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Eine Geschichte vom Rand der Gesellschaft: Afonso Reis Cabrals erschütterndes Porträt der obdachlosen trans Frau Gisberta – ausgezeichnet mit dem Premio Saramago
Ein wahrer Fall, der ein ganzes Land erschütterte. „Wir lieben dich Gisberta“ – rufen ihr die Freier und die Zuschauer der Show zu, bei der die trans Frau als Marylin Monroe posiert. Als sie später in einer Bauruine in Porto haust, kümmert das niemanden mehr. Rafa, der sie als Erster dort entdeckt, ist stolz auf sein ungewöhnliches Geheimnis. Es ist die Begegnung zweier Menschen am Rande der Gesellschaft. Doch dann wird ihm klar,…mehr

Produktbeschreibung
Eine Geschichte vom Rand der Gesellschaft: Afonso Reis Cabrals erschütterndes Porträt der obdachlosen trans Frau Gisberta – ausgezeichnet mit dem Premio Saramago

Ein wahrer Fall, der ein ganzes Land erschütterte. „Wir lieben dich Gisberta“ – rufen ihr die Freier und die Zuschauer der Show zu, bei der die trans Frau als Marylin Monroe posiert. Als sie später in einer Bauruine in Porto haust, kümmert das niemanden mehr. Rafa, der sie als Erster dort entdeckt, ist stolz auf sein ungewöhnliches Geheimnis. Es ist die Begegnung zweier Menschen am Rande der Gesellschaft. Doch dann wird ihm klar, dass die hübsche Frau ein „Mann mit Brüsten“ ist. Zerrissen zwischen Attraktion und Verachtung, Gruppenzwang und Geltungsdrang, gleitet Rafa in eine Spirale des Bösen. Wer ist schließlich schuldig – die Jungen, die Gesellschaft? Alfonso Reis Cabrals Roman entfaltet einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

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Autorenporträt
Afonso Reis Cabral, 1990 in Portugal geboren, studierte Portugiesisch und Fiktionales Schreiben. Er veröffentlichte bereits im Alter von 15 Jahren seinen ersten Gedichtband. Für seinen Debütroman O Meu Irmão (Mein Bruder) wurde er 2014 mit dem Prémio LeYa ausgezeichnet. Bei Hanser erschien zuletzt sein zweiter Roman Aber wir lieben dich (2021), für den er 2019 den wichtigsten portugiesischen Literaturpreis, den Prémio José Saramago, erhielt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Den portugiesischen Schriftsteller Afonso Reis Cabral "sollte man im Auge behalten" empfiehlt Rezensentin Karin Janker, nachdem sie seinen ersten auf Deutsch übersetzten Roman gelesen hat. In einem Gespräch mit dem Autor erfährt die Rezensentin, dass er sich vorgenommen hatte, literarisch die Hintergründe eines grausamen Mordes mehrerer Jugendlicher aus einem Heim an einer Transfrau zu ergründen. Das sei Cabral "kunstvoll" gelungen, lobt Janker und folgt gefesselt der Ich-Erzählung des jungen Rafael, der zuerst vorgab, der Freund der Transfrau zu werden, die er in einer alten Bauruine in Porto fand, bis er Teil der Gruppe wurde, die sie töteten. In seinen Geschichten gehe der Autor "unsentimental" vor und bringe zugleich eine besondere "Feinfühligkeit" gegenüber seinen Figuren auf, stellt die Rezensentin fest. Selten habe sie so ein Buch gelesen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.04.2022

Die Guten und
die bösen Taten
Die Karriere von Afonso Reis Cabral sollte mit
seinem Buch über einen wahren Mord an einer
Transsexuellen so richtig losgehen.
Dann kam die Pandemie. Ein Treffen in Lissabon
VON KARIN JANKER
Das Unbegreifliche ist in Afonso Reis Cabrals Leben getreten, als er 16 Jahre alt war. Damals, im März 2006, waren Portugals Zeitungen und Fernsehnachrichten voll von Schlagzeilen über ein Verbrechen: Die transsexuelle Brasilianerin Gisberta Salce Júnior war in Porto von einer Gruppe Jugendlicher sadistisch gequält, sexuell missbraucht und getötet worden. Unvorstellbar war es damals für Cabral, dass die Täter zum Teil jünger waren als er selbst. Sie lebten in einem katholischen Heim für Kinder aus zerrütteten Familien, in dem sie ihrerseits sexuell missbraucht worden sein sollen.
„Was mich besonders bewegte damals, war, dass einer der Jugendlichen vor Gericht felsenfest behauptete, er und Gisberta seien Freunde gewesen“, erzählt Afonso Reis Cabral. Die Niederträchtigkeit dieses Verbrechens ließ ihn nicht mehr los. Zehn Jahre später hat er es zum Thema eines Romans gemacht, der unter dem Titel „Aber wir lieben dich“ von Michael Kegler ins Deutsche übersetzt wurde. Selten hat man ein Buch gelesen, das so feinfühlig gegenüber seinen Figuren und so schonungslos gegenüber seinen Lesern ist.
„Pão de Açúcar“, Zuckerhut, lautete der Originaltitel des Romans, der 2018 in Portugal erschienen ist. Afonso Reis Cabral wollte ihn eigentlich bei der Buchmesse in Leipzig seinen deutschen Lesern vorstellen, bei der Portugal das Gastland sein sollte. Doch zweimal hintereinander ist die Messe wegen der Pandemie abgesagt worden, eine herbe Enttäuschung für Cabral. Im vergangenen Jahr ist er trotzdem angereist, um zumindest ein paar Kontakte zu knüpfen – und hat auf das Frühjahr 2022 gehofft. Dieses Jahr ist er zu Hause in Lissabon geblieben, er arbeitet an einem neuen Roman, der kostet ihn Kraft genug.
Im ausklingenden Winter konnte man ihn also im Park Jardim da Estrela in Lissabon treffen. An einem Tisch in der kühlen Abendsonne sitzend, einen Kaffee vor sich, beantwortet er alle Fragen freundlich und professionell, als würde er seit Jahrzehnten nichts anderes machen. Dabei hat er mit „Aber wir lieben dich“ gerade erst seinen Durchbruch erlebt. 2019 erhielt er dafür den Prémio José Saramago, Portugals wichtigsten Preis für junge Schriftsteller. Heute ist Cabral 31 Jahre alt.
Aber mit dem Schreiben hat er schon mit 15 angefangen. Pathetische Gedichte, für die er sich heute ein wenig schämt, sagt er. Einer seiner Ururgroßväter war José Maria Eça de Queiroz, so etwas wie der portugiesische Émile Zola. Aber Cabral sieht sich nicht in dessen Tradition: Es gehe ihm zwar auch um die Abgründe der Gesellschaft, aber dabei interessiere ihn das Innenleben seiner Figuren mehr als schematische Charaktere. „Mein literarischer Großvater ist wohl eher Steinbeck“, sagt er. Den habe er früh in der Bibliothek seiner Eltern entdeckt.
Abgründe gibt es in Cabrals Roman „Aber wir lieben dich“ genug. Der Ich-Erzähler, der zwölfjährige Rafael, genannt Rafa, macht mit ein paar Jungs aus seinem Heim die Rohbauten von Porto unsicher. Rafa und die anderen leben am Rande der Gesellschaft, ihre Mütter gehen anschaffen oder nehmen Drogen und tauchen höchstens noch schemenhaft in ihren Erinnerungen auf. Väter gibt es nicht. Die Heimkinder sind sich selbst überlassen, Hauptsache, sie erscheinen ab und zu im Unterricht, liegen abends wieder im Schlafsaal und hören auf, nachts ins Bett zu pinkeln.
In Rafas Welt gilt das Recht des Stärkeren, die Älteren verprügeln die Jüngeren, wann immer ihnen danach ist. Umso glücklicher ist er, als er in der Bauruine eines Einkaufszentrums einen Unterschlupf findet und ein Versteck für seinen größten Schatz, ein kaputtes Fahrrad, ohne Reifen und ohne Lenker, das er aus dem Sperrmüll gerettet hat. Dort in der Ruine begegnet er Gisberta zum ersten Mal. Erst ist ihm die dürre, verwahrloste Gestalt unheimlich. Gisberta, die einst in Varietés aufgetreten ist und den Männern die Köpfe verdreht hat, ist am Rande ihrer Kräfte. Heroinabhängig, aidskrank und völlig ausgehungert hat sie sich einen Rückzugsort gesucht, wie Rafa. Der Junge beschließt, ihr zu helfen, ihr Essen zu besorgen und sie regelmäßig zu besuchen. Und sei es nur, um sich selbst ein bisschen weniger abgefuckt zu fühlen.
Nach dem Tod des wahren Mordopfers Gisberta rekonstruierten Portugals Zeitungen ihr Leben. Der Mord hat sich ins kollektive Bewusstsein des Landes eingebrannt. 45 Jahre vor ihrem Tod war sie in São Paulo geboren worden, als Junge, der sich immer schon als Frau fühlte. Mit Anfang zwanzig kam Gisberta nach Portugal und sparte von da an für ihre Geschlechtsangleichung. In einer großen Rekonstruktion der Lebensgeschichte und des Mordes schreibt die portugiesische Journalistin Catarina Marques Rodrigues: „Der Anfang und das Ende der Geschichte sind bekannt. Was dazwischen geschah, weiß man nicht.“ Afonso Reis Cabral hat diesen Satz in der Zeitung gelesen und sich vorgenommen, das Dazwischen zu erzählen.
Sein Ich-Erzähler ist unzuverlässig, man ahnt früh, dass Rafa zu denen gehört, die Gisberta am Ende so lange treten und prügeln werden, bis sie glauben, sie sei tot, und ihren leblosen Körper in ein Wasserloch werfen, in dem sie, wie die Obduktion später ergibt, schließlich ertrinkt. In einer Rahmenhandlung gibt es dazu noch ein Schriftsteller-Ich, das aus einem Treffen mit Rafa den Auftrag ableitet, die Geschichte aufzuschreiben „so wie du sie erzählen würdest“, wobei dann aber „ich sie für dich geschrieben hätte“. Durch diesen Kunstgriff kommt Cabral nun nicht mehr in die Verlegenheit, die Sprache eines zwölfjährigen Jungen aus einem Heim für Schwererziehbare imitieren zu müssen. Der Klassenunterschied zwischen ihm und seinen Protagonisten ist Cabral bewusst, sich in diese Figuren einzufühlen, war die Herausforderung.
„Ich habe zwei Jahre lang recherchiert, habe alles gelesen, was ich über Gisberta und das Heim in Porto finden konnte“, sagt er. Er sprach mit Menschen, die Gisberta kannten, und mit solchen, die die Auswirkungen von Heimerziehung erforschen. Er näherte sich den Tätern und ihren Motiven an, soweit es die Berichte zuließen. Doch das Faktenwissen hat seine Grenzen, mit den Tätern selbst hat er nie gesprochen. An der Stelle sollte die Fiktion übernehmen.
Afonso Reis Cabral sagt, er wolle beim Schreiben „dem Anderen“ begegnen, dem, was er nicht kennt, was unbegreiflich erscheint. Sein erster, bislang nicht ins Deutsche übersetzter Roman „O Meu Irmão“, Mein Bruder, verfolgte ein ähnliches Programm: Er handelt von einem vierzigjährigen Mann, der nach dem Tod der Eltern die Pflege seines nur ein Jahr jüngeren Bruders mit Down-Syndrom übernimmt und daran scheitert. Cabral schreibt unsentimental, ihn interessiert, wie Menschen, die das Gute wollen, dennoch Böses tun.
Wie unmittelbar er den moralischen Aspekten seiner Geschichten schreibend begegnet, ist kunstvoll und fesselnd. Und er hat noch viel vor. Wobei es ihm die literarische Welt gerade nicht besonders leicht macht: Mit seiner Vorfreude auf Leipzig ist er zweimal abgeblitzt. Und einen Verlag in den USA sucht er für „Aber wir lieben dich“ bislang vergeblich. Ein Verlagshaus habe zwar grundsätzlich Interesse bekundet, sei dann aber abgesprungen, als es hörte, dass Cabral nicht selbst trans sei. Bisher habe der Verlag auch niemand aus der Transgender-Community gefunden, der den Roman prüfen könnte – und zugleich auch Portugiesisch verstehe. Aufhalten wird sich Afonso Reis Cabral nicht lassen. Man sollte diesen Autor aus Portugal im Auge behalten.
Unter den Kindern in
der Geschichte gilt das
Recht des Stärkeren
Das Faktenwissen hat seine
Grenzen, mit den Tätern selbst
hat er nie gesprochen
Afonso Reis Cabral:
Aber wir lieben dich. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler.
Hanser, München 2021,
304 Seiten, 24 Euro.
„Mein literarischer Großvater ist wohl eher Steinbeck“: Der portugiesische Schriftsteller Afonso Reis Cabral. An gesellschaftlichen Abgründen interessieren ihn die psychologischen Details.
Foto: imago/GlobalImagens
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"Ein psychologisch feinfühliger Roman über die Unfähigkeit zu lieben." Tilo Wagner, DLF Lesart, 15.04.21