Was hat es mit Heimito von Doderers NS-Vergangenheit auf sich? Was zog ihn am Nationalsozialismus an, was stieß ihn später ab? Das Buch bringt neue Erkenntnisse zu diesem Einfluss in Leben und Werk. Aufschluss gibt sein Romanprojekt der 30er Jahre "Die Dämonen der Ostmark", von dessen antisemitischer Thematik er sich bis zur Veröffentlichung der Dämonen 1956 schrittweise distanzierte. Die biographische Spurensuche zeichnet den dramatischen Lebensweg von Doderers Freunden jüdischer Herkunft nach. Besonderes Augenmerk gilt seiner ersten Ehefrau Auguste Hasterlik und deren Familie - gestützt auf die beeindruckende Briefsammlung von Hasterliks Nichte Giulia Hine, die hier erstmals erschlossen wird. Darunter Briefe, in welchen Freunde über Doderers Zwiespältigkeit und seine Erfolge berichten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2011Die vielfältigen Anschlussphantasien eines Österreichers
Distinguiert und diskret bevorzugt: Alexandra Kleinlercher durchforstet Heimito von Doderers Leben und Werk nach Spuren von Antisemitismus und Nationalsozialismus.
Die Behauptung, Heimito von Doderer sei erst in den fünfziger Jahren aufgrund des auch Wien unterstellten restaurativen Treibhausklimas mit staatlich verordnetem Gedächtnisverlust zum radikalen Erneuerer einer österreichischen Nationalliteratur geworden, findet sich bis heute in rechtsgerichteten Blättern. Dabei reichen die Wurzeln von Doderers Gesamtwerk, zumal des Romans "Die Dämonen" (1956), Jahrzehnte zurück.
Um mit klarem Verstand Doderers Werk zu beurteilen, muss man also ein paar Fenster des historischen Treibhauses mehr aufmachen und darf sich nicht von autobiographischen Verschönerungsmaßnahmen blenden lassen. Auch Doderer, der 1933 in die NSDAP eingetreten und entgegen allen Behauptungen niemals ausgetreten ist, reihte sich ein in die Gruppe derer, die ihre Weste nachträglich reiner erscheinen lassen wollten.
In ihrer umfangreichen Dissertationsschrift "Zwischen Wahrheit und Dichtung. Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer" zeigt Alexandra Kleinlercher historisch und philologisch korrekt, welche antisemitischen und nationalsozialistischen Ideen in das Werk des Autors eingegangen sind und welche heiklen Passagen Doderer im Nachhinein getilgt hatte. Ihr literaturwissenschaftliches Hauptinteresse gilt den unveröffentlicht gebliebenen "Dämonen der Ostmark" und dem daraus hervorgegangenen, nicht nur um die Ostmark bereinigten Roman "Die Dämonen".
Antisemitisches und nationalsozialistisches Gedankengut findet sich schon beim frühen Doderer in großer Menge. So zitiert Kleinlercher eine Annonce, die der Autor 1929 in der "Neuen Freien Presse" aufgegeben hatte mit dem Ziel, "Anschluß an ca. 40-jährige distinguierte israelitische Dame (Wienerin) von nur sehr starker korpulenter größerer Figur und schwarzem Haar" zu finden, "strengste Diskretion" gewährleistet. Dahinter verbarg sich nicht der schlichte Wunsch nach einem amourösen Abenteuer mit einer Fremden, sondern, durchaus rassistisch gedacht, mit Fremdem - offenbar aber unter Ausschluss der folgenreichen Vermischung mit dessen Erbmaterial, hatten diese "reifen, starken, üppigen Weiber" doch ihre "weiblichen Aufgaben", also das Kinderkriegen, bereits erfüllt und legten es nicht unbedingt auf eine Heirat an. In erster Linie aber habe, so Kleinlercher, Doderer dabei auf Inspiration für sein Romanprojekt "Dicke Damen" gehofft, aus dem die "Dämonen der Ostmark" und später dann die zur Publikation gelangte Fassung der "Dämonen" hervorging. Seine damalige erste Ehefrau Gusti Hasterlik, eine Jüdin, die später verschiedentlich als literarische Figur wiederkehrt, wusste offenbar davon und hat ihren Mann sogar zu dem Inserat ermutigt. Doderer aber quälte sie regelmäßig, wie in Briefen und Notizen nachzulesen ist, mit obsessiv vorgetragenen antisemitischen Stereotypen.
Doderers rassistische Vorurteile prägen die Struktur der "Dämonen der Ostmark". Die tragenden Säulen waren das Bild des für die Rassenvermischung stehenden "Eintopfs" und die angestrebte Trennung von Juden und Nichtjuden ("Wasserscheide"). Erstaunlich, dass nach Eliminierung der Grundfeste das daraus geschaffene Werk gleichwohl unter ästhetischen Gesichtspunkten Bestand haben konnte - eine Frage, mit der sich die Autorin indes nicht auseinandersetzt, wie überhaupt ein gewisser Mangel an analytischer Schärfe auffällt. Darüber hinaus ermüden zahlreiche Wiederholungen. Zentrale Begriffe wie der "Eintopf", die "Wasserscheide" und die "Dicken Damen" müssen nicht jedes Mal neu erklärt werden; der Leser kann sich diese grobianischen Bilder durchaus merken.
Der Wert des Buches besteht in der aufwendigen Recherche und mühevollen Archivarbeit. Alexandra Kleinlercher hat Interviews mit dem ehemaligen Sekretär und späteren Biographen Wolfgang Fleischmann und eine E-Mail-Korrespondenz mit der Nichte von Doderers erster Ehefrau Gusti, der Amerikanerin Giulia Hine, geführt sowie deren Brief- und Dokumentensammlung ausgewertet. So besteht das Buch zu mindestens zwei Dritteln aus biographischem Material. Die Faszination daran scheint das eigentlich literaturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse mitunter zu übersteigen.
Vielleicht hätte es etwas mehr Mutes bedurft, um etwa Doderers theoretische Versuche, wie die in seinem 1948 verfassten Traktat "Sexualität und totaler Staat" formulierte These einer "zweiten Wirklichkeit", der er philosophischen Wert beimaß, stärker auszuleuchten. Immerhin steht diese damit in gewisser Tradition zu allerhand dualistischen Systemen von Platons "Zwei-Welten-Theorie" bis hin zu Kantorowicz' "Zwei-Körper-Lehre".
Aber was meinte Doderer damit genau? Es sei ihm, so Kleinlercher, um "Wirklichkeit" und "Scheinwirklichkeit", "Apperzeption" (im Sinne adäquater Welterfassung) und deren Verweigerung und schließlich um "Analogie (als Brückenfunktion zwischen dem eigenen Inneren und der äußeren Welt) und Pseudologie (Lüge bzw. Selbstbetrug)" gegangen. Einfacher gesagt: Wenn innere und äußere Welt sich decken, sind gesellschaftliche Integration und Teilnahme am Leben möglich. Ist das Wirklichkeitsverhältnis hingegen unstimmig, dann herrscht Pseudologie und Apperzeptionsverweigerung, also Lug, Trug und Verblendung. Wie dies mit den Parametern Sexualität (Ehebruch? Vergewaltigung?) und Totalitarismus (Verrat? Gewaltherrschaft?) zusammenhängt, lässt die Autorin offen.
Gleichwohl unternimmt sie vielversprechende Anläufe zu einer werkimmanenten Deutung von Doderers dualem Wirklichkeitssystem. Sie sieht dieses veranschaulicht in den nach außen hin abgedichteten, im Werk immer wieder auftauchenden soziologischen Mikrokosmen, wie etwa in der Welt der symbiotisch miteinander verschmolzenen Eheleute Gringo aus der Anfang der sechziger Jahre entstandenen Erzählung "Unter schwarzen Sternen": Das Paar lebt in seiner Scheinwirklichkeit wie in einer in sich geschlossenen Kugel so lange gut, bis die Kugel aufbricht und die beiden sich umbringen - insgesamt ein jedoch wenig originelles Bild symbiotischer Verschmelzung, das in einer Reihe steht mit Doderers Perlen- oder Apfelmetaphorik. Diesen Bildern hätte man vielleicht mit Peter Sloterdijks Sphärentheorie aus den neunziger Jahren einen interpretatorischen Mehrwert abgewinnen können.
Auch wenn das Buch nicht verrät, warum Heimito von Doderer in ästhetischer Hinsicht starke Beachtung verdient hat, so lässt es keinen Zweifel daran, dass man ihn, ideologisch betrachtet, als zeitweise radikalen Nationaldichter bezeichnen muss.
FRIEDERIKE REENTS
Alexandra Kleinlercher: "Zwischen Wahrheit und Dichtung". Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer.
Literaturgeschichte in Studien und Quellen, Bd. 16. Hrsg. v. Klaus Amann, Hubert Lengauer und Karl Wagner. Böhlau Verlag, Wien 2011. 472 S., br., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Distinguiert und diskret bevorzugt: Alexandra Kleinlercher durchforstet Heimito von Doderers Leben und Werk nach Spuren von Antisemitismus und Nationalsozialismus.
Die Behauptung, Heimito von Doderer sei erst in den fünfziger Jahren aufgrund des auch Wien unterstellten restaurativen Treibhausklimas mit staatlich verordnetem Gedächtnisverlust zum radikalen Erneuerer einer österreichischen Nationalliteratur geworden, findet sich bis heute in rechtsgerichteten Blättern. Dabei reichen die Wurzeln von Doderers Gesamtwerk, zumal des Romans "Die Dämonen" (1956), Jahrzehnte zurück.
Um mit klarem Verstand Doderers Werk zu beurteilen, muss man also ein paar Fenster des historischen Treibhauses mehr aufmachen und darf sich nicht von autobiographischen Verschönerungsmaßnahmen blenden lassen. Auch Doderer, der 1933 in die NSDAP eingetreten und entgegen allen Behauptungen niemals ausgetreten ist, reihte sich ein in die Gruppe derer, die ihre Weste nachträglich reiner erscheinen lassen wollten.
In ihrer umfangreichen Dissertationsschrift "Zwischen Wahrheit und Dichtung. Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer" zeigt Alexandra Kleinlercher historisch und philologisch korrekt, welche antisemitischen und nationalsozialistischen Ideen in das Werk des Autors eingegangen sind und welche heiklen Passagen Doderer im Nachhinein getilgt hatte. Ihr literaturwissenschaftliches Hauptinteresse gilt den unveröffentlicht gebliebenen "Dämonen der Ostmark" und dem daraus hervorgegangenen, nicht nur um die Ostmark bereinigten Roman "Die Dämonen".
Antisemitisches und nationalsozialistisches Gedankengut findet sich schon beim frühen Doderer in großer Menge. So zitiert Kleinlercher eine Annonce, die der Autor 1929 in der "Neuen Freien Presse" aufgegeben hatte mit dem Ziel, "Anschluß an ca. 40-jährige distinguierte israelitische Dame (Wienerin) von nur sehr starker korpulenter größerer Figur und schwarzem Haar" zu finden, "strengste Diskretion" gewährleistet. Dahinter verbarg sich nicht der schlichte Wunsch nach einem amourösen Abenteuer mit einer Fremden, sondern, durchaus rassistisch gedacht, mit Fremdem - offenbar aber unter Ausschluss der folgenreichen Vermischung mit dessen Erbmaterial, hatten diese "reifen, starken, üppigen Weiber" doch ihre "weiblichen Aufgaben", also das Kinderkriegen, bereits erfüllt und legten es nicht unbedingt auf eine Heirat an. In erster Linie aber habe, so Kleinlercher, Doderer dabei auf Inspiration für sein Romanprojekt "Dicke Damen" gehofft, aus dem die "Dämonen der Ostmark" und später dann die zur Publikation gelangte Fassung der "Dämonen" hervorging. Seine damalige erste Ehefrau Gusti Hasterlik, eine Jüdin, die später verschiedentlich als literarische Figur wiederkehrt, wusste offenbar davon und hat ihren Mann sogar zu dem Inserat ermutigt. Doderer aber quälte sie regelmäßig, wie in Briefen und Notizen nachzulesen ist, mit obsessiv vorgetragenen antisemitischen Stereotypen.
Doderers rassistische Vorurteile prägen die Struktur der "Dämonen der Ostmark". Die tragenden Säulen waren das Bild des für die Rassenvermischung stehenden "Eintopfs" und die angestrebte Trennung von Juden und Nichtjuden ("Wasserscheide"). Erstaunlich, dass nach Eliminierung der Grundfeste das daraus geschaffene Werk gleichwohl unter ästhetischen Gesichtspunkten Bestand haben konnte - eine Frage, mit der sich die Autorin indes nicht auseinandersetzt, wie überhaupt ein gewisser Mangel an analytischer Schärfe auffällt. Darüber hinaus ermüden zahlreiche Wiederholungen. Zentrale Begriffe wie der "Eintopf", die "Wasserscheide" und die "Dicken Damen" müssen nicht jedes Mal neu erklärt werden; der Leser kann sich diese grobianischen Bilder durchaus merken.
Der Wert des Buches besteht in der aufwendigen Recherche und mühevollen Archivarbeit. Alexandra Kleinlercher hat Interviews mit dem ehemaligen Sekretär und späteren Biographen Wolfgang Fleischmann und eine E-Mail-Korrespondenz mit der Nichte von Doderers erster Ehefrau Gusti, der Amerikanerin Giulia Hine, geführt sowie deren Brief- und Dokumentensammlung ausgewertet. So besteht das Buch zu mindestens zwei Dritteln aus biographischem Material. Die Faszination daran scheint das eigentlich literaturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse mitunter zu übersteigen.
Vielleicht hätte es etwas mehr Mutes bedurft, um etwa Doderers theoretische Versuche, wie die in seinem 1948 verfassten Traktat "Sexualität und totaler Staat" formulierte These einer "zweiten Wirklichkeit", der er philosophischen Wert beimaß, stärker auszuleuchten. Immerhin steht diese damit in gewisser Tradition zu allerhand dualistischen Systemen von Platons "Zwei-Welten-Theorie" bis hin zu Kantorowicz' "Zwei-Körper-Lehre".
Aber was meinte Doderer damit genau? Es sei ihm, so Kleinlercher, um "Wirklichkeit" und "Scheinwirklichkeit", "Apperzeption" (im Sinne adäquater Welterfassung) und deren Verweigerung und schließlich um "Analogie (als Brückenfunktion zwischen dem eigenen Inneren und der äußeren Welt) und Pseudologie (Lüge bzw. Selbstbetrug)" gegangen. Einfacher gesagt: Wenn innere und äußere Welt sich decken, sind gesellschaftliche Integration und Teilnahme am Leben möglich. Ist das Wirklichkeitsverhältnis hingegen unstimmig, dann herrscht Pseudologie und Apperzeptionsverweigerung, also Lug, Trug und Verblendung. Wie dies mit den Parametern Sexualität (Ehebruch? Vergewaltigung?) und Totalitarismus (Verrat? Gewaltherrschaft?) zusammenhängt, lässt die Autorin offen.
Gleichwohl unternimmt sie vielversprechende Anläufe zu einer werkimmanenten Deutung von Doderers dualem Wirklichkeitssystem. Sie sieht dieses veranschaulicht in den nach außen hin abgedichteten, im Werk immer wieder auftauchenden soziologischen Mikrokosmen, wie etwa in der Welt der symbiotisch miteinander verschmolzenen Eheleute Gringo aus der Anfang der sechziger Jahre entstandenen Erzählung "Unter schwarzen Sternen": Das Paar lebt in seiner Scheinwirklichkeit wie in einer in sich geschlossenen Kugel so lange gut, bis die Kugel aufbricht und die beiden sich umbringen - insgesamt ein jedoch wenig originelles Bild symbiotischer Verschmelzung, das in einer Reihe steht mit Doderers Perlen- oder Apfelmetaphorik. Diesen Bildern hätte man vielleicht mit Peter Sloterdijks Sphärentheorie aus den neunziger Jahren einen interpretatorischen Mehrwert abgewinnen können.
Auch wenn das Buch nicht verrät, warum Heimito von Doderer in ästhetischer Hinsicht starke Beachtung verdient hat, so lässt es keinen Zweifel daran, dass man ihn, ideologisch betrachtet, als zeitweise radikalen Nationaldichter bezeichnen muss.
FRIEDERIKE REENTS
Alexandra Kleinlercher: "Zwischen Wahrheit und Dichtung". Antisemitismus und Nationalsozialismus bei Heimito von Doderer.
Literaturgeschichte in Studien und Quellen, Bd. 16. Hrsg. v. Klaus Amann, Hubert Lengauer und Karl Wagner. Böhlau Verlag, Wien 2011. 472 S., br., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Warum sie Heimito von Doderer lesen sollte, bleibt Friederike Reents auch nach der Lektüre dieser Dissertation von Alexandra Kleinlercher schleierhaft. Um Doderers Biografie, seine radikal nationalistischen Tendenzen und seine rassistischen Vorurteile in Werken wie "Dämonen der Ostmark" kennenzulernen, reicht der Band von Kleinlercher laut Reents indes aus. Jedenfalls, wenn der Leser sich mit philologisch und historisch korrekter Recherche- und Archivarbeit befassen möchte. Für schärfere Analysen und eine stärkere Beleuchtung von Doderers dualem Wirklichkeitssystem muss sich die Rezensentin an anderer Stelle umsehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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