IDENTITÄTSPOLITIK UND CANCEL CULTURE - WIE SICH DER NEUE AKTIVISMUS IN EINE GEFÄHRLICHE RICHTUNG BEWEGT
Nur weiße Menschen können Rassisten sein, nur Männer sind zu toxischem Verhalten fähig, es gibt kein biologisches Geschlecht, unsere Sprache ist sexistisch - ein neuer moralischer Kanon erobert westliche Universitäten und erschüttert die liberale Gesellschaft. Aber macht er die Welt auch wirklich besser? Helen Pluckrose und James Lindsay begeben sich in ihrem Bestseller auf die Spuren eines wissenschaftlichen Aktivismus, der überall nur noch Feinde sieht.
Postmoderne Denker wie Michel Foucault oder Jacques Derrida haben die Strukturen westlicher Gesellschaften so tiefgreifend dekonstruiert wie niemand vor ihnen. Ihr radikaler Skeptizismus hatte jedoch einen Preis. Helen Pluckrose und James Lindsay zeichnen in ihrem kontroversen Buch nach, wie die Grundannahmen der postmodernen Theorie seit den 1980er Jahren im Postkolonialismus, in der Critical-Race-Theorie, im intersektionalen Feminismus, in den Gender Studies und in der Queer-Theorie für den politischen Aktivismus scharf gemacht wurden. Ihr zentraler Befund lautet, dass ein freier Austausch wissenschaftlicher Argumente durch den aus diesen Reihen immer aggressiver vorgetragenen Anspruch auf Deutungshoheit zunehmend unmöglich wird. Damit erweisen der neue wissenschaftliche Aktivismus und seine Wächter den Minderheiten, für die sie sich angeblich einsetzen, jedoch einen Bärendienst: Drängende soziale Probleme werden von einer völlig überzogenen Sprachkritik und Cancel Culture überlagert - und potenziell wohlmeinende Unterstützer ziehen sich entnervt zurück, weil sie im erhitzten Diskursklima vorschnell dem reaktionären Lager zugeschlagen werden.
"Es gelingt [Helen Pluckrose und James Lindsay] ebenso wie den anderen Diskurs-Guerilleros, überhaupt erst wieder eine Diskussion in Gang zu bringen, wo diese durch Einschüchterungsgesten, Abwehrformeln und andere Verschwörungen blockiert war." - Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Ein eindringliches Plädoyer für die Rettung der liberalen Demokratie und der Errungenschaften der Aufklärung." - Jungle World
Der Bestseller in den USA erstmals auf Deutsch Ein Beitrag zur Debatte um Cancel Culture und Meinungsfreiheit Wie der neue wissenschaftliche Aktivismus das freie Denken bedroht Über die Kehrseiten von linker Identitätspolitik und "Wokeness"
Nur weiße Menschen können Rassisten sein, nur Männer sind zu toxischem Verhalten fähig, es gibt kein biologisches Geschlecht, unsere Sprache ist sexistisch - ein neuer moralischer Kanon erobert westliche Universitäten und erschüttert die liberale Gesellschaft. Aber macht er die Welt auch wirklich besser? Helen Pluckrose und James Lindsay begeben sich in ihrem Bestseller auf die Spuren eines wissenschaftlichen Aktivismus, der überall nur noch Feinde sieht.
Postmoderne Denker wie Michel Foucault oder Jacques Derrida haben die Strukturen westlicher Gesellschaften so tiefgreifend dekonstruiert wie niemand vor ihnen. Ihr radikaler Skeptizismus hatte jedoch einen Preis. Helen Pluckrose und James Lindsay zeichnen in ihrem kontroversen Buch nach, wie die Grundannahmen der postmodernen Theorie seit den 1980er Jahren im Postkolonialismus, in der Critical-Race-Theorie, im intersektionalen Feminismus, in den Gender Studies und in der Queer-Theorie für den politischen Aktivismus scharf gemacht wurden. Ihr zentraler Befund lautet, dass ein freier Austausch wissenschaftlicher Argumente durch den aus diesen Reihen immer aggressiver vorgetragenen Anspruch auf Deutungshoheit zunehmend unmöglich wird. Damit erweisen der neue wissenschaftliche Aktivismus und seine Wächter den Minderheiten, für die sie sich angeblich einsetzen, jedoch einen Bärendienst: Drängende soziale Probleme werden von einer völlig überzogenen Sprachkritik und Cancel Culture überlagert - und potenziell wohlmeinende Unterstützer ziehen sich entnervt zurück, weil sie im erhitzten Diskursklima vorschnell dem reaktionären Lager zugeschlagen werden.
"Es gelingt [Helen Pluckrose und James Lindsay] ebenso wie den anderen Diskurs-Guerilleros, überhaupt erst wieder eine Diskussion in Gang zu bringen, wo diese durch Einschüchterungsgesten, Abwehrformeln und andere Verschwörungen blockiert war." - Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Ein eindringliches Plädoyer für die Rettung der liberalen Demokratie und der Errungenschaften der Aufklärung." - Jungle World
Der Bestseller in den USA erstmals auf Deutsch Ein Beitrag zur Debatte um Cancel Culture und Meinungsfreiheit Wie der neue wissenschaftliche Aktivismus das freie Denken bedroht Über die Kehrseiten von linker Identitätspolitik und "Wokeness"
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Micha Brumlik ist in seinem Urteil überraschend eindeutig: Wer sich für die Emanzipation marginalisierter oder diskriminierter Gruppen einsetzt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die beiden amerikanischen Autoren Helen Pluckrose und Peter Lindsay üben darin scharfe Kritik an all jenen sozialkonstruktivistischen Theorien, in deren Zentrum die Kritik an Normalitätsstandards stehen: Gender Studies, Critical-Race-Theory, Queer-Theory, Disability Studies, etc. Brumlik deutet nur an, dass er an einigen Punkten Widerspruch erheben würde, aber stark findet er das Argument, dass diese Theorien nicht dazu führten, Individuen aus ihren negativ bewerteten Rollen zu befreien, sondern sie darin festzuhalten. Zwar belässt es Brumlik in seiner Kritik bei einer bündigen Zusammenfassung der Thesen, am Ende aber beschwört er jedoch "Reichtum und Scharfsinn" dieser "brillanten Streitschrift".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2022Die neue Lust am Büßen
Hautfarbe ist kein Verbrechen: Helen Pluckrose und James Lindsay demontieren die Dogmen des postmodernen Klerus.
Es ist eines der großen Rätsel unserer Zeit, warum in Ländern, die ihre Kolonien vor langer Zeit aufgegeben haben, die Diskriminierung von Minderheiten unter Strafe stellen und in denen Männer und Frauen formal gleiche Rechte genießen, warum in diesen Ländern Rassismus und Sexismus derart omnipräsent, ja, eingefleischt und vererbbar geworden sein sollen, dass die ganze Gesellschaft unter Verdacht gestellt und umerzogen werden muss, ohne dass diese Erziehung jemals Besserung erreichen könnte (die Schuld steckt ja, wie die neuen Aktivisten behaupten, in den Genen, in der Sprache). Es ist ein zweites großes Rätsel, warum diese abenteuerliche Vorstellung ausgerechnet an den Universitäten ausgebrütet worden ist, die als wissenschaftliche Institutionen Hypothesen an der Empirie messen sollten; und es ist ein drittes großes Rätsel, warum diese Sicht von weiten Teilen der Gesellschaft zwar nicht geschätzt, aber geduldet wird, sodass sie in immer weitere Bereiche vordringen und zur dominanten politischen Ideologie unserer Zeit werden konnte. Gar nicht mehr zu erklären, sondern einfach nur absurd ist vor diesem Hintergrund, dass Millionen von Menschen ausgerechnet in diese Länder fliehen, wo sie angeblich pausenlos schikaniert werden. Sollte man sie nicht warnen?
Die neue Ideologie des schlechten Gewissens nennt sich "angewandter Postmodernismus" und ist schon oft totgesagt worden, weil sie, vorsichtig gesagt, ein schwieriges Verhältnis zur empirischen Wirklichkeit unterhält. Doch trotz aller Einbrüche des Realen steht sie heute in vollster Blüte, ja, es gab noch nie eine Zeit, die so postmodern wie die unsere war. Nach der britischen Publizistin Helen Pluckrose und dem amerikanischen Mathematikprofessor James Lindsay frisst die postmoderne Bewegung, je weiter sie in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vordringt - und das tut sie derzeit in atemberaubendem Tempo -, das Fundament der liberaldemokratischen Gesellschaft an, indem sie Institutionen aushöhlt und ihnen ihre Dogmen überstülpt. Ihr Buch mit dem treffenden Titel "Zynische Theorien" (Verlag C. H. Beck, 2022) ist die bislang wohl profundeste Analyse des angewandten Postmodernismus und seiner Wandlungen.
Es ist viel darüber diskutiert worden, inwieweit die Granden der französischen Theorie wie Michel Foucault und Jacques Derrida für die heutigen identitätspolitischen Verwerfungen verantwortlich gemacht werden können. Pluckrose und Lindsay umschiffen die Untiefen dieser Debatte, indem sie die postmoderne Theorie auf sechs Prinzipien bringen, die überwiegend auf Foucault oder Derrida zurückgehen und die sich in allen späteren Strömungen unter veränderter Zielsetzung teilweise oder vollständig wiederfinden: die Behauptung, alles sei soziales Konstrukt; Objektivität und Wahrheit seien nur Masken einer unterschwellig wirkenden Macht, die alles durchdringe und sich in der Sprache manifestiere; die von Derrida stammende krude These, Sprache beziehe sich auf keinerlei Wirklichkeit außer ihrer selbst. Dazu kommen die Ablehnung von Individualismus und Universalismus sowie eine regelrechte Manie, alle Begriffe und Grenzen zu verwischen. Feindbild Nummer eins ist die Wissenschaft, die, ein von Foucault vererbter Gedanke, vor allem westlichen Machtinteressen und nie allein der Erkenntnis diene. Zur Strafe soll sie in eine Art narrativer Gruppentherapie umgewandelt werden, in der es vor allem auf authentische Erfahrungen ankommt.
Das ist im Ansatz nicht einmal falsch. Tatsächlich ist die Wissenschaft auch ein Ausschlusssystem, das für Gefühle, Deutungen und bestimmte Wahrnehmungstypen kein Organ hat. Diese Einsicht wird aber gleich wieder dadurch verspielt, dass man im Rausch des Hybriden alle Unterschiede zwischen Verstand und Gefühl, Urteil und Meinung, praktischem und theoretischem Wissen und besonders, in der Folge von Foucault, Deutung und Wissen einebnet. Es gibt nun keine Möglichkeit mehr, verschiedene Erkenntnisbereiche auszuweisen, zwischen Philosophie und Maschinenbau zu unterscheiden, was aber auch gar nicht zu dem Bestreben passen würde, jede Vernunfteinsicht der gelebten Erfahrung unterzuordnen.
Es ist ersichtlich, dass eine Theorie, die aller Vernunft den Laufpass gibt, ihre Gegner nur niederschreien kann. Nicht verwunderlich ist auch der fehlende Sinn für Empirie. Wo subjektive Meinungen auf eine Stufe gestellt werden mit methodisch gewonnener Erkenntnis und ohnehin alles nur Worte sind, braucht man sie nicht mehr. Diese Entwicklung kann man Foucault und Derrida nur noch bedingt in die Schuhe schieben. Was den französischen Postmodernismus der Sechziger- und Siebzigerjahre von seinen identitätspolitischen Nachfahren unterscheidet, ist die Erkenntnishaltung. War die französische Urfassung, wie Pluckrose und Lindsay schreiben, eine im spielerischen Gestus nihilistischer Verzweiflung vorgetragene Erkenntniskritik, die nicht an grundlegende politische Veränderung glaubte, so stellen sie die auf ihn aufbauenden Bewegungen - postkoloniale Theorie, Queer-Theorie, Critical Race Theory und Gendertheorie - seit den Neunzigerjahren vom Kopf auf die Füße.
Man will die Welt nun nicht mehr nur dekonstruieren, sondern verändern. Der französische Dekonstruktivismus verkehrt sich, mit Opferansprüchen aufgeladen, in einen kruden Identitätskult. Auch dafür hat Derrida mit seinem Theorem des taktischen Essentialismus die Grundlagen gelegt, kurz gefasst: Opfer dürfen schmutzige Tricks anwenden, die vermeintlich Mächtigen nicht. Damit entbrennt der Kampf um den maximalen Opferstatus, der, je mehr Opfermerkmale reklamiert werden, zu einem einzigen Hauen und Stechen wird. Niemand darf sich sicher fühlen. Das erfuhren die muslimischen Mitarbeiterinnen eines kanadischen Beauty-Shops, die sich aus religiösen Gründen weigerten, einer Transperson das Genital zu enthaaren, und dafür öffentlich als transphob angefeindet wurden.
In den Nullerjahren und vollends seit 2010 schlugen diese Bewegungen nach Pluckrose und Lindsay in den verdinglichten Postmodernismus um. Die zentralen Prämissen werden nun als absolute Wahrheiten gehandelt und Widerspruch mit Exkommunikation bestraft. Man hat es mit der vollendeten Paradoxie einer Theorie zu tun, die jede Wahrheit bestreitet, aber steif und fest behauptet, selbst im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Die Kulturkämpfe um Mikroaggressionen oder Safe Spaces sind deshalb nicht, wie oft gesagt wird, ein aus dem Ruder gelaufener Aktivismus, sondern logischer Ausfluss einer zum Dogma geronnenen Theorie, die ihre Gegner vernichten will.
Menschen werden jetzt wieder nach Hautfarben sortiert, weniger pigmentierten Zeitgenossen wird gesagt, sie seien von Grund auf rassistisch und können sich, egal wie sie sich verhalten, nie von diesem Fluch befreien. Weißen Obdachlosen wird gepredigt, sie gehörten zu einer privilegierten Unterdrückerkaste. Schädlich ist der postmoderne Aktivismus auch für seine Mandanten. Entwicklungsländer haben nichts davon, wenn sie vom technischen Fortschritt ausgeschlossen bleiben und ihre Bürger als vernunftunfähige Wesen abqualifiziert werden. Freuen dürfen sich die dortigen Diktatoren, die kein weißer Mensch mehr kritisieren darf.
Pluckrose und Lindsay erinnern daran, dass all diese Strömungen einmal auf liberale Beweggründe zurückgingen, bis sie durch den postmodernen Einfluss eine zynische Schlagseite bekamen. Besonders deutlich wird dies, wenn in den Fat Studies, einem neueren Zweig der postmodernen Theorie, übergewichtigen Menschen geraten wird, medizinische Warnungen vor Herzerkrankungen oder Gelenkverschleiß in den Wind zu schlagen und ihren Körper so zu feiern, wie er ist; oder wenn Behinderten, die sich wünschen, nicht mehr behindert zu sein, von Vertretern der Disability Studies vorgehalten wird, sich der verhassten Norm zu unterwerfen.
Natürlich läuft die pauschale Anfeindung der Wissenschaft unter der Prämisse, dass die exakten Disziplinen ihre Arbeit schon machen, bessere Medikamente und, ganz wichtig, neue Gadgets bereitstellen, auf denen Andersdenkende denunziert werden können; die Wissenschaftler müssen sich währenddessen nur als schlechte oder, wie José Medina schreibt, "epistemisch verdorbene" Menschen fühlen, die einem im Prinzip verwerflichen Tun nachgehen. Es ist erstaunlich, wie wenig Widerstand die Universitäten und andere Institutionen einer Bewegung leisten, die ihre Existenzbedingungen negiert und über immer mehr Funktionsstellen zu einer milliardenschweren Verhaltensindustrie aufgebaut wird. Letztlich ist der angewandte Postmodernismus die Aufkündigung des Konsensprinzips zugunsten des böswilligen Verdachts und der kleinlichen Beschwerde. Wer nicht morgen in einer solchen Gesellschaft leben will, muss sich heute dagegen wehren. THOMAS THIEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hautfarbe ist kein Verbrechen: Helen Pluckrose und James Lindsay demontieren die Dogmen des postmodernen Klerus.
Es ist eines der großen Rätsel unserer Zeit, warum in Ländern, die ihre Kolonien vor langer Zeit aufgegeben haben, die Diskriminierung von Minderheiten unter Strafe stellen und in denen Männer und Frauen formal gleiche Rechte genießen, warum in diesen Ländern Rassismus und Sexismus derart omnipräsent, ja, eingefleischt und vererbbar geworden sein sollen, dass die ganze Gesellschaft unter Verdacht gestellt und umerzogen werden muss, ohne dass diese Erziehung jemals Besserung erreichen könnte (die Schuld steckt ja, wie die neuen Aktivisten behaupten, in den Genen, in der Sprache). Es ist ein zweites großes Rätsel, warum diese abenteuerliche Vorstellung ausgerechnet an den Universitäten ausgebrütet worden ist, die als wissenschaftliche Institutionen Hypothesen an der Empirie messen sollten; und es ist ein drittes großes Rätsel, warum diese Sicht von weiten Teilen der Gesellschaft zwar nicht geschätzt, aber geduldet wird, sodass sie in immer weitere Bereiche vordringen und zur dominanten politischen Ideologie unserer Zeit werden konnte. Gar nicht mehr zu erklären, sondern einfach nur absurd ist vor diesem Hintergrund, dass Millionen von Menschen ausgerechnet in diese Länder fliehen, wo sie angeblich pausenlos schikaniert werden. Sollte man sie nicht warnen?
Die neue Ideologie des schlechten Gewissens nennt sich "angewandter Postmodernismus" und ist schon oft totgesagt worden, weil sie, vorsichtig gesagt, ein schwieriges Verhältnis zur empirischen Wirklichkeit unterhält. Doch trotz aller Einbrüche des Realen steht sie heute in vollster Blüte, ja, es gab noch nie eine Zeit, die so postmodern wie die unsere war. Nach der britischen Publizistin Helen Pluckrose und dem amerikanischen Mathematikprofessor James Lindsay frisst die postmoderne Bewegung, je weiter sie in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vordringt - und das tut sie derzeit in atemberaubendem Tempo -, das Fundament der liberaldemokratischen Gesellschaft an, indem sie Institutionen aushöhlt und ihnen ihre Dogmen überstülpt. Ihr Buch mit dem treffenden Titel "Zynische Theorien" (Verlag C. H. Beck, 2022) ist die bislang wohl profundeste Analyse des angewandten Postmodernismus und seiner Wandlungen.
Es ist viel darüber diskutiert worden, inwieweit die Granden der französischen Theorie wie Michel Foucault und Jacques Derrida für die heutigen identitätspolitischen Verwerfungen verantwortlich gemacht werden können. Pluckrose und Lindsay umschiffen die Untiefen dieser Debatte, indem sie die postmoderne Theorie auf sechs Prinzipien bringen, die überwiegend auf Foucault oder Derrida zurückgehen und die sich in allen späteren Strömungen unter veränderter Zielsetzung teilweise oder vollständig wiederfinden: die Behauptung, alles sei soziales Konstrukt; Objektivität und Wahrheit seien nur Masken einer unterschwellig wirkenden Macht, die alles durchdringe und sich in der Sprache manifestiere; die von Derrida stammende krude These, Sprache beziehe sich auf keinerlei Wirklichkeit außer ihrer selbst. Dazu kommen die Ablehnung von Individualismus und Universalismus sowie eine regelrechte Manie, alle Begriffe und Grenzen zu verwischen. Feindbild Nummer eins ist die Wissenschaft, die, ein von Foucault vererbter Gedanke, vor allem westlichen Machtinteressen und nie allein der Erkenntnis diene. Zur Strafe soll sie in eine Art narrativer Gruppentherapie umgewandelt werden, in der es vor allem auf authentische Erfahrungen ankommt.
Das ist im Ansatz nicht einmal falsch. Tatsächlich ist die Wissenschaft auch ein Ausschlusssystem, das für Gefühle, Deutungen und bestimmte Wahrnehmungstypen kein Organ hat. Diese Einsicht wird aber gleich wieder dadurch verspielt, dass man im Rausch des Hybriden alle Unterschiede zwischen Verstand und Gefühl, Urteil und Meinung, praktischem und theoretischem Wissen und besonders, in der Folge von Foucault, Deutung und Wissen einebnet. Es gibt nun keine Möglichkeit mehr, verschiedene Erkenntnisbereiche auszuweisen, zwischen Philosophie und Maschinenbau zu unterscheiden, was aber auch gar nicht zu dem Bestreben passen würde, jede Vernunfteinsicht der gelebten Erfahrung unterzuordnen.
Es ist ersichtlich, dass eine Theorie, die aller Vernunft den Laufpass gibt, ihre Gegner nur niederschreien kann. Nicht verwunderlich ist auch der fehlende Sinn für Empirie. Wo subjektive Meinungen auf eine Stufe gestellt werden mit methodisch gewonnener Erkenntnis und ohnehin alles nur Worte sind, braucht man sie nicht mehr. Diese Entwicklung kann man Foucault und Derrida nur noch bedingt in die Schuhe schieben. Was den französischen Postmodernismus der Sechziger- und Siebzigerjahre von seinen identitätspolitischen Nachfahren unterscheidet, ist die Erkenntnishaltung. War die französische Urfassung, wie Pluckrose und Lindsay schreiben, eine im spielerischen Gestus nihilistischer Verzweiflung vorgetragene Erkenntniskritik, die nicht an grundlegende politische Veränderung glaubte, so stellen sie die auf ihn aufbauenden Bewegungen - postkoloniale Theorie, Queer-Theorie, Critical Race Theory und Gendertheorie - seit den Neunzigerjahren vom Kopf auf die Füße.
Man will die Welt nun nicht mehr nur dekonstruieren, sondern verändern. Der französische Dekonstruktivismus verkehrt sich, mit Opferansprüchen aufgeladen, in einen kruden Identitätskult. Auch dafür hat Derrida mit seinem Theorem des taktischen Essentialismus die Grundlagen gelegt, kurz gefasst: Opfer dürfen schmutzige Tricks anwenden, die vermeintlich Mächtigen nicht. Damit entbrennt der Kampf um den maximalen Opferstatus, der, je mehr Opfermerkmale reklamiert werden, zu einem einzigen Hauen und Stechen wird. Niemand darf sich sicher fühlen. Das erfuhren die muslimischen Mitarbeiterinnen eines kanadischen Beauty-Shops, die sich aus religiösen Gründen weigerten, einer Transperson das Genital zu enthaaren, und dafür öffentlich als transphob angefeindet wurden.
In den Nullerjahren und vollends seit 2010 schlugen diese Bewegungen nach Pluckrose und Lindsay in den verdinglichten Postmodernismus um. Die zentralen Prämissen werden nun als absolute Wahrheiten gehandelt und Widerspruch mit Exkommunikation bestraft. Man hat es mit der vollendeten Paradoxie einer Theorie zu tun, die jede Wahrheit bestreitet, aber steif und fest behauptet, selbst im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Die Kulturkämpfe um Mikroaggressionen oder Safe Spaces sind deshalb nicht, wie oft gesagt wird, ein aus dem Ruder gelaufener Aktivismus, sondern logischer Ausfluss einer zum Dogma geronnenen Theorie, die ihre Gegner vernichten will.
Menschen werden jetzt wieder nach Hautfarben sortiert, weniger pigmentierten Zeitgenossen wird gesagt, sie seien von Grund auf rassistisch und können sich, egal wie sie sich verhalten, nie von diesem Fluch befreien. Weißen Obdachlosen wird gepredigt, sie gehörten zu einer privilegierten Unterdrückerkaste. Schädlich ist der postmoderne Aktivismus auch für seine Mandanten. Entwicklungsländer haben nichts davon, wenn sie vom technischen Fortschritt ausgeschlossen bleiben und ihre Bürger als vernunftunfähige Wesen abqualifiziert werden. Freuen dürfen sich die dortigen Diktatoren, die kein weißer Mensch mehr kritisieren darf.
Pluckrose und Lindsay erinnern daran, dass all diese Strömungen einmal auf liberale Beweggründe zurückgingen, bis sie durch den postmodernen Einfluss eine zynische Schlagseite bekamen. Besonders deutlich wird dies, wenn in den Fat Studies, einem neueren Zweig der postmodernen Theorie, übergewichtigen Menschen geraten wird, medizinische Warnungen vor Herzerkrankungen oder Gelenkverschleiß in den Wind zu schlagen und ihren Körper so zu feiern, wie er ist; oder wenn Behinderten, die sich wünschen, nicht mehr behindert zu sein, von Vertretern der Disability Studies vorgehalten wird, sich der verhassten Norm zu unterwerfen.
Natürlich läuft die pauschale Anfeindung der Wissenschaft unter der Prämisse, dass die exakten Disziplinen ihre Arbeit schon machen, bessere Medikamente und, ganz wichtig, neue Gadgets bereitstellen, auf denen Andersdenkende denunziert werden können; die Wissenschaftler müssen sich währenddessen nur als schlechte oder, wie José Medina schreibt, "epistemisch verdorbene" Menschen fühlen, die einem im Prinzip verwerflichen Tun nachgehen. Es ist erstaunlich, wie wenig Widerstand die Universitäten und andere Institutionen einer Bewegung leisten, die ihre Existenzbedingungen negiert und über immer mehr Funktionsstellen zu einer milliardenschweren Verhaltensindustrie aufgebaut wird. Letztlich ist der angewandte Postmodernismus die Aufkündigung des Konsensprinzips zugunsten des böswilligen Verdachts und der kleinlichen Beschwerde. Wer nicht morgen in einer solchen Gesellschaft leben will, muss sich heute dagegen wehren. THOMAS THIEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die bislang wohl profundeste Analyse des angewandten Postmodernismus und seiner Wandlungen"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Thomas Thiel
"Philosophiehistorie, die uns sehr gut darüber aufklärt, woher die Gegenwart kommt, in der wir leben."
Ijoma Mangold, SWR Lesenswert
"Eine Reaktion auf gesellschaftliche Missstände, die auch Pluckrose und Lindsay keineswegs bestreiten. Sie stellen nur in Abrede, dass der identitätspolitische Aktivismus etwas zu deren Beseitigung beitragen kann. Er zehrt von dem Elend, das er anprangert, und vergewissert sich dadurch selbst - das ist das Zynische."
DIE WELT, Jakob Hayner
"Ein Buch, das zumal von jenen, die es kritisiert, ernst genommen werden sollte ... Es ist in solch einer kurzen Rezension nicht möglich, den Reichtum und Scharfsinn dieses Buches angemessen zu würdigen, auch nicht, Widerspruch einzulegen oder zumindest Fragen zu stellen. Indes: Wer sich als emanzipatorisch versteht, kommt um die Lektüre dieser brillanten Streitschrift nicht herum."
taz, Micha Brumlik
"Pluckrose und Lindsay gelingt mit der kritischen Analyse angewandter postmoderner Diskurse ein fundierter und kenntnisreicher Beitrag über die geistes- und kulturwissenschaftlichen Themen der letzten Jahrzehnte. Sie decken die teils absurden Debatten innerhalb der Universitäten auf, die inzwischen auch die Öffentlichkeit in Atem halten."
Glanz & Elend, Jürgen Nielsen-Sikora
"Ein tiefgründiges, differenziertes und doch gut lesbares Buch über über das postmodernistische Gedankengut der Social-Justice-Bewegung, die der sozialen Gerechtigkeit einen Bärendienst erweist mit ihren aggressiven und absolutistischen Argumenten. Sehr empfehlenswert."
denkzeiten.com, Sandra von Siebenthal
"Bedrohen aktivistische, kritische Theorien das freie Denken? Die Publizistin Helen Pluckrose und der Mathematiker James Lindsay warnen in ihrer Streitschrift vor einem neuen Fundamentalismus."
Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung
"Ein eindringliches Plädoyer für die Rettung der liberalen Demokratie und der Errungenschaften der Aufklärung."
Till Randolf Amelung, Jungle World
"Helen Pluckrose plädiert in ihrem Buch für einen säkularen Liberalismus, um heutige Fragen sozialer Gerechtigkeit neu zu denken."
Raphael Smarzoch, Deutschlandfunk
"Das Buch ist so ermutigend, weil es der sozialen Gerechtigkeit unbeirrt mit liberalen Argumenten verpflichtet bleibt, ohne vor den postmodernen Ideologen einzuknicken, die dieses hehre Ziel für ihre Zwecke vereinnahmt und korrumpiert haben."
Andrew Sullivan
"Es gelingt [Helen Pluckrose und James Lindsay] ebenso wie den anderen Diskurs-Guerilleros, überhaupt erst wieder eine Diskussion in Gang zu bringen, wo diese durch Einschüchterungsgesten, Abwehrformeln und andere Verschwörungen blockiert war."
Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"[Helen Pluckrose und James Lindsay] fordern schlicht und einfach, dass diejenigen, die von den zentralen Grundsätzen des westlichen Liberalismus - von Vernunft, freier Debatte, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - überzeugt sind, auch für sie eintreten. fordern schlicht und einfach, dass diejenigen, die von den zentralen Grundsätzen des westlichen Liberalismus - von Vernunft, freier Debatte, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - überzeugt sind, auch für sie eintreten."
Simon Jenkins, Times Literary Supplement
"Helen Pluckrose, eine leise sprechende Akademikerin, hat ein mutiges und wichtiges Buch geschrieben."
Daily Paragraph
"Selten habe ich eine so gute Zusammenfassung der Entwicklung des Postmodernismus seit den Sechzigerjahren gelesen."
Douglas Murray, The Times
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Thomas Thiel
"Philosophiehistorie, die uns sehr gut darüber aufklärt, woher die Gegenwart kommt, in der wir leben."
Ijoma Mangold, SWR Lesenswert
"Eine Reaktion auf gesellschaftliche Missstände, die auch Pluckrose und Lindsay keineswegs bestreiten. Sie stellen nur in Abrede, dass der identitätspolitische Aktivismus etwas zu deren Beseitigung beitragen kann. Er zehrt von dem Elend, das er anprangert, und vergewissert sich dadurch selbst - das ist das Zynische."
DIE WELT, Jakob Hayner
"Ein Buch, das zumal von jenen, die es kritisiert, ernst genommen werden sollte ... Es ist in solch einer kurzen Rezension nicht möglich, den Reichtum und Scharfsinn dieses Buches angemessen zu würdigen, auch nicht, Widerspruch einzulegen oder zumindest Fragen zu stellen. Indes: Wer sich als emanzipatorisch versteht, kommt um die Lektüre dieser brillanten Streitschrift nicht herum."
taz, Micha Brumlik
"Pluckrose und Lindsay gelingt mit der kritischen Analyse angewandter postmoderner Diskurse ein fundierter und kenntnisreicher Beitrag über die geistes- und kulturwissenschaftlichen Themen der letzten Jahrzehnte. Sie decken die teils absurden Debatten innerhalb der Universitäten auf, die inzwischen auch die Öffentlichkeit in Atem halten."
Glanz & Elend, Jürgen Nielsen-Sikora
"Ein tiefgründiges, differenziertes und doch gut lesbares Buch über über das postmodernistische Gedankengut der Social-Justice-Bewegung, die der sozialen Gerechtigkeit einen Bärendienst erweist mit ihren aggressiven und absolutistischen Argumenten. Sehr empfehlenswert."
denkzeiten.com, Sandra von Siebenthal
"Bedrohen aktivistische, kritische Theorien das freie Denken? Die Publizistin Helen Pluckrose und der Mathematiker James Lindsay warnen in ihrer Streitschrift vor einem neuen Fundamentalismus."
Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung
"Ein eindringliches Plädoyer für die Rettung der liberalen Demokratie und der Errungenschaften der Aufklärung."
Till Randolf Amelung, Jungle World
"Helen Pluckrose plädiert in ihrem Buch für einen säkularen Liberalismus, um heutige Fragen sozialer Gerechtigkeit neu zu denken."
Raphael Smarzoch, Deutschlandfunk
"Das Buch ist so ermutigend, weil es der sozialen Gerechtigkeit unbeirrt mit liberalen Argumenten verpflichtet bleibt, ohne vor den postmodernen Ideologen einzuknicken, die dieses hehre Ziel für ihre Zwecke vereinnahmt und korrumpiert haben."
Andrew Sullivan
"Es gelingt [Helen Pluckrose und James Lindsay] ebenso wie den anderen Diskurs-Guerilleros, überhaupt erst wieder eine Diskussion in Gang zu bringen, wo diese durch Einschüchterungsgesten, Abwehrformeln und andere Verschwörungen blockiert war."
Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"[Helen Pluckrose und James Lindsay] fordern schlicht und einfach, dass diejenigen, die von den zentralen Grundsätzen des westlichen Liberalismus - von Vernunft, freier Debatte, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - überzeugt sind, auch für sie eintreten. fordern schlicht und einfach, dass diejenigen, die von den zentralen Grundsätzen des westlichen Liberalismus - von Vernunft, freier Debatte, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - überzeugt sind, auch für sie eintreten."
Simon Jenkins, Times Literary Supplement
"Helen Pluckrose, eine leise sprechende Akademikerin, hat ein mutiges und wichtiges Buch geschrieben."
Daily Paragraph
"Selten habe ich eine so gute Zusammenfassung der Entwicklung des Postmodernismus seit den Sechzigerjahren gelesen."
Douglas Murray, The Times