Produktdetails
- Forschungen zur DDR-Geschichte
- Verlag: Ch. Links Verlag
- Seitenzahl: 300
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 574g
- ISBN-13: 9783861530978
- Artikelnr.: 24088880
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.1996Nähe zum Widersacher
Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR
Ulrike Poppe, Rainer Eckert, Ilko-Sascha Kowalczuk (Herausgeber): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR. Forschungen zur DDR-Geschichte, Band 6. Eine Publikation in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung.Ch. Links Verlag, Berlin 1996. 432 Seiten, 38,- Mark.
Erst kurz vor dem Ende der DDR wurde augenscheinlich, daß das Protestpotential dort höher war als vermutet. Die Massenproteste im Herbst 1989 wurden von kleinen oppositionellen Kreisen angeführt. Den Sturz der SED-Regime herbeigeführt oder zumindest beschleunigt zu haben, bleibt ihr historisches Verdienst. Doch sehr bald wurde auch deutlich, daß es weniger politische Inhalte und Ziele dieser Gruppen waren, die die Massen mobilisierten, als vielmehr deren persönliche Unerschrockenheit und mutige Auflehnung gegen die totalitäre Diktatur. Das dürftige Ergebnis dieser Opposition bei den ersten freien Wahlen in der DDR zeigte beispielhaft ihr Scheitern bei der Gestaltung einer nachsozialistischen Gesellschaft und ihre fehlende soziale und politische Verankerung.
Der vorliegende Band möchte die Forschungslücke verkleinern, die die ehedem dominierende systemimmanente DDR-Forschung durch die Ausblendung dieses Themas hinterlassen hat. Fallstudien über verschiedene Oppositionsgruppen werden ergänzt durch allgemeine Ausführungen zu Widerstand und Opposition in deutschen Diktaturen und deren Auswirkungen auf die Demokratie.
Die Fallstudien vermitteln durchweg ein plastisches Bild. Thomas Ammer schildert den Widerstand an den Universitäten 1945 bis 1961 und verdeutlicht, wie das MfS versuchte, jeden noch so kleinen Protest schon im Keime zu ersticken. Nach dem Selbstverständnis der SED und ihrer Staatsschutzgruppe geriet alles zu "feindlich-negativem Verhalten", was tatsächlich oder auch nur vermeintlich gegen ihren totalitären Machtanspruch gerichtet war. Auch Patrick von zur Mühlens Analyse des "Eisenberger Kreises", einer Gruppe, die aus ihrer prinzipiellen Ablehnung der SED-Diktatur keinen Hehl machte, verweist auf das in der Frühphase der DDR vorhandene demokratische Potential.
In den Beiträgen von Ulrike Poppe, Irena Kukutz und Martin Jander geht es dagegen um Gruppen, die sich systemübergreifenden Zielen wie Frieden, Ökologie oder Basisdemokratie verpflichtet fühlten. Im Gegensatz zur "bürgerlichen" Opposition der fünfziger Jahre orientierten sich diese an einem zumeist nicht näher spezifizierten Leitbild eines "dritten Weges". Bis weit in die achtziger Jahre hinein verstanden sie sich vornehmlich als Dissidenten oder "Alternativbewegung", aber in der Mehrzahl blieben sie sozialistischen Ideen treu, erst später wurden "Bürger- und Menschenrechte" auch zu Zielen jenseits eines sozialistischen Gesellschaftsverständnisses.
Die zahlenmäßige Schwäche der Oppositionsgruppen war nicht nur dem repressiven Zugriff von SED und MfS geschuldet, sondern auch der stärksten oppositionellen Kraft: der Ausreisebewegung. Bernd Eisenfeld bringt das Dilemma der SED gegenüber diesem Phänomen auf den Punkt. Verhielt sie sich moderat gegenüber den Ausreisewilligen, verstärkte sie den Wunsch nach Ausreise bei weiteren Personen; ging sie repressiv mit dem Problem um, vergrößerte sie das Oppositionspotential in der DDR. Wie auch immer die SED taktierte, die Ausreisebewegung brachte die Frage der "Menschenrechte" permanent auf die Tagesordnung der DDR und unterminierte damit die Selbstlegitimation der SED-Diktatur.
Peter Steinbach und Rainer Eckert plädieren in ihren Beiträgen für einen komparatistischen Zugang bei der Untersuchung von Widerstand und Opposition in der DDR. Empfohlen wird eine Orientierung an der Erforschung der NS-Widerstandsgeschichte. Doch gerade hier scheinen mir die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Diktaturen größer als auf anderen Feldern. Die erste deutsche Diktatur war hausgemacht und konnte der Zustimmung weiter Bevölkerungsteile gewiß sein, die zweite entstand unter dem Diktat der Roten Armee in einem geteilten Land. So spricht manches dafür, zumindest für die Zeit nach 1968, eher den Vergleich mit den "neuen sozialen Bewegungen" im Westen zu wagen und die Frage nach der Beeinflussung durch diese Bewegungen zu stellen, ohne dabei den totalitären Zuschnitt der SED-Diktatur zu vergessen.
Auch ein Vergleich mit der Opposition in anderen Satellitenstaaten des Sowjet-Imperiums scheint sinnvoller zu sein. Hierbei würde der spezifische Charakter der ostdeutschen Opposition deutlicher zum Vorschein kommen. Indem sie die vermeintlich auf Antifaschismus und Sozialismus beruhende Existenzberechtigung der DDR anerkennt, gerät sie in Opposition zum Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland und entfernt sich von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Diese Differenz wird in dem Beitrag von Helmut Fehr leider nicht sichtbar, er hebt eher die gemeinsamen Elemente im Vergleich zur osteuropäischen Opposition hervor und unterschlägt den entscheidenden Unterschied in der Bewertung der bürgerlichen Demokratie. So bleibt es Stefan Wolle vorbehalten, an den von Panzern erstickten "Traum vom demokratischen Sozialismus" zu erinnern, der die Illusionen osteuropäischer Dissidenten zerstörte, aber bis heute viele ehemalige Oppositionsaktivisten der DDR prägt und sie nun sogar in die politische Nähe ihrer ehemaligen Widersacher trägt.
In der Definition von Widerstand und Opposition sind sich die Autoren uneins. Ein weiter Widerstandsbegriff kann die politische Dimension "widerständigen Verhaltens" nur unscharf erfassen, die Konzentration auf ausdrücklich politische Opposition dagegen blendet die spezifischen Bedingungen einer totalitären Diktatur aus. So scheint es immer noch angeraten, die Klassifizierung von Richard Löwenthal zu übernehmen: politische Opposition, gesellschaftliche Verweigerung und weltanschauliche Dissidenz.
Ein großes Problem bleibt naturgemäß die Bewertung von Opposition und Widerstand. Die Debatte um das "ehrende Gedenken" an Stalinisten, die aus dem sowjetischen Exil gegen das nationalsozialistische Deutschland opponierten und daneben als Handlanger Stalins mehr kommunistische Spitzenfunktionäre umzubringen halfen als ihre totalitären Widersacher, sollte zu denken geben. Die Bewertung dieser Diskussion durch Rainer Eckert als "Ausgrenzung des kommunistischen Widerstandes" wird jedenfalls dieser Dimension nicht gerecht.
Der Unterschied zwischen der reinen Darstellung von Widerstandsformen und ihrer retrospektiven Bewertung oder gar Ehrung darf nicht verwischt werden. Hierfür plädiert auch Ilko-Sascha Kowalczuk in bezug auf die DDR, er ordnet zum Beispiel antisowjetische Aktionen oder Äußerungen zwar widerständigem Verhalten zu, möchte ihnen jedoch keinen Beifall und Respekt zollen.
Einer großen Versuchung sollte die Oppositionsforschung freilich nicht erliegen. Zeitgeschichtliche Ereignisse werden oft - zumal von Beteiligten - aus heutiger Perspektive bewertet und schnell idealisiert. Die Bewertung der Oppositionsbewegung als "die eigentliche Verfassungsbewegung", wie sie zum Beispiel Peter Steinbach vornimmt, scheint doch etwas voreilig zu sein, zumal die wissenschaftliche Erforschung von Widerstand und Opposition in der zweiten deutschen Diktatur erst am Anfang steht. KLAUS SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR
Ulrike Poppe, Rainer Eckert, Ilko-Sascha Kowalczuk (Herausgeber): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR. Forschungen zur DDR-Geschichte, Band 6. Eine Publikation in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung.Ch. Links Verlag, Berlin 1996. 432 Seiten, 38,- Mark.
Erst kurz vor dem Ende der DDR wurde augenscheinlich, daß das Protestpotential dort höher war als vermutet. Die Massenproteste im Herbst 1989 wurden von kleinen oppositionellen Kreisen angeführt. Den Sturz der SED-Regime herbeigeführt oder zumindest beschleunigt zu haben, bleibt ihr historisches Verdienst. Doch sehr bald wurde auch deutlich, daß es weniger politische Inhalte und Ziele dieser Gruppen waren, die die Massen mobilisierten, als vielmehr deren persönliche Unerschrockenheit und mutige Auflehnung gegen die totalitäre Diktatur. Das dürftige Ergebnis dieser Opposition bei den ersten freien Wahlen in der DDR zeigte beispielhaft ihr Scheitern bei der Gestaltung einer nachsozialistischen Gesellschaft und ihre fehlende soziale und politische Verankerung.
Der vorliegende Band möchte die Forschungslücke verkleinern, die die ehedem dominierende systemimmanente DDR-Forschung durch die Ausblendung dieses Themas hinterlassen hat. Fallstudien über verschiedene Oppositionsgruppen werden ergänzt durch allgemeine Ausführungen zu Widerstand und Opposition in deutschen Diktaturen und deren Auswirkungen auf die Demokratie.
Die Fallstudien vermitteln durchweg ein plastisches Bild. Thomas Ammer schildert den Widerstand an den Universitäten 1945 bis 1961 und verdeutlicht, wie das MfS versuchte, jeden noch so kleinen Protest schon im Keime zu ersticken. Nach dem Selbstverständnis der SED und ihrer Staatsschutzgruppe geriet alles zu "feindlich-negativem Verhalten", was tatsächlich oder auch nur vermeintlich gegen ihren totalitären Machtanspruch gerichtet war. Auch Patrick von zur Mühlens Analyse des "Eisenberger Kreises", einer Gruppe, die aus ihrer prinzipiellen Ablehnung der SED-Diktatur keinen Hehl machte, verweist auf das in der Frühphase der DDR vorhandene demokratische Potential.
In den Beiträgen von Ulrike Poppe, Irena Kukutz und Martin Jander geht es dagegen um Gruppen, die sich systemübergreifenden Zielen wie Frieden, Ökologie oder Basisdemokratie verpflichtet fühlten. Im Gegensatz zur "bürgerlichen" Opposition der fünfziger Jahre orientierten sich diese an einem zumeist nicht näher spezifizierten Leitbild eines "dritten Weges". Bis weit in die achtziger Jahre hinein verstanden sie sich vornehmlich als Dissidenten oder "Alternativbewegung", aber in der Mehrzahl blieben sie sozialistischen Ideen treu, erst später wurden "Bürger- und Menschenrechte" auch zu Zielen jenseits eines sozialistischen Gesellschaftsverständnisses.
Die zahlenmäßige Schwäche der Oppositionsgruppen war nicht nur dem repressiven Zugriff von SED und MfS geschuldet, sondern auch der stärksten oppositionellen Kraft: der Ausreisebewegung. Bernd Eisenfeld bringt das Dilemma der SED gegenüber diesem Phänomen auf den Punkt. Verhielt sie sich moderat gegenüber den Ausreisewilligen, verstärkte sie den Wunsch nach Ausreise bei weiteren Personen; ging sie repressiv mit dem Problem um, vergrößerte sie das Oppositionspotential in der DDR. Wie auch immer die SED taktierte, die Ausreisebewegung brachte die Frage der "Menschenrechte" permanent auf die Tagesordnung der DDR und unterminierte damit die Selbstlegitimation der SED-Diktatur.
Peter Steinbach und Rainer Eckert plädieren in ihren Beiträgen für einen komparatistischen Zugang bei der Untersuchung von Widerstand und Opposition in der DDR. Empfohlen wird eine Orientierung an der Erforschung der NS-Widerstandsgeschichte. Doch gerade hier scheinen mir die Unterschiede zwischen den beiden deutschen Diktaturen größer als auf anderen Feldern. Die erste deutsche Diktatur war hausgemacht und konnte der Zustimmung weiter Bevölkerungsteile gewiß sein, die zweite entstand unter dem Diktat der Roten Armee in einem geteilten Land. So spricht manches dafür, zumindest für die Zeit nach 1968, eher den Vergleich mit den "neuen sozialen Bewegungen" im Westen zu wagen und die Frage nach der Beeinflussung durch diese Bewegungen zu stellen, ohne dabei den totalitären Zuschnitt der SED-Diktatur zu vergessen.
Auch ein Vergleich mit der Opposition in anderen Satellitenstaaten des Sowjet-Imperiums scheint sinnvoller zu sein. Hierbei würde der spezifische Charakter der ostdeutschen Opposition deutlicher zum Vorschein kommen. Indem sie die vermeintlich auf Antifaschismus und Sozialismus beruhende Existenzberechtigung der DDR anerkennt, gerät sie in Opposition zum Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland und entfernt sich von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Diese Differenz wird in dem Beitrag von Helmut Fehr leider nicht sichtbar, er hebt eher die gemeinsamen Elemente im Vergleich zur osteuropäischen Opposition hervor und unterschlägt den entscheidenden Unterschied in der Bewertung der bürgerlichen Demokratie. So bleibt es Stefan Wolle vorbehalten, an den von Panzern erstickten "Traum vom demokratischen Sozialismus" zu erinnern, der die Illusionen osteuropäischer Dissidenten zerstörte, aber bis heute viele ehemalige Oppositionsaktivisten der DDR prägt und sie nun sogar in die politische Nähe ihrer ehemaligen Widersacher trägt.
In der Definition von Widerstand und Opposition sind sich die Autoren uneins. Ein weiter Widerstandsbegriff kann die politische Dimension "widerständigen Verhaltens" nur unscharf erfassen, die Konzentration auf ausdrücklich politische Opposition dagegen blendet die spezifischen Bedingungen einer totalitären Diktatur aus. So scheint es immer noch angeraten, die Klassifizierung von Richard Löwenthal zu übernehmen: politische Opposition, gesellschaftliche Verweigerung und weltanschauliche Dissidenz.
Ein großes Problem bleibt naturgemäß die Bewertung von Opposition und Widerstand. Die Debatte um das "ehrende Gedenken" an Stalinisten, die aus dem sowjetischen Exil gegen das nationalsozialistische Deutschland opponierten und daneben als Handlanger Stalins mehr kommunistische Spitzenfunktionäre umzubringen halfen als ihre totalitären Widersacher, sollte zu denken geben. Die Bewertung dieser Diskussion durch Rainer Eckert als "Ausgrenzung des kommunistischen Widerstandes" wird jedenfalls dieser Dimension nicht gerecht.
Der Unterschied zwischen der reinen Darstellung von Widerstandsformen und ihrer retrospektiven Bewertung oder gar Ehrung darf nicht verwischt werden. Hierfür plädiert auch Ilko-Sascha Kowalczuk in bezug auf die DDR, er ordnet zum Beispiel antisowjetische Aktionen oder Äußerungen zwar widerständigem Verhalten zu, möchte ihnen jedoch keinen Beifall und Respekt zollen.
Einer großen Versuchung sollte die Oppositionsforschung freilich nicht erliegen. Zeitgeschichtliche Ereignisse werden oft - zumal von Beteiligten - aus heutiger Perspektive bewertet und schnell idealisiert. Die Bewertung der Oppositionsbewegung als "die eigentliche Verfassungsbewegung", wie sie zum Beispiel Peter Steinbach vornimmt, scheint doch etwas voreilig zu sein, zumal die wissenschaftliche Erforschung von Widerstand und Opposition in der zweiten deutschen Diktatur erst am Anfang steht. KLAUS SCHROEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Jeder einzelne Beitrag verdient Interesse, weil jedesmal, wenn auch auf verschiedene Weise, bewußt wird, wie wenig und zugleich wie viel Opposition und Widerstand im Staat der SED manifest waren." (Deutschlandarchiv 3/96) "Das Buch benennt vielfältige, bislang kaum bekannte Formen des Widerstandes in der DDR: innerhalb der SED, den Universitäten, den evangelischen Kirchen und in den Betrieben." (idea-Spektrum, 20.3.96) "Die Texte argumentieren für eine sensible und genaue Aufarbeitung der DDR-Geschichte, die sich gerade nicht in Klischee-Bildern und Parteiprogrammatiken fassen läßt. Wie die Herausgeber zu Recht anmerken, ist heute vielmehr eine präzise Forschung zum Alltag und zu Alltagserfahrungen in der DDR gefordert. Ihr Buch gibt dazu wichtige Impulse." (Sächsische Zeitung, 27.2.96) "Das Buch enthält 19 Beiträge verschiedener Autoren, die die bisherigen Erkenntnisse über die eher unbekannte DDR-Opposition breitgefächert zusammentragen - von Reformversuchen innerhalb der SED über Frauengruppen und unabhängige Gewerkschafter bis zur Ausreisebewegung." (Berliner Zeitung, 24.11.95)