Die Autorinnen und Autoren fragen anhand prominenter Beispiele nach der Relevanz des Jüdischen in der DDR.Für die wenigen Juden, die in der DDR gelebt haben, hatte das Jüdische unter den vorherrschenden ideologischen Prämissen in der Regel wenig Relevanz. Während der zögernde und langsame Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in der alten Bundesrepublik zum Topos jüdischen Selbstverständnisses werden konnte, scheint sich dieses Thema im Osten Deutschlands nahezu verflüchtigt zu haben. Dies ist um so bemerkenswerter, als in den geistigen und politischen Eliten der DDR viele Persönlichkeiten jüdischer Herkunft vertreten waren, darunter Arnold Zweig, Jurek Becker, Wolf Biermann und Gregor Gysi.Der Band dokumentiert die Beiträge einer vom Institut für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv in Zusammenarbeit mit dem Franz-Rosenzweig-Zentrum in Jerusalem veranstalteten Konferenz, bei der es um die allgemeine Frage jüdischen Lebens in der DDR, um das kulturelle Wirken einzelner jüdischer Personen und um die Bestimmung von »jüdischer Identität« ging.Inhalt:Moshe Zuckermann VorwortDan Laor BegrüßungJoseph KostinerBegrüßungAntisemitismus und AntizionismusAngelika Timm, Berlin Ein ambivalentes Verhältnis - Juden in der DDR und der Staat Israel Mario Keßler, Potsdam Verdrängung der Geschichte - Antisemitismus in der SED 1952/53 Karin Hartewig, Erfurt Die Loyalitätsfalle - Jüdische Kommunisten in der DDRDiskussion IBiographie und ErinnerungWolfgang Herzberg, Berlin Der Schauspieler Gerry Wolf - Ein Beispiel kollektiver Erfahrungsgeschichte jüdisch-deutscher RemigrantenCora Granata, Fullerton »Das hat in der DDR keine Rolle gespielt, was man war« -»Ostalgie« und Erinnerungen an Antisemitismus in der DDR, 1949-1960Barbara Einhorn, Sussex Nation und Identität -Erzählungen von Exil und RückkehrDiskussion IIKultur und PolitikStephan Braese, Bremen Ahasver im Bauernstaat - Stefan Heyms Bibel-LektürenAlfred Bodenheimer, Luzern »Auf Druckpapier erzeugte Juden« -Antisemitismus und Judentum im Spätwerk Arnold Zweigs Frank Stern, Beer Sheva Real existierende Juden im DEFA-Film -Ein Kino der subversiven WidersprücheSander Gilman, ChicagoDie kulturelle Opposition in der DDR -Der Fall Jurek BeckerSteven E. Aschheim, Jerusalem»Genosse Klemperer« -Kommunismus, Liberalismus und Judesein in der DDR 1949-1959Gad Kaynar, Tel AvivThomas Braschs »Ich-Drama« ohne »Ich« -Jüdische Perspektiven zur Darstellung deutscher Nicht-IdentitätHans-Jürgen Nagel, Tel AvivMusik und Politik -Paul Dessau und Hanns EislerDiskussion IIILink: Minerva Institut für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Jens Hoffmann ist sehr angetan von dem Sammelband über Juden in der DDR, der aus einer Konferenz hervorgegangen ist, die 2000 in Tel Aviv stattfand. Besonders lobenswert findet es der Rezensent, dass viele der Beiträge sich bemühen, die in der DDR lebenden Juden aus ihrem "damaligen historisch-politischen Bewusstsein" heraus zu verstehen und sie nicht einfach als Opfer "abzuhacken". Auch dass, wie in dem von ihm explizit gelobten Beitrag von Kaynar zu Thomas Brasch, der Begriff einer jüdischen Identität kritisch unter die Lupe genommen wird, wird von Hoffmann mit Zustimmung aufgenommen. Er empfiehlt den Sammelband nachdrücklich, und meint, der eigentliche "Witz" des Buches sei, dass deutlich werde, dass man sich sowohl in der DDR als auch in der BRD die Juden vor allem als "angepasst, versöhnt, akzentfrei" gewünscht habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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