Mit der Berufung Heinrich Brünings zum Reichskanzler im März 1930 begann die knapp dreijährige Phase der Präsidialkabinette, die sich in der Rückschau als Übergang von der parlamentarischen Demokratie zur nationalsozialistischen Diktatur darstellt. Dem autoritären Kurs in der Innen- entsprachen auch neue, gefährliche Tendenzen in der Außenpolitik. Brüning verließ den auf Verständigung mit Frankreich zielenden Kurs Stresemanns und betrieb eine Revisionspolitik, die auf die Befindlichkeiten des westlichen Nachbarn keine Rücksicht mehr nahm. Franz von Papen, der von einer gegen die UdSSR gerichteten deutsch-französischen Allianz und von deutscher Hegemonie in Mittel- und Südosteuropa träumte, ging bereits weit über die Grenzen der Revisionspolitik hinaus und zeigte sich auch hierin als Wegbereiter der Nationalsozialisten. Kurt von Schleichers eher traditionelle Vorstellungen konnten in seiner kurzen Regierungszeit keine Wirkung entfalten. Hermann Graml analysiert nicht nur die deutsche Außenpolitik, sondern beschreibt auch die Positionen und Perzeptionen der britischen, französischen und amerikanischen Deutschlandpolitik. Hermann Graml, Historiker, war bis zu seiner Pensionierung langjähriger Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte und Chefredakteur der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. When Heinrich Brüning was made Chancellor in March 1930, the three-year-period of authoritarian presidential cabinets in the Weimar Republic began. In hindsight, we can see that this development paved the way for Hitlers dictatorship. With the authoritarian regime at home, a new and potentially dangerous foreign policy emerged, aiming at a revision of the rulings of the Versailles peace treaty, without a care as to the reactions of the Western powers involved. Hermann Graml does not only analyse this new foreign policy, but also outlines the American, British and French positions. Aus der Presse: "Dass sein ganz aus den Quellen geschriebenes, klares und kraftvolles Buch zur Debatte einlädt, spricht nur für seine Bedeutung." Andreas Rödder in: FAZ vom 15.10.2001
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2001Hinter der Weimarer Fassade
Hermann Graml untersucht die Außenpolitik der Präsidialkabinette
Hermann Graml: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 83). R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 250 Seiten, 49,80 Mark.
Die Pariser Ordnung der Staatenwelt nach dem Ersten Weltkrieg war strukturell instabil, weil sie die Staaten Europas in Sieger und Verlierer, in Verteidiger des Status quo und in Revisionisten teilte. Dennoch betrieben die beiden Hauptkontrahenten Deutschland und Frankreich seit 1924 eine Politik der Annäherung. So stellte sich Anfang der dreißiger Jahre die entscheidende Frage, ob ein echter Interessenausgleich innerhalb der bestehenden Ordnung möglich sein würde.
Die Rahmenbedingungen wurden allerdings schwieriger: mit der vorzeitigen Räumung des Rheinlandes 1930 war das Reservoir französischer Konzessionsbereitschaft erschöpft. Zudem schmälerte die über ganz Europa hereinbrechende Finanz- und Wirtschaftskrise die Bereitschaft zu weiterer Kooperation auf allen Seiten. Obendrein türmte sich in Deutschland eine zunehmende Welle des Nationalismus auf, die auch die deutsche Außenpolitik im Übergang von den parlamentarischen Regierungen der Weimarer Republik zu den Präsidialkabinetten nicht unberührt lassen konnte.
Hermann Gramls "Außenpolitik der Präsidialkabinette" füllt eine lange klaffende Lücke, die Peter Krügers Standardwerk von 1985 in programmatischer Absicht hinterließ, weil er die Jahre ab 1930 schon nicht mehr zur "Außenpolitik der Republik von Weimar" zählt. Diese Einschätzung ist Teil einer Forschungsposition, die den Präsidialkabinetten - namentlich der Regierung Brüning - ein umfassendes Programm der inneren und äußeren Umgestaltung der Republik in restaurativer, jedenfalls antiparlamentarischer und nationalistischer Absicht zuschreibt. Demgegenüber betont eine andere Forschungsrichtung vielmehr die Zwangslagen und engen Handlungsspielräume, die der Regierung Brüning vor allem kurzfristiges Krisenmanagement diktierten; sie betont zugleich die Offenheit der politischen Perspektiven in der deutschen Staatskrise.
Graml verfolgt die zentrale Frage nach dem Verhältnis der Außenpolitik der Präsidialkabinette einerseits zur Weimarer Außenpolitik bis 1930 und andererseits zur frühen nationalsozialistischen Außenpolitik. Mit der Bildung des ersten Präsidialkabinetts im März 1930 setzt er den entscheidenden Bruch an. Die Regierung Brüning habe "hinter der Weimarer Fassade" den "Aufbau eines autoritären Systems" angestrebt. Dazu gehörte eine deflationäre Finanzpolitik, "die das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs steuern mußte", um die Abschaffung der Reparationen durchzusetzen. Dem nationalistischen Druck in Deutschland habe sich die Regierung Brüning "auch aus eigenem Antrieb" zugunsten "aktiver Revisionspolitik" gebeugt, so etwa "anti-französische Positionen bezogen, um . . . den Angriff auf den territorialen Status quo Kontinentaleuropas einzuleiten". Das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion 1931 habe in dieser Hinsicht einen konkreten Versuch dargestellt.
Diese "revisionspolitisch motivierte Rechtsdrift der Regierung Brüning" bedeutete einen "klaren Bruch mit den Grundsätzen und den taktischen Rezepten Stresemannscher Politik", die Graml zugleich zum (nicht zuletzt moralischen) Maßstab erhebt: Verständigung, weitgehendes Arrangement mit dem Status quo und (wenn auch nicht sicher belegbar) die Bereitschaft zum Verzicht auf Revisionspolitik auch gegenüber Polen. Ob dabei die revisionistische Komponente von Stresemanns Politik nicht unterschätzt wird, bleibt allerdings zu fragen.
Der klassischen Revisionismusthese, wie sie Graml vertritt, läßt sich entgegenhalten, daß die Regierung Brüning einem radikalen Revisionismus doch gerade entgegenstand - sosehr sie sich der gewandelten Stimmung im Lande nicht entziehen konnte und sosehr ihre Außenpolitik im Vergleich zu Stresemann deutlich revisionistischer orientiert war. Auch die These vom Primat einer Abschaffung der Reparationen, aus dem eine bewußt ruinöse Finanzpolitik abgeleitet worden wäre, hat die jüngere Forschung revidiert und als ursprüngliches Ziel Brünings vielmehr eine Sanierung der Staatsfinanzen herausgearbeitet. Damit fand gerade das erste Präsidialkabinett internationale Anerkennung, während es auf heftige Ablehnung von nationalistischer Seite in Deutschland stieß.
Allerdings betont Graml auch, daß die Regierung Brüning noch "keinen Bruch mit sämtlichen Möglichkeiten und Elementen der Weimarer Außenpolitik" darstellte. Der wurde erst mit der konfrontativen Außenpolitik des Brüning-Nachfolgers Franz von Papen vollzogen, die den Boden des Weimarer Revisionismus "im Zeichen einer autarkistischen Ideologie" verlassen habe und den "Übergang zu jener neuen Periode" markierte, "die von den Ambitionen und Formen des nationalsozialistischen Expansionismus bestimmt wurde".
Die Interpretation der Außenpolitik der Präsidialkabinette hängt davon ab, wie man die unterschiedlichen Aspekte gewichtet. Man kann dies anders tun als Hermann Graml. Daß sein ganz aus den Quellen geschriebenes, klares und kraftvolles Buch zur Debatte einlädt, spricht nur für seine Bedeutung.
ANDREAS RÖDDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hermann Graml untersucht die Außenpolitik der Präsidialkabinette
Hermann Graml: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 83). R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 250 Seiten, 49,80 Mark.
Die Pariser Ordnung der Staatenwelt nach dem Ersten Weltkrieg war strukturell instabil, weil sie die Staaten Europas in Sieger und Verlierer, in Verteidiger des Status quo und in Revisionisten teilte. Dennoch betrieben die beiden Hauptkontrahenten Deutschland und Frankreich seit 1924 eine Politik der Annäherung. So stellte sich Anfang der dreißiger Jahre die entscheidende Frage, ob ein echter Interessenausgleich innerhalb der bestehenden Ordnung möglich sein würde.
Die Rahmenbedingungen wurden allerdings schwieriger: mit der vorzeitigen Räumung des Rheinlandes 1930 war das Reservoir französischer Konzessionsbereitschaft erschöpft. Zudem schmälerte die über ganz Europa hereinbrechende Finanz- und Wirtschaftskrise die Bereitschaft zu weiterer Kooperation auf allen Seiten. Obendrein türmte sich in Deutschland eine zunehmende Welle des Nationalismus auf, die auch die deutsche Außenpolitik im Übergang von den parlamentarischen Regierungen der Weimarer Republik zu den Präsidialkabinetten nicht unberührt lassen konnte.
Hermann Gramls "Außenpolitik der Präsidialkabinette" füllt eine lange klaffende Lücke, die Peter Krügers Standardwerk von 1985 in programmatischer Absicht hinterließ, weil er die Jahre ab 1930 schon nicht mehr zur "Außenpolitik der Republik von Weimar" zählt. Diese Einschätzung ist Teil einer Forschungsposition, die den Präsidialkabinetten - namentlich der Regierung Brüning - ein umfassendes Programm der inneren und äußeren Umgestaltung der Republik in restaurativer, jedenfalls antiparlamentarischer und nationalistischer Absicht zuschreibt. Demgegenüber betont eine andere Forschungsrichtung vielmehr die Zwangslagen und engen Handlungsspielräume, die der Regierung Brüning vor allem kurzfristiges Krisenmanagement diktierten; sie betont zugleich die Offenheit der politischen Perspektiven in der deutschen Staatskrise.
Graml verfolgt die zentrale Frage nach dem Verhältnis der Außenpolitik der Präsidialkabinette einerseits zur Weimarer Außenpolitik bis 1930 und andererseits zur frühen nationalsozialistischen Außenpolitik. Mit der Bildung des ersten Präsidialkabinetts im März 1930 setzt er den entscheidenden Bruch an. Die Regierung Brüning habe "hinter der Weimarer Fassade" den "Aufbau eines autoritären Systems" angestrebt. Dazu gehörte eine deflationäre Finanzpolitik, "die das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs steuern mußte", um die Abschaffung der Reparationen durchzusetzen. Dem nationalistischen Druck in Deutschland habe sich die Regierung Brüning "auch aus eigenem Antrieb" zugunsten "aktiver Revisionspolitik" gebeugt, so etwa "anti-französische Positionen bezogen, um . . . den Angriff auf den territorialen Status quo Kontinentaleuropas einzuleiten". Das Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion 1931 habe in dieser Hinsicht einen konkreten Versuch dargestellt.
Diese "revisionspolitisch motivierte Rechtsdrift der Regierung Brüning" bedeutete einen "klaren Bruch mit den Grundsätzen und den taktischen Rezepten Stresemannscher Politik", die Graml zugleich zum (nicht zuletzt moralischen) Maßstab erhebt: Verständigung, weitgehendes Arrangement mit dem Status quo und (wenn auch nicht sicher belegbar) die Bereitschaft zum Verzicht auf Revisionspolitik auch gegenüber Polen. Ob dabei die revisionistische Komponente von Stresemanns Politik nicht unterschätzt wird, bleibt allerdings zu fragen.
Der klassischen Revisionismusthese, wie sie Graml vertritt, läßt sich entgegenhalten, daß die Regierung Brüning einem radikalen Revisionismus doch gerade entgegenstand - sosehr sie sich der gewandelten Stimmung im Lande nicht entziehen konnte und sosehr ihre Außenpolitik im Vergleich zu Stresemann deutlich revisionistischer orientiert war. Auch die These vom Primat einer Abschaffung der Reparationen, aus dem eine bewußt ruinöse Finanzpolitik abgeleitet worden wäre, hat die jüngere Forschung revidiert und als ursprüngliches Ziel Brünings vielmehr eine Sanierung der Staatsfinanzen herausgearbeitet. Damit fand gerade das erste Präsidialkabinett internationale Anerkennung, während es auf heftige Ablehnung von nationalistischer Seite in Deutschland stieß.
Allerdings betont Graml auch, daß die Regierung Brüning noch "keinen Bruch mit sämtlichen Möglichkeiten und Elementen der Weimarer Außenpolitik" darstellte. Der wurde erst mit der konfrontativen Außenpolitik des Brüning-Nachfolgers Franz von Papen vollzogen, die den Boden des Weimarer Revisionismus "im Zeichen einer autarkistischen Ideologie" verlassen habe und den "Übergang zu jener neuen Periode" markierte, "die von den Ambitionen und Formen des nationalsozialistischen Expansionismus bestimmt wurde".
Die Interpretation der Außenpolitik der Präsidialkabinette hängt davon ab, wie man die unterschiedlichen Aspekte gewichtet. Man kann dies anders tun als Hermann Graml. Daß sein ganz aus den Quellen geschriebenes, klares und kraftvolles Buch zur Debatte einlädt, spricht nur für seine Bedeutung.
ANDREAS RÖDDER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ulrich Schlie wundert sich, dass eine Untersuchung der deutschen Außenpolitik in der Weimarer Republik bisher noch nicht vorlag und begrüßt deshalb die Darstellung des Münchner Historikers. Er gerät richtiggehend ins Schwärmen über die Studie und meint, die Ergebnisse des Buches "können sich sehen lassen". Er preist den Autor eingehend für die "sehr lesbare Form" und seine klaren und "unprätenziösen" Schlussfolgerungen und urteilt beeindruckt, Graml habe die Forschung ein "gutes Stück vorangebracht".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Graml ist eine hervoragend lesbare Studie aus einem Guß gelungen, die eindrucksvoll bezeugt, daß auch im derzeit gängigen Konzept von 'International History' die klassische Diplomatiegeschichte ihre Berechtigung behält." Wolfgang Elz in: Der Staat, Heft 3/2004