Bürgerliche Mütter, bürgerliche Töchter: ein bitterböses Porträt zweier Frauen-Generationen Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen, sie hat der Schwiegermutter nicht die Stirn geboten und stellt noch immer nicht den Anspruch, ins Grundbuch der Jugendstilvilla eingetragen zu werden. Mit Zynismus und verhaltener Selbstreflexion beobachtet sie das Altern der Frauen um sie herum. Und sie beobachtet ihre Kinder, vor allem Franziska, 35, die zu Wutausbrüchen neigt, mit den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mutterrolle hadert und die theoretische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alltag nicht einlösen kann. Auch sie hat ihre Visionen nicht verfolgt, weder beruflich noch privat, und begnügt sich mit einem fast fertigen Studium und einem fast geliebten Mann. Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt. Gertraud Klemm, die mit einem Kapitel aus diesem Roman den Publikumspreis in Klagenfurt gewann, schildert eine gesellschaftliche Situation, in der mit viel 'ja – aber' die wichtigen Entscheidungen verschoben und verhindert werden, und ihr Blick auf die Lage ist gnadenlos, bissig und (aus Verzweiflung?) wahninnig komisch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2015Das haben die Frauen nicht verdient
Nicht alles, was grantelt, ist gleich eine richtige österreichische Suada: Gertraud Klemms Roman "Aberland"
In Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2014 zeigte sich die Jury nicht amüsiert über den Vortrag von Gertraud Klemm. Dafür bekam sie den Publikumspreis - nicht jede Wahl ist nachvollziehbar. Jedenfalls ist jetzt ihr zweites Buch erschienen mit dem Titel "Aberland" - will sagen (zumindest den Frauen): immer schön dagegenhalten, eben schön "aber" sagen. Wer immer auf die Idee gekommen ist, es handele sich bei dieser Akkumulation von schlechter Laune und Genöle um eine feministische Position, hat entweder keine Ahnung - oder meint es mutwillig bös mit dem Feminismus.
Im Zentrum des wortreichen Werks, das so gern eine Suada wäre und genau diesen Ehrentitel nicht verdient, steht eine Franziska, gegen Ende dreißig, akademisch vorgebildet mit dem hängenden Projekt einer Dissertation in Biologie, Mutter eines Knaben Manuel und Gattin von einem Tom, einem freundlichen Mittelständler, der gern ein zweites Kind hätte mit ihr und mit dem sich nur Mitleid haben lässt. Was freilich so bestimmt nicht beabsichtigt ist. Bei Franziska gibt es von selbst gewählter Situation, gar von Selbstbestimmung, keine Spur, sie ist im Dauermodus des Haderns. Womit, bleibt dabei sehr im Allgemeinen, eben mit allem - der Gesellschaft, dem Kapitalismus, dem Geschlechterverhältnis, der Mutterschaft, dem Alltag, der schmutzigen Wäsche und überhaupt.
Die Rolle der Ich-Erzählerin gibt Gertraud Klemm Franziskas Mutter. Elisabeth ist Ende fünfzig, und sie muss als Abziehbild genealogischer Codierung herhalten. Wer jetzt denkt, dass sie, Jahrgang 1955 und vielleicht nicht ganz doof, irgendetwas mitbekommen haben könnte von einer ernsthaften harten Frauenbewegung in den siebziger Jahren, irrt sehr. Sie hat offenbar überhaupt keine Vergangenheit, nur eine Gegenwart, mit dem lüstern öden, pensionsreifen Gatten und der häuslichen Pflege von dessen dementer Mutter. Dafür schenkt ihr die Autorin, selbst Jahrgang 1971, einen sezierend scharfen Blick auf andere Frauen ihres Alters, die sich mit Elisabeth nackt auf einer Sonnenterrasse im Öl auf ihrer Haut wälzen, und sie implantiert ihr hanebüchene sexuelle Phantasien. Ohne Übertreibung lassen sich solche vorauseilenden Projektionen als frauenfeindlich identifizieren. Denn ihr Parameter ist schiere Verachtung für die Frauen, durch keine bemerkbare Ironie gebrochen.
Dass die Tochter Franziska dann - irgendwie unterwegs zu sich selbst oder irgendwie auf der Flucht vor sich selbst oder irgendwie überhaupt - auch noch mit einem alternden verkrachten Künstler ins Bett steigt, an den sich ebenfalls einschlägige Wünsche der Mutter heften, ist nur noch peinlich. Fast ist dem Mann zu gratulieren, dass er Franziskas Bemühungen in eroticis nicht dauerhaft zu schätzen weiß. Doch, es gibt noch ein paar weitere Verwicklungen parafamiliären Ursprungs, darunter manchmal Passagen mit netten Beobachtungen, die vielleicht für die eine oder andere kurze Erzählung gut wären. Im Ganzen aber taugt "Aberland" nicht einmal für eine zeitgemäße Variante des weiblichen Masochismus, der ja in Wien erfunden worden sein soll. Das Buch ist wirklich der, obendrein literarisch gescheiterte, Rückfall hinter jede Idee von Gleichberechtigung der Geschlechter (von Feminismus kann die Rede gar nicht erst sein). Klemm konserviert, im Gegenteil, die Ordnung eines männlichen Blicks (wie er auch schon wieder aus der Mode ist). Und die Müttergeneration ihrer unglückseligen Franziska hätte sie besser überhaupt verschont.
In einem fast tragischen Missverständnis möchte sich Klemm in die große Tradition des österreichisch-spezifischen Lamentierens stellen. Das kann sie glatt vergessen, nicht jedem Gegrantel gebührt die Auszeichnung. Am Ende dankt die Autorin der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz; ob dieser das lieb sein kann, wird sie selbst wissen. Und bloß bitte keine Namen wie Marlen Haushofer oder Elfriede Jelinek, auch nicht Ingeborg Bachmann! Das haben diese Frauen wirklich nicht verdient.
ROSE-MARIA GROPP
Gertraud Klemm:
"Aberland". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2015. 184 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht alles, was grantelt, ist gleich eine richtige österreichische Suada: Gertraud Klemms Roman "Aberland"
In Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2014 zeigte sich die Jury nicht amüsiert über den Vortrag von Gertraud Klemm. Dafür bekam sie den Publikumspreis - nicht jede Wahl ist nachvollziehbar. Jedenfalls ist jetzt ihr zweites Buch erschienen mit dem Titel "Aberland" - will sagen (zumindest den Frauen): immer schön dagegenhalten, eben schön "aber" sagen. Wer immer auf die Idee gekommen ist, es handele sich bei dieser Akkumulation von schlechter Laune und Genöle um eine feministische Position, hat entweder keine Ahnung - oder meint es mutwillig bös mit dem Feminismus.
Im Zentrum des wortreichen Werks, das so gern eine Suada wäre und genau diesen Ehrentitel nicht verdient, steht eine Franziska, gegen Ende dreißig, akademisch vorgebildet mit dem hängenden Projekt einer Dissertation in Biologie, Mutter eines Knaben Manuel und Gattin von einem Tom, einem freundlichen Mittelständler, der gern ein zweites Kind hätte mit ihr und mit dem sich nur Mitleid haben lässt. Was freilich so bestimmt nicht beabsichtigt ist. Bei Franziska gibt es von selbst gewählter Situation, gar von Selbstbestimmung, keine Spur, sie ist im Dauermodus des Haderns. Womit, bleibt dabei sehr im Allgemeinen, eben mit allem - der Gesellschaft, dem Kapitalismus, dem Geschlechterverhältnis, der Mutterschaft, dem Alltag, der schmutzigen Wäsche und überhaupt.
Die Rolle der Ich-Erzählerin gibt Gertraud Klemm Franziskas Mutter. Elisabeth ist Ende fünfzig, und sie muss als Abziehbild genealogischer Codierung herhalten. Wer jetzt denkt, dass sie, Jahrgang 1955 und vielleicht nicht ganz doof, irgendetwas mitbekommen haben könnte von einer ernsthaften harten Frauenbewegung in den siebziger Jahren, irrt sehr. Sie hat offenbar überhaupt keine Vergangenheit, nur eine Gegenwart, mit dem lüstern öden, pensionsreifen Gatten und der häuslichen Pflege von dessen dementer Mutter. Dafür schenkt ihr die Autorin, selbst Jahrgang 1971, einen sezierend scharfen Blick auf andere Frauen ihres Alters, die sich mit Elisabeth nackt auf einer Sonnenterrasse im Öl auf ihrer Haut wälzen, und sie implantiert ihr hanebüchene sexuelle Phantasien. Ohne Übertreibung lassen sich solche vorauseilenden Projektionen als frauenfeindlich identifizieren. Denn ihr Parameter ist schiere Verachtung für die Frauen, durch keine bemerkbare Ironie gebrochen.
Dass die Tochter Franziska dann - irgendwie unterwegs zu sich selbst oder irgendwie auf der Flucht vor sich selbst oder irgendwie überhaupt - auch noch mit einem alternden verkrachten Künstler ins Bett steigt, an den sich ebenfalls einschlägige Wünsche der Mutter heften, ist nur noch peinlich. Fast ist dem Mann zu gratulieren, dass er Franziskas Bemühungen in eroticis nicht dauerhaft zu schätzen weiß. Doch, es gibt noch ein paar weitere Verwicklungen parafamiliären Ursprungs, darunter manchmal Passagen mit netten Beobachtungen, die vielleicht für die eine oder andere kurze Erzählung gut wären. Im Ganzen aber taugt "Aberland" nicht einmal für eine zeitgemäße Variante des weiblichen Masochismus, der ja in Wien erfunden worden sein soll. Das Buch ist wirklich der, obendrein literarisch gescheiterte, Rückfall hinter jede Idee von Gleichberechtigung der Geschlechter (von Feminismus kann die Rede gar nicht erst sein). Klemm konserviert, im Gegenteil, die Ordnung eines männlichen Blicks (wie er auch schon wieder aus der Mode ist). Und die Müttergeneration ihrer unglückseligen Franziska hätte sie besser überhaupt verschont.
In einem fast tragischen Missverständnis möchte sich Klemm in die große Tradition des österreichisch-spezifischen Lamentierens stellen. Das kann sie glatt vergessen, nicht jedem Gegrantel gebührt die Auszeichnung. Am Ende dankt die Autorin der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz; ob dieser das lieb sein kann, wird sie selbst wissen. Und bloß bitte keine Namen wie Marlen Haushofer oder Elfriede Jelinek, auch nicht Ingeborg Bachmann! Das haben diese Frauen wirklich nicht verdient.
ROSE-MARIA GROPP
Gertraud Klemm:
"Aberland". Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2015. 184 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2015Unglück,
nahtlos gebräunt
Auf der Longlist zum Buchpreis:
Gertraud Klemms „Aberland“
Es ist die Summe aus falschen Entscheidungen, Bequemlichkeit und einem seltsamen postfeministischen Fatalismus, die aus der Biologin Franziska das werden lässt, was sie immer verachtet hat: Vollzeitmutter und -hausfrau, wie ihre eigene Mutter Elisabeth. „Aberland“ ist – nach „Herzmilch“ (2014) – der zweite Roman der österreichischen Autorin Gertraud Klemm. Sie hat es mit diesem ernüchternden Porträt zweier tief in Abhängigkeiten verstrickter Mittelschichtsfrauenauf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft.
An Möglichkeiten, ihr Leben in selbstbestimmte Bahnen zu lenken, hat es beiden Frauen nie gemangelt. Klemm macht sie nicht zu Opfern gesellschaftlicher Zwänge, sondern zu Prototypen des gelebten Selbstbetrugs. Sie forscht nach, warum sich Frauen heute freiwillig aufgeben und sich im Biotop überwunden geglaubter Rollenbilder gemütlich einrichten.
Die mit einem notorischen Fremdgänger verheiratete 58-jährige Elisabeth idealisiert trotzig ihre Rolle als unterschätzte, aber dennoch treu sorgende, nahtlos gebräunte Gattin. Ihre regelmäßig aufwallende Wut kanalisiert sie durch eine sarkastische Frauenverachtung. Tochter Franziska dagegen ist sich über jede der Fehlentscheidungen quälend bewusst, die dazu geführt haben, dass sie nun „von der Mutterschaft überwuchert“ wird und ihre Promotion brach liegt. Der mangelnde Mut zum Karrierestart direkt nach dem Studium etwa, oder die Angst davor, vom Partner eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit einzufordern. All das analysiert sie fortwährend in bitter komischen Gedankenstürmen.
Die schnellen Tiraden stehen im Kontrast zum schleppenden Fortgang der Handlung. Klemm lässt „Aberland“ bewusst nicht in eine strahlende Emanzipationsparabel münden. Stattdessen versucht ihre glanzlose Heldin quälend langsam und mit teils wenig feministischen Mitteln, aus der falschen Normalität auszusteigen. Ihr dabei zuzusehen ist frustrierend – und darin unerwartet provokant.
CORNELIA FIEDLER
Gertraud Klemm: Aberland. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2015. 184 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
Die Frauen in diesem Buch sind
Prototypen des Selbstbetrugs
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
nahtlos gebräunt
Auf der Longlist zum Buchpreis:
Gertraud Klemms „Aberland“
Es ist die Summe aus falschen Entscheidungen, Bequemlichkeit und einem seltsamen postfeministischen Fatalismus, die aus der Biologin Franziska das werden lässt, was sie immer verachtet hat: Vollzeitmutter und -hausfrau, wie ihre eigene Mutter Elisabeth. „Aberland“ ist – nach „Herzmilch“ (2014) – der zweite Roman der österreichischen Autorin Gertraud Klemm. Sie hat es mit diesem ernüchternden Porträt zweier tief in Abhängigkeiten verstrickter Mittelschichtsfrauenauf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft.
An Möglichkeiten, ihr Leben in selbstbestimmte Bahnen zu lenken, hat es beiden Frauen nie gemangelt. Klemm macht sie nicht zu Opfern gesellschaftlicher Zwänge, sondern zu Prototypen des gelebten Selbstbetrugs. Sie forscht nach, warum sich Frauen heute freiwillig aufgeben und sich im Biotop überwunden geglaubter Rollenbilder gemütlich einrichten.
Die mit einem notorischen Fremdgänger verheiratete 58-jährige Elisabeth idealisiert trotzig ihre Rolle als unterschätzte, aber dennoch treu sorgende, nahtlos gebräunte Gattin. Ihre regelmäßig aufwallende Wut kanalisiert sie durch eine sarkastische Frauenverachtung. Tochter Franziska dagegen ist sich über jede der Fehlentscheidungen quälend bewusst, die dazu geführt haben, dass sie nun „von der Mutterschaft überwuchert“ wird und ihre Promotion brach liegt. Der mangelnde Mut zum Karrierestart direkt nach dem Studium etwa, oder die Angst davor, vom Partner eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit einzufordern. All das analysiert sie fortwährend in bitter komischen Gedankenstürmen.
Die schnellen Tiraden stehen im Kontrast zum schleppenden Fortgang der Handlung. Klemm lässt „Aberland“ bewusst nicht in eine strahlende Emanzipationsparabel münden. Stattdessen versucht ihre glanzlose Heldin quälend langsam und mit teils wenig feministischen Mitteln, aus der falschen Normalität auszusteigen. Ihr dabei zuzusehen ist frustrierend – und darin unerwartet provokant.
CORNELIA FIEDLER
Gertraud Klemm: Aberland. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2015. 184 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
Die Frauen in diesem Buch sind
Prototypen des Selbstbetrugs
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