Die Salzburger Festspiele spielten zwischen 1933 und 1938 eine zentrale Rolle im Kampf des Ständestaates gegen den Nationalsozialismus. Durch die Internationalisierung infolge der 1.000-Mark-Sperre, die massive Unterstützung vor allem auch durch ein nunmehr internationales (jüdisches) Publikum und die internationale Strahl- und Anziehungskraft Toscaninis wurde die in unmittelbarer Nähe des Berghofs von den Regierungen Dollfuß und Schuschnigg propagierte und inszenierte Österreich-Ideologie zu einem bevorzugten Objekt des NS-Terrors und der nationalsozialistischen Propaganda. 1938 erfolgte die deutschvölkische und rassistische Uminterpretation der Festspielideologie in Form einer Beseitigung des jüdisch-katholisch-österreichischen Geistes und dessen Exponenten. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Salzburger Festspiele neben jenen von Bayreuth zu einem festen Bestandteil der Kriegspropaganda.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2013„Wahre Feste der deutschen Seele“
Zuerst die Abwehr mit den Waffen der Kunst, dann der Anschluss an die Nationalsozialisten:
Der Historiker Robert Kriechbaumer hat die Geschichte der Salzburger Festspiele von 1933 bis 1944 aufgearbeitet
VON WOLFGANG SCHREIBER
Die Salzburger Festspiele, die jetzt am Freitag wieder ihre Pforten öffnen, sind seit ihrer Gründung im Jahr 1920 künstlerisch ein Großereignis, und sie sind kulturpolitisch eine Staatsaktion geblieben. Wie sollte Politik nicht davon profitieren: von der Aura großer Persönlichkeiten auf den Festspielbühnen, wo künstlerische Strahlkraft ehrgeizige Politiker und Lobbyisten mit Glanz und Geltung versorgen kann? Die politische Geschichte der Salzburger Festspiele zwischen 1933 und 1944 bietet dazu exemplarisch ein erschreckendes Anschauungsmaterial.
Auch wenn der Buchtitel Robert Kriechbaumers nach Seminar klingt – was der Salzburger Universitätshistoriker für den Zeitrahmen „Zwischen Österreich und Großdeutschland“ an Material ausbreitet, das mutet nicht akademisch-elitär an, sondern wird souverän dargeboten und spannend erzählt. Der Titel meint konkret die historischen Fakten: Das Land Österreich wirkt seit Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland wie traumatisiert, es versucht seinen eigenen Weg zu gehen als „Ständestaat“, genannt „Austrofaschismus“. Nach Ermordung des Kanzlers Engelbert Dollfuß gerät das Land immer tiefer in den schwelenden Konflikt mit dem großen Nachbarn, Österreichs von Berlin ferngesteuerte NSDAP steigert aggressiv die propagandistische Wühlarbeit, um die Macht zu erringen. Und Salzburgs Festspiele spiegeln exakt die nationale und kulturelle Krise wider, die sich in zwei Abschnitten zuspitzt: zwischen 1933 und 1937 im dramatischen Abwehrkampf gegen die Infiltration der Nazi-Ideologie; und nach dem „Anschluss“ 1938 in der von „Großdeutschland“ perfekt gelenkten Neuausrichtung der Festspiele.
Das deutsche Reichsgesetz Nr. 57 vom 1. Juni 1933 bläst zur Attacke, der kleine Nachbar wird weichgeklopft: Jeder Reichsangehörige, der nach oder durch Österreich fährt, muss vor Antritt der Reise 1000 Reichsmark entrichten. Damit beginnt ein Boykott, der nicht nur den Österreich-Tourismus, sondern auch die Salzburger Festspiele in aller Härte trifft. Die „1000-Mark-Sperre“ gefährdet die nächsten Festspiele, verstärkt aber gleichzeitig die Gegenwehr in Salzburg. Festspielpräsident Baron Heinrich Puthon und Salzburgs Landeshauptmann Franz Rehrl fahren nach Wien und verhandeln mit Österreichs Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg und Bundeskanzler Dollfuß: „Die Durchführung der Salzburger Festspiele war zum Politikum geworden“, ja zum „nationalen Prestigeobjekt und damit zum Symbol des Kampfes gegen den Nationalsozialismus“. In Wien beschließt man: Die Festspiele sollen „unter allen Umständen“ abgehalten, die Staatssubvention angehoben sowie den betroffenen Hotels und Gaststätten finanziell geholfen werden.
Österreichs Abwehrschlacht wird zentral mit den Waffen der Kunst geführt. Da gibt es die Künstler, die sich auf die Seite der Nazis schlagen, wie 1934 der Dirigent Clemens Krauss und davor der Komponist Hans Pfitzner, der den Salzburger Festspielen gleich 1933 aus „dem erwachenden Deutschland, zu dem ich mich voll und ganz bekenne“, absagt – er will „keiner undeutschen Kunstangelegenheit“ dienen. Da gibt es den weltberühmten Komponisten Richard Strauss, der, gerade Präsident der Reichsmusikkammer und siebzig geworden, 1934 auf Druck aus Berlin den Festspielen ebenfalls den Rücken kehrt. Der Autor zitiert eine Passage aus der Wiener Zeitung, um das zu kommentieren: Bei Strauss handele sich um „die Absage eines Künstlers an sich selbst, seine Künstlerschaft und das, was sein bestes Teil gewesen“. So siegt Opportunismus ringsum.
Aber es gibt auch die zu Symbolfiguren emporwachsenden Künstler, die genügend Widerstandskraft besitzen, an der Spitze Arturo Toscanini, Bruno Walter oder Max Reinhardt. Minutiös aus den Quellen und der vorhandenen Literatur (etwa von Joseph Wulf, Fred K. Prieberg, Michael Kater, Oliver Rathkolb) untersucht Robert Kriechbaumer die politischen und kulturellen Hintergründe und Hürden von deren Wirken, nachdem sie sich für die Salzburger Festspiele entschieden hatten: Die Ankunft Arturo Toscaninis in Salzburg, der 1933 der NS-Hochburg Bayreuth den Rücken gekehrt hat, wird zu einer rettenden Offenbarung, 1935 dirigiert Toscanini Verdis „Falstaff“ und Beethovens „Fidelio“, Bruno Walter „Tristan und Isolde“, die „Entführung“ und „Don Giovanni“, die genannten Dirigenten und Erich Kleiber leiten mehrere Symphoniekonzerte.
Im Jahr darauf folgen die „Meistersinger“ Toscaninis, der damit bewusst einen Kontrapunkt zu Bayreuth setzt, sowie der Gluck’sche „Orpheus“, den Bruno Walter leitet. Vor allem die Bewunderung für den italienischen Dirigenten war in Salzburg grenzenlos. Die Programme der drei Jahre bis 1937 beeindrucken noch heute, sie waren ein Leuchtfeuer des freien wahren Salzburger Welttheaters, das sich ideologisch wie auch künstlerisch als eine Art Anti-Bayreuth verstehen wollte.
Was folgt, ist die Niederwerfung unter Führers Befehl, der Bruch 1938, der Schock. Die Nazis reißen die Festspiele und ihre Künste und Künstler als Sinnbild der Macht an sich: Wilhelm Furtwängler dirigiert jetzt die „Meistersinger“. Und Karl Böhm leitet „Don Giovanni“ und „Rosenkavalier“, Hans Knappertsbusch „Figaro“, „Fidelio“ und den „Tannhäuser“. Diese beiden, sowie der Dirigent Clemens Krauss, definieren den Festspielhorizont bis ans Ende der NS-Tage.
Kriechbaumer resümiert: Künstler wie Toscanini und Walter arbeiteten konsequent an der Internationalisierung der Salzburger Festspiele, fast schon im Sinn einer antifaschistischen Demonstration. Die Nationalsozialisten aber fahren Salzburg auf ihren eigenen bornierten Kunstverstand zurück – Toscanini sagt seine Teilnahme in Salzburg brüsk ab. „Der Tanz auf dem Vulkan oder die Bühne für den Weltuntergang“ nennt der Autor sein Kapitel zwölf im zweiten Teil des Buchs. Denn die Salzburger Festspiele sind ein „politischer Inszenierungsort“ des NS-Regimes geworden.
Die kulturpolitische Positionierung der Festspiele Salzburgs nach 1938 ist getragen vom Antisemitismus der Nazis. Jüdische Dirigenten, Sänger und Virtuosen, jüdische Kritiker, Professoren und Konzertagenturen werden verdrängt – Alfred Rosenbergs rassistisches Wüten hält Einzug in Salzburg, auch in Wien. Aus Zitaten der Zeitzeugen und Aktenstudium geht hervor, wie sich deutsche Musikpolitik dieser Jahre dem „Einsatz der Musik als volksbildende und staatserhaltende Lebensmacht“ verschrieb. Und so wie zuletzt die NS-Vergangenheit der Berliner und die der Wiener Philharmoniker in neueren Studien erforscht worden ist, so zeigt Robert Kriechbaumer jetzt, wie und warum die Salzburger Festspiele zu einer „Angelegenheit Großdeutschlands“ werden mussten: „Die deutsche Stadt Salzburg sollte gleichberechtigt neben Bayreuth treten.“ Salzburg sollte als nationale Bruderinstanz neben Wagner treten.
„Mozart-Feste müssen wieder wahre Feste der deutschen Seele werden“, tönt es 1938 in der Zeitung Salzburger Volksblatt. Dirigentengrößen wie Furtwängler, Knappertsbusch, Böhm oder Krauss stehen in Berlin und Bayreuth, in Wien und Salzburg für das Prinzip Anpassung im NS, für Opportunismus oder doch wenigstens das Lavieren zwischen Positionen und Welten. Eben diesen Dirigenten widmet der Autor eigene, funkelnd geschriebene politische Porträts, wobei er dem prononcierten Salzburger Mozart-Stil des Clemens Krauss, einem Intimus von Joseph Goebbels, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Im „Totalen Krieg“ 1944 aber durften die Festspiele nur noch ein Furtwängler-Konzert und die Generalprobe zu Strauss’ letzter Oper „Die Liebe der Danae“ unter Krauss bestreiten. Dieser war 1942 mit einem Zehnjahresvertrag zum Generalintendanten der Festspiele aufgestiegen, Hitler besuchte eine von Krauss dirigierte Aufführung des „Don Giovanni“. 1953 dirigierte derselbe Krauss den „Parsifal“ und den „Ring“ – wohlgemerkt im beschädigten Bayreuth.
Das Fazit von Robert Kriechbaumers historischen Beobachtungen und Forschungen zu Salzburgs Festspielen in der Zeit des Nationalsozialismus will Gegenwart schaffen: Diese Festspiele sind ein „Mythos, weil sie, auch als erzählte Geschichte, zu einem Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses wurden“.
Dirigent Clemens Krauss und
Komponist Hans Pfitzner schlugen
sich früh auf die Seite der Nazis
Man spielte Mozart – und machte
mit beim antisemitischen Wüten
Dieses Foto entstand im August 1939: Adolf Hitler bei einer Aufführung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bei den Salzburger Festspielen
FOTO: IMAGNO/PA
Robert Kriechbaumer: Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933-1944. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2013. 445 Seiten, 49 Euro.
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Zuerst die Abwehr mit den Waffen der Kunst, dann der Anschluss an die Nationalsozialisten:
Der Historiker Robert Kriechbaumer hat die Geschichte der Salzburger Festspiele von 1933 bis 1944 aufgearbeitet
VON WOLFGANG SCHREIBER
Die Salzburger Festspiele, die jetzt am Freitag wieder ihre Pforten öffnen, sind seit ihrer Gründung im Jahr 1920 künstlerisch ein Großereignis, und sie sind kulturpolitisch eine Staatsaktion geblieben. Wie sollte Politik nicht davon profitieren: von der Aura großer Persönlichkeiten auf den Festspielbühnen, wo künstlerische Strahlkraft ehrgeizige Politiker und Lobbyisten mit Glanz und Geltung versorgen kann? Die politische Geschichte der Salzburger Festspiele zwischen 1933 und 1944 bietet dazu exemplarisch ein erschreckendes Anschauungsmaterial.
Auch wenn der Buchtitel Robert Kriechbaumers nach Seminar klingt – was der Salzburger Universitätshistoriker für den Zeitrahmen „Zwischen Österreich und Großdeutschland“ an Material ausbreitet, das mutet nicht akademisch-elitär an, sondern wird souverän dargeboten und spannend erzählt. Der Titel meint konkret die historischen Fakten: Das Land Österreich wirkt seit Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland wie traumatisiert, es versucht seinen eigenen Weg zu gehen als „Ständestaat“, genannt „Austrofaschismus“. Nach Ermordung des Kanzlers Engelbert Dollfuß gerät das Land immer tiefer in den schwelenden Konflikt mit dem großen Nachbarn, Österreichs von Berlin ferngesteuerte NSDAP steigert aggressiv die propagandistische Wühlarbeit, um die Macht zu erringen. Und Salzburgs Festspiele spiegeln exakt die nationale und kulturelle Krise wider, die sich in zwei Abschnitten zuspitzt: zwischen 1933 und 1937 im dramatischen Abwehrkampf gegen die Infiltration der Nazi-Ideologie; und nach dem „Anschluss“ 1938 in der von „Großdeutschland“ perfekt gelenkten Neuausrichtung der Festspiele.
Das deutsche Reichsgesetz Nr. 57 vom 1. Juni 1933 bläst zur Attacke, der kleine Nachbar wird weichgeklopft: Jeder Reichsangehörige, der nach oder durch Österreich fährt, muss vor Antritt der Reise 1000 Reichsmark entrichten. Damit beginnt ein Boykott, der nicht nur den Österreich-Tourismus, sondern auch die Salzburger Festspiele in aller Härte trifft. Die „1000-Mark-Sperre“ gefährdet die nächsten Festspiele, verstärkt aber gleichzeitig die Gegenwehr in Salzburg. Festspielpräsident Baron Heinrich Puthon und Salzburgs Landeshauptmann Franz Rehrl fahren nach Wien und verhandeln mit Österreichs Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg und Bundeskanzler Dollfuß: „Die Durchführung der Salzburger Festspiele war zum Politikum geworden“, ja zum „nationalen Prestigeobjekt und damit zum Symbol des Kampfes gegen den Nationalsozialismus“. In Wien beschließt man: Die Festspiele sollen „unter allen Umständen“ abgehalten, die Staatssubvention angehoben sowie den betroffenen Hotels und Gaststätten finanziell geholfen werden.
Österreichs Abwehrschlacht wird zentral mit den Waffen der Kunst geführt. Da gibt es die Künstler, die sich auf die Seite der Nazis schlagen, wie 1934 der Dirigent Clemens Krauss und davor der Komponist Hans Pfitzner, der den Salzburger Festspielen gleich 1933 aus „dem erwachenden Deutschland, zu dem ich mich voll und ganz bekenne“, absagt – er will „keiner undeutschen Kunstangelegenheit“ dienen. Da gibt es den weltberühmten Komponisten Richard Strauss, der, gerade Präsident der Reichsmusikkammer und siebzig geworden, 1934 auf Druck aus Berlin den Festspielen ebenfalls den Rücken kehrt. Der Autor zitiert eine Passage aus der Wiener Zeitung, um das zu kommentieren: Bei Strauss handele sich um „die Absage eines Künstlers an sich selbst, seine Künstlerschaft und das, was sein bestes Teil gewesen“. So siegt Opportunismus ringsum.
Aber es gibt auch die zu Symbolfiguren emporwachsenden Künstler, die genügend Widerstandskraft besitzen, an der Spitze Arturo Toscanini, Bruno Walter oder Max Reinhardt. Minutiös aus den Quellen und der vorhandenen Literatur (etwa von Joseph Wulf, Fred K. Prieberg, Michael Kater, Oliver Rathkolb) untersucht Robert Kriechbaumer die politischen und kulturellen Hintergründe und Hürden von deren Wirken, nachdem sie sich für die Salzburger Festspiele entschieden hatten: Die Ankunft Arturo Toscaninis in Salzburg, der 1933 der NS-Hochburg Bayreuth den Rücken gekehrt hat, wird zu einer rettenden Offenbarung, 1935 dirigiert Toscanini Verdis „Falstaff“ und Beethovens „Fidelio“, Bruno Walter „Tristan und Isolde“, die „Entführung“ und „Don Giovanni“, die genannten Dirigenten und Erich Kleiber leiten mehrere Symphoniekonzerte.
Im Jahr darauf folgen die „Meistersinger“ Toscaninis, der damit bewusst einen Kontrapunkt zu Bayreuth setzt, sowie der Gluck’sche „Orpheus“, den Bruno Walter leitet. Vor allem die Bewunderung für den italienischen Dirigenten war in Salzburg grenzenlos. Die Programme der drei Jahre bis 1937 beeindrucken noch heute, sie waren ein Leuchtfeuer des freien wahren Salzburger Welttheaters, das sich ideologisch wie auch künstlerisch als eine Art Anti-Bayreuth verstehen wollte.
Was folgt, ist die Niederwerfung unter Führers Befehl, der Bruch 1938, der Schock. Die Nazis reißen die Festspiele und ihre Künste und Künstler als Sinnbild der Macht an sich: Wilhelm Furtwängler dirigiert jetzt die „Meistersinger“. Und Karl Böhm leitet „Don Giovanni“ und „Rosenkavalier“, Hans Knappertsbusch „Figaro“, „Fidelio“ und den „Tannhäuser“. Diese beiden, sowie der Dirigent Clemens Krauss, definieren den Festspielhorizont bis ans Ende der NS-Tage.
Kriechbaumer resümiert: Künstler wie Toscanini und Walter arbeiteten konsequent an der Internationalisierung der Salzburger Festspiele, fast schon im Sinn einer antifaschistischen Demonstration. Die Nationalsozialisten aber fahren Salzburg auf ihren eigenen bornierten Kunstverstand zurück – Toscanini sagt seine Teilnahme in Salzburg brüsk ab. „Der Tanz auf dem Vulkan oder die Bühne für den Weltuntergang“ nennt der Autor sein Kapitel zwölf im zweiten Teil des Buchs. Denn die Salzburger Festspiele sind ein „politischer Inszenierungsort“ des NS-Regimes geworden.
Die kulturpolitische Positionierung der Festspiele Salzburgs nach 1938 ist getragen vom Antisemitismus der Nazis. Jüdische Dirigenten, Sänger und Virtuosen, jüdische Kritiker, Professoren und Konzertagenturen werden verdrängt – Alfred Rosenbergs rassistisches Wüten hält Einzug in Salzburg, auch in Wien. Aus Zitaten der Zeitzeugen und Aktenstudium geht hervor, wie sich deutsche Musikpolitik dieser Jahre dem „Einsatz der Musik als volksbildende und staatserhaltende Lebensmacht“ verschrieb. Und so wie zuletzt die NS-Vergangenheit der Berliner und die der Wiener Philharmoniker in neueren Studien erforscht worden ist, so zeigt Robert Kriechbaumer jetzt, wie und warum die Salzburger Festspiele zu einer „Angelegenheit Großdeutschlands“ werden mussten: „Die deutsche Stadt Salzburg sollte gleichberechtigt neben Bayreuth treten.“ Salzburg sollte als nationale Bruderinstanz neben Wagner treten.
„Mozart-Feste müssen wieder wahre Feste der deutschen Seele werden“, tönt es 1938 in der Zeitung Salzburger Volksblatt. Dirigentengrößen wie Furtwängler, Knappertsbusch, Böhm oder Krauss stehen in Berlin und Bayreuth, in Wien und Salzburg für das Prinzip Anpassung im NS, für Opportunismus oder doch wenigstens das Lavieren zwischen Positionen und Welten. Eben diesen Dirigenten widmet der Autor eigene, funkelnd geschriebene politische Porträts, wobei er dem prononcierten Salzburger Mozart-Stil des Clemens Krauss, einem Intimus von Joseph Goebbels, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Im „Totalen Krieg“ 1944 aber durften die Festspiele nur noch ein Furtwängler-Konzert und die Generalprobe zu Strauss’ letzter Oper „Die Liebe der Danae“ unter Krauss bestreiten. Dieser war 1942 mit einem Zehnjahresvertrag zum Generalintendanten der Festspiele aufgestiegen, Hitler besuchte eine von Krauss dirigierte Aufführung des „Don Giovanni“. 1953 dirigierte derselbe Krauss den „Parsifal“ und den „Ring“ – wohlgemerkt im beschädigten Bayreuth.
Das Fazit von Robert Kriechbaumers historischen Beobachtungen und Forschungen zu Salzburgs Festspielen in der Zeit des Nationalsozialismus will Gegenwart schaffen: Diese Festspiele sind ein „Mythos, weil sie, auch als erzählte Geschichte, zu einem Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses wurden“.
Dirigent Clemens Krauss und
Komponist Hans Pfitzner schlugen
sich früh auf die Seite der Nazis
Man spielte Mozart – und machte
mit beim antisemitischen Wüten
Dieses Foto entstand im August 1939: Adolf Hitler bei einer Aufführung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bei den Salzburger Festspielen
FOTO: IMAGNO/PA
Robert Kriechbaumer: Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933-1944. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2013. 445 Seiten, 49 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Den Mythos Salzburger Festspiele möchte der Autor erklären, indem er Salzburg und die Zeit des Nationalsozialismus aufarbeitet. Gelungen, lautet dazu das Urteil des Rezensenten Wolfgang Schreiber. Robert Kriechbaumers Studie besticht für ihn durch Dirigentenporträts von Furtwängler, Böhm und Krauss, aber auch durch die Untersuchung der Schikanen, denen Künstler, wie Arturo Toscanini, Bruno Walter und Max Reinhardt ausgesetzt waren. Die politischen und kulturellen Hintergründe und die "deutsche Musikpolitik" recherchiert der Autor laut Schreiber minutiös mit und zeichnet den Weg der Festspiele nach, von einem freien Welttheater in die Knechtschaft des Führers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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