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Am Tag von Olgas Beerdigung verschwimmt die Welt vor Ruths Augen zu einem impressionistischen Gemälde, sie verfährt sich auf dem Weg zum Friedhof und strandet stattdessen in einem abgelegenen Park. Ruth, die einmal für eine kurze Zeit Olgas Schwiegertochter war und die durch eine alte Schuld belastet ist, erscheinen an diesem seltsamen Ort die Toten und die Lebenden. Während die Wirklichkeit zunehmend verschwimmt, erlebt Ruth mit Olga an ihrer Seite einen Tag, an dem Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen.

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Produktbeschreibung
Am Tag von Olgas Beerdigung verschwimmt die Welt vor Ruths Augen zu einem impressionistischen Gemälde, sie verfährt sich auf dem Weg zum Friedhof und strandet stattdessen in einem abgelegenen Park. Ruth, die einmal für eine kurze Zeit Olgas Schwiegertochter war und die durch eine alte Schuld belastet ist, erscheinen an diesem seltsamen Ort die Toten und die Lebenden. Während die Wirklichkeit zunehmend verschwimmt, erlebt Ruth mit Olga an ihrer Seite einen Tag, an dem Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen.
Autorenporträt
Monika Maron, geboren 1941 in Berlin, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart. Sie wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik nach Hamburg und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane und mehrere Essaybände. Ausgezeichnet wurde sie mit diversen Preisen, darunter der Kleistpreis (1992), der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg (2003), der Deutsche Nationalpreis (2009), der Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2011) und der Ida-Dehmel-Literaturpreis (2017). Bei Hoffmann und Campe erschienen zuletzt der Essayband Was ist eigentlich los? (2021) und der Roman Das Haus (2023).
Rezensionen
» Ein literarisches Kunststück auf höchstem Niveau « Süddeutsche Zeitung

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2013

Manchmal gibt es nur die Wahl zwischen falsch und falsch

Im Einzelnen verstehen, was uns allen innewohnt, das ist Monikas Marons poetisches Prinzip. In ihrem neuen Roman "Zwischenspiel" versammelt die Schriftstellerin auf einem Friedhof Lebende und Tote zu einem phantastischen Reigen des Haderns.

Lag es an der Sehstörung, die Ruth ihre Umwelt neuerdings nur noch in grob verpixelten, irgendwie impressionistischen Bildern wahrnehmen ließ? Oder an "Stefan", der neuen Stimme im Navigationsgerät, die Ruth gegen die strenge "Christina" ausgetauscht hatte und der sich die Berliner Museumsangestellte wesentlich leichtfertiger widersetzen konnte als Stefans weiblichem Pendant? Jedenfalls gelangt die Ich-Erzählerin in Monika Marons neuem Roman "Zwischenspiel" auf dem Weg zur Beerdigung ihrer Freundin Olga nicht wie gewünscht auf den Friedhof in der Nähe von Pankow. Stattdessen führt der Weg sie geradewegs in einen Park, der sich als ein ziemlich verwunschener Ort herausstellt und selbst die hartgesottene Ruth, die weder an Gott glaubt noch an homöopathische Globuli, ins Zweifeln bringt.

Nicht nur tönt die tote Olga, die gerade auf dem Friedhof nebenan zu Grabe getragen wird, gleichzeitig durch Ruths Autoradio, kurz bevor die Nachrichten beginnen, es sei nun elf, "jetzt kommst du zu spät zu meiner Beerdigung". Kurz darauf, Ruth hat ihr Auto auf dem Parkplatz stehen lassen, tauchen im Stadtgarten, der eben noch menschenleer war, immer mehr Gestalten auf, sowohl Lebende als auch Tote, die mit Ruth irgendwann einmal in einer Beziehung standen. Ihre Geschichten, Klagen und Anekdoten bilden den phantastischen Reigen dieser zauberhaften Erzählung, in der sich auf knapp zweihundert Seiten die Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart schiebt und sich das Lächerliche im Tragischen ebenso offenbart wie umgekehrt.

Auf den verschiedensten Ebenen verhandelt die Schriftstellerin Monika Maron die Frage, ob Schuld immer Schuld bleibt oder ob eine Erlösung von den eigenen Fehltritten möglich ist. "Schuld bleibt immer, so oder so", davon ist jedenfalls Olga überzeugt. Womöglich ist diese Annahme der Grund dafür, dass die ausgebildete Schauspielerin mit dem ovalen Gesicht, die mit fast neunzig Jahren gestorben ist, zu Lebzeiten ihre eigenen Wünsche stets zugunsten anderer zurückgestellt hat. Das hat man ihr nicht unbedingt gedankt, aber es unterscheidet sie von den meisten Bekanntschaften aus Ruths Vergangenheit. Die nämlich möchten, als sie sich auf geheimnisvolle Weise im Park einfinden, die jeweils eigene Interpretation der Geschichte als einzig gültige verstanden wissen, ob nun privat oder politisch. Klar, dass man sich dabei ins Gehege kommt.

Da hadert Ruth, seit sie unlängst sechzig wurde, mit der eigenen Sterblichkeit und grübelt, ob das womöglich der letzte Kühlschrank war, den sie je kaufen wird. Mehr noch als die allgemeine Tränenseligkeit fürchtet sie vor Olgas Beerdigung jedoch die Begegnung mit Bernhard. Zu DDR-Zeiten waren die beiden für kurze Zeit ein Paar, ehe Ruth ihn kurz vor der Hochzeit, das Aufgebot war schon bestellt, kurzerhand sitzenließ. Mit Bernhards Mutter, der verstorbenen Olga, blieb Ruth in Kontakt, die gemeinsame Tochter Fanny wuchs bei ihr auf. Bernhard aber kann sie bis heute nicht verzeihen, dass er Ruth, als sie mit Fanny in den Westen ging, über das neunjährige Mädchen bespitzelte, die er bei gemeinsamen Treffen aushorchte, um als IM Modigliani Bericht zu erstatten.

Dass Ruth sich an Bernhard nicht weniger schuldig gemacht hat als er an ihr, mag sie sich bis heute nicht eingestehen. Und dass Bernhard viel schlimmer hätte handeln können, etwa, indem er das gesamte Ausreiseunternehmen vereitelt hätte, das ihm immerhin seine Tochter entzog, will sich Ruth erst gar nicht vorhalten lassen. Gegen ihren Vorwurf, das eigene Kind auszuspionieren, steht seiner, das eigene Kind in den Westen entführt zu haben. "Manchmal gibt es das Richtige einfach nicht", weiß die tote Olga, "man hat nur die Wahl zwischen dem einen und dem anderen Falschen, und dann weiß der Mensch sich nicht zu helfen."

Nach West-Berlin war Ruth dem Schriftsteller Hendrik gefolgt, der im Osten nicht publizieren durfte, im Westen dann wichtige Preise bekam und als Chronist seiner Zeit gefeiert wurde. Warum seine Bücher irgendwann dann nicht mehr zu den medialen Sensationen der Saison gehörten, fand Ruth erst Jahre später heraus, als Hendrik sie längst wegen einer Jüngeren verlassen hatte. Der Autor hatte einen Souffleur, den hochbegabten Bruno, der selbst keinen Ehrgeiz hatte, etwas aus seinem Talent zu machen, und sich nach Hendriks Weggang zu Tode trank. Während Bruno mit dem Freund auch seine Seele abhandenkam, die er Hendrik in die Feder diktierte, konnte umgekehrt auch Hendrik ohne den Freund nicht mehr schreiben wie vorher. Mit Brunos Tod war Hendrik dessen genialischer Blick auf die Welt abhandengekommen. "Der Tod adelt Betrüger, Mörder, Säufer und alle anderen Tunichtgute", sinniert nun im Park der tote Bruno mit der Flasche in der Hand, "er nimmt sie gnädig zurück als misslungene Schöpfungsversuche der Natur in das große Recyclingdepot, wo Gut und Böse einträchtig vermodern."

Kein Wunder, dass sich auf Ruths Parkbank schließlich auch Margot und Erich Honecker einfinden, die aber noch in den frühen neunziger Jahren stecken und nicht begreifen können, dass von ihrem Arbeiter-und-Bauern-Paradies nichts übrig geblieben ist außer dem Bautzener Senf. "Niemand will Euch wiederhaben, nicht einmal die Kommunisten", bricht es aus Ruth hervor, die mehr als unter Honecker nur unter dem zweiten Mann ihrer Mutter gelitten hat. Der "Sekretär", wie sie ihn nennt, hat nicht nur Nicki, ihren geliebten Hund aus Kindertagen, auf dem Gewissen, er hat Ruth die Kindheit verdorben. Sie musste vierzig Jahre alt werden, um zu lernen, die Wunden, die nicht verheilen, der Mutter nicht jedes Mal wieder aufs Neue vorzuwerfen.

Nicht nur die Geschichte des Stiefvaters lässt bei "Zwischenspiel" an Monika Marons eigene Biographie denken. 1941 in Berlin geboren und in Ost-Berlin aufgewachsen, hatte ihre Mutter in zweiter Ehe Karl Maron geheiratet, der zeitweilig Innenminister der DDR war. Das Land, für das er stand, gibt es seit gut zwei Jahrzehnten nicht mehr, doch für Monika Maron ist es Gegenstand ihrer Beschäftigung geblieben. Ihre Romane und Erzählungen verhandeln von "Flugasche" über "Animal triste" bis zu "Endmoränen" und "Ach Glück" die jüngere deutsche Geschichte anhand der Geschichten weiblicher Hauptfiguren. Dabei schreibt sie gewiss an der eigenen Biographie entlang, ohne jedoch biographisch zu sein. Sie will das Individuelle eines einzelnen Lebens herausarbeiten, "im einzelnen Menschen verstehen, was uns allen innewohnt, und die Umstände erkennen, die es zutage fördern kann", wie sie es selbst einmal beschrieben hat.

So drehen sich die Geschichten in "Zwischenspiel" eben auch um verpasste Lieben, um Lebensentwürfe und deren Haltbarkeit und um das Älterwerden. "Wo bleiben die ganzen Ichs überhaupt, die man in seinem Leben war und denen man das letzte immerhin verdankt?", fragt sich Ruth an einer Stelle. "Das Problem ist, dass man nicht als der Mensch die Welt verlässt, als der man auf die Welt gekommen ist."

Anlässlich ihres siebzigsten Geburtstags hat Monika Maron in einem Interview über die Zumutungen des Älterwerdens gesprochen. Sie könne nichts Versöhnliches über das Altwerden sagen, behauptete sie, "und klüger werden kann man auch, ohne dabei zu verschrumpeln". Das mag schon sein. Aber den Ton dieser traurigen Komödie so präzise zu treffen, wie Monika Maron dies gelingt, die existentiellen Fragen mit kluger Nachsicht und zartem Witz zu verhandeln, ohne das Gewesene dabei zu verharmlosen, dazu muss man vielleicht doch die eine oder andere Schramme des Lebens abbekommen haben.

SANDRA KEGEL

Monika Maron: "Zwischenspiel". Roman.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013. 191 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2013

Die Tücken des Hütchenspiels
An diesem Mittwoch erscheint der neue Roman von Monika Maron: „Zwischenspiel“ ist eine
grimmig-poetische Erzählung über die Unmöglichkeit, ohne Schuld und Wunden durchs Leben zu kommen
VON ULRICH RÜDENAUER
Ist es nicht so, dass wir unter lauter Toten leben? Dass sie sich zwischen uns drängen und dort tummeln, ganz selbstverständlich, wir zuweilen leise mit ihnen sprechen und dabei glauben, wir führten Selbstgespräche? Könnte es nicht sein, dass wir insgeheim ihren Gedanken folgen, ohne sie in den Falten unseres Bewusstseins überhaupt recht wahrzunehmen? Manchmal jedoch, wenn der Tod sich einen Nächsten greift und uns Hinterbliebene damit für Augenblicke aus dem Leben zu reißen droht, werden wir etwas wacher für ihre Präsenz. Dann treten wir vielleicht für kurze Zeit selbst ein in ein Zwischenreich, erhaschen einen freilich unscharfen Blick auf das große Totengewimmel.
  Ruth, die Erzählerin in Monika Marons neuem Roman „Zwischenspiel“, leidet an einer Sehstörung. Die Welt und die Dinge verlieren für einen Tag an Kontur, verschwimmen, drohen sich aufzulösen. Die Autofahrt zur Beerdigung ihrer Freundin Olga gleicht einer Odyssee. Den angepeilten Friedhof in Berlin-Pankow verfehlt sie trotz Navi und gerät stattdessen mitten hinein in einen Karneval der Toten. Schon im Autoradio glaubt sie Olgas Stimme zu hören, als würde Ruth plötzlich empfänglich sein für jenseitige Frequenzbereiche.
  Schließlich landet sie in einem Park, in dem Lebende und Tote umherschwirren wie auf Goyas Gemälde „Das Begräbnis der Sardine“ – ein Totentanz, der Ruth immer tiefer in die „Verliese“ ihrer „verbannten Erinnerungen“ schaukelt und schunkelt. Einer nach dem andern tritt aus dem Zwielicht in ihr schummriges Sehfeld: Gespenster aus der Vergangenheit, die Staub aufwirbeln und einige Lebensepisoden gar ganz vom Staub befreien. Selbst ein zugelaufener Hund, kein Pudel zwar, aber ein gutes Wesen aus der Kindheit, weicht ihr an diesem ungewöhnlichen Tag nicht mehr von der Seite – er beschützt und geleitet sie mit eindringlich blauäugigem Blick, der in seiner Reinheit alle Idiotie der Menschen zu durchdringen scheint.
  Natürlich gibt es einen Grund für die Halluzination, für diesen Tagtraum, die Begegnung mit den Geistern des Gestern: Olga, im seligen Alter von 90 verstorben, ist nicht nur Ruths enge Freundin gewesen, sondern auch die Mutter ihrer frühen Liebe Bernhard. Viele Jahre liegt diese Beziehung zurück. Bernhard und Ruth sind damals sehr jung, bekommen eine gemeinsame Tochter, Bernhard hat bereits ein Kind aus einer früheren Liaison, einen behinderten Sohn – all das zusammen ist zu viel für Ruth, zu viel Verantwortung, zu viel verplante Zukunft.
  Sie verlässt ihren Mann, noch bevor der Alltag im realexistierenden Sozialismus das Paar zermürben könnte. Eine Flucht ist das, eine Selbstrettung und eben auch ein Verrat. Ruth flieht irgendwann sogar aus der DDR, mit ihrer Tochter und dem Schriftstellerfreund Hendrik, der wie viele andere Autoren im Osten gegen Wände und die schier unüberwindbare Mauer rennt. Bernhard besucht die drei später im Westen, Geschäftsreisen vortäuschend, in Wahrheit aber für die Stasi die Familie seiner Tochter ausspionierend. So etwas verzeiht man nicht leicht. Den früheren Freund und späteren Spitzel bei Olgas Beerdigung wiederzutreffen verursacht ein Taumeln: eine Begegnung mit den Brüchen in der eigenen Biografie, mit der Fahrlässigkeit, mit der man liebt und die Liebe aufs Spiel setzt, mit den Unzulänglichkeiten des eigenen Tuns, auch mit dem Gefühl des Älterwerdens.
  Beide, Bernhard wie Ruth, sind aneinander schuldig geworden, und um das Leben mit der Schuld geht es in Marons Totengesprächen: „Weißt du, Schuld bleibt immer, so oder so“, sagt die stets duldsame und vernunftbegabte Olga, und dieser Satz klingt in Ruth nach, er grundiert die unheimliche Unterhaltung, die sie in an diesem Trauertag mit ihr auf einer Parkbank hat. Die Vergangenheit wirft in Marons Roman lange Schatten, und aus diesem tauchen die Toten lebendig auf, neben Olga der Säufer Bruno, der vor vielen Jahren an einer zerrütteten Leber gestorben ist. Bruno war der geistsprühende Freund von Hendrik, der wahre Autor jener Werke, mit denen er im Westen reüssierte. Er wurde zum unverzichtbaren Stichwortgeber für das Unbehagen, mit dem Hendrik seine Romane unterfüttern konnte; einer jener trotzigen Tresensteher, die ihr Talent für ein paar Gläser Schnaps verschleudern.
  Bruno ist das Gegenbild zu Olga: kein Stehaufmännchen, sondern ein Verzweifelter, dessen störrische Anpassung kein System, nicht einmal das eigene, zu erhalten vermag; ein Intellektueller, der seine Gedanken verschenkt und dessen Widerstand in schnöder Verweigerung besteht. „Die Sache mit der Schuld ist wie ein Hütchenspiel“, belehrt der tote Bruno die zunehmend verwirrtere Ruth. „Es gewinnt immer, der sie verteilt. Ich habe nicht einmal an der Literatur schuldig werden wollen und darum keine Zeile geschrieben, und schwupp, lag die Schuld unter Hendriks Hütchen. Diesen beiden Schurken und ihren Folterknechten habe ich nicht dienen wollen und darum meine geistigen Aktivitäten weitgehend privatisiert.“
  Mit den beiden Schurken sind Erich und Margot Honecker gemeint. Die erscheinen nämlich ebenfalls zur Geisterstunde, wahnwitzig und komisch ist dieser Auftritt von zwei Gestrigen, die für ewig in den Wendejahren verharren müssen, erstarrt und ohne Begriff, warum der „konterrevolutionäre Mob“ durch die Straßen tobt. Die Geschichte, die sich mit den beiden Greisen immerfort dreht und wiederholt, ist eine Farce. Und Monika Maron gelingt es durch den erzählerischen Dreh ins Surreale auf simple und zugleich bestechende Weise, die Verschlungenheit der persönlichen und politischen Ebenen kenntlich zu machen.
  Ruths Lebenslauf ist – wie jener der Autorin Monika Maron – aufs engste verknüpft mit der Biografie eines Staates. Die DDR hat die Geschichten ihrer Bürger mitgeschrieben, meist auf ungebührliche Weise, manchmal auf verborgene. Das erzeugte, wie Maron einmal in einem Interview sagte, ein „absurdes Lebensgefühl“. Ruth wächst mit einem Stiefvater auf, der SED-Funktionär ist – Marons Stiefvater war Innenminister der DDR unter Ulbricht. Wie ihre Heldin ging Maron noch vor der Wende in den Westen, in ihren Büchern findet sich stets ein Nachhall des Staates, in dem sie nicht veröffentlichen durfte, in dessen Machtspiele sie aber unweigerlich verstrickt war. Als in den Neunzigerjahren bekannt wurde, dass Monika Maron für eine kurze Phase ihres Lebens mit der Stasi Kontakt hatte, ließen manche Kommentatoren jedes Maß vermissen und gerierten sich als unfehlbare Moralapostel. Die Frage nach der Schuld wurde vom hohen Richterstuhl des Feuilletons aus gegen den Einzelfall beantwortet. Dass die junge Monika Maron in ihren beiden Stasi-Berichten eher läppische Reiseeindrücke schilderte und niemanden denunzierte, spielte da zunächst keine Rolle mehr.
  In „Zwischenspiel“ ist Maron ein gerechtes, zuweilen wohltuend grimmiges, zugleich höchst poetisches Buch gelungen, eine magische Erzählung über die Unmöglichkeit, ohne Schuld und ohne Wunden durchs Leben zu kommen. Der Roman greift einen alten literarischen Topos auf, der bis in die Gegenwartsliteratur hinein Faszinationskraft entwickelt – zuletzt ließ etwa Sibylle Lewitscharoff im Roman „Consummatus“ ihren Helden Gespräche mit den Untoten führen, um zu sich selbst zu finden. Ruths Ausflug führt in eine Schattenwelt und gleicht einer Epiphanie. Plötzlich nämlich erschließt sich in der Erscheinung der Totengesellschaft eine Existenz mit all ihren unauflöslichen Widersprüchen, die nebeneinander bestehen bleiben und ausgehalten werden müssen.
  Marons sechzigjährige, an einer Altersschwelle stehende Ruth fragt sich einmal, was so ein Ich eigentlich ist, „wenn dem alten Ich das junge so fremd ist, als gehörte es gar nicht zu ihm. Wo bleiben die ganzen Ichs überhaupt, die man in seinem Leben war und denen man das letzte immerhin verdankt?“ Sie bleiben natürlich immerfort bei und in einem. Zuweilen verstecken sie sich. Aber nie so raffiniert, dass man sie nicht wiederfinden könnte. 
In diesem Roman tauchen die
Toten lebendig wieder auf –
und sprechen mit den Lebenden
  
  
  
  
  
Monika Maron:
Zwischenspiel. Roman.
S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2013. 191 Seiten, 18,99 Euro.
Sie lässt die
Heldin ihres neuen
Romans Totengespräche
über das eigene Leben
führen: Monika Maron.
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