Eine einzigartige Erzählung über eine der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts »Eine perfekt gelungene Mischung von persönlicher Erinnerung und historischer Reflexion. Alle, die dieses Buch lesen, werden durch Slavko Goldsteins zutiefst humanen Blick auf die Erfahrung des Schreckens vieles erst begreifen.« Timothy Snyder 1941 besetzten die Deutschen das Königreich Jugoslawien, in Kroatien übernahm die faschistische Ustascha die Macht. Slavko Goldstein, einer der bekanntesten Intellektuellen im ehemaligen Jugoslawien, erzählt von diesen Wochen und Monaten, die er selbst als Vierzehnjähriger erlebt hat. Fesselnd beschreibt er die Dynamik der Gewalt auf dem Balkan, die 1941 in Gang gesetzt wurde, als die Ustascha-Regierung hunderttausende Menschen, vorrangig aus der serbischen Bevölkerung, ermordete. Goldstein beschreibt die Ereignisse Tag für Tag, Woche für Woche, schildert die Schicksale zahlreicher Menschen, ob Täter oder Opfer, und versucht, ihre Motive zu verstehen, ohne vorschnell zu urteilen. Die Gewalt von 1941 prägte die Region auch nach dem Krieg, als den Tätern im Geheimen der Prozess gemacht, aber in der Öffentlichkeit geschwiegen wurde. Der Hass entlud sich schließlich 1991 erneut in ungeahnter Brutalität. Slavko Goldstein macht diesen unheilvollen Kreislauf der Gewalt, der exemplarisch ist für viele ähnliche Konflikte, unmittelbar nachvollziehbar. Seine Erzählung ist getragen von einer zutiefst humanistischen Haltung, die zugleich deutlich macht, dass Gut und Böse in dieser Tragödie untrennbar miteinander verwoben sind.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2018Das jugoslawische Trauma
Slavko Goldstein sieht im Jahr 1941 „die Saat des Hasses“ aufgehen. Der Völkermord des kroatischen Ustascha-Regimes an Serben und Juden – gefördert
von den deutschen Besatzern – wurde nie angemessen aufgearbeitet. Der völkische Furor hatte noch Jahrzehnte später grausame Folgen
VON MICHAEL FRANK
Selbst in der Aura der grässlichsten Verbrechen noch das Gute wahrzunehmen, ist eine der vornehmsten Tugenden eines wirklich freien Geistes. Slavko Goldstein hat in seinem Buch „1941 – Das Jahr, das nie vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan“ mit nichts intensiver gerungen als mit Verallgemeinerungen und Klischees. In diesem Band geht es um ganz fürchterliche Dinge, um Völker- und Massenmord, um Verrat, Raub und Niedertracht; Slavko Goldstein geht es um noch mehr, um die Ausdeutung dieser Entsetzlichkeiten als Quell weiteren menschlichen Handelns. Er tut dies überaus differenziert, selten war ein Text mit geschichtswahrhaftigem Anspruch so darauf aus, denen die da genannt sind, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Slavko Goldstein, der im vergangenen Jahr im Alter von 89 Jahren gestorben ist, war Kroate und Jude, wurde verfolgt, war Partisan, Widerständler, Kommunist und Dissident. Als Verleger und Essayist, nicht aber als Politiker, war er eine der großen nichtkommunistischen intellektuellen Figuren in Jugoslawien auch der Tito-Zeit (1945 – 1980). Das befreite ihn vom Rechtfertigungsdruck eigenen historischen Handelns. Goldstein verortet im Jahr 1941 „die Saat des Hasses“: Noch im Zerfall Jugoslawiens in den Neunzigerjahren brachte diese Saat abgründige Abscheulichkeiten hervor, die Goldstein damit als ursächlich belegt und nicht als nahezu unerklärlich im Sinne eines Naturereignisses wahrnahm, wie es das entsetzte Europa und die Welt gerne taten. 1941 besetzten die Achsenmächte das königliche Jugoslawien, es entstand der Unabhängige Staat Kroatien als eines der düstersten Konstrukte des Nationalismus, der unter der Ägide deutscher und italienischer Besatzungstruppen von der Ustascha, den kroatischen Faschisten, regiert und terrorisiert wurde. Das Buch diagnostiziert darin den komplexen, traumatischen Urdefekt der kroatischen Gesellschaft, dessen Fluch zu mörderischen Folgen auch nach Kriegsende und noch in den jüngsten Balkankriegen führen musste – weil nie angemessen aufgearbeitet.
Goldstein bringt sein Buch gegen Geschichtsvergessenheit in Stellung, die in Acht- und Ahnungslosigkeit, aber auch in politischer Irreführungsabsicht wurzelt; deren schlimmste Folge eben Unwille und Unfähigkeit sind, frühere Taten und Untaten, frühe Traumata einer Gesellschaft zu benennen und zum Grundmaterial von Klärungsprozessen und von Verständigung zu nehmen.
Es geht um den Völkermord an mehr als 600 000 Serben, etwa einem Drittel dieser angestammten Volksgruppe im „unabhängigen“ Kroatien, an etwa 30 000 Juden (75 Prozent der jüdischen Vorkriegsbevölkerung) und etwa 29 000 Roma (97 Prozent). Diese Schätzzahlen für den von der Ustascha verübten Genozid stammen vom Simon Wiesenthal Center und sind eher vorsichtig. Andere nennen deutlich niedrigere Zahlen. Goldstein selbst nennt solche Zahlen nicht, keine gewaltigen Summen an Tod und Verderben, er nennt nur Zahlen, die er konkret belegen kann, von denen er sich aber zu Recht erhofft, dass sie doch das ganze Ausmaß des Grauens widerspiegeln. Es geht um einzelne, mit Namen genannte Schicksale, um Familien, um Gruppen, um Dörfer; es geht mal um fünf, mal um fünfhundert oder Tausende Opfer, nie aber um Pauschalisierungen: Der Erzähler versucht herauszuarbeiten, dass selbst in den übelsten Mordaktionen Reaktionen von Menschlichkeit, Güte, List oder einfach Angst viel bewirkt, viel verhindert, auch viel angerichtet haben. Aber er summiert nichts, als fürchte er sich davor.
Goldstein erzählt den Massenmord. Dieses genauigkeitsversessene Geschichtsbuch ist zugleich ein der Wirklichkeit entnommener Familienroman: Er erzählt alles so, wie er es, beginnend als 14-Jähriger, am eigenen Leib und in der eigenen Familie, in seiner Heimatstadt Karlovac, in seinem persönlichen Umkreis, im Dorf der Haushälterin und später mit Mutter und Bruder bei den Partisanen erlebt hat. So penibel am Einzelschicksal wird vieles, was so entsetzlich ist, noch eindringlicher und besonders glaubwürdig. Aber fürchten nicht Historiker nichts mehr als den Zeitzeugen, der aus dem langen Danach früh Erlebtes interpretiert?
Fast fundamentalistisch hinterfragt Goldstein selbst seine eigene Erinnerung, versucht zu differenzieren, indem der historische Erzähler in ihm dem Zeitzeugen in sich selbst misstraut und dies nachhaltig thematisiert. So wird auch seine Generalemotion glaubwürdig, wie eben er, ein großer kroatischer Patriot, den wüsten und wütenden Nationalismus als den Kern allen Übels und als die Wurzel der späteren Verheerungen identifiziert.
Das Buch meidet Grausamkeiten und sadistische Details, soweit dies möglich ist. Die Lakonie der Darlegung der Gräuel unter dem Ustascha-Regime des Führers Ante Pavelić macht sie um so ungeheuerlicher, etwa die Tatsache, dass die meisten der überwiegend serbischen Opfer nicht erschossen, sondern mit Knüppeln, Keulen, Hämmern erschlagen, ihnen mit Messern die Kehle durchgeschnitten wurden; ein Hinrichtungsmeister wird erwähnt, der serbische Bauern zu Hunderten mit dem Vorschlaghammer umbringt, der dem Opfer das Genick bricht. Oder sie haben es zwangsweise „Zigeuner“ erledigen lassen, haben diese dann auch umgebracht und die fünf, sechs eigenen Leute, die alles beaufsichtigt hatten, mit. (Die deutschen Besatzer, ja selbst SS-Chef Heinrich Himmler fanden das alles „widerlich“ – aber nützlich, und Hitler gab Pavelić ausdrücklich freie Hand; die Italiener fanden das ganz entsetzlich, aber ebenfalls nützlich; beider Furcht war nur, der innerkroatische Konflikt könne überborden und Weltkriegstruppen binden, die man anderwärts nötiger brauche.)
Goldstein beschreibt den völkischen Furor in einem grotesken Dialog zweier Ustascha-Mörder. Einer wendet gegen das Wüten ein, es sei ja wohl auch mit „Spätfolgen“ zu rechnen, denn die Deutschen würden diesen Krieg möglicherweise doch verlieren. Entgegnet der andere: Ja, auch er rechne damit, dass die Engländer und deren Verbündete siegten. Wenn aber Kroatien bis dahin serbenrein werde, also alle Serben tot oder fort seien, dann müssten auch die Alliierten am Ende dieses neue, reinblütige Kroatien akzeptieren. Den Kommandanten eines der berüchtigtsten Vernichtungslager fragt ein prominenter Insasse, ob er sich wegen all dieser Taten nicht vor der Strafe Gottes fürchte. Die Antwort: „Ich weiß, dass ich für all das, was ich getan habe und noch zu tun gedenke, ins Höllenfeuer kommen werde. Aber ich werde dort für Kroatien brennen.“
Dieses Kroatien war ja eine katholisch unterfütterte, klerikalfaschistische Tyrannei. Die Serben werden meist mit den „Orthodoxen“ gleichgesetzt. Dieses dröhnende religiöse Hintergrundrauschen kommt bei Goldstein stets vor, wird aber eigentümlicherweise nicht eigens thematisiert.
Auch dieses Buch reicht nicht hin als Geschichtsnachhilfeunterricht. Es stößt in einen leeren Raum vor, was die bundesdeutsche Geschichtsvorstellung über die als so unbegreiflich angesehene grausame Enthemmung während der Sezessionskriege im posttitoistischen Jugoslawien anbetrifft. Den wenigsten Deutschen ist der Genozid von 1941 und der folgenden Kriegsjahre bekannt, geschweige denn gegenwärtig. Dieser Band, der zehn Jahre brauchte, um ins Deutsche übertragen zu werden, hat da eine bedenkliche Lücke: Er ist geschrieben für ein Publikum, das immerhin über Grundwissen von der Vorgeschichte und von Jugoslawien unter dem deutsch-italienischen Kriegsregime verfügt, und sei es nationalistisch eingefärbt und verfälscht. Es hätte also für die meist ahnungslosen deutschsprachigen Leser einer einleitenden Disposition über das Vorher, die serbisch dominierte Königsdiktatur und über Ursprung und Charakter der Ustascha bedurft; und man hätte eine Reihe Personen in einem kleinen Erklärregister positionieren müssen. Goldstein nennt unendlich viele Namen. Und doch, auch wenn man zwischendrin den Überblick zu verlieren glaubt, macht der sehr detaillierte persönliche Erzählstrang alles wieder spannend und menschlich erträglicher – oder noch schmerzhafter.
Goldstein spart auch nicht die Nachkriegsfolgen aus, die Massaker von 1945, als siegreiche Partisanen im Grunde schon als neue jugoslawische Armee erste Rache nehmen für das Schreckensjahr 1941. Und er spart nicht seinen eigenen Begeisterungsprozess aus, der aber bald in die sehr frühe Ablehnung des antidemokratischen Tito-Staates mündet. Und er spart nicht den Mangel an Gedenkkultur aus, der jeder Erinnerung immer das politisch zielgerichtete Ausgrenzen der anderen einpflanzt, statt gemeinsam so etwas wie eine Hoffnung zu entwickeln, über gemeinsame Trauer zu einer ungefährdeten gemeinsamen Zukunft zu finden. Dieser Mangel hat, so Slavko Goldstein, nach Jahrzehnten Tito’schen Völkerfriedens das Wiederaufbrechen des nationalistischen Hasses mit all seinen mörderischen Folgen verschuldet.
Und: Man lernt noch mehr aus diesem Buch, was wenigen Mitteleuropäern gewärtig ist. Tito-Jugoslawien hat sich als einziger zunächst stalinistischer, dann sehr eigenwillig verfasster sozialistischer Staat nur deshalb selbstbewusst der Bevormundung Moskaus entziehen können, weil es nicht von der Roten Armee befreit wurde, sondern weil die Jugoslawen gemeinsam und aus eigener Kraft ihren Krieg gegen deutsche und italienische Besatzer gewonnen haben. Das bewirkt ein ganz anderes Selbstbewusstsein, das aber nicht hingereicht hat, die grässlichen inneren Verwundungen zu heilen.
Tausende Serben
wurden mit Knüppeln,
Keulen, Hämmern erschlagen
Der persönliche Erzählstrang
macht vieles erträglicher –
oder noch schmerzhafter
Slavko Goldstein:
1941 – Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan. Aus dem Kroatischen von Marica Bodrožic. Fischer-Verlag Frankfurt 2018, 575 Seiten, 30 Euro.
E-Book: 25,99 Euro.
Die Versöhnung wächst nicht. „Steinerne Blume“ heißt die Skulptur des Belgrader Bildhauers Bogdan Bogdanović beim ehemaligen KZ Jasenovac östlich von Zagreb. Dort folterten und ermordeten die Kroaten zwischen 1941 und 1945 Tausende Serben und Juden.
Foto: James P. Blair/National Geographic/Getty Images
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Slavko Goldstein sieht im Jahr 1941 „die Saat des Hasses“ aufgehen. Der Völkermord des kroatischen Ustascha-Regimes an Serben und Juden – gefördert
von den deutschen Besatzern – wurde nie angemessen aufgearbeitet. Der völkische Furor hatte noch Jahrzehnte später grausame Folgen
VON MICHAEL FRANK
Selbst in der Aura der grässlichsten Verbrechen noch das Gute wahrzunehmen, ist eine der vornehmsten Tugenden eines wirklich freien Geistes. Slavko Goldstein hat in seinem Buch „1941 – Das Jahr, das nie vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan“ mit nichts intensiver gerungen als mit Verallgemeinerungen und Klischees. In diesem Band geht es um ganz fürchterliche Dinge, um Völker- und Massenmord, um Verrat, Raub und Niedertracht; Slavko Goldstein geht es um noch mehr, um die Ausdeutung dieser Entsetzlichkeiten als Quell weiteren menschlichen Handelns. Er tut dies überaus differenziert, selten war ein Text mit geschichtswahrhaftigem Anspruch so darauf aus, denen die da genannt sind, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Slavko Goldstein, der im vergangenen Jahr im Alter von 89 Jahren gestorben ist, war Kroate und Jude, wurde verfolgt, war Partisan, Widerständler, Kommunist und Dissident. Als Verleger und Essayist, nicht aber als Politiker, war er eine der großen nichtkommunistischen intellektuellen Figuren in Jugoslawien auch der Tito-Zeit (1945 – 1980). Das befreite ihn vom Rechtfertigungsdruck eigenen historischen Handelns. Goldstein verortet im Jahr 1941 „die Saat des Hasses“: Noch im Zerfall Jugoslawiens in den Neunzigerjahren brachte diese Saat abgründige Abscheulichkeiten hervor, die Goldstein damit als ursächlich belegt und nicht als nahezu unerklärlich im Sinne eines Naturereignisses wahrnahm, wie es das entsetzte Europa und die Welt gerne taten. 1941 besetzten die Achsenmächte das königliche Jugoslawien, es entstand der Unabhängige Staat Kroatien als eines der düstersten Konstrukte des Nationalismus, der unter der Ägide deutscher und italienischer Besatzungstruppen von der Ustascha, den kroatischen Faschisten, regiert und terrorisiert wurde. Das Buch diagnostiziert darin den komplexen, traumatischen Urdefekt der kroatischen Gesellschaft, dessen Fluch zu mörderischen Folgen auch nach Kriegsende und noch in den jüngsten Balkankriegen führen musste – weil nie angemessen aufgearbeitet.
Goldstein bringt sein Buch gegen Geschichtsvergessenheit in Stellung, die in Acht- und Ahnungslosigkeit, aber auch in politischer Irreführungsabsicht wurzelt; deren schlimmste Folge eben Unwille und Unfähigkeit sind, frühere Taten und Untaten, frühe Traumata einer Gesellschaft zu benennen und zum Grundmaterial von Klärungsprozessen und von Verständigung zu nehmen.
Es geht um den Völkermord an mehr als 600 000 Serben, etwa einem Drittel dieser angestammten Volksgruppe im „unabhängigen“ Kroatien, an etwa 30 000 Juden (75 Prozent der jüdischen Vorkriegsbevölkerung) und etwa 29 000 Roma (97 Prozent). Diese Schätzzahlen für den von der Ustascha verübten Genozid stammen vom Simon Wiesenthal Center und sind eher vorsichtig. Andere nennen deutlich niedrigere Zahlen. Goldstein selbst nennt solche Zahlen nicht, keine gewaltigen Summen an Tod und Verderben, er nennt nur Zahlen, die er konkret belegen kann, von denen er sich aber zu Recht erhofft, dass sie doch das ganze Ausmaß des Grauens widerspiegeln. Es geht um einzelne, mit Namen genannte Schicksale, um Familien, um Gruppen, um Dörfer; es geht mal um fünf, mal um fünfhundert oder Tausende Opfer, nie aber um Pauschalisierungen: Der Erzähler versucht herauszuarbeiten, dass selbst in den übelsten Mordaktionen Reaktionen von Menschlichkeit, Güte, List oder einfach Angst viel bewirkt, viel verhindert, auch viel angerichtet haben. Aber er summiert nichts, als fürchte er sich davor.
Goldstein erzählt den Massenmord. Dieses genauigkeitsversessene Geschichtsbuch ist zugleich ein der Wirklichkeit entnommener Familienroman: Er erzählt alles so, wie er es, beginnend als 14-Jähriger, am eigenen Leib und in der eigenen Familie, in seiner Heimatstadt Karlovac, in seinem persönlichen Umkreis, im Dorf der Haushälterin und später mit Mutter und Bruder bei den Partisanen erlebt hat. So penibel am Einzelschicksal wird vieles, was so entsetzlich ist, noch eindringlicher und besonders glaubwürdig. Aber fürchten nicht Historiker nichts mehr als den Zeitzeugen, der aus dem langen Danach früh Erlebtes interpretiert?
Fast fundamentalistisch hinterfragt Goldstein selbst seine eigene Erinnerung, versucht zu differenzieren, indem der historische Erzähler in ihm dem Zeitzeugen in sich selbst misstraut und dies nachhaltig thematisiert. So wird auch seine Generalemotion glaubwürdig, wie eben er, ein großer kroatischer Patriot, den wüsten und wütenden Nationalismus als den Kern allen Übels und als die Wurzel der späteren Verheerungen identifiziert.
Das Buch meidet Grausamkeiten und sadistische Details, soweit dies möglich ist. Die Lakonie der Darlegung der Gräuel unter dem Ustascha-Regime des Führers Ante Pavelić macht sie um so ungeheuerlicher, etwa die Tatsache, dass die meisten der überwiegend serbischen Opfer nicht erschossen, sondern mit Knüppeln, Keulen, Hämmern erschlagen, ihnen mit Messern die Kehle durchgeschnitten wurden; ein Hinrichtungsmeister wird erwähnt, der serbische Bauern zu Hunderten mit dem Vorschlaghammer umbringt, der dem Opfer das Genick bricht. Oder sie haben es zwangsweise „Zigeuner“ erledigen lassen, haben diese dann auch umgebracht und die fünf, sechs eigenen Leute, die alles beaufsichtigt hatten, mit. (Die deutschen Besatzer, ja selbst SS-Chef Heinrich Himmler fanden das alles „widerlich“ – aber nützlich, und Hitler gab Pavelić ausdrücklich freie Hand; die Italiener fanden das ganz entsetzlich, aber ebenfalls nützlich; beider Furcht war nur, der innerkroatische Konflikt könne überborden und Weltkriegstruppen binden, die man anderwärts nötiger brauche.)
Goldstein beschreibt den völkischen Furor in einem grotesken Dialog zweier Ustascha-Mörder. Einer wendet gegen das Wüten ein, es sei ja wohl auch mit „Spätfolgen“ zu rechnen, denn die Deutschen würden diesen Krieg möglicherweise doch verlieren. Entgegnet der andere: Ja, auch er rechne damit, dass die Engländer und deren Verbündete siegten. Wenn aber Kroatien bis dahin serbenrein werde, also alle Serben tot oder fort seien, dann müssten auch die Alliierten am Ende dieses neue, reinblütige Kroatien akzeptieren. Den Kommandanten eines der berüchtigtsten Vernichtungslager fragt ein prominenter Insasse, ob er sich wegen all dieser Taten nicht vor der Strafe Gottes fürchte. Die Antwort: „Ich weiß, dass ich für all das, was ich getan habe und noch zu tun gedenke, ins Höllenfeuer kommen werde. Aber ich werde dort für Kroatien brennen.“
Dieses Kroatien war ja eine katholisch unterfütterte, klerikalfaschistische Tyrannei. Die Serben werden meist mit den „Orthodoxen“ gleichgesetzt. Dieses dröhnende religiöse Hintergrundrauschen kommt bei Goldstein stets vor, wird aber eigentümlicherweise nicht eigens thematisiert.
Auch dieses Buch reicht nicht hin als Geschichtsnachhilfeunterricht. Es stößt in einen leeren Raum vor, was die bundesdeutsche Geschichtsvorstellung über die als so unbegreiflich angesehene grausame Enthemmung während der Sezessionskriege im posttitoistischen Jugoslawien anbetrifft. Den wenigsten Deutschen ist der Genozid von 1941 und der folgenden Kriegsjahre bekannt, geschweige denn gegenwärtig. Dieser Band, der zehn Jahre brauchte, um ins Deutsche übertragen zu werden, hat da eine bedenkliche Lücke: Er ist geschrieben für ein Publikum, das immerhin über Grundwissen von der Vorgeschichte und von Jugoslawien unter dem deutsch-italienischen Kriegsregime verfügt, und sei es nationalistisch eingefärbt und verfälscht. Es hätte also für die meist ahnungslosen deutschsprachigen Leser einer einleitenden Disposition über das Vorher, die serbisch dominierte Königsdiktatur und über Ursprung und Charakter der Ustascha bedurft; und man hätte eine Reihe Personen in einem kleinen Erklärregister positionieren müssen. Goldstein nennt unendlich viele Namen. Und doch, auch wenn man zwischendrin den Überblick zu verlieren glaubt, macht der sehr detaillierte persönliche Erzählstrang alles wieder spannend und menschlich erträglicher – oder noch schmerzhafter.
Goldstein spart auch nicht die Nachkriegsfolgen aus, die Massaker von 1945, als siegreiche Partisanen im Grunde schon als neue jugoslawische Armee erste Rache nehmen für das Schreckensjahr 1941. Und er spart nicht seinen eigenen Begeisterungsprozess aus, der aber bald in die sehr frühe Ablehnung des antidemokratischen Tito-Staates mündet. Und er spart nicht den Mangel an Gedenkkultur aus, der jeder Erinnerung immer das politisch zielgerichtete Ausgrenzen der anderen einpflanzt, statt gemeinsam so etwas wie eine Hoffnung zu entwickeln, über gemeinsame Trauer zu einer ungefährdeten gemeinsamen Zukunft zu finden. Dieser Mangel hat, so Slavko Goldstein, nach Jahrzehnten Tito’schen Völkerfriedens das Wiederaufbrechen des nationalistischen Hasses mit all seinen mörderischen Folgen verschuldet.
Und: Man lernt noch mehr aus diesem Buch, was wenigen Mitteleuropäern gewärtig ist. Tito-Jugoslawien hat sich als einziger zunächst stalinistischer, dann sehr eigenwillig verfasster sozialistischer Staat nur deshalb selbstbewusst der Bevormundung Moskaus entziehen können, weil es nicht von der Roten Armee befreit wurde, sondern weil die Jugoslawen gemeinsam und aus eigener Kraft ihren Krieg gegen deutsche und italienische Besatzer gewonnen haben. Das bewirkt ein ganz anderes Selbstbewusstsein, das aber nicht hingereicht hat, die grässlichen inneren Verwundungen zu heilen.
Tausende Serben
wurden mit Knüppeln,
Keulen, Hämmern erschlagen
Der persönliche Erzählstrang
macht vieles erträglicher –
oder noch schmerzhafter
Slavko Goldstein:
1941 – Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan. Aus dem Kroatischen von Marica Bodrožic. Fischer-Verlag Frankfurt 2018, 575 Seiten, 30 Euro.
E-Book: 25,99 Euro.
Die Versöhnung wächst nicht. „Steinerne Blume“ heißt die Skulptur des Belgrader Bildhauers Bogdan Bogdanović beim ehemaligen KZ Jasenovac östlich von Zagreb. Dort folterten und ermordeten die Kroaten zwischen 1941 und 1945 Tausende Serben und Juden.
Foto: James P. Blair/National Geographic/Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dies ist ein erschütterndes Buch, berichtet der Rezensent, der langjährige SZ-Korrespondent Michael Frank. Es habe auch Mängel, die aber nicht dem Autor anzulasten seien. Erschütternd ist das Buch auch wegen der anhaltenden Ignoranz in Deutschland, was die Geschichte des ehemaligen Jugoslawien angeht, so Frank. Wenig sei hier bekannt über den entfesselten Völkermord von Nazis und italienischen Faschisten Ustascha-Regimes in Kroatien. Das mörderische Jahr 1941 sei bis heute nicht verarbeitet: 600.000 Serben wurden von den Kroaten ermordet und jeweils etwa 30.000 Juden und Roma und Sinti, schätzt Frank, der darauf hinweist, dass Goldstein fast völlig auf solche globalen Zahlen verzichtet, weil er in seiner historische Akribie nur genau Belegbares berichte. Selbst seine eigene Erinnerung an die Partisanenzeit stellt er mit größter Genauigkeit in Frage, so der bewundernde Rezensent. Goldstein lege es auch nicht auf sadistische Details an - verschweigen kann er dennoch nicht, dass die meisten Serben nicht erschossen, "sondern mit Knüppel, Keulen, Hämmern erschlagen, ihnen mit Messern die Kehle durchgeschnitten" wurden. Kritische Anmerkungen hat Frank zur deutschen Ausgabe, der ein einführendes Kapitel und ein erklärendes Namensregister fehle. Beeindruckend sei die Lektüre dennoch in vieler Hinsicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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selten war ein Text mit geschichtswahrhaftigem Anspruch so darauf aus, denen, die da genannt sind, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Michael Frank Süddeutsche Zeitung 20180723