Eine hochdramatische Szene: Der Vater beugt sich über den wehrlosen Jungen, das Messer blitzt in seiner Hand - da befiehlt ihm im letzten Moment ein Engel, statt des eigenen Sohnes einen Widder zu opfern. Die Geschichte von Abraham und Isaak ist bekannt. Dass sie dem Philosophen Kierkegaard eine schlaflose Nacht am Berliner Gendarmenmarkt bescherte, in deren Verlauf ihm eine göttliche Maus erschien, um Fragen der Barmherzigkeit zu erörtern - das weiß nur Sibylle Lewitscharoff. Was wiederum der Koran aus diesem Stoff macht, davon erzählt uns Najem Wali. Von Eva bis Maria, von Moses bis Satan: Neun Figuren aus Bibel und Koran haben die sprachmächtige Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff und der irakisch-deutsche Autor Najem Wali ausgewählt. Deren Geschichten gehen die beiden aus ihrer je eigenen Sicht nach, temperamentvoll, engagiert, auch augenzwinkernd. Mit dem geplagten Hiob fragen sie nach der göttlichen Gerechtigkeit, mit Jona, dem ängstlichen Wal-Reisenden, nach Mut und Toleranz und berühren mit ihrem Dialog zwischen den Weltreligionen die Krisen unserer Zeit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2018Die Weltanhörung des Gerechten wird geprüft
Eigenwillig die Auswahl, doch brillant oft die Durchführung: Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali porträtieren Figuren aus der Bibel und dem Koran.
So verbreitet die Rede von Judentum, Christentum und Islam als "abrahamitischen Religionen" ist, so blutleer kommt sie doch meistens daher. Was sollte sie eher mit Leben erfüllen als der unmittelbare Vergleich zwischen den heiligen Schriften der drei Religionen? Der wichtigste Vergleichspunkt liegt nahe, nämlich die Art und Weise, in der zentrale Personen sowohl in der Bibel als auch im Koran dargestellt werden. Deshalb ist es erfreulich, dass die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und der aus dem Irak geflohene Autor Najem Wali sich zu einem gemeinsamen Buch zusammengefunden haben.
Schon der Titel birgt eine Überraschung: "Abraham trifft Ibrahîm". Ibrahim ist die arabische Fassung des Namens Abraham. Was ist gemeint, wenn die beiden sich "treffen" sollen? Hat der Islam Abraham in einen anderen verwandelt? Dann wäre die Rede von den "abrahamitischen" Religionen gegenstandslos. Die Flucht in den Ausdruck "monotheistische Religionen" könnte nicht weiterhelfen. Denn dass der Islam das Christentum wegen seiner Trinitätslehre nicht als monotheistische Religion anerkennt, ist allgemein bekannt.
So weit, die Unvereinbarkeit des von Judentum und Christentum gezeichneten Bildes von Abraham mit dem koranischen Bild Ibrahims zu behaupten, gehen die Autoren nicht. Unmittelbare Vergleiche sind ohnehin selten, weil die Texte zwar jeweils denselben biblischen Figuren gewidmet, aber offenbar weithin unabhängig voneinander entstanden sind. Allenfalls darin, dass die Darstellung der ausgewählten Person sich häufig auf einen bestimmten Aspekt der jeweiligen Erzählung konzentriert, kann man eine unmittelbare Verbindung zwischen den beiden Zugängen sehen. Im Fall Abrahams/Ibrahims tritt die Prüfung des Vaters durch die ihm von Gott abverlangte und im letzten Augenblick gnädig abgewandte Opferung des eigenen Sohnes ins Zentrum.
Aber diese Konzentration macht den Titel noch merkwürdiger. Denn zwei Personen, die sich treffen können, gibt es überhaupt erst in der Generation der Söhne. Auf den geretteten Isaak, den Sohn Sarahs, stützt sich nach der Auffassung der Hebräischen Bibel die Genealogie des Volkes Israel; demgegenüber tritt der Sohn Hagars, Ismael, ganz in den Schatten. Doch der Islam wertet Ismael auf; seine Nachkommen verbreiten sich in der arabischen Welt. Hier sind zwei, die sich begegnen könnten: "Isaak trifft Ismael". Doch darauf verlassen sich die Autoren nicht. Wali spricht vielmehr von der "Tyrannei dieser beiden Nachkommenschaften, sich an ständigen Kriegen zu beteiligen. Kein Friede winkt am Horizont, immer weiter zerfleischen sie einander."
Allerdings gehören die beiden Söhne Abrahams nicht zu den Figuren, denen die exemplarischen Streifzüge durch Bibel und Koran gelten. Eine solche Auswahl ist ein heikles Unterfangen. In diesem Fall beginnt sie mit Eva. Dass von dem ersten Menschenpaar nur sie ausgewählt wird, hat die unbequeme Folge, dass die Darstellung sich weithin auf das Thema des Sündenfalls konzentriert, während die grundlegende Frage nach der Stellung des Menschen in der Schöpfung ausfällt. Eine weitere Fehlanzeige schließt sich an, indem nicht von Noah die Rede ist, dem im Koran sogar eine ganze Sure gewidmet ist. Verblüffenderweise wird dagegen neben Abraham auch dessen Bruder Lot dargestellt. In einer höchst eigenwilligen Abfolge tritt Mose zwischen die beiden Brüder.
Eine der stärksten Passagen des ganzen Buchs behandelt Hiob. Das größte Problem des ganzen Vorhabens besteht natürlich darin, dass im Islam zwar viel von Propheten die Rede ist, die großen Propheten der Hebräischen Bibel aber im Koran gar nicht gewürdigt werden. Damit gewinnt eine Fabel - die Rettung Jonas im Bauch eines Wals - exemplarische Bedeutung; die ganze Schriftprophetie rückt in den Schatten dieser märchenhaften Erzählung.
Neben Jona tritt in diesem Buch der König Salomo. Ihn als Propheten zu bezeichnen ändert nichts daran, dass es sich biblisch betrachtet um einen politischen Führer und nicht um einen Propheten handelt. Im islamischen Verständnis der Prophetie wird freilich genau dieser Unterschied eingeebnet. Diese Sicht setzt sich im Aufbau des Buchs mit innerer Zwangsläufigkeit durch.
Den Abschluss bildet ein Paar ganz eigener Art, nämlich Maria und der Teufel. Die eigenwillige Wahl dieser beiden Personen verhilft Sibylle Lewitscharoff allerdings zu der Möglichkeit, ausführlich über Jesus von Nazareth zu sprechen, obwohl er in der Liste der behandelten biblischen Personen befremdlicherweise fehlt. Wali dagegen verbindet die Marienfigur in ausufernder Weise mit den Legenden über die Geburt Alexanders des Großen.
Trotz solcher Aporien und Mängel ist die Beschreibung der ausgewählten Personen bisweilen grandios. Sibylle Lewitscharoff lässt dabei ihrer Sprachmagie freien Lauf. Manche ihrer Wortprägungen setzen sich im Gedächtnis fest: Schwirrnis und Verschleichen, samenablistend und wurmisierend, umzirken und verkargen, Weisheitsgeflirr und Schuldbohrung. Die Idee, Hiob nicht eine Weltanschauung, sondern eine Weltanhörung zuzuschreiben, bleibt haften. Ebenso bezwingend sind die geistesgeschichtlichen Ausflüge, zu denen Lewitscharoff sich hinreißen lässt und die sie in Geschichten weiterspinnt, unter denen Kierkegaards Begegnung mit Gott im zartfeinen Stimmchen einer Maus am Rande des Berliner Gendarmenmarkts hervorsticht.
Verglichen mit Sibylle Lewitscharoffs kühnen Volten und überraschenden Aktualisierungen bewegen sich Najem Walis Beiträge im Bereich des Erwartbaren. Zu Beginn seiner Kapitel stellt er zunächst fest, wie oft eine der ausgewählten Personen im Koran vorkommt. Er konzentriert sich stark auf das islamische Verständnis des Propheten, dessen Geschichte von Adam bis Mohammed reicht, Jesus eingeschlossen; doch eben zu diesen dreien äußert er sich nicht. Sein Verhältnis zu biblischen Texten ist überstark durch ein veraltetes Buch von Werner Keller ("Und die Bibel hat doch recht") bestimmt. Die Art, in der dieser 1955 mit archäologischen Mitteln die Wahrheit des Alten Testaments beweisen wollte, gehört jedoch schon lange der Vergangenheit an.
Ein Juwel ist dieses Buch vor allem dank der brillanten Texte, zu denen Sibylle Lewitscharoff sich durch die vorgegebenen Figuren hat verlocken lassen. Man wünschte sich, sie würde noch mehr biblische Gestalten mit ihrer Sprachkraft und Fantasie zu neuem Leben erwecken.
WOLFGANG HUBER
Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali: "Abraham trifft Ibrahîm". Streifzüge durch Bibel und Koran.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 309 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eigenwillig die Auswahl, doch brillant oft die Durchführung: Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali porträtieren Figuren aus der Bibel und dem Koran.
So verbreitet die Rede von Judentum, Christentum und Islam als "abrahamitischen Religionen" ist, so blutleer kommt sie doch meistens daher. Was sollte sie eher mit Leben erfüllen als der unmittelbare Vergleich zwischen den heiligen Schriften der drei Religionen? Der wichtigste Vergleichspunkt liegt nahe, nämlich die Art und Weise, in der zentrale Personen sowohl in der Bibel als auch im Koran dargestellt werden. Deshalb ist es erfreulich, dass die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und der aus dem Irak geflohene Autor Najem Wali sich zu einem gemeinsamen Buch zusammengefunden haben.
Schon der Titel birgt eine Überraschung: "Abraham trifft Ibrahîm". Ibrahim ist die arabische Fassung des Namens Abraham. Was ist gemeint, wenn die beiden sich "treffen" sollen? Hat der Islam Abraham in einen anderen verwandelt? Dann wäre die Rede von den "abrahamitischen" Religionen gegenstandslos. Die Flucht in den Ausdruck "monotheistische Religionen" könnte nicht weiterhelfen. Denn dass der Islam das Christentum wegen seiner Trinitätslehre nicht als monotheistische Religion anerkennt, ist allgemein bekannt.
So weit, die Unvereinbarkeit des von Judentum und Christentum gezeichneten Bildes von Abraham mit dem koranischen Bild Ibrahims zu behaupten, gehen die Autoren nicht. Unmittelbare Vergleiche sind ohnehin selten, weil die Texte zwar jeweils denselben biblischen Figuren gewidmet, aber offenbar weithin unabhängig voneinander entstanden sind. Allenfalls darin, dass die Darstellung der ausgewählten Person sich häufig auf einen bestimmten Aspekt der jeweiligen Erzählung konzentriert, kann man eine unmittelbare Verbindung zwischen den beiden Zugängen sehen. Im Fall Abrahams/Ibrahims tritt die Prüfung des Vaters durch die ihm von Gott abverlangte und im letzten Augenblick gnädig abgewandte Opferung des eigenen Sohnes ins Zentrum.
Aber diese Konzentration macht den Titel noch merkwürdiger. Denn zwei Personen, die sich treffen können, gibt es überhaupt erst in der Generation der Söhne. Auf den geretteten Isaak, den Sohn Sarahs, stützt sich nach der Auffassung der Hebräischen Bibel die Genealogie des Volkes Israel; demgegenüber tritt der Sohn Hagars, Ismael, ganz in den Schatten. Doch der Islam wertet Ismael auf; seine Nachkommen verbreiten sich in der arabischen Welt. Hier sind zwei, die sich begegnen könnten: "Isaak trifft Ismael". Doch darauf verlassen sich die Autoren nicht. Wali spricht vielmehr von der "Tyrannei dieser beiden Nachkommenschaften, sich an ständigen Kriegen zu beteiligen. Kein Friede winkt am Horizont, immer weiter zerfleischen sie einander."
Allerdings gehören die beiden Söhne Abrahams nicht zu den Figuren, denen die exemplarischen Streifzüge durch Bibel und Koran gelten. Eine solche Auswahl ist ein heikles Unterfangen. In diesem Fall beginnt sie mit Eva. Dass von dem ersten Menschenpaar nur sie ausgewählt wird, hat die unbequeme Folge, dass die Darstellung sich weithin auf das Thema des Sündenfalls konzentriert, während die grundlegende Frage nach der Stellung des Menschen in der Schöpfung ausfällt. Eine weitere Fehlanzeige schließt sich an, indem nicht von Noah die Rede ist, dem im Koran sogar eine ganze Sure gewidmet ist. Verblüffenderweise wird dagegen neben Abraham auch dessen Bruder Lot dargestellt. In einer höchst eigenwilligen Abfolge tritt Mose zwischen die beiden Brüder.
Eine der stärksten Passagen des ganzen Buchs behandelt Hiob. Das größte Problem des ganzen Vorhabens besteht natürlich darin, dass im Islam zwar viel von Propheten die Rede ist, die großen Propheten der Hebräischen Bibel aber im Koran gar nicht gewürdigt werden. Damit gewinnt eine Fabel - die Rettung Jonas im Bauch eines Wals - exemplarische Bedeutung; die ganze Schriftprophetie rückt in den Schatten dieser märchenhaften Erzählung.
Neben Jona tritt in diesem Buch der König Salomo. Ihn als Propheten zu bezeichnen ändert nichts daran, dass es sich biblisch betrachtet um einen politischen Führer und nicht um einen Propheten handelt. Im islamischen Verständnis der Prophetie wird freilich genau dieser Unterschied eingeebnet. Diese Sicht setzt sich im Aufbau des Buchs mit innerer Zwangsläufigkeit durch.
Den Abschluss bildet ein Paar ganz eigener Art, nämlich Maria und der Teufel. Die eigenwillige Wahl dieser beiden Personen verhilft Sibylle Lewitscharoff allerdings zu der Möglichkeit, ausführlich über Jesus von Nazareth zu sprechen, obwohl er in der Liste der behandelten biblischen Personen befremdlicherweise fehlt. Wali dagegen verbindet die Marienfigur in ausufernder Weise mit den Legenden über die Geburt Alexanders des Großen.
Trotz solcher Aporien und Mängel ist die Beschreibung der ausgewählten Personen bisweilen grandios. Sibylle Lewitscharoff lässt dabei ihrer Sprachmagie freien Lauf. Manche ihrer Wortprägungen setzen sich im Gedächtnis fest: Schwirrnis und Verschleichen, samenablistend und wurmisierend, umzirken und verkargen, Weisheitsgeflirr und Schuldbohrung. Die Idee, Hiob nicht eine Weltanschauung, sondern eine Weltanhörung zuzuschreiben, bleibt haften. Ebenso bezwingend sind die geistesgeschichtlichen Ausflüge, zu denen Lewitscharoff sich hinreißen lässt und die sie in Geschichten weiterspinnt, unter denen Kierkegaards Begegnung mit Gott im zartfeinen Stimmchen einer Maus am Rande des Berliner Gendarmenmarkts hervorsticht.
Verglichen mit Sibylle Lewitscharoffs kühnen Volten und überraschenden Aktualisierungen bewegen sich Najem Walis Beiträge im Bereich des Erwartbaren. Zu Beginn seiner Kapitel stellt er zunächst fest, wie oft eine der ausgewählten Personen im Koran vorkommt. Er konzentriert sich stark auf das islamische Verständnis des Propheten, dessen Geschichte von Adam bis Mohammed reicht, Jesus eingeschlossen; doch eben zu diesen dreien äußert er sich nicht. Sein Verhältnis zu biblischen Texten ist überstark durch ein veraltetes Buch von Werner Keller ("Und die Bibel hat doch recht") bestimmt. Die Art, in der dieser 1955 mit archäologischen Mitteln die Wahrheit des Alten Testaments beweisen wollte, gehört jedoch schon lange der Vergangenheit an.
Ein Juwel ist dieses Buch vor allem dank der brillanten Texte, zu denen Sibylle Lewitscharoff sich durch die vorgegebenen Figuren hat verlocken lassen. Man wünschte sich, sie würde noch mehr biblische Gestalten mit ihrer Sprachkraft und Fantasie zu neuem Leben erwecken.
WOLFGANG HUBER
Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali: "Abraham trifft Ibrahîm". Streifzüge durch Bibel und Koran.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 309 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Streifzüge durch Bibel und Koran, die Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali in ihrem Buch Abraham trifft Ibrahim unternehmen, sind hilfreich und wichtig für ein friedliches Miteinander. Denn sie zeigen, wie eng verwoben die drei Religionen eigentlich sind und dass nur das Nichtwissen darüber zu Lagerbildung und Feindseligkeit führt."
Raimund Kirch, Nürnberger Zeitung 26.06.2018
Raimund Kirch, Nürnberger Zeitung 26.06.2018
»Ein Juwel ist dieses Buch vor allem dank der brillanten Texte, zu denen Sibylle Lewitscharoff sich durch die vorgegebenen Figuren hat verlocken lassen. Man wünschte sich, sie würde mehr biblische Gestalten mit ihrer Sprachkraft und Fantasie zu neuem Leben erwecken.« Wolfgang Huber Frankfurter Allgemeine Zeitung 20180905