1919. Deutschland unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Aufstände. Räterepubliken. Freikorpskämpfe. Versailler Vertrag. Dolchstoß, politischer Mord, Revanche und Nazismus: Hätte Geschichte anders verlaufen können? Soldaten, Rückkehrer, Revolutionäre, Minister, Freikorpskämpfer, Gymnasiasten, Matrosen, Monarchisten, Vertriebene, Verliebte, ein Vagabund, eine Zeitungsverkäuferin: In ihren Geschichten präsentieren sich die tausendfachen Probleme einer Zeit, die von den Explosionen des Krieges erschüttert und von der katastrophalen Niederlage geprägt ist, von Hunger, Massenelend und Kriegsgewinnlern, von fanatischem Nationalismus und sozialrevolutionären Ideen, von militärischer Gewalt und Fantasien freier Liebe. In 1919 fließen Hunderte von Splittern, Szenen und Handlungsverläufen aus zeitgenössischen Romanen, Berichten und Aufsätzen zusammen. Ein Erzählstrom in 123 Kapiteln, der aus den Ideen und Kämpfen der Zeit schöpft, aus trivialen, völkischen, utopischen, dadaistischen, reaktionären, politischen, literarischen und fotografischen Quellen. Ein Spiel mit historischen Möglichkeiten und literarischen Figuren, imaginierten Geschichten und realen Ereignissen, kollektivem Wahn und individuellen Wirklichkeiten. Eine Fiktion, die extreme Positionen vorführt und die Widersprüche der Weimarer Republik zuspitzt, die von Kaiser Wilhelms Glück und Ende erzählt, von der Bruderschaft der Vagabunden und dem Untergang einer Flotte, von den Träumen der Kunst und der Rückkehr deutscher U-Boote. Ein kühnes, überraschendes, ungeheuerliches Werk wider Geschichtsvergessenheit, Fatalismus und blinden Gehorsam. Ein wegweisendes Buch über ein Weltende, das eine Zukunft war.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2019Der Autor schreibt kein einziges Wort
Fürs Stimmenstakkato dieses Buchs sorgen andere: Herbert Kapfers faszinierende Montagefiktion "1919" aus literarischen Phantasmen erzählt die Geschichte eines deutschen Schicksalsjahres.
Wollte man die eigentliche Bezeichnung dieses Buches in voller Umständlichkeit, wie sie sich auf dem Titelblatt im Vorsatz findet, hier nennen, wäre der Rezensionsplatz schon halb gefüllt. Denn Herbert Kapfer hat einen geradezu barocken Titel ersonnen, der alle seine literarischen Zulieferer nennt, samt deren Textgattungen. Und das sind jeweils viele. So viele, dass fast die ganze Titelseite beschrieben ist. Aber wir halten uns der Einfachheit halber an jenen Buchtitel, der Schutzumschlag und Einbandrücken schmückt, und der lautet denkbar knapp "1919". Untertitel: "Fiktion".
Oder doch Gattungsbezeichnung? Herbert Kapfer sagt ja, aber sein Buch ist keine reine Fiktion. Es ist vielmehr eine Interpretation. Eine äußerst ungewöhnliche, weil sie nicht ausgeführt wird, sondern vorgeführt. Durch ein Collageprinzip. Herbert Kapfers "1919" besteht aus lauter fremden Texten, der als Autor ausgewiesene Kompilator hat nach eigenen Angaben kaum fünfzig Wörter selbst darin geschrieben, und auch die nur in der Titelei, also den Überschriften der Kapitel. Deren gibt es knapp mehr als 120, generiert aus rund dreißig Quellen, die nahezu ausschließlich von deutschen Zeitzeugen des Jahres 1919 stammen und noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs publiziert wurden (die einzige Ausnahme ist Heiner Müller, der den Epilog mit einem Text aus dem Jahr 1977 zum Jahr 1945 bestreitet). Die kreative Eigenleistung Herbert Kapfers liegt darin, aus diesen Quellen einzelne Abschnitte herausgelöst und teilweise neu arrangiert zu haben, so dass sich aus dem Stimmenstakkato eine erzählerische Melodie ergibt. Und sogar so etwas wie eine Handlung. Das ist die "Fiktion".
Kapfer, Jahrgang 1954, war bis zu seiner Pensionierung Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst beim Bayerischen Rundfunk. Das merkt man dem Kompositionsprinzip von "1919" an, es entspricht der Montage von O-Tönen im Radio, nur dass sie hier zu lesen sind und weitgehend tatsächlich fiktiv, nämlich vorrangig aus Romanen der Zwischenkriegszeit entnommen; nur vereinzelt werden kurze Notizen aus Zeitungen oder Zeitschriften eingeschoben. Das unterscheidet Kapfers Buch auch von dem ähnlich arrangierten "Echolot"-Projekt Walter Kempowskis, in dem ausschließlich Realien versammelt sind: Nachrichtentexte, Tagebuchnotate, Heeresberichte et cetera. Kapfer setzt dagegen auf die erzählerische Kraft der Belletristik und auf die in ihren Texten enthaltene Wirklichkeitsanbindung, die wiederum über Umwege des Phantastischen und Drastischen mehr von der Zeitstimmung des Jahres 1919 wiedergibt, als es die historiographischen Quellen tun.
Diese Überzeugung entstammt noch der Zeit vor Kapfers Radiokarriere. 1988 publizierte er den Band "Umsturz in München - Schriftsteller erzählen die Räterepublik", also so etwas wie eine erste Rate des nunmehr erschienenen Buches. Einige der damals versammelten Stimmen sind jetzt wieder da: Oskar Maria Graf natürlich oder Ernst Toller. Und auch die spätere intensive Beschäftigung Kapfers mit der Dada-Bewegung hat reiche Früchte getragen: Bücher und Pamphlete von Richard Huelsenbeck und Hugo Ball sind geradezu das Rückgrat der neuen Textcollage - so weit, dass man sich als Titel auch eine Anleihe bei den 1920 erschienenen Erinnerungen Huelsenbecks gut hätte vorstellen können, die als "Deutschland muß untergehen!" herauskamen.
Denn der Untergang ist so etwas wie das Leitmotiv des Buchs, metaphorisch, aber auch buchstäblich. Auf dem Umschlag ist ein Foto vom 21. Juni 1919 zu sehen, dem Tag, als die Besatzung der in der schottischen Bucht von Scapa Flow festgesetzten deutschen Kriegsflotte den Großteil ihrer Schiffe selbst versenkte. Ob sie das tat, um die absehbare Auslieferung der Flotte nach dem Abschluss des Versailler Vertrags an die Kriegsgegner zu verhindern, oder weil man (wie die deutschen Marineoffiziere behaupteten) dachte, der Krieg sei wieder ausgebrochen, wird wohl nie zu klären sein. Quer durch Kapfers Buch jedenfalls zieht sich vom Matrosenaufstand des Novembers 1918 bis zum erzählerischen Schlusspunkt am Jahresende 1919 ein ganzer Reigen von maritimen Ereignissen realer wie fiktiver Natur. Vor allem Joseph Delmonts längst vergessener, 1925 publizierter revanchistisch-phantastischer Roman "Die Stadt unter dem Meere" und Werner Scheffs monarchistisches Befreiungsabenteuer "Juan Fernandez" von 1920 machen der Bezeichnung "Fiktion" Ehre.
Kapfer hat etliche solcher erstaunlichen Romane entdeckt, darunter Sophie Hoechstetters melodramatischen "Scheinwerfer", in dem aus dem Baltikum geflohene Deutsche eine Hauptrolle spielen. Im ersten Hauptteil von "1919", der von der Zeit bis zur Münchner Räterepublik erzählt, ist Hoechstetters Buch sogar das heimliche Zentrum; später wird das Thema Baltikum dann wieder aufgenommen durch die Landser-Literatur der Freikorpskämpfer Karl-Matthias Buschbecker und Ernst von Salomon. Die Einbeziehung von Texten des durchaus berüchtigten Salomon zeigt Kapfers Willen, ein umfassendes Bild jener Zeit zu montieren, also Blickwinkel sowohl der extremen Linken wie etwa Erich Mühsams oder des anarchistischen Räuberhauptmanns Max Hoelz als auch der extremen Rechten zuzulassen, zu der hier neben Salomon vor allem Nathanael Jünger zählt, dessen schon 1921 erschienener antisemitischer Roman "Volk in Gefahr" allerdings nur einmal in "1919" zu Wort kommt - wie als Beleg dafür, welchen Rassenhass auch die fiktionale Publizistik der Weimarer Republik zu bieten hatte.
Alle Textteile dieses riesigen Erzählkonvoluts sind im Anhang aufgeschlüsselt, und diese kargen Nachweise lesen sich bisweilen so spannend wie der Text selbst. Zweieinhalb Jahre hat Kapfer an "1919" gearbeitet, aber die Zeit der frühen Weimarer Republik ist ein Lebensthema für ihn. Viele Anregungen bei der Textsuche verdankte er etwa dem "Bücherwurm", einer zeitgenössischen Monatszeitschrift für Bücherfreunde, in der ihn Kritiken und Glossen auf immer neue Spurensuchen in den Bibliotheken führten und manches auch direkt in die Collage übernommen wurde.
Der Fluss einer einzigen großen Geschichte des Jahres 1919 ist auf diese Weise zwar nicht zu erzielen - zu abrupt sind meist die Übergänge von Figuren, Orten, Zeiten -, doch immer wieder gelingen Kapfer erstaunliche Themenbögen. Und auch Mikroanschlüsse, etwa beim letzten Auszug aus Sophie Hoechstetters "Scheinwerfer", der von einem Flug der Hauptperson über das von inneren Konflikten zerrissene Deutschland des Frühjahrs 1919 erzählt. Die letzten Sätze lauten dabei: "Man sah eine Unmenge von Kaplänen und Priester um ein Grab - man glaubte das Miserere zu hören. Dann zerfloss die Stadt. Die eintönige Moorlandschaft kam." Dieser Beschreibung verleiht Kapfer durch den daran direkt anschließenden Text von Ernst Toller mit der berühmten Schilderung seines doppelten Flugzeugabsturzes auf dem Weg von München nach Berlin die Anmutung eines Untergangs, nämlich eines weiteren Absturzes. Solche suggestiven Umwertungen literarischer Inhalte durch neue Nachbarschaft machen das größte Interesse bei der Lektüre von "1919" aus. Kapfer hat mit seinem Buch ein Kunststück geschaffen. Und dabei sagt er doch selbst kein einziges Wort.
ANDREAS PLATTHAUS.
Herbert Kapfer: "1919". Fiktion.
Kunstmann Verlag, München 2019. 423 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fürs Stimmenstakkato dieses Buchs sorgen andere: Herbert Kapfers faszinierende Montagefiktion "1919" aus literarischen Phantasmen erzählt die Geschichte eines deutschen Schicksalsjahres.
Wollte man die eigentliche Bezeichnung dieses Buches in voller Umständlichkeit, wie sie sich auf dem Titelblatt im Vorsatz findet, hier nennen, wäre der Rezensionsplatz schon halb gefüllt. Denn Herbert Kapfer hat einen geradezu barocken Titel ersonnen, der alle seine literarischen Zulieferer nennt, samt deren Textgattungen. Und das sind jeweils viele. So viele, dass fast die ganze Titelseite beschrieben ist. Aber wir halten uns der Einfachheit halber an jenen Buchtitel, der Schutzumschlag und Einbandrücken schmückt, und der lautet denkbar knapp "1919". Untertitel: "Fiktion".
Oder doch Gattungsbezeichnung? Herbert Kapfer sagt ja, aber sein Buch ist keine reine Fiktion. Es ist vielmehr eine Interpretation. Eine äußerst ungewöhnliche, weil sie nicht ausgeführt wird, sondern vorgeführt. Durch ein Collageprinzip. Herbert Kapfers "1919" besteht aus lauter fremden Texten, der als Autor ausgewiesene Kompilator hat nach eigenen Angaben kaum fünfzig Wörter selbst darin geschrieben, und auch die nur in der Titelei, also den Überschriften der Kapitel. Deren gibt es knapp mehr als 120, generiert aus rund dreißig Quellen, die nahezu ausschließlich von deutschen Zeitzeugen des Jahres 1919 stammen und noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs publiziert wurden (die einzige Ausnahme ist Heiner Müller, der den Epilog mit einem Text aus dem Jahr 1977 zum Jahr 1945 bestreitet). Die kreative Eigenleistung Herbert Kapfers liegt darin, aus diesen Quellen einzelne Abschnitte herausgelöst und teilweise neu arrangiert zu haben, so dass sich aus dem Stimmenstakkato eine erzählerische Melodie ergibt. Und sogar so etwas wie eine Handlung. Das ist die "Fiktion".
Kapfer, Jahrgang 1954, war bis zu seiner Pensionierung Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst beim Bayerischen Rundfunk. Das merkt man dem Kompositionsprinzip von "1919" an, es entspricht der Montage von O-Tönen im Radio, nur dass sie hier zu lesen sind und weitgehend tatsächlich fiktiv, nämlich vorrangig aus Romanen der Zwischenkriegszeit entnommen; nur vereinzelt werden kurze Notizen aus Zeitungen oder Zeitschriften eingeschoben. Das unterscheidet Kapfers Buch auch von dem ähnlich arrangierten "Echolot"-Projekt Walter Kempowskis, in dem ausschließlich Realien versammelt sind: Nachrichtentexte, Tagebuchnotate, Heeresberichte et cetera. Kapfer setzt dagegen auf die erzählerische Kraft der Belletristik und auf die in ihren Texten enthaltene Wirklichkeitsanbindung, die wiederum über Umwege des Phantastischen und Drastischen mehr von der Zeitstimmung des Jahres 1919 wiedergibt, als es die historiographischen Quellen tun.
Diese Überzeugung entstammt noch der Zeit vor Kapfers Radiokarriere. 1988 publizierte er den Band "Umsturz in München - Schriftsteller erzählen die Räterepublik", also so etwas wie eine erste Rate des nunmehr erschienenen Buches. Einige der damals versammelten Stimmen sind jetzt wieder da: Oskar Maria Graf natürlich oder Ernst Toller. Und auch die spätere intensive Beschäftigung Kapfers mit der Dada-Bewegung hat reiche Früchte getragen: Bücher und Pamphlete von Richard Huelsenbeck und Hugo Ball sind geradezu das Rückgrat der neuen Textcollage - so weit, dass man sich als Titel auch eine Anleihe bei den 1920 erschienenen Erinnerungen Huelsenbecks gut hätte vorstellen können, die als "Deutschland muß untergehen!" herauskamen.
Denn der Untergang ist so etwas wie das Leitmotiv des Buchs, metaphorisch, aber auch buchstäblich. Auf dem Umschlag ist ein Foto vom 21. Juni 1919 zu sehen, dem Tag, als die Besatzung der in der schottischen Bucht von Scapa Flow festgesetzten deutschen Kriegsflotte den Großteil ihrer Schiffe selbst versenkte. Ob sie das tat, um die absehbare Auslieferung der Flotte nach dem Abschluss des Versailler Vertrags an die Kriegsgegner zu verhindern, oder weil man (wie die deutschen Marineoffiziere behaupteten) dachte, der Krieg sei wieder ausgebrochen, wird wohl nie zu klären sein. Quer durch Kapfers Buch jedenfalls zieht sich vom Matrosenaufstand des Novembers 1918 bis zum erzählerischen Schlusspunkt am Jahresende 1919 ein ganzer Reigen von maritimen Ereignissen realer wie fiktiver Natur. Vor allem Joseph Delmonts längst vergessener, 1925 publizierter revanchistisch-phantastischer Roman "Die Stadt unter dem Meere" und Werner Scheffs monarchistisches Befreiungsabenteuer "Juan Fernandez" von 1920 machen der Bezeichnung "Fiktion" Ehre.
Kapfer hat etliche solcher erstaunlichen Romane entdeckt, darunter Sophie Hoechstetters melodramatischen "Scheinwerfer", in dem aus dem Baltikum geflohene Deutsche eine Hauptrolle spielen. Im ersten Hauptteil von "1919", der von der Zeit bis zur Münchner Räterepublik erzählt, ist Hoechstetters Buch sogar das heimliche Zentrum; später wird das Thema Baltikum dann wieder aufgenommen durch die Landser-Literatur der Freikorpskämpfer Karl-Matthias Buschbecker und Ernst von Salomon. Die Einbeziehung von Texten des durchaus berüchtigten Salomon zeigt Kapfers Willen, ein umfassendes Bild jener Zeit zu montieren, also Blickwinkel sowohl der extremen Linken wie etwa Erich Mühsams oder des anarchistischen Räuberhauptmanns Max Hoelz als auch der extremen Rechten zuzulassen, zu der hier neben Salomon vor allem Nathanael Jünger zählt, dessen schon 1921 erschienener antisemitischer Roman "Volk in Gefahr" allerdings nur einmal in "1919" zu Wort kommt - wie als Beleg dafür, welchen Rassenhass auch die fiktionale Publizistik der Weimarer Republik zu bieten hatte.
Alle Textteile dieses riesigen Erzählkonvoluts sind im Anhang aufgeschlüsselt, und diese kargen Nachweise lesen sich bisweilen so spannend wie der Text selbst. Zweieinhalb Jahre hat Kapfer an "1919" gearbeitet, aber die Zeit der frühen Weimarer Republik ist ein Lebensthema für ihn. Viele Anregungen bei der Textsuche verdankte er etwa dem "Bücherwurm", einer zeitgenössischen Monatszeitschrift für Bücherfreunde, in der ihn Kritiken und Glossen auf immer neue Spurensuchen in den Bibliotheken führten und manches auch direkt in die Collage übernommen wurde.
Der Fluss einer einzigen großen Geschichte des Jahres 1919 ist auf diese Weise zwar nicht zu erzielen - zu abrupt sind meist die Übergänge von Figuren, Orten, Zeiten -, doch immer wieder gelingen Kapfer erstaunliche Themenbögen. Und auch Mikroanschlüsse, etwa beim letzten Auszug aus Sophie Hoechstetters "Scheinwerfer", der von einem Flug der Hauptperson über das von inneren Konflikten zerrissene Deutschland des Frühjahrs 1919 erzählt. Die letzten Sätze lauten dabei: "Man sah eine Unmenge von Kaplänen und Priester um ein Grab - man glaubte das Miserere zu hören. Dann zerfloss die Stadt. Die eintönige Moorlandschaft kam." Dieser Beschreibung verleiht Kapfer durch den daran direkt anschließenden Text von Ernst Toller mit der berühmten Schilderung seines doppelten Flugzeugabsturzes auf dem Weg von München nach Berlin die Anmutung eines Untergangs, nämlich eines weiteren Absturzes. Solche suggestiven Umwertungen literarischer Inhalte durch neue Nachbarschaft machen das größte Interesse bei der Lektüre von "1919" aus. Kapfer hat mit seinem Buch ein Kunststück geschaffen. Und dabei sagt er doch selbst kein einziges Wort.
ANDREAS PLATTHAUS.
Herbert Kapfer: "1919". Fiktion.
Kunstmann Verlag, München 2019. 423 S., Abb., geb., 25,- [Euro].
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