchzusetzen. Selbst Außenminister Douglas Hurd und ihre engen Berater konnten sie nicht vom fundamentalen Wandel der Deutschen zur Demokratie in den voraufgegangenen 40 Jahren überzeugen. Folglich kam die Regierung nie aus ihrer anfänglichen Widerstandshaltung heraus, geriet wegen ihrer inflexiblen Haltung in eine selbstverschuldete Isolierung und ließ sich die Chance entgehen, aktiv den Einigungsprozeß mit zu steuern.
Ebensowenig vermochte Thatcher den Diskussionen um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion Einhalt zu gebieten, wiewohl das Foreign Office das Dilemma erkannte. Einige aufschlußreiche Einschätzungen beteiligter Zeitzeugen findet man leider nur in Fußnoten verpackt.
Doch reicht der Nachweis derlei Schwächen der Regierung Thatcher aus, um das Vereinigte Königreich in Bausch und Bogen zu einer europäischen Mittelmacht zu deklassieren? Ein Urteil über dessen Außenpolitik am Ende des Kalten Krieges läßt sich nicht auf drei Bereiche reduziert fällen. Vor allem die Ziele britischer Ostpolitik gegenüber der Sowjetunion und Polen bedürfen genauer Analyse. Doch darauf hat Himmler verzichtet. So bleiben naheliegende Fragen unbeantwortet - etwa ob die frühere Kolonialmacht bei der Bewältigung des Konfliktes im südlichen Afrika oder in der Phase des Golfkrieges genauso unbeweglich agierte und lediglich den Part einer mittleren Macht spielte. Bei einer etwas breiteren Anlage der Untersuchung wäre der Erkenntnisertrag sicherlich größer gewesen.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht viel Gutes hat Norbert Himmler über die Bedeutung Großbritanniens im und nach dem Kalten Krieg zu sagen. Er sieht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen "kontinuierlichen Abstieg". Mit dem Umbruch 1989/90 endet die Rolle Großbritanniens als Mittelmacht, so seine These, Schuld daran trägt vor allem Margaret Thatcher. Ihre Abneigung gegen Deutschland hat Großbritannien, so Himmler, in die Isolation getrieben, ihre Position, erst einmal die "Demokratisierung in Osteuropa voranzutreiben", hat sich nicht durchgesetzt. Hanns Jürgen Küsters lobt das Buch einerseits als "schöne Zusammenfassung", bemängelt jedoch andererseits, dass es "wenig Neues" bringt. Zudem bleibt ihm das Fundament zu schmal, auf das Himmler seine weit reichenden Thesen gründet. Die britische Ostpolitik hätte, findet er, einer "genaueren Analyse" bedurft, eine "etwas breitere Anlage" hätte geholfen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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