Diese deutsch-deutsche Kulturgeschichte nimmt erstmals die Entwicklungen in Ost und West vom Ausgang des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung gemeinsam in den Blick. Am Beispiel von Kunst, Literatur und Musik, aber auch anhand der Phänomene von Massen- und Populärkultur analysiert Carsten Kretschmann übergreifende kulturelle Prägungen und Mentalitäten und beschreibt das spannungsreiche Verhältnis zwischen Kultur und Politik.Mit der Reihe 'Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert' wendet sich erstmals eine junge Generation von Historikern dem gerade zu Ende gegangenen 'deutschen Jahrhundert' zu. In 16 populär geschriebenen Bänden werfen sie einen unverstellten Blick auf Alltag, Kultur, Politik und Wirtschaft vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik.'... die komplexe deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis zur Berliner Republik kurz, verständlich und ansprechend ...' Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2012Zweiheitzeit
Deutsch-deutsche Kultur
Der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der vor ihrer Auflösung stehenden DDR hielt fest, dass Kunst und Kultur stets "eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation" gewesen seien. Inwieweit dies zutraf, lotet Carsten Kretschmann in seinem chronologisch angelegten und durchaus anregenden, wenn auch allzu namenslastigen Überblick für den Zeitraum von 1945 bis 1989 aus. Einleitend warnt er davor, "Kontinuitäten und Kohärenzen zu entwerfen, die von den Quellen nicht gedeckt sind". Beide Staaten entwickelten sich in der Phase des Kalten Krieges in starkem Maße auseinander, weil sich Bonn vornehmlich an Washington, Ost-Berlin ganz und gar an Moskau orientierte. Während in der Bundesrepublik das föderale Element dominierte, war die DDR-Kultur zentralistisch organisiert. Im SED-Staat wurden "unsozialistische Tendenzen" in Kunst, Literatur und Musik mehr oder weniger verboten.
In der Bonner Republik entfaltete sich in den sechziger Jahren eine politisch-intellektuelle Opposition, wenn auch von der Mehrheit der Bundesbürger kritisch beäugt. Schon in den siebziger Jahren kam es zum Wertewandel: "Arbeit und Leistung, die Fixsterne des westdeutschen Wirtschaftswunders, hatten im Rahmen einer individualisierbaren Lebensgestaltung nur noch begrenzten Wert: Das Zauberwort dieser Jahre hieß Selbstverwirklichung." In der Ost-Berliner Diktatur stellte sich die Frage, "ob kollektive Identitäten allein durch Abgrenzungen" zusammengehalten werden konnten. Zum antifaschistischen Widerstand als Gründungsmythos kamen andere Fixpunkte hinzu. Luther, der Alte Fritz und Bismarck galten nicht mehr als verdammenswerte Ahnherren Hitlers, "sondern als beispielhafte Verkörperung jenes deutschen Geistes, den auch die SED-Spitze für sich in Anspruch nehmen wollte". Die "denkwürdige Begegnung" zwischen Rockstar Udo Lindenberg und Honecker schildert Kretschmann gekonnt. Nach 1990 glaubten dann manche Beobachter, dass sich die alte deutsche Kultur "in der DDR - gleichsam gefriergetrocknet - authentischer erhalten habe als in der westgebundenen Bundesrepublik". In der Berliner Republik seien - so Kretschmann treffend - Fitness und Wellness zu sinnstiftenden Instanzen geworden.
RAINER BLASIUS
Carsten Kretschmann: Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im geteilten Deutschland. be.bra Verlag, Berlin 2012. 208 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsch-deutsche Kultur
Der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der vor ihrer Auflösung stehenden DDR hielt fest, dass Kunst und Kultur stets "eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation" gewesen seien. Inwieweit dies zutraf, lotet Carsten Kretschmann in seinem chronologisch angelegten und durchaus anregenden, wenn auch allzu namenslastigen Überblick für den Zeitraum von 1945 bis 1989 aus. Einleitend warnt er davor, "Kontinuitäten und Kohärenzen zu entwerfen, die von den Quellen nicht gedeckt sind". Beide Staaten entwickelten sich in der Phase des Kalten Krieges in starkem Maße auseinander, weil sich Bonn vornehmlich an Washington, Ost-Berlin ganz und gar an Moskau orientierte. Während in der Bundesrepublik das föderale Element dominierte, war die DDR-Kultur zentralistisch organisiert. Im SED-Staat wurden "unsozialistische Tendenzen" in Kunst, Literatur und Musik mehr oder weniger verboten.
In der Bonner Republik entfaltete sich in den sechziger Jahren eine politisch-intellektuelle Opposition, wenn auch von der Mehrheit der Bundesbürger kritisch beäugt. Schon in den siebziger Jahren kam es zum Wertewandel: "Arbeit und Leistung, die Fixsterne des westdeutschen Wirtschaftswunders, hatten im Rahmen einer individualisierbaren Lebensgestaltung nur noch begrenzten Wert: Das Zauberwort dieser Jahre hieß Selbstverwirklichung." In der Ost-Berliner Diktatur stellte sich die Frage, "ob kollektive Identitäten allein durch Abgrenzungen" zusammengehalten werden konnten. Zum antifaschistischen Widerstand als Gründungsmythos kamen andere Fixpunkte hinzu. Luther, der Alte Fritz und Bismarck galten nicht mehr als verdammenswerte Ahnherren Hitlers, "sondern als beispielhafte Verkörperung jenes deutschen Geistes, den auch die SED-Spitze für sich in Anspruch nehmen wollte". Die "denkwürdige Begegnung" zwischen Rockstar Udo Lindenberg und Honecker schildert Kretschmann gekonnt. Nach 1990 glaubten dann manche Beobachter, dass sich die alte deutsche Kultur "in der DDR - gleichsam gefriergetrocknet - authentischer erhalten habe als in der westgebundenen Bundesrepublik". In der Berliner Republik seien - so Kretschmann treffend - Fitness und Wellness zu sinnstiftenden Instanzen geworden.
RAINER BLASIUS
Carsten Kretschmann: Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im geteilten Deutschland. be.bra Verlag, Berlin 2012. 208 S., 19,90 [Euro].
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