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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Der kurze Sommer der DDR", das klingt nach Urlaub auf der Datsche, "Dorfbums" in Heringsdorf und braungebrannten Nackedeis. Nicht aber nach erschöpfenden Rangeleien und aussichtslosen Befreiungskämpfen, nicht nach Ende oder nach Ernüchterung. Aber genau das war er, dieser Sommer 1965, als der Streit um Reformen für den "richtigen Weg des Sozialismus" eskalierte.
Statt größerer Freiräume, die nach dem Tod von Stalin vor allem für Künstler und Intellektuelle endlich hätten möglich sein können, passierte, was sich schon mit dem Bau der Mauer 1961 angedeutet hatte, aber niemand wahrhaben wollte. Die Grenzen - reale wie gedankliche - wurden nicht weiter, sondern enger.
"1965. Der kurze Sommer der DDR" von Gunnar Decker ist kein Buch für den Nachttisch. Decker will keine Ruhe geben. Er hat viel zu sagen und viel zu berichten, will sein Wissen unbedingt teilen, damit Licht in dieses DDR-Dunkel der 1960er Jahre kommt. Weil für ihn 1965 anfängt, was 24 Jahre später zum Ende der DDR und Zusammenbruch des deutschen Sozialismus führte. Anhand von Schicksalen bekannter und unbekannter Schriftsteller, Theaterleute und Filmemacher spiegelt Decker unglaublich detailliert den Aufstieg und Niedergang der DDR wider.
Wann ist der Punkt erreicht, da Geist und Macht sich unwiderruflich trennen? Wer hat in welchen Belangen die Macht im Land, und wer sollte sie haben? Das sind die großen Fragen, die im Sommer 1965 gestellt und beantwortet werden. Einem Sommer, in dem klar wird, dass dieser deutsche "Zukunftsstaat" eben doch einen riesigen Widerspruch in sich trägt und es jenseits des kapitalistischen Klassenfeinds Zwänge gibt, von denen sich auch ein an eine Sozialutopie glaubender Staat nicht lösen kann. Zwänge, die vor allem die jungen Kunst- und Kulturschaffenden wie Christa Wolf, Volker Braun, Heiner Müller oder Wolf Biermann nicht hinnehmen wollen. Diesen "Bitterfelder Weg"-Schwachsinn vom schreibenden Arbeiter, der jeden Zweifel und jede Form von Skepsis, also jedes Selbstdenken tötet.
Die junge Generation will sich nicht mehr von den "Alten", dem Zentralkomitee, dem Handel für Verlage und Buch und der gleichgeschalteten Presse gängeln lassen. Sie will mitbestimmen, Wissen statt Glauben. Es ist ein Generationskonflikt, der sich 1965 entspinnt und bei dem am Ende alle verlieren. Weil die Angst größer ist. Die Angst, dass diese "DDR-Welt" scheitern könnte, an denjenigen, die Wege nicht gerade gehen wollen. Und so trifft es die Kunst besonders hart, weil sie eben nicht für Möglichkeiten stehen kann, sondern politisches Instrument sein muss. Ein gutes Buch von gestern für heute.
Carolin Würfel
Gunnar Decker: "1965. Der kurze Sommer der DDR". Hanser, 496 Seiten, 26 Euro
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