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In seinen essayistischen Zeitbildern sucht Jochen Schimmang nach dem Erfahrungskern unserer Gegenwart.
Von Thomas Thiel
Man fragt sich am Ende, ob dem Autor der "Abschied von den Diskursteilnehmern", so der schöne Titel des Buches, schwergefallen sein kann. Eine leise Melancholie liegt über den Zeilen, aber sie kann sich auf anderes beziehen. Es fällt ja nicht schwer, Leuten den Rücken zu kehren, die Wörter kartographierend oder sezierend in den anonymen Magen des Diskurses einspeisen. Große Namen werden heranzitiert wie Michel Foucault, der herrische Diskursdirektor, und Roland Barthes, der feinstoffliche Zeichendeuter. Letzterem gehört die Sympathie. Damit ist der Ton gesetzt.
Die Miniaturen, Notizen, Betrachtungen, die Jochen Schimmang in dem schmalen Band versammelt, sind durch die Lebensgeschichte des Erzählers lose verbunden, essayistisch im besten Sinn. Der Geltungsdrang des Autors ist gemäßigt, er schreibt von sich in der dritten Person. Zu Beginn wird er von Hannah Arendt am Vita-Activa-Schopf aus dem Bett gezogen, aber ein besorgter Streiter fürs öffentliche Anliegen will er nicht sein. Er schaut vom Seitenrand in wacher Halbdistanz auf die Zeitgeschichte und das Leben. Wie beides ineinandergreift, macht den Reiz des Buches aus.
Fragt man nach einem Leitmotiv, dann sind es die Suche nach Geborgenheit und ein klares Bewusstsein von Anfang und Ende. Das Gefühl von Nähe findet der Erzähler unvermutet auf einem Platz seiner Heimatstadt. Er taucht ein ins Gassengewirr. Das neue Jahrhundert ist ihm kulturell fremd, er will kein Zeitbürger sein. Politisch kann er sich ihm nicht entziehen. Natürlich ist die Gesellschaft gespalten, in Parteien, Schichten, Milieus, Berufe, Einkommensklassen, Ideologien, das haben Gesellschaften so an sich, meint er. Wenn es doch eine besonders tiefe Spaltung gebe, dann sei es das Gefühl, dass die Fraktionen, Segmente und die Unterschiede von nichts mehr zusammengehalten werden. Der Impuls, der die Dinge bewegt, ist ein anderer geworden. Die neuen Medien habe sich dazwischengeschoben mit ihren Livetickern und Mediatheken und geben den Takt vor. Haltungen werden abgefragt. Man sucht Absolution und die Wärme der Mikrogemeinschaften, den gesteigerten Selbstgenuss, bis hin zum Festkleben auf der Autobahn.
Die Lebensetappen des Erzählers, in Paris, in Köln, der Provinz, heben zeitgeschichtliche Reflexionen über das Private hinaus. Die Achtundsechziger bekommen ihr Fett weg, mit ihrem politisch camouflierten Geltungsdrang und ihrer verborgenen Brutalität sieht sie der Erzähler dem nahe, von dem sie sich abzusetzen meinten. Dem Renegaten Horst Mahler sind mehrere Abschnitte gewidmet, um diesen Umschlag zu illustrieren. Auch ein Distinktionswille ist im Spiel: Ganz verzückt scheint der Autor von der Studienstiftung des deutschen Volkes, als wäre erst sie es, welche die Biographien der bekanntesten RAF-Terroristen besonders macht.
Die Gegenwart ist vom Verlust geprägt. Die Ruhe, der Schutz ist verloren, die Gewalt ist in der Gesellschaft zum Dauergast geworden, draußen im Lande oder in den endlosen Krimischleifen auf dem Fernseher, wo sie genussvoll zelebriert wird. Warum tut man sich das an? Weil man sich vor der Gewalt sicher fühlt? Oder gerade weil sie nähergerückt ist? Der Erzähler sucht nach Verstecken. Irritiert liest man den Satz, Wolfgang Hildesheimers unterschätzter Roman "Paradies der falschen Vögel" sei bei Suhrkamp als Print-on-Demand noch immer erhältlich. Was soll das heißen: noch immer.
Beobachtungen und Sentenzen gelten dem Kino, der Kunst, den Grenzen der Kommunikationsgemeinschaft mit Menschen aus anderen Zeiten. Als eine Art Lebensmetapher wird Giacometti mit seinen vornüberstürzenden Streichholz-Figuren aufgerufen: Leben als beständig verhindertes Sterben. Es hat eine Etappe gegeben, in dem das Leben des Erzählers gerundet, auf nichts ausgerichtet war. Es war während der Schulzeit, er nennt diese Zeit "die wunderbaren Jahre". Sie kehrten nicht wieder. Als Schriftsteller musste er sich nach außen wenden. Es bleibt ihm das Privileg, seinen eigenen Diskurs zu führen, den es nach Foucault gar nicht gibt, weil man immer der Gewalt des schon Gesagten untertan ist und bestenfalls eine kleine Lücke findet, um das Eigene auszudrücken. In diese Lücke dringt der Autor mit einer unaufdringlichen Poesie. Man liest sein Buch wie das unvermutete Geschenk einer fremden Person.
Jochen Schimmang: "Abschied von den Diskursteilnehmern".
Neue Geländegänge.
Edition Nautilus, Hamburg 2024.
120 S., geb., 20,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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