Michael Wolff beschrieb in seinem Bestseller «Feuer und Zorn» die ersten fiebrigen Monate der Trump-Regierung. Nun haben sich ihm wieder hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses anvertraut: Wolff liefert eine aktuelle Darstellung der letzten Wochen von Trumps Präsidentschaft und der Versuche des Präsidenten und seines Umfelds, das Wahlergebnis vom November 2020 auf jedem nur denkbaren Weg zu korrigieren. Er schreibt über den Wahn eines Verlierers, den Kampf der Anwälte um Rudy Giuliani, den Angriff aufs Kapitol und über das endgültige Ende einer denkwürdigen und gefährlichen Regierungszeit - und interviewt schließlich Trump selbst in Mar-a-Lago. Michael Wolffs Buch schildert von Tag zu Tag, aus erster Hand, jene dramatische Zeit, in der die amerikanische Demokratie auf der Kippe stand.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.07.2021Im Luftschloss
von Mar-a-Lago
Starautor Michael Wolff über Trumps Niederlage
Michael Wolff ist Bemerkenswertes gelungen: Sein Bestseller „Feuer und Zorn“ aus dem Januar 2018 hat bis heute einen Ehrenplatz im stetig wachsenden Gebirge an Büchern über den Aufstieg, den Populismus und die Wahlkämpfe von Donald Trump. Längst gibt es so viele Werke mit Trump-Bezug, dass Carlos Lozada von der Washington Post sie in „What were we thinking?“ (SZ vom 30.10.2020) in Kategorien eingeteilt hat – auf Basis der 150 Trump-Bücher, die er bis dahin gelesen hatte. In seiner Meta-Rezension beschreibt Lozada Wolffs erstes Buch treffend: Es sei das unerreichte Vorbild aller „Chaos-Chroniken“.
In diesen Werken blättern die Leser atemlos weiter, schaudernd zwischen Entsetzen und dem Gefühl der eigenen Überlegenheit. Sie erfahren alle Lästereien von und über Trump und sind dabei, wenn Mitarbeiter vergeblich versuchen, das Chaos zu mindern. Und permanent wird geflucht.
Auch Wolffs neues Buch beschreibt ein dysfunktionales Weißes Haus und erweist sich als ähnlich großer Wurf wie „Feuer und Zorn“. Viele Kritikpunkte gelten weiter: Wolff gibt kaum Auskunft über seine Quellen, interessiert sich wenig für Sachpolitik oder die Folgen von Trumps Irrlichterei. Fußnoten fehlen völlig. Aber der 67-Jährige, der als Medienkolumnist in New York arbeitete und die Washingtoner Rituale ignoriert, schildert packend, wieso Trump überzeugt ist, am 3. November 2020 Joe Biden besiegt zu haben und Opfer des „großen Diebstahls“ geworden zu sein.
Als Titel hat der deutsche Verlag „77 Tage“ gewählt, also jene Zeit zwischen der Wahl und der Amtseinführung Bidens. Wolffs Buch gewinnt an Relevanz, weil die Leser besser verstehen, wieso Trump heute trotz zweier Impeachment-Verfahren und erwiesener Inkompetenz die Republikaner absolut unter Kontrolle hat und dafür sorgt, dass Bidens Projekte blockiert oder gebremst werden. Auch hier dreht sich alles um „the big steal“: Wer öffentlich anzweifelt, dass Biden nur wegen eines Putsches regiert, hat sich den Ex-Präsidenten zum Feind gemacht. Trump verlangt „Unterwerfung und Beweihräucherung“.
So steht es im Schlusskapitel, dem gruseligen Höhepunkt des Buches. Obwohl Wolff von Trump als „totaler Verlierer“ und „Lügner“ beschimpft wurde, bekommt er ein Interview in Mar-a-Lago. Dort, im Fluglärm der Einflugschneise des Palm Beach International Airport, erklärt Trump in langen Monologen seine Theorie: Weil er zwölf Millionen Stimmen mehr bekommen habe als 2016, müsse Betrug vorliegen. Namen der Strippenzieher oder gar Beweise legt er nicht vor. Wolff ist nach dem Gespräch in Florida überzeugt, dass Trump 2024 wieder antreten werde. Er sei abgetaucht „in eine in sich geschlossene Welt, in der eigene Gesetze herrschen“. Und dem 75-Jährigen ist etwas gelungen, was unmöglich erscheint: Er hat auch diese Niederlage in eine Waffe umgewandelt.
„77 Tage“ zeichnet nach, wie Trump nach einem fahrigen Wahlkampf samt Corona-Erkrankung kurz davor war, die Wende zu schaffen: Die Massen strömten zu seinen Veranstaltungen und er gewann wichtige Swing States wie Florida und North Carolina. Die Wahlnacht schildert Wolff wie gewohnt mit vielen Details und Zitaten. So habe TV-Mogul Rupert Murdoch persönlich zugestimmt, dass Fox News sehr früh bekannt gibt, dass in Arizona Biden gewonnen hat. „Fuck him“, soll Murdoch über Trump gesagt haben. Dass er und die Republikaner besser abschnitten, als Umfragen es für möglich hielten, stützt Trumps Überzeugung, einen Erdrutschsieg errungen zu haben („Landslide“ heißt das Buch im Original). Verheerender ist jedoch, dass sich damals niemand findet, der dem Präsidenten widerspricht oder ihn gar überzeugen kann. Wolff hält Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn und wichtigstem Berater, zugute, vier Jahre lang „ein weiches Polster“ um Trumps Furor gelegt und so geschickt Schadensbegrenzung betrieben zu haben. Aber auch er schickt bei Konflikten stets andere vor: „Als es hart auf hart kam, war Jared nirgends zu finden.“
Nachdem Biden am 7. November zum Sieger erklärt worden ist, bleiben viele Mitarbeiter dem Weißen Haus fern. Regiert wird gar nicht mehr, stattdessen lässt sich Trump von Rudy Giuliani immer wirrere Theorien erzählen, wie Gerichte ihm eine zweite Amtszeit sichern könnten. An der Hoffnung, Vizepräsident Mike Pence würde am 6. Januar die Wahl Bidens nicht zertifizieren, hält Trump bis zuletzt fest. Dass er seinen Anhängern an diesem Tag zurief, er werde an ihrer Seite zum Kapitol marschieren, war nach Wolffs Überzeugung improvisiert und nicht ernst gemeint. Als der Mob den Sitz des Kongresses stürmt, ist Trump einige Tage verunsichert und streitet jede Verantwortung ab. Am härtesten trifft ihn, dass Twitter und Facebook ihn verbannen. Wolffs Schilderungen, wonach Trump seine Fans als „ungewaschene Masse“ bezeichnet und sich über ihre Armut lustig gemacht habe, ändern nichts an deren Verehrung für ihn. Diese Episoden könnten manche Leser daran erinnern, wie Mitarbeiter im ersten Kapiteln begründeten, wieso sie immer noch für Trump arbeiten: Er habe schlicht „Zauberkräfte“, mit denen er jeden Skandal überlebe.
Anders als viele Journalisten und Experten hat Wolff nie geglaubt, Trump habe klare Ziele und verfolge eine Geheimstrategie. Dem Spiegel sagte er: „Es gibt keinen Plan. Er ist verrückt. Der Typ kommt nicht vom Anfang eines Satzes bis zum Ende eines Satzes.“ Dieses Urteil und Wolffs lesenswertes Buch zeigen, dass sich Amerika weiter am Abgrund befindet.
MATTHIAS KOLB
Manche Mitarbeiter sprechen
Donald Trump „Zauberkräfte“ zu,
trotz all seiner absurden Thesen
Michael Wolff:
77 Tage. Amerika
am Abgrund: Das Ende
von Trumps Amtszeit. Rowohlt, Hamburg 2021. 416 Seiten. 24 Euro.
(im Buchhandel ab
Dienstag, 27. Juli)
E-Book: 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
von Mar-a-Lago
Starautor Michael Wolff über Trumps Niederlage
Michael Wolff ist Bemerkenswertes gelungen: Sein Bestseller „Feuer und Zorn“ aus dem Januar 2018 hat bis heute einen Ehrenplatz im stetig wachsenden Gebirge an Büchern über den Aufstieg, den Populismus und die Wahlkämpfe von Donald Trump. Längst gibt es so viele Werke mit Trump-Bezug, dass Carlos Lozada von der Washington Post sie in „What were we thinking?“ (SZ vom 30.10.2020) in Kategorien eingeteilt hat – auf Basis der 150 Trump-Bücher, die er bis dahin gelesen hatte. In seiner Meta-Rezension beschreibt Lozada Wolffs erstes Buch treffend: Es sei das unerreichte Vorbild aller „Chaos-Chroniken“.
In diesen Werken blättern die Leser atemlos weiter, schaudernd zwischen Entsetzen und dem Gefühl der eigenen Überlegenheit. Sie erfahren alle Lästereien von und über Trump und sind dabei, wenn Mitarbeiter vergeblich versuchen, das Chaos zu mindern. Und permanent wird geflucht.
Auch Wolffs neues Buch beschreibt ein dysfunktionales Weißes Haus und erweist sich als ähnlich großer Wurf wie „Feuer und Zorn“. Viele Kritikpunkte gelten weiter: Wolff gibt kaum Auskunft über seine Quellen, interessiert sich wenig für Sachpolitik oder die Folgen von Trumps Irrlichterei. Fußnoten fehlen völlig. Aber der 67-Jährige, der als Medienkolumnist in New York arbeitete und die Washingtoner Rituale ignoriert, schildert packend, wieso Trump überzeugt ist, am 3. November 2020 Joe Biden besiegt zu haben und Opfer des „großen Diebstahls“ geworden zu sein.
Als Titel hat der deutsche Verlag „77 Tage“ gewählt, also jene Zeit zwischen der Wahl und der Amtseinführung Bidens. Wolffs Buch gewinnt an Relevanz, weil die Leser besser verstehen, wieso Trump heute trotz zweier Impeachment-Verfahren und erwiesener Inkompetenz die Republikaner absolut unter Kontrolle hat und dafür sorgt, dass Bidens Projekte blockiert oder gebremst werden. Auch hier dreht sich alles um „the big steal“: Wer öffentlich anzweifelt, dass Biden nur wegen eines Putsches regiert, hat sich den Ex-Präsidenten zum Feind gemacht. Trump verlangt „Unterwerfung und Beweihräucherung“.
So steht es im Schlusskapitel, dem gruseligen Höhepunkt des Buches. Obwohl Wolff von Trump als „totaler Verlierer“ und „Lügner“ beschimpft wurde, bekommt er ein Interview in Mar-a-Lago. Dort, im Fluglärm der Einflugschneise des Palm Beach International Airport, erklärt Trump in langen Monologen seine Theorie: Weil er zwölf Millionen Stimmen mehr bekommen habe als 2016, müsse Betrug vorliegen. Namen der Strippenzieher oder gar Beweise legt er nicht vor. Wolff ist nach dem Gespräch in Florida überzeugt, dass Trump 2024 wieder antreten werde. Er sei abgetaucht „in eine in sich geschlossene Welt, in der eigene Gesetze herrschen“. Und dem 75-Jährigen ist etwas gelungen, was unmöglich erscheint: Er hat auch diese Niederlage in eine Waffe umgewandelt.
„77 Tage“ zeichnet nach, wie Trump nach einem fahrigen Wahlkampf samt Corona-Erkrankung kurz davor war, die Wende zu schaffen: Die Massen strömten zu seinen Veranstaltungen und er gewann wichtige Swing States wie Florida und North Carolina. Die Wahlnacht schildert Wolff wie gewohnt mit vielen Details und Zitaten. So habe TV-Mogul Rupert Murdoch persönlich zugestimmt, dass Fox News sehr früh bekannt gibt, dass in Arizona Biden gewonnen hat. „Fuck him“, soll Murdoch über Trump gesagt haben. Dass er und die Republikaner besser abschnitten, als Umfragen es für möglich hielten, stützt Trumps Überzeugung, einen Erdrutschsieg errungen zu haben („Landslide“ heißt das Buch im Original). Verheerender ist jedoch, dass sich damals niemand findet, der dem Präsidenten widerspricht oder ihn gar überzeugen kann. Wolff hält Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn und wichtigstem Berater, zugute, vier Jahre lang „ein weiches Polster“ um Trumps Furor gelegt und so geschickt Schadensbegrenzung betrieben zu haben. Aber auch er schickt bei Konflikten stets andere vor: „Als es hart auf hart kam, war Jared nirgends zu finden.“
Nachdem Biden am 7. November zum Sieger erklärt worden ist, bleiben viele Mitarbeiter dem Weißen Haus fern. Regiert wird gar nicht mehr, stattdessen lässt sich Trump von Rudy Giuliani immer wirrere Theorien erzählen, wie Gerichte ihm eine zweite Amtszeit sichern könnten. An der Hoffnung, Vizepräsident Mike Pence würde am 6. Januar die Wahl Bidens nicht zertifizieren, hält Trump bis zuletzt fest. Dass er seinen Anhängern an diesem Tag zurief, er werde an ihrer Seite zum Kapitol marschieren, war nach Wolffs Überzeugung improvisiert und nicht ernst gemeint. Als der Mob den Sitz des Kongresses stürmt, ist Trump einige Tage verunsichert und streitet jede Verantwortung ab. Am härtesten trifft ihn, dass Twitter und Facebook ihn verbannen. Wolffs Schilderungen, wonach Trump seine Fans als „ungewaschene Masse“ bezeichnet und sich über ihre Armut lustig gemacht habe, ändern nichts an deren Verehrung für ihn. Diese Episoden könnten manche Leser daran erinnern, wie Mitarbeiter im ersten Kapiteln begründeten, wieso sie immer noch für Trump arbeiten: Er habe schlicht „Zauberkräfte“, mit denen er jeden Skandal überlebe.
Anders als viele Journalisten und Experten hat Wolff nie geglaubt, Trump habe klare Ziele und verfolge eine Geheimstrategie. Dem Spiegel sagte er: „Es gibt keinen Plan. Er ist verrückt. Der Typ kommt nicht vom Anfang eines Satzes bis zum Ende eines Satzes.“ Dieses Urteil und Wolffs lesenswertes Buch zeigen, dass sich Amerika weiter am Abgrund befindet.
MATTHIAS KOLB
Manche Mitarbeiter sprechen
Donald Trump „Zauberkräfte“ zu,
trotz all seiner absurden Thesen
Michael Wolff:
77 Tage. Amerika
am Abgrund: Das Ende
von Trumps Amtszeit. Rowohlt, Hamburg 2021. 416 Seiten. 24 Euro.
(im Buchhandel ab
Dienstag, 27. Juli)
E-Book: 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beim Lesen von Michael Wolffs neuem Buch wird Matthias Kolb schmerzlich bewusst, dass die USA immer noch am Abgrund stehen und Trump 2024 erneut antreten wird. Lesenswert scheint ihm der Band nicht wegen Wolffs Verzicht auf Quellenangaben und Fußnoten, sondern weil der Autor so fesselnd zu schildern weiß, warum Trump sich für übervorteilt hält und die Republikaner weiterhin kontrolliert. Allein die Tatsache, dass Wolff sich einem langen Gespräch mit Trump ausgesetzt hat beziehhungsweise. einem Monolog, in dem der Ex-Präsident Einblick in seine hermetische Welt gibt, erfüllt Kolb mit Respekt für den Autor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ähnlich großer Wurf wie ,Feuer und Zorn' ... lesenswertes Buch." Matthias Kolb Süddeutsche Zeitung 20210726