Das Herz klopft, wenn die Liebe springt - zwölf große Geschichten vom kleinen Quentchen Glück
__ Was bleibt, wenn das große Glück nicht mehr zu haben ist und das Leben zu versanden droht? In ebenso fulminanten wie filigranen Geschichten erzählt Feridun Zaimoglu von der Suche nach dem kleinen beglückenden Rest. Feridun Zaimoglu schickt einsame Glücksritter ins Feld - sei es im sanierten Kiez deutscher Großstädte, in den Hinterhöfen touristischer Badeorte oder in archaischen Dörfern. Auf dem Basar der Geschlechter wird hart gehandelt: Rachelüsterne Ehemänner und bigotte Ex-Freundinnen, romantische Schurken, Lustagenten und unkäufliche Verkäuferinnen verstricken sich in den Tauschgeschäften der Liebe. In der beim Bachmann-Wettbewerb preisgekrönten Erzählung Häute kollidiert die Sehnsucht nach dem Einfachen und Ursprünglichen mit den kruden Gesetzen kapitalisierter Bedürfnisbefriedigung. Die gebrochenen Helden leben in der modernen westlichen Wirklichkeit und wollen ihr umjeden Preis entkommen. Aber der Weg zurück in die Welt aus Altväterglauben, Ritualen und Reliquien bleibt verschlossen. Der Leser spürt die Sehnsucht, die sie treibt, und den Schmerz, der sie quält.
Der begnadete Sprachschöpfer Zaimoglu fesselt mit alttestamentarischer Wortgewalt und poetischen Bildern. Staunen macht, wie der Erfinder der »Kanak Sprak« jenen Zauber einfängt, der den flüchtigen Augenblicken des Glücks innewohnt. Denn entgegen aller Wahrscheinlichkeit klopft plötzlich das Herz, wenn die Liebe springt.
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__ Was bleibt, wenn das große Glück nicht mehr zu haben ist und das Leben zu versanden droht? In ebenso fulminanten wie filigranen Geschichten erzählt Feridun Zaimoglu von der Suche nach dem kleinen beglückenden Rest. Feridun Zaimoglu schickt einsame Glücksritter ins Feld - sei es im sanierten Kiez deutscher Großstädte, in den Hinterhöfen touristischer Badeorte oder in archaischen Dörfern. Auf dem Basar der Geschlechter wird hart gehandelt: Rachelüsterne Ehemänner und bigotte Ex-Freundinnen, romantische Schurken, Lustagenten und unkäufliche Verkäuferinnen verstricken sich in den Tauschgeschäften der Liebe. In der beim Bachmann-Wettbewerb preisgekrönten Erzählung Häute kollidiert die Sehnsucht nach dem Einfachen und Ursprünglichen mit den kruden Gesetzen kapitalisierter Bedürfnisbefriedigung. Die gebrochenen Helden leben in der modernen westlichen Wirklichkeit und wollen ihr umjeden Preis entkommen. Aber der Weg zurück in die Welt aus Altväterglauben, Ritualen und Reliquien bleibt verschlossen. Der Leser spürt die Sehnsucht, die sie treibt, und den Schmerz, der sie quält.
Der begnadete Sprachschöpfer Zaimoglu fesselt mit alttestamentarischer Wortgewalt und poetischen Bildern. Staunen macht, wie der Erfinder der »Kanak Sprak« jenen Zauber einfängt, der den flüchtigen Augenblicken des Glücks innewohnt. Denn entgegen aller Wahrscheinlichkeit klopft plötzlich das Herz, wenn die Liebe springt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2004O Rosenknospenlied
Feridun Zaimoglus Erzählungen „Zwölf Gramm Glück”
Das Buch bringt gut dreihundert Gramm auf die Briefwaage, es enthält zwölf Geschichten, und in jeder davon muss, wenn man dem Titel glauben darf, ein Gramm Glück stecken. Macht ein Fünfundzwanzigstel des Gesamtgewichts, ein Quantum, das sich in Preziosen wie Silber oder Safran aufwiegen ließe. Man wähnt sich auf einem orientalischen Bazar, wo man einer vagen Verheißung erliegt und ein Kästchen mit unbekanntem Inhalt erwirbt, die Katze im Sack. Feridun Zaimoglu, das war doch der mit der „Kanak Sprak”, Reporter, Sprachrohr und furioser Rächer einer doppelt ausgegrenzten Migrantengeneration, Rapper und Zapper der zweiten babylonischen Verwirrung, unser literarischer Vorzeige-Deutschtürke, dem wir auch Grobgeschnitztes und Hingepfeffertes gern abnahmen, weil es uns immer wieder so beruhigend unserer Multikulturalität versicherte.
Allerdings hatte sich in Zaimoglus jüngsten Werken, dem Briefroman „Liebesmale, scharlachrot” und der Kunstbetriebs-Hassgeschichte „German Amok”, schon angedeutet, dass ihm auch andere Ausdrucksmittel zur Verfügung stehen – und dass er eines Tages nicht umhin können würde, ihnen ganz zu vertrauen, weil ungezügelter Zorn auf die Dauer zahnlos macht und die volle Dröhnung nach gewisser Frist auf taube Ohren trifft. Jetzt ist es offenbar soweit. Feridun Zaimoglu, soeben vierzig geworden, legt eine Prosa vor, die so selbstverständlich daherkommt, als hätte er nie etwas anderes geschrieben. Sie ist ganz bei sich zu Hause und strahlt doch eine irritierende Fremdheit aus, sie zeigt Kraft, ohne zu protzen, sie tritt weder lautstark noch plakativ wütend auf und vibriert doch streckenweise von einem dunklen Grimm, den man „alttestamentarisch” nennen könnte, wäre dieser Begriff nicht schon verwendet worden, als die Wortgewalt des Autors sich noch stürmisch und wildwüchsig ihren Weg bahnte.
Zaimoglu schickt Männer von unterschiedlicher Wesensart, mit denen er die türkische Herkunft und das Schicksal des Wanderers zwischen zwei Welten gemeinsam hat, als Glückssucher aus. Er leiht ihnen sein Erzähler-Ich und seine klare, durchrhythmisierte Sprache, an der mittlerweile manch ein einheimisch-deutscher Autor seines Jahrgangs sich ein Beispiel nehmen könnte. In den ersten sieben Erzählungen des Bandes, zusammengefasst in der Abteilung „Diesseits”, sind die Helden im westlichen Stadtdschungel auf der Suche nach dem, was in einer lapidaren Überschrift „Libidoökonomie” heißt: Sie begegnen Frauen oder träumen von ihnen, sie versuchen, sie in ihrer anbetungswürdigen Rätselhaftigkeit zu begreifen und gleichwohl eine aus zwei Kulturen gespeiste Macho-Attitüde ihnen gegenüber zu behaupten. Die restlichen fünf Geschichten spielen im „Jenseits”, einem kargen, seltsam zeitlosen und doch bis ins Mark korrumpierten Orient, wo es immer noch um Frauen, Begehren und Sexualität geht, darüber hinaus aber um archaische Rituale, versteinerte Traditionen, heruntergekommene Heilige, Restbestände magischen Denkens und den Kampf einer sonderbar konturlosen, dezidiert hasserfüllten Glaubensgemeinschaft gegen das verderbte „Byzanz-Babylon-Europa”. Das „Diesseits” und das „Jenseits” sind gleichermaßen trostfern, weil sie ohne Transzendenz auskommen müssen, ohne die Hoffnung auf Erlösung oder auch nur Rückkehr zu den Wurzeln. Die Bilder, die Zaimoglu evoziert, sind im Westen wie im Orient auffallend oft von tristem Grau. Beton und Mülltonnen allenthalben, hier „der graue Wandanstrich des Nuttenbunkers”, dort ein „Boden aus fester, grauer Vulkanasche”, an anderer Stelle heißt es: „Das weite graue Land, durchsetzt von Tuffkaminen, erstreckt sich bis zu einem vagen Himmelsstrich in der Ferne.” In der West-Sektion gibt es hier und da noch etwas zu lachen, etwa über Deutsche, die „beim Anblick von banalem kalten Hirtensalat” in frohe Urlaubslaune geraten; über der jenseitigen Welt, die zuweilen etwas Irreales, Konstruiertes hat, als sei der Autor ihr schon allzu lange entfremdet, liegt ein undurchdringlicher Trauerflor.
Wo also sind sie zu finden, die homöopathischen Glücksspuren, die uns versprochen wurden? In Hamburg, zum Beispiel, kann die Liebe für einen flüchtigen Augenblick die Welt verändern: „Der Himmel hatte sich ergossen, und ein stumpfes Perlmutt durchmischte das kalte Winterblau, der Eisglanz ließ die Straßen wie Fabelpfade erscheinen, da und dort, wie Rußstreifen auf der Haut, der Abrieb von Gummireifen. Ein voreiliges Wort hätte alles zunichte gemacht, sie, die neben mir leise Atemwolken ausstieß, wäre verschwunden, ohne ein Wiedersehen zu versprechen.” In einem gottverlassenen türkischen Dorf kann es geschehen, dass ein magerer Soldat, fast noch ein Kind, von der Nachtigall erzählt, die sich auf dem Rosenzweig stets zwischen zwei eng beieinander liegenden Dornen niederlässt: „Ihre kleinen Krallen umgreifen den Zweig, ihr kleiner Kopf ruckt zur Knospe hoch, ihr kleines Herz schlägt und schlägt, denn sie ist zur rechten Zeit angeflogen und kann, bevor die Blüte aufgeht, ihr Rosenknospenlied anstimmen. Sie singt, daß einem das Herz aufgeht, sie singt, daß man zu Boden fallen möchte, ein Wunder, soviel Melodie in solch geringem Körper, die Dichter sind ihr egal, nur die Rose, die noch nicht vollendete Blüte, ist ihr wichtig.”
Es spricht der Dichter Feridun Zaimoglu, noch nicht vollendet, aber auf dem besten Weg, immer wichtiger zu werden.
KRISTINA MAIDT–ZINKE
FERIDUN ZAIMOGLU: Zwölf Gramm Glück. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 236 Seiten, 17,90 Euro.
Die Rapper und Zapper der zweiten babylonischen Verwirrung?
Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Feridun Zaimoglus Erzählungen „Zwölf Gramm Glück”
Das Buch bringt gut dreihundert Gramm auf die Briefwaage, es enthält zwölf Geschichten, und in jeder davon muss, wenn man dem Titel glauben darf, ein Gramm Glück stecken. Macht ein Fünfundzwanzigstel des Gesamtgewichts, ein Quantum, das sich in Preziosen wie Silber oder Safran aufwiegen ließe. Man wähnt sich auf einem orientalischen Bazar, wo man einer vagen Verheißung erliegt und ein Kästchen mit unbekanntem Inhalt erwirbt, die Katze im Sack. Feridun Zaimoglu, das war doch der mit der „Kanak Sprak”, Reporter, Sprachrohr und furioser Rächer einer doppelt ausgegrenzten Migrantengeneration, Rapper und Zapper der zweiten babylonischen Verwirrung, unser literarischer Vorzeige-Deutschtürke, dem wir auch Grobgeschnitztes und Hingepfeffertes gern abnahmen, weil es uns immer wieder so beruhigend unserer Multikulturalität versicherte.
Allerdings hatte sich in Zaimoglus jüngsten Werken, dem Briefroman „Liebesmale, scharlachrot” und der Kunstbetriebs-Hassgeschichte „German Amok”, schon angedeutet, dass ihm auch andere Ausdrucksmittel zur Verfügung stehen – und dass er eines Tages nicht umhin können würde, ihnen ganz zu vertrauen, weil ungezügelter Zorn auf die Dauer zahnlos macht und die volle Dröhnung nach gewisser Frist auf taube Ohren trifft. Jetzt ist es offenbar soweit. Feridun Zaimoglu, soeben vierzig geworden, legt eine Prosa vor, die so selbstverständlich daherkommt, als hätte er nie etwas anderes geschrieben. Sie ist ganz bei sich zu Hause und strahlt doch eine irritierende Fremdheit aus, sie zeigt Kraft, ohne zu protzen, sie tritt weder lautstark noch plakativ wütend auf und vibriert doch streckenweise von einem dunklen Grimm, den man „alttestamentarisch” nennen könnte, wäre dieser Begriff nicht schon verwendet worden, als die Wortgewalt des Autors sich noch stürmisch und wildwüchsig ihren Weg bahnte.
Zaimoglu schickt Männer von unterschiedlicher Wesensart, mit denen er die türkische Herkunft und das Schicksal des Wanderers zwischen zwei Welten gemeinsam hat, als Glückssucher aus. Er leiht ihnen sein Erzähler-Ich und seine klare, durchrhythmisierte Sprache, an der mittlerweile manch ein einheimisch-deutscher Autor seines Jahrgangs sich ein Beispiel nehmen könnte. In den ersten sieben Erzählungen des Bandes, zusammengefasst in der Abteilung „Diesseits”, sind die Helden im westlichen Stadtdschungel auf der Suche nach dem, was in einer lapidaren Überschrift „Libidoökonomie” heißt: Sie begegnen Frauen oder träumen von ihnen, sie versuchen, sie in ihrer anbetungswürdigen Rätselhaftigkeit zu begreifen und gleichwohl eine aus zwei Kulturen gespeiste Macho-Attitüde ihnen gegenüber zu behaupten. Die restlichen fünf Geschichten spielen im „Jenseits”, einem kargen, seltsam zeitlosen und doch bis ins Mark korrumpierten Orient, wo es immer noch um Frauen, Begehren und Sexualität geht, darüber hinaus aber um archaische Rituale, versteinerte Traditionen, heruntergekommene Heilige, Restbestände magischen Denkens und den Kampf einer sonderbar konturlosen, dezidiert hasserfüllten Glaubensgemeinschaft gegen das verderbte „Byzanz-Babylon-Europa”. Das „Diesseits” und das „Jenseits” sind gleichermaßen trostfern, weil sie ohne Transzendenz auskommen müssen, ohne die Hoffnung auf Erlösung oder auch nur Rückkehr zu den Wurzeln. Die Bilder, die Zaimoglu evoziert, sind im Westen wie im Orient auffallend oft von tristem Grau. Beton und Mülltonnen allenthalben, hier „der graue Wandanstrich des Nuttenbunkers”, dort ein „Boden aus fester, grauer Vulkanasche”, an anderer Stelle heißt es: „Das weite graue Land, durchsetzt von Tuffkaminen, erstreckt sich bis zu einem vagen Himmelsstrich in der Ferne.” In der West-Sektion gibt es hier und da noch etwas zu lachen, etwa über Deutsche, die „beim Anblick von banalem kalten Hirtensalat” in frohe Urlaubslaune geraten; über der jenseitigen Welt, die zuweilen etwas Irreales, Konstruiertes hat, als sei der Autor ihr schon allzu lange entfremdet, liegt ein undurchdringlicher Trauerflor.
Wo also sind sie zu finden, die homöopathischen Glücksspuren, die uns versprochen wurden? In Hamburg, zum Beispiel, kann die Liebe für einen flüchtigen Augenblick die Welt verändern: „Der Himmel hatte sich ergossen, und ein stumpfes Perlmutt durchmischte das kalte Winterblau, der Eisglanz ließ die Straßen wie Fabelpfade erscheinen, da und dort, wie Rußstreifen auf der Haut, der Abrieb von Gummireifen. Ein voreiliges Wort hätte alles zunichte gemacht, sie, die neben mir leise Atemwolken ausstieß, wäre verschwunden, ohne ein Wiedersehen zu versprechen.” In einem gottverlassenen türkischen Dorf kann es geschehen, dass ein magerer Soldat, fast noch ein Kind, von der Nachtigall erzählt, die sich auf dem Rosenzweig stets zwischen zwei eng beieinander liegenden Dornen niederlässt: „Ihre kleinen Krallen umgreifen den Zweig, ihr kleiner Kopf ruckt zur Knospe hoch, ihr kleines Herz schlägt und schlägt, denn sie ist zur rechten Zeit angeflogen und kann, bevor die Blüte aufgeht, ihr Rosenknospenlied anstimmen. Sie singt, daß einem das Herz aufgeht, sie singt, daß man zu Boden fallen möchte, ein Wunder, soviel Melodie in solch geringem Körper, die Dichter sind ihr egal, nur die Rose, die noch nicht vollendete Blüte, ist ihr wichtig.”
Es spricht der Dichter Feridun Zaimoglu, noch nicht vollendet, aber auf dem besten Weg, immer wichtiger zu werden.
KRISTINA MAIDT–ZINKE
FERIDUN ZAIMOGLU: Zwölf Gramm Glück. Erzählungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 236 Seiten, 17,90 Euro.
Die Rapper und Zapper der zweiten babylonischen Verwirrung?
Foto: Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2004Mein Herz stand in Flammen, das ist die reine Wahrheit
Zweiunddreißig Seiten über die Liebe: In seinen neuen Erzählungen wiegt Feridun Zaimoglu das Glück
Wie klingt es, wenn man sagt, daß man vom Dutzend der Geschichten dieses Bands nur die erste im Sinn behält, diese aber so intensiv wie sonst nur allerbeste Filme? Daß diese eine Geschichte alle anderen überstrahlt? Wie klingt es, wenn man von einem Buch sagen kann, daß es nach nur 32 von 235 Seiten seine Anforderung schon erfüllt hat und der Rest dann Bonus-Tracks sind? Klingt nicht nach einem Lob. Es ist aber eins.
Vor allem ist es unfair, eine einzige Geschichte so sehr zu bevorzugen, daß man eigentlich nur von ihr erzählen möchte. Was dann alles ungesagt bliebe, vom Autor, von seinem Werk und von diesem neuesten Buch. Beispielsweise wie sorgfältig der ganze Band komponiert ist: Sieben Geschichten handeln vom "Diesseits", fünf vom "Jenseits". Die Asymmetrie erklärt sich aus der Doppelstruktur einer Geschichte, die "Gottesanrufung" heißt: In Teil eins wird beschrieben, wie ein frommer Muslim den Schriftsteller aufsucht, damit dieser für seine ebenfalls sehr fromme Schwester einen Liebesbrief verfaßt; im zweiten Teil erscheint die geheimnisvolle Schwester als eine ehemalige Freundin des Schriftstellers, die ihren Ex noch mal sehen wollte und dazu eine Finte gebrauchen mußte.
Neben der romantischen Frage, wohin gewesene Liebe eigentlich verschwindet, behandelt der Autor also das Phänomen der Zuwendung junger Frauen zu einem strengen muslimischen Glaubens- und Lebensstil, solcher Frauen, die etwas anderes gekannt haben, die es sich aussuchen konnten. Ein brisantes politisches Thema, das Feridun Zaimoglu gewohnt virtuos in Charaktere, Erfahrungen und eine Erzählung übersetzt - es gibt, auch das darf man nicht vergessen zu sagen, keinen in Deutschland, der das so kann wie er. Das ist auch eine Last, aber er schultert sie fröhlich, seit Jahren schon. In einem seiner zahllosen Interviews hat er einmal geklagt, nach dem 11. September sei er quasi nebenberuflich zum "Pressesprecher einer Weltreligion" geworden, aber dieser Seufzer hindert ihn nicht daran, diesen Posten gewissenhaft zu bekleiden, zwar nicht für den Islam zu sprechen, aber doch für eine große Szene, für die zweite und dritte Generation der Migranten in den deutschen Großstädten, für ihre Verwandten, Freunde und Nachbarn. Zum Glück für alle Beteiligten fällt ihm dazu eine ganz besondere Sprache ein, die er fortwährend neu ermittelt und weiterentwickelt, zwischen dem Stakkato der gesprochenen Rede auf der Straße und der kunstvoll komponierten Metapher des zeitgenössischen, aber historisch gebildeten Poeten. Viele haben versucht, diese Sprache zu beschreiben, zu würdigen, nachzuempfinden; stets bleiben die Beschreibungen hinter dem Original zurück. Man kann an dieser Stelle mit dem Hinweis auf die Biographie des Autors abkürzen: Man muß nicht Bourdieu studiert haben, um zu verstehen, daß ein 1964 im anatolischen Bolu geborener Junge, der als Bester seines Jahrgangs in Bonn Abitur macht, dann 1984 in Kiel Medizin studiert, in seinem späteren selbstgewählten Beruf als Literat keine halben Sachen machen wird. Schon bald wird es erste Dissertationen über sein Werk geben; ein Kanon der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts wäre, das ist bereits jetzt klar, ohne ihn unvollständig.
Nachdem das geklärt wäre, können wir endlich zur ersten Geschichte zurückkehren. Sie trägt den ohrwurmhaften Titel "Fünf klopfende Herzen, wenn die Liebe springt", und sie hat wirklich etwas von einem Sommerhit, obwohl sie im Winter spielt, noch dazu in Hamburg, im Schanzenviertel, wo Autonome und Polizisten Katz und Maus spielen, während die Yuppies zuschauen und dabei wohlig erschauern. Es ist eine historisch entrückte Schanze, die der späten Achtziger vielleicht, sie hat etwas Prototypisches: So ähnlich hat Hanif Kureishi in seinen besten Zeiten die Immigrantenviertel Londons beschrieben.
Dem Protagonisten der Geschichte geht es nicht gut - oder auf perverse Weise doch, er hat sich nämlich ein Datum gesetzt für seine Befreiung: Noch achtunddreißig Tage hat er sich gegeben, dann will er sich umbringen. Schluß mit den Anforderungen des bürokratisch-kapitalistischen Komplexes, mit den Zumutungen der Subkultur, Schluß vor allem mit der Einsamkeit des Dichterlebens: "Je mehr ich arbeite, desto mehr hafte ich an den Zwängen des Betriebs, ich hangele mich von einem Abgabetermin zum nächsten, und während sich andere Leute besaufen, bekiffen und verlieben, sitze ich auf meinem Arsch und tippe Seiten voll." Es kommt anders: Bevor er sich termingerecht die Pulsadern aufschlitzt, rammt ihn ein Mini-Cooper mit dem Kotflügel. Es hat ihn doppelt erwischt: "Ich ging zu Boden und setzte mich in den Matsch, ich weiß noch, wie ich zwischen meinen Beinen in den schmutzigen Schnee griff, so als könnte ich es nicht fassen, und dann saß sie auch schon neben mir, ich gaffte auf ihre Beine und dachte, das darf sie nicht tun, sie holt sich noch eine schlimme Erkältung."
Die Fahrerin des Mini hat grüne Augen, kellnert im Restaurant Eisenstein und kommt um vor Sorge. Die glasklare Verwirrung einer beginnenden Liebe - schon lange wurde sie nicht mehr auf so aufwühlende, begeisternde Weise beschrieben. Dabei scheut sich Zaimoglu nicht vor dem Pathos der romantischen Naivität ("Mein Herz stand in Flammen, das ist die reine Wahrheit"), vertraut aber auch auf Situationskomik: Ungeschickt will er sich in seiner Wohnung von seiner eiskalten, nassen Hose befreien, aber die Wollsocken verfangen sich im Hosensaum, just als die besorgte Unfallverursacherin vom Umparken zurückkehrt; sie will nach dem Rechten sehen, sieht aber erst mal ihr Unfallopfer im Kampf mit seinen Klamotten: "Beim Anblick meines wie ein Erpelbürzel gereckten nackten Hinterns bekam sie prompt einen Lachanfall, sie lachte, wie ich noch keine Frau lachen gehört habe, und ich floh, beide Hände auf meinem Geschlecht und die verdammte Hose an den Fußknöcheln, ins Bad."
Gleich am selben Abend will er ihr alles gestehen und sucht sie an ihrem Arbeitsplatz auf. Doch die rechten Worte wollen sich nicht einstellen, wo er doch den ganzen Tag nur auf dem Papier mit ihnen umgeht. "Sie verstand kein Wort von meinem Dichterquatsch", heißt es da bloß lapidar. Selbstreflexion, Zeitgeist, Humor und das wabernde Gefühl der Verliebtheit - all das findet sich auf diesen paar Seiten. Schon bald weiß man nicht mehr, ob man die Geschichte gelesen hat oder ob sie wirklich so passiert ist: Sie transzendiert die Literatur und wird Teil der persönlichen Erfahrung, ohne ihren tiefen universellen Grundton zu verraten. Denn solche Stellen gibt es auch, die von tiefer Einsicht zeugen, an ihnen wird Zaimoglus Sprache, die sonst immer noch eine Wendung nimmt, ganz und gar reduziert: "Ich habe mich nicht umgebracht, sie kam dazwischen." Sogar das Wörtchen "denn" wäre ihm hier zuviel Schnörkel gewesen. Zu diesem Thema werden Gedichte geschrieben, Dramen, lange Romane - manchmal reichen aber eben auch 32 Seiten. Und wenn das Buch danach noch weitergeht: um so besser.
Feridun Zaimoglu: "Zwölf Gramm Glück". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 240 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zweiunddreißig Seiten über die Liebe: In seinen neuen Erzählungen wiegt Feridun Zaimoglu das Glück
Wie klingt es, wenn man sagt, daß man vom Dutzend der Geschichten dieses Bands nur die erste im Sinn behält, diese aber so intensiv wie sonst nur allerbeste Filme? Daß diese eine Geschichte alle anderen überstrahlt? Wie klingt es, wenn man von einem Buch sagen kann, daß es nach nur 32 von 235 Seiten seine Anforderung schon erfüllt hat und der Rest dann Bonus-Tracks sind? Klingt nicht nach einem Lob. Es ist aber eins.
Vor allem ist es unfair, eine einzige Geschichte so sehr zu bevorzugen, daß man eigentlich nur von ihr erzählen möchte. Was dann alles ungesagt bliebe, vom Autor, von seinem Werk und von diesem neuesten Buch. Beispielsweise wie sorgfältig der ganze Band komponiert ist: Sieben Geschichten handeln vom "Diesseits", fünf vom "Jenseits". Die Asymmetrie erklärt sich aus der Doppelstruktur einer Geschichte, die "Gottesanrufung" heißt: In Teil eins wird beschrieben, wie ein frommer Muslim den Schriftsteller aufsucht, damit dieser für seine ebenfalls sehr fromme Schwester einen Liebesbrief verfaßt; im zweiten Teil erscheint die geheimnisvolle Schwester als eine ehemalige Freundin des Schriftstellers, die ihren Ex noch mal sehen wollte und dazu eine Finte gebrauchen mußte.
Neben der romantischen Frage, wohin gewesene Liebe eigentlich verschwindet, behandelt der Autor also das Phänomen der Zuwendung junger Frauen zu einem strengen muslimischen Glaubens- und Lebensstil, solcher Frauen, die etwas anderes gekannt haben, die es sich aussuchen konnten. Ein brisantes politisches Thema, das Feridun Zaimoglu gewohnt virtuos in Charaktere, Erfahrungen und eine Erzählung übersetzt - es gibt, auch das darf man nicht vergessen zu sagen, keinen in Deutschland, der das so kann wie er. Das ist auch eine Last, aber er schultert sie fröhlich, seit Jahren schon. In einem seiner zahllosen Interviews hat er einmal geklagt, nach dem 11. September sei er quasi nebenberuflich zum "Pressesprecher einer Weltreligion" geworden, aber dieser Seufzer hindert ihn nicht daran, diesen Posten gewissenhaft zu bekleiden, zwar nicht für den Islam zu sprechen, aber doch für eine große Szene, für die zweite und dritte Generation der Migranten in den deutschen Großstädten, für ihre Verwandten, Freunde und Nachbarn. Zum Glück für alle Beteiligten fällt ihm dazu eine ganz besondere Sprache ein, die er fortwährend neu ermittelt und weiterentwickelt, zwischen dem Stakkato der gesprochenen Rede auf der Straße und der kunstvoll komponierten Metapher des zeitgenössischen, aber historisch gebildeten Poeten. Viele haben versucht, diese Sprache zu beschreiben, zu würdigen, nachzuempfinden; stets bleiben die Beschreibungen hinter dem Original zurück. Man kann an dieser Stelle mit dem Hinweis auf die Biographie des Autors abkürzen: Man muß nicht Bourdieu studiert haben, um zu verstehen, daß ein 1964 im anatolischen Bolu geborener Junge, der als Bester seines Jahrgangs in Bonn Abitur macht, dann 1984 in Kiel Medizin studiert, in seinem späteren selbstgewählten Beruf als Literat keine halben Sachen machen wird. Schon bald wird es erste Dissertationen über sein Werk geben; ein Kanon der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts wäre, das ist bereits jetzt klar, ohne ihn unvollständig.
Nachdem das geklärt wäre, können wir endlich zur ersten Geschichte zurückkehren. Sie trägt den ohrwurmhaften Titel "Fünf klopfende Herzen, wenn die Liebe springt", und sie hat wirklich etwas von einem Sommerhit, obwohl sie im Winter spielt, noch dazu in Hamburg, im Schanzenviertel, wo Autonome und Polizisten Katz und Maus spielen, während die Yuppies zuschauen und dabei wohlig erschauern. Es ist eine historisch entrückte Schanze, die der späten Achtziger vielleicht, sie hat etwas Prototypisches: So ähnlich hat Hanif Kureishi in seinen besten Zeiten die Immigrantenviertel Londons beschrieben.
Dem Protagonisten der Geschichte geht es nicht gut - oder auf perverse Weise doch, er hat sich nämlich ein Datum gesetzt für seine Befreiung: Noch achtunddreißig Tage hat er sich gegeben, dann will er sich umbringen. Schluß mit den Anforderungen des bürokratisch-kapitalistischen Komplexes, mit den Zumutungen der Subkultur, Schluß vor allem mit der Einsamkeit des Dichterlebens: "Je mehr ich arbeite, desto mehr hafte ich an den Zwängen des Betriebs, ich hangele mich von einem Abgabetermin zum nächsten, und während sich andere Leute besaufen, bekiffen und verlieben, sitze ich auf meinem Arsch und tippe Seiten voll." Es kommt anders: Bevor er sich termingerecht die Pulsadern aufschlitzt, rammt ihn ein Mini-Cooper mit dem Kotflügel. Es hat ihn doppelt erwischt: "Ich ging zu Boden und setzte mich in den Matsch, ich weiß noch, wie ich zwischen meinen Beinen in den schmutzigen Schnee griff, so als könnte ich es nicht fassen, und dann saß sie auch schon neben mir, ich gaffte auf ihre Beine und dachte, das darf sie nicht tun, sie holt sich noch eine schlimme Erkältung."
Die Fahrerin des Mini hat grüne Augen, kellnert im Restaurant Eisenstein und kommt um vor Sorge. Die glasklare Verwirrung einer beginnenden Liebe - schon lange wurde sie nicht mehr auf so aufwühlende, begeisternde Weise beschrieben. Dabei scheut sich Zaimoglu nicht vor dem Pathos der romantischen Naivität ("Mein Herz stand in Flammen, das ist die reine Wahrheit"), vertraut aber auch auf Situationskomik: Ungeschickt will er sich in seiner Wohnung von seiner eiskalten, nassen Hose befreien, aber die Wollsocken verfangen sich im Hosensaum, just als die besorgte Unfallverursacherin vom Umparken zurückkehrt; sie will nach dem Rechten sehen, sieht aber erst mal ihr Unfallopfer im Kampf mit seinen Klamotten: "Beim Anblick meines wie ein Erpelbürzel gereckten nackten Hinterns bekam sie prompt einen Lachanfall, sie lachte, wie ich noch keine Frau lachen gehört habe, und ich floh, beide Hände auf meinem Geschlecht und die verdammte Hose an den Fußknöcheln, ins Bad."
Gleich am selben Abend will er ihr alles gestehen und sucht sie an ihrem Arbeitsplatz auf. Doch die rechten Worte wollen sich nicht einstellen, wo er doch den ganzen Tag nur auf dem Papier mit ihnen umgeht. "Sie verstand kein Wort von meinem Dichterquatsch", heißt es da bloß lapidar. Selbstreflexion, Zeitgeist, Humor und das wabernde Gefühl der Verliebtheit - all das findet sich auf diesen paar Seiten. Schon bald weiß man nicht mehr, ob man die Geschichte gelesen hat oder ob sie wirklich so passiert ist: Sie transzendiert die Literatur und wird Teil der persönlichen Erfahrung, ohne ihren tiefen universellen Grundton zu verraten. Denn solche Stellen gibt es auch, die von tiefer Einsicht zeugen, an ihnen wird Zaimoglus Sprache, die sonst immer noch eine Wendung nimmt, ganz und gar reduziert: "Ich habe mich nicht umgebracht, sie kam dazwischen." Sogar das Wörtchen "denn" wäre ihm hier zuviel Schnörkel gewesen. Zu diesem Thema werden Gedichte geschrieben, Dramen, lange Romane - manchmal reichen aber eben auch 32 Seiten. Und wenn das Buch danach noch weitergeht: um so besser.
Feridun Zaimoglu: "Zwölf Gramm Glück". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 240 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stimmen der Juroren beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2003:
"Wie groß ist der Sprachreichtum, Erzählreichtum." Ursula März
"Glänzend erzählt, reich an Motiven ... Es tauchen wunderbare Details auf." Norbert Miller
"Wie groß ist der Sprachreichtum, Erzählreichtum." Ursula März
"Glänzend erzählt, reich an Motiven ... Es tauchen wunderbare Details auf." Norbert Miller
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schon lange hat Rezensent Nils Minkmar den Beginn einer Liebe nicht mehr auf so begeisternde Weise beschrieben gesehen. Bereits die erste Geschichte in Feridun Zaimoglus Erzählungsband sei so intensiv wie sonst nur die "allerbesten Filme". Dagegen wirken die übrigen Erzählungen des Bandes fast nur noch wie "Bonus-Tracks" auf den Rezensenten. Doch bereits mit seiner ersten, alles überstrahlenden Geschichte hat Zaimoglu für Minkmar sämtliche Anforderungen bravourös erfüllt. In der Erzählung über einen Mann, der durch die Liebe vom Selbstmord abgehalten wird, sieht er die Literatur transzendiert. Das übrige Buch findet er sorgfältig durchkomponiert. Sieben Geschichten handeln seinen Informationen zufolge vom "Diesseits", während fünf vom "Jenseits" handeln. Gewohnt virtuos findet Minkmar auch politische Themen um den Islam in Charaktere und Erfahrungen übersetzt. Auch Zaimoglus ganz besondere Sprache, die er fortwährend weiterentwickele, erweist der Rezensent seine Reverenz. Ein Kanon der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts ohne Zaimoglu wäre für Minkmar unvollständig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Zaimoglu ist ein literarischer Erotiker, wie er unserer gefühlsarmen Gegenwartsliteratur nur gut tun kann.« NZZ