Bernhard Giesen konzipiert eine kulturwissenschaftliche Soziologie, die das Außerordentliche in den Mittelpunkt stellt: Ambivalenzen, Paradoxien, Störungen, Zwischenlagen und Ausnahmen sind - so die These - keine Gefährdungen der sozialen Ordnung, sondern unverzichtbare Bestandteile dieser Ordnung. Ohne diese essentielle Uneindeutigkeit würde der Prozess der kulturellen Deutung der Welt versanden. Das, was von der konventionellen Sozialwissenschaft zumeist als kritisches Risiko der Ordnung behandelt wurde, erweist sich - wenn diese Annahme zutrifft - als ihre konstitutive Kraft.Diese These wird stufenweise entwickelt. Ausgehend von Identität als erster Voraussetzung wendet sich die Untersuchung der dualistischen Unterscheidung zwischen kulturell Vorausgesetztem und dem situativ Vorhandenen zu. Dann wird die Unverzichtbarkeit eines dritten Bezuges - der Zwischenlage, der Uneindeutigkeit oder der Ausnahme - aufgezeigt. Ohne dieses unverzichtbare Dritte käme der soziale Prozess zum Erliegen. Dieses »Dritte« wird schließlich in einem weiteren Schritt aufgespalten: in ambivalente Zwischenlagen, die die Unterscheidung überschreiten, aber auch betonen - einerseits - und in Indifferenz, das heißt in die Unanwendbarkeit der Unterscheidung - andererseits.Kulturalistische Soziologie versteht sich als Gegensatz zu einem naturalistisch monistischen Paradigma, das nicht nur Kultur auf die Eigenschaften ihrer materiellen Träger reduziert, sondern auch von der Möglichkeit einer objektiven und positiven Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit ausgeht, aber sie versteht sich auch als Überschreitung eines klassischen strukturalistischen Modells, das Kultur als ein System binärer Unterscheidungen behandelt. Sie begreift die Wirklichkeit des Sozialen nicht über materiale Gegebenheiten, sie sieht die vorhandene Welt nicht als verfügbare Ressourcen für kontingente Entscheidungen und sie begreift Handeln nicht oder nicht in erster Linie als Ergebnis machtbedingter Unterschiede der Handlungsmöglichkeiten. Sie rückt stattdessen die wechselnde, aber gemeinsame Deutung der Welt - und nicht ihre individuelle Nutzung -, die wechselnden Vorstellungen von Identität - und nicht die Annahme einer universellen Rationalität - in ihren Mittelpunkt.Die These von der Unvermeidlichkeit von Ambivalenzen und Indifferenzen im Prozess der Konstruktion kulturellen Sinns wird im zweiten Teil des Buches an so unterschiedlichen Phänomenen wie Müll und Lachen, Bindestrich-Identitäten und Skandalen, Verführung und der Melancholie der Intellektuellen erläutert.