Produktdetails
- Verlag: Spektrum Akademischer Verlag
- ISBN-13: 9783827428011
- ISBN-10: 3827428017
- Artikelnr.: 32743369
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2011Der Vogel Phönix ist nicht konform
Zuletzt nichts als Strahlung, doch darin schon der Anfang der nächsten Welt: Roger Penrose verficht eloquent die Idee eines zyklischen Universums und weiß sich dabei sogar auf dem Boden der Wissenschaft zu halten.
Auf den ersten Blick scheint dieses Buch sich einfach ins beliebte populärwissenschaftliche Genre der Urknall-Bücher einordnen zu lassen. Doch das kann schon deswegen nicht stimmen, weil Roger Penrose es geschrieben hat, einer der kreativsten, originellsten und - allerdings auf eine sehr britische Art - eloquentesten Köpfe in der zeitgenössischen mathematischen Physik. In "Zyklen der Zeit" stellt der heute emeritierte Professor aus Oxford seine Hypothese vom Anfang der Welt vor.
Das Werk unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von all den anderen Urknall-Büchern. Das Bestreben, den Spekulationen zumindest die Chance auf Überprüfbarkeit zu geben, ist dabei das eine. Ein Weiteres ist die überaus klare Sprache, die den Leser gleichwohl fordert, etwa durch die Weigerung, auf Formeln und abstrakte Konzepte zu verzichten. Mit etwas Konzentration und einem entspannten Verhältnis zum quantitativen Räsonieren dürften aber auch physikalische Laien dem Autor zumindest in allen wichtigen Gedanken folgen können, die Penrose mit eigenen, mitunter geradezu genialen Grafiken illustriert.
Der wichtigste Unterschied zu anderen populärwissenschaftlichen Büchern ist aber inhaltlicher Natur: Penrose geht nicht von einem speziellen Ansatz für die Quantengravitation aus, obgleich auch er nicht daran zweifelt, dass eine solche Theorie eine notwendige (wenn auch vielleicht keine hinreichende) Bedingung für eine physikalische Rekonstruktion des Ursprungs der materiellen Welt ist. Vielmehr steht bei ihm ein Problem im Zentrum, das Penrose schon im seinen ersten, eigentlich einem ganz anderen Thema gewidmeten populärwissenschaftlichen Bestseller "The Emperors New Mind" aus dem Jahr 1991 diskutierte und das seiner Ansicht nach von seinen Fachkollegen zu wenig gewürdigt wird: die Frage, warum die Welt im Moment des Urknalls so unwahrscheinlich ordentlich war.
Diese Aussage mag verwundern, weisen doch alle Beobachtungen und etablierten physikalischen Theorien darauf hin, dass das Universum bei seiner Geburt von nichts als einem extrem heißen, strukturlosen Energiebrei erfüllt gewesen sein muss. Dergleichen scheint dem Alltagsverstand doch eher etwas maximal Chaotisches denn etwas maximal Geordnetes zu sein. Doch aus der Perspektive der Gravitationstheorie, zu deren Erforschung Penrose vielleicht mehr als jeder andere seit Einstein beigetragen hat, stellt sich die Sache völlig anders dar: Gravitation ist Raum-Zeit-Krümmung, die ihrerseits durch Unterschiede in der Dichte von Energie oder Materie erzeugt wird. Solche Unterschiede gab es am Anfang aller Dinge nicht, sie entstanden erst später durch Verklumpung von Materie zu Sternen und Galaxien. Gravitativ gesehen, war das Universum am Anfang das Geordnetste, was sich überhaupt denken lässt, ein hochspezieller Zustand.
Dieser Umstand hat weitreichende Konsequenzen. So kann der Urknall damit nicht aus dem Kollaps eines früheren Universums hervorgegangen sein. Die Vorstellung eines solchen "Zyklischen Universums" tauchte bereits in den 1920er Jahren auf, als sich abzeichnete, dass Einsteins Gleichungen ein expandierendes (oder kollabierendes) Universum beschreiben können, aber keinen ewigen Kosmos zulassen, wie er seit Aristoteles als selbstverständlich vorausgesetzt worden war. Um die Ewigkeit der physikalischen Welt zu retten, stellte man die Hypothese auf, die beobachtete kosmische Expansion sei nur eine aus einer endlosen Abfolge von Expansion, Kontraktion, Kollaps und erneuter Expansion. Doch wie man dann erkannte, würde ein Kollaps zwar vielleicht alles Materielle wieder in reine strukturlose Energie verwandeln, aus der dann alles von neuem entstehen könnte - aber die gravitative Unordnung, die sich in jeder den fundamentalsten Naturgesetzen gehorchenden Welt immer einstellt, würde damit nicht beseitigt. Sie würde von Zyklus zu Zyklus größer, also muss es im Umkehrschluss einen Zyklus mit maximal perfekter Ordnung gegeben haben, dem keiner vorausgegangen sein kann.
Aber selbst wenn unser Universum nur Glied einer Abfolge von Kollaps und Expansion wäre, bliebe es das letzte Glied darin. Grund dafür ist die erst 1998 entdeckte Beschleunigung der kosmischen Expansion. Was sie verursacht, ist unbekannt, doch es sieht immer mehr danach aus, dass es sich um etwas handelt, das in Einsteins Gleichungen als Konstante eingeht. Das aber bedeutet: Diese Beschleunigung wird es immer geben. Und sie wird verhindern, dass das All jemals wieder zusammenstürzt, um irgendwie einen neuen Urknall zu verursachen.
Demnach sieht die ferne Zukunft des Universums düster aus: Galaxien, die sich nahe genug sind, werden verschmelzen - die es nicht sind, werden von der kosmischen Expansion irgendwann mit Überlichtgeschwindigkeit voneinander entfernt. Schließlich wird einmal in irgendeiner davon dem letzten Stern die Energie ausgehen und sein langsam verglimmender Rest wahrscheinlich in das schwarze Loch im Zentrum der erloschenen Galaxie stürzen. Schwarze Löcher aber verdampfen mit der Zeit. In Zeiträumen von zehn hoch hundert Jahren lösen sie sich in elektromagnetische Strahlung auf. Sollten sie zuvor mit anderen Artgenossen kollidiert sein, haben sich Teile ihrer Energie bereits als Gravitationswellen davongemacht. Am Ende bleibt von all der Herrlichkeit der Schöpfung hauptsächlich Strahlung: elektromagnetische und Gravitationswellen, die infolge der kosmischen Expansion immer langwelliger und damit energieärmer werden. Abgesehen von ein paar Atomen und Elementarteilchen, die den schwarzen Löchern entkommen sind, wird es eines fernen Tages nichts geben als diese Strahlung. Dieses Bild ist unter Kosmologen heute Konsens. Nach allem, was wir wissen, wird die Ewigkeit der physikalischen Welt genau so aussehen. Langweilig.
Langweilig aber für wen? Die Frage scheint absurd, doch sie brachte Penrose auf seine Idee, wie die Vorstellung von der ewigen Wiederkehr vielleicht noch zu retten ist. Tatsächlich kann sich Strahlung nicht langweilen. "Der Punkt ist, für Strahlung vergeht keine Zeit", schreibt er. Denn Zeit vergeht nach der Relativitätstheorie für jemanden, der sich mit einer Uhr in der Hand relativ zu einem Beobachter bewegt, langsamer als für den Beobachter. Erfolgt die Bewegung aber mit Lichtgeschwindigkeit, wie es bei Strahlung der Fall ist, dann bleibt die Borduhr aus Sicht dieses lichtschnell Reisenden stehen. Wo aber nur Strahlung ist, da gibt es keine ruhenden Beobachter und damit nichts, für das Zeit vergehen kann. Dort gibt es also keine Zeit.
Eine Raumzeit, der so die Zeit abhandengekommen ist, hat eine mathematische Eigenschaft, die man "konform" nennt. Dort gibt es keine Skalen mehr: Zeit ist nicht mehr messbar, weil es physikalisch keine mehr gibt, und Abstände sind es nicht, weil man aus Strahlung allein keine Lineale bauen kann. Ein solches nur mit Strahlung erfülltes und daher konformes Universum, so argumentiert Penrose, ist im Zustand extremer Ausgedehntheit eigentlich das Gleiche wie eines, das auf fast einen Punkt konzentriert ist. Denn Maßstäbe, an denen sich der Unterschied festmachen ließe, gibt es ja keine. Mathematisch lässt sich ein Urknall daher zu einem trostlosen kosmischen Endzustand "konform umrechnen" - und umgekehrt. Deswegen spricht nach Penrose nichts dagegen, zwei solche Extremstadien des Kosmos miteinander zu identifizieren. Somit würde das Universum im Moment des Verschwindens des letzten Teilchen, für das "Zeit" und "Länge" noch eine Bedeutung hatten, einen neuen Urknall hervorbringen, dessen Strahlungsblitz dann kurz darauf zu neuen Teilchen führen würde und damit zu unserer gewohnten nichtkonformen Raumzeit.
Roger Penrose gibt zu, dass sein Vorschlag dem heutigen physikalischen Weltbild einiges zumutet. So funktioniert die Idee nur, wenn am Ende aller Tage nichts außer Strahlung bleibt - nur dann hat der Kosmos jene konforme Struktur. Da es aber immer ein paar Materieteilchen gibt, die nicht in schwarzen Löchern enden, muss Penrose einen Zerfall solcher Teilchen zu Strahlung postulieren. Insbesondere bei geladenen Teilchen wie Elektronen würde das gleich mehrere bekannte Naturgesetze verletzen.
Andererseits muss man Penrose zugutehalten, dass seine Hypothese überprüfbare Aussagen erlaubt: Sehr energiereiche Ereignisse während des vorangegangenen Zyklus könnten Gravitationswellen erzeugt haben, die stark genug waren, um zu Beginn unseres Zyklus kreisförmige Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung zu hinterlassen. Und auch wenn die Kreise, die Penrose und sein Kollege im letzten November aus den Beobachtungsdaten gesiebt haben, höchstwahrscheinlich statistische Artefakte sind: Bei genaueren Beobachtungen könnten sie noch auftauchen.
Diese Möglichkeit allein, so unwahrscheinlich sie auch sei, macht Penroses Vorschlag zu echter Wissenschaft und hebt ihn von heutzutage gern gesponnenen Ideen ab, die sich irgendwelche Paralleluniversen als Ursache für den Urknall ausmalen. Aber auch Penroses zyklische Kosmologie könnte empirisch unbestätigt bleiben, ohne jemals widerlegt zu werden. Dann bliebe sie, bei aller Wissenschaftlichkeit, eine philosophische Vorstellung mehr.
ULF VON RAUCHHAUPT
Roger Penrose: "Zyklen der Zeit". Eine neue ungewöhnliche Sicht des Universums.
Aus dem Englischen von Thomas Filk. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011. 368 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zuletzt nichts als Strahlung, doch darin schon der Anfang der nächsten Welt: Roger Penrose verficht eloquent die Idee eines zyklischen Universums und weiß sich dabei sogar auf dem Boden der Wissenschaft zu halten.
Auf den ersten Blick scheint dieses Buch sich einfach ins beliebte populärwissenschaftliche Genre der Urknall-Bücher einordnen zu lassen. Doch das kann schon deswegen nicht stimmen, weil Roger Penrose es geschrieben hat, einer der kreativsten, originellsten und - allerdings auf eine sehr britische Art - eloquentesten Köpfe in der zeitgenössischen mathematischen Physik. In "Zyklen der Zeit" stellt der heute emeritierte Professor aus Oxford seine Hypothese vom Anfang der Welt vor.
Das Werk unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von all den anderen Urknall-Büchern. Das Bestreben, den Spekulationen zumindest die Chance auf Überprüfbarkeit zu geben, ist dabei das eine. Ein Weiteres ist die überaus klare Sprache, die den Leser gleichwohl fordert, etwa durch die Weigerung, auf Formeln und abstrakte Konzepte zu verzichten. Mit etwas Konzentration und einem entspannten Verhältnis zum quantitativen Räsonieren dürften aber auch physikalische Laien dem Autor zumindest in allen wichtigen Gedanken folgen können, die Penrose mit eigenen, mitunter geradezu genialen Grafiken illustriert.
Der wichtigste Unterschied zu anderen populärwissenschaftlichen Büchern ist aber inhaltlicher Natur: Penrose geht nicht von einem speziellen Ansatz für die Quantengravitation aus, obgleich auch er nicht daran zweifelt, dass eine solche Theorie eine notwendige (wenn auch vielleicht keine hinreichende) Bedingung für eine physikalische Rekonstruktion des Ursprungs der materiellen Welt ist. Vielmehr steht bei ihm ein Problem im Zentrum, das Penrose schon im seinen ersten, eigentlich einem ganz anderen Thema gewidmeten populärwissenschaftlichen Bestseller "The Emperors New Mind" aus dem Jahr 1991 diskutierte und das seiner Ansicht nach von seinen Fachkollegen zu wenig gewürdigt wird: die Frage, warum die Welt im Moment des Urknalls so unwahrscheinlich ordentlich war.
Diese Aussage mag verwundern, weisen doch alle Beobachtungen und etablierten physikalischen Theorien darauf hin, dass das Universum bei seiner Geburt von nichts als einem extrem heißen, strukturlosen Energiebrei erfüllt gewesen sein muss. Dergleichen scheint dem Alltagsverstand doch eher etwas maximal Chaotisches denn etwas maximal Geordnetes zu sein. Doch aus der Perspektive der Gravitationstheorie, zu deren Erforschung Penrose vielleicht mehr als jeder andere seit Einstein beigetragen hat, stellt sich die Sache völlig anders dar: Gravitation ist Raum-Zeit-Krümmung, die ihrerseits durch Unterschiede in der Dichte von Energie oder Materie erzeugt wird. Solche Unterschiede gab es am Anfang aller Dinge nicht, sie entstanden erst später durch Verklumpung von Materie zu Sternen und Galaxien. Gravitativ gesehen, war das Universum am Anfang das Geordnetste, was sich überhaupt denken lässt, ein hochspezieller Zustand.
Dieser Umstand hat weitreichende Konsequenzen. So kann der Urknall damit nicht aus dem Kollaps eines früheren Universums hervorgegangen sein. Die Vorstellung eines solchen "Zyklischen Universums" tauchte bereits in den 1920er Jahren auf, als sich abzeichnete, dass Einsteins Gleichungen ein expandierendes (oder kollabierendes) Universum beschreiben können, aber keinen ewigen Kosmos zulassen, wie er seit Aristoteles als selbstverständlich vorausgesetzt worden war. Um die Ewigkeit der physikalischen Welt zu retten, stellte man die Hypothese auf, die beobachtete kosmische Expansion sei nur eine aus einer endlosen Abfolge von Expansion, Kontraktion, Kollaps und erneuter Expansion. Doch wie man dann erkannte, würde ein Kollaps zwar vielleicht alles Materielle wieder in reine strukturlose Energie verwandeln, aus der dann alles von neuem entstehen könnte - aber die gravitative Unordnung, die sich in jeder den fundamentalsten Naturgesetzen gehorchenden Welt immer einstellt, würde damit nicht beseitigt. Sie würde von Zyklus zu Zyklus größer, also muss es im Umkehrschluss einen Zyklus mit maximal perfekter Ordnung gegeben haben, dem keiner vorausgegangen sein kann.
Aber selbst wenn unser Universum nur Glied einer Abfolge von Kollaps und Expansion wäre, bliebe es das letzte Glied darin. Grund dafür ist die erst 1998 entdeckte Beschleunigung der kosmischen Expansion. Was sie verursacht, ist unbekannt, doch es sieht immer mehr danach aus, dass es sich um etwas handelt, das in Einsteins Gleichungen als Konstante eingeht. Das aber bedeutet: Diese Beschleunigung wird es immer geben. Und sie wird verhindern, dass das All jemals wieder zusammenstürzt, um irgendwie einen neuen Urknall zu verursachen.
Demnach sieht die ferne Zukunft des Universums düster aus: Galaxien, die sich nahe genug sind, werden verschmelzen - die es nicht sind, werden von der kosmischen Expansion irgendwann mit Überlichtgeschwindigkeit voneinander entfernt. Schließlich wird einmal in irgendeiner davon dem letzten Stern die Energie ausgehen und sein langsam verglimmender Rest wahrscheinlich in das schwarze Loch im Zentrum der erloschenen Galaxie stürzen. Schwarze Löcher aber verdampfen mit der Zeit. In Zeiträumen von zehn hoch hundert Jahren lösen sie sich in elektromagnetische Strahlung auf. Sollten sie zuvor mit anderen Artgenossen kollidiert sein, haben sich Teile ihrer Energie bereits als Gravitationswellen davongemacht. Am Ende bleibt von all der Herrlichkeit der Schöpfung hauptsächlich Strahlung: elektromagnetische und Gravitationswellen, die infolge der kosmischen Expansion immer langwelliger und damit energieärmer werden. Abgesehen von ein paar Atomen und Elementarteilchen, die den schwarzen Löchern entkommen sind, wird es eines fernen Tages nichts geben als diese Strahlung. Dieses Bild ist unter Kosmologen heute Konsens. Nach allem, was wir wissen, wird die Ewigkeit der physikalischen Welt genau so aussehen. Langweilig.
Langweilig aber für wen? Die Frage scheint absurd, doch sie brachte Penrose auf seine Idee, wie die Vorstellung von der ewigen Wiederkehr vielleicht noch zu retten ist. Tatsächlich kann sich Strahlung nicht langweilen. "Der Punkt ist, für Strahlung vergeht keine Zeit", schreibt er. Denn Zeit vergeht nach der Relativitätstheorie für jemanden, der sich mit einer Uhr in der Hand relativ zu einem Beobachter bewegt, langsamer als für den Beobachter. Erfolgt die Bewegung aber mit Lichtgeschwindigkeit, wie es bei Strahlung der Fall ist, dann bleibt die Borduhr aus Sicht dieses lichtschnell Reisenden stehen. Wo aber nur Strahlung ist, da gibt es keine ruhenden Beobachter und damit nichts, für das Zeit vergehen kann. Dort gibt es also keine Zeit.
Eine Raumzeit, der so die Zeit abhandengekommen ist, hat eine mathematische Eigenschaft, die man "konform" nennt. Dort gibt es keine Skalen mehr: Zeit ist nicht mehr messbar, weil es physikalisch keine mehr gibt, und Abstände sind es nicht, weil man aus Strahlung allein keine Lineale bauen kann. Ein solches nur mit Strahlung erfülltes und daher konformes Universum, so argumentiert Penrose, ist im Zustand extremer Ausgedehntheit eigentlich das Gleiche wie eines, das auf fast einen Punkt konzentriert ist. Denn Maßstäbe, an denen sich der Unterschied festmachen ließe, gibt es ja keine. Mathematisch lässt sich ein Urknall daher zu einem trostlosen kosmischen Endzustand "konform umrechnen" - und umgekehrt. Deswegen spricht nach Penrose nichts dagegen, zwei solche Extremstadien des Kosmos miteinander zu identifizieren. Somit würde das Universum im Moment des Verschwindens des letzten Teilchen, für das "Zeit" und "Länge" noch eine Bedeutung hatten, einen neuen Urknall hervorbringen, dessen Strahlungsblitz dann kurz darauf zu neuen Teilchen führen würde und damit zu unserer gewohnten nichtkonformen Raumzeit.
Roger Penrose gibt zu, dass sein Vorschlag dem heutigen physikalischen Weltbild einiges zumutet. So funktioniert die Idee nur, wenn am Ende aller Tage nichts außer Strahlung bleibt - nur dann hat der Kosmos jene konforme Struktur. Da es aber immer ein paar Materieteilchen gibt, die nicht in schwarzen Löchern enden, muss Penrose einen Zerfall solcher Teilchen zu Strahlung postulieren. Insbesondere bei geladenen Teilchen wie Elektronen würde das gleich mehrere bekannte Naturgesetze verletzen.
Andererseits muss man Penrose zugutehalten, dass seine Hypothese überprüfbare Aussagen erlaubt: Sehr energiereiche Ereignisse während des vorangegangenen Zyklus könnten Gravitationswellen erzeugt haben, die stark genug waren, um zu Beginn unseres Zyklus kreisförmige Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung zu hinterlassen. Und auch wenn die Kreise, die Penrose und sein Kollege im letzten November aus den Beobachtungsdaten gesiebt haben, höchstwahrscheinlich statistische Artefakte sind: Bei genaueren Beobachtungen könnten sie noch auftauchen.
Diese Möglichkeit allein, so unwahrscheinlich sie auch sei, macht Penroses Vorschlag zu echter Wissenschaft und hebt ihn von heutzutage gern gesponnenen Ideen ab, die sich irgendwelche Paralleluniversen als Ursache für den Urknall ausmalen. Aber auch Penroses zyklische Kosmologie könnte empirisch unbestätigt bleiben, ohne jemals widerlegt zu werden. Dann bliebe sie, bei aller Wissenschaftlichkeit, eine philosophische Vorstellung mehr.
ULF VON RAUCHHAUPT
Roger Penrose: "Zyklen der Zeit". Eine neue ungewöhnliche Sicht des Universums.
Aus dem Englischen von Thomas Filk. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011. 368 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Auf den ersten Blick scheint dieses Buch sich einfach ins beliebte populärwissenschaftliche Genre der Urknall-Bücher einordnen zu lassen. Doch das kann schon deswegen nicht stimmen, weil Roger Penrose es geschrieben hat, einer der kreativsten, originellsten und - allerdings auf eine sehr britische Art - eloquentesten Köpfe in der zeitgenössischen mathematischen Physik. ... Mit etwas Konzentration und einem entspannten Verhältnis zum quantitativen Räsonieren dürften ... auch physikalische Laien dem Autor zumindest in allen wichtigen Gedanken folgen können, die Penrose mit eigenen, mitunter geradezu genialen Grafiken illustriert." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. September 2011
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Ulf von Rauchhaupt ist der englische Physiker Roger Penrose ohnehin einer der "kreativsten, originellsten" und "eloquentesten" mathematischen Physiker der Zeit. Jetzt hat der emeritierte Oxford-Professor ein Buch zur Urknalltheorie geschrieben, das nicht nur durch überprüfbare Aussagen besticht, sondern mit einfallsreichen Theorien auch die Idee vom zyklischen Universum zu halten vermag, wie der Rezensent lobt. Auch wenn der Autor dem Laien einiges abverlangt, denn auf komplizierte Formeln und abstrakte Gedanken muss er sich hier einlassen, dürfte er Penroses Hypothesen folgen können, glaubt Rauchhaupt. Der Rezensent fasst verständig Penroses Vorschlag, wie aus dem physikalisch gesehen extrem einförmigen Urknall-Szenario ein nur aus Strahlung bestehendes endzeitliches Universum entsteht, zusammen. Auch den Clou, wie der Autor daraus die Möglichkeit einer zyklischen Universumsentwicklung ableitet, zeichnet der Rezensent nach und wenn er auch davon ausgeht, dass sich diese Theorie niemals empirisch belegen lassen wird, so kann Rauchhaupt sie wissenschaftlich dennoch gelten lassen, nicht zuletzt, weil sie wohl genauso wenig "widerlegt werden" kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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