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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Slowakin Jana Benová
erzählt vom „Abhauen!“
Rosa ist hinter dem Bahnhof von Bratislava aufgewachsen, in einer Siedlung, von der aus sie die Nachtzüge hören und sich in die weite Welt hinausträumen konnte. Jetzt ist sie vierzig, aber ein Kind des Plattenbaus, das am liebsten einfach nur weg will, ist sie geblieben. „Weg, weg“ ist der Originaltitel des Romans von Jana Benová, die in ihrer slowakischen Heimat so etwas wie eine Kultautorin jener Generation ist, die eigentlich keine Bücher mehr liest, sich jedoch von ihren Road Novels in Bann schlagen lässt. Unter dem Titel „Abhauen!“ ist der Roman nun von Andrea Koch-Reynolds in ein fetziges und angemessen fahriges Deutsch übertragen worden.
Jana Benová erzählt sprunghaft, unruhig, manchmal scheint sie es geradezu darauf abgesehen zu haben, ihren Stoff zu zerhacken, bis viele kleine Splitter übrig bleiben, die sie mit Witz über das Buch verstreut. Mit dem Abhauen ist es so eine Sache, denn irgendwann kommt man irgendwo an, und nach einiger Zeit will man von dort natürlich auch wieder weg. Also stellt sich Rosa in ihrer Kindheit das Wegfahren immer nur vor, und als sie erwachsen ist, kehrt sie von ihren Aufbrüchen stets nach Bratislava und zu ihrem Mann zurück. Der ist ein Dichter und wird mit den Jahren immer fetter, und den Wunsch, einfach abzuhauen, kann er sich auch sesshaft erfüllen, indem er schreibt. Die beiden sind schon seit Jugendtagen zusammen und werden es wohl bleiben, bis sie neben- und miteinander über ihren Träumen vom endgültigen Abhauen vergreist sind, obwohl Rosa weiß: „Allmählich passten unsere Münder nicht mehr aufeinander. Immer gab es da irgendeine Fuge, durch die unser gemeinsamer Atem entwich.“
Der Roman ist aus lauter kurzen, im Schriftbild voneinander abgesetzten Absätzen gebaut, von denen sich viele nicht über mehr als zwei, drei Zeilen erstrecken. Die kunstvoll raue Art des Erzählens hat ihren eigenen Charme: Die 1974 geborene Benová weiß für das Urgefühl ihrer Generation, das Leben zu versäumen, egal ob man dableibt oder wegfährt, das richtige Tempo anzuschlagen und ironische wie pathetische Wendungen zu finden.
Weniger gut gelingt es ihr, die Erfahrung der Fremde einzufangen. Wenn sie etwa behauptet „Paris ist Paris“, hat sie sachlich nicht unrecht, aber die Erkenntnis schürft auch wieder nicht so tief, dass man sie im Buch absetzen und geradezu als Aphorismus ausstellen müsste. Auch der Satz: „In der Dämmerung der Metro gibt es Nachtleben nonstop“ ist nicht unbedingt eine jener Impressionen, für die es sich lohnt, nach Paris zu fahren. Und erst, was Rosa in Österreich oder in Slowenien so auffällt – das ist, ja, schon ein bisschen ärmlich. Wilder geht es ohnedies dahin, wenn sich Rosa nicht in der Welt herumtreibt, sondern in Bratislava davon träumt, bald wieder mal abzuhauen, für die Ewigkeit von ein paar Wochen. So ist es mit Rosa wie mit dem Roman, der von ihrer Revolte handelt: beide sind viel braver, als sie sich geben.
KARL-MARKUS GAUSS
Jana Benová: Abhauen! Roman. Aus dem Slowakischen von Andrea Koch-Reynolds. Residenz-Verlag, St.Pölten – Salzburg – Wien 2015. 136 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 9,99 Euro.
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