Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
In einer Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen entkleidet Daniel Marwecki so manchen deutschen Mythos und nähert sich der Frage: Was bedeutet Staatsräson?
Wenn deutsche Politiker an Gedenktagen über die Beziehungen zu Israel sprechen, ist gern vom "Wunder" einer einzigartigen Freundschaft die Rede. Wunder aber gebe es vielleicht in der Bibel, nicht in der Politik, stellt Daniel Marwecki nüchtern fest und räumt dann mit einer ganzen Reihe von Gewissheiten auf, die die deutsche Selbsterzählung über die Nachkriegszeit bislang prägten.
Da ist zunächst das Narrativ, dass es zu Beginn der deutsch-israelischen Beziehungen um "Versöhnung" gegangen sei. Die in Luxemburg unterzeichnete Vereinbarung, in der sich die junge Bundesrepublik 1952 verpflichtete, eine damals unglaubliche Summe von 3,45 Milliarden Mark an Israel zu zahlen, wurde auf deutscher Seite "Wiedergutmachungsabkommen" genannt. In Israel war es wenige Jahre nach der Befreiung von Auschwitz aber unvorstellbar, dass sechs Millionen Tote und unendlich mehr Leid mit etwas "Blutgeld" wiedergutgemacht werden könnten. Staatsgründer David Ben Gurion musste das Abkommen gegen heftige Proteste durchdrücken - und das, obwohl es in der hebräischen Version "Schilumim" betitelt wurde, was eher Strafzahlung als Wiedergutmachung meint.
In Deutschland rede man heute gern von Moral und Werten - und tue sich mit dem Begriff des nationalen Interesses schwer, schreibt Marwecki. 1952 war das noch anders. Die Bundesregierung suchte nicht Vergebung für Verbrechen, die man ohnehin nur "einigen Wenigen" zuschrieb. Adenauer verhandelte hart und folgte handfesten Interessen: Deutschland sollte so schnell wie möglich wieder in den Kreis der "zivilisierten Nationen" aufgenommen werden und damit Souveränität und Handlungsspielraum zurückgewinnen. Für diese Rehabilitierung musste ein Preis gezahlt werden, zumal Adenauer dem antisemitischen Bild anhing, dass man "die Macht der Juden" vor allem in Amerika "nicht unterschätzen" dürfe, wie er offen sagte. Adressat des Abkommens waren also mehr die USA als die Opfer der Schoa, wobei Israels Unterhändler Adenauers antisemitische Angst vor dem "Weltjudentum" offenbar zu nutzen wusste und mit ominösen "Konsequenzen" drohte, sollte keine Einigung gefunden werden.
Am Ende stimmte der Bundestag mit knapper Mehrheit und vielen Gegenstimmen aus der Union für das Abkommen. Doch Marwecki entblößt noch einen weiteren Mythos: den von der deutschen Großzügigkeit gegenüber Israel. So immens die Summe von 3,45 Milliarden Mark auch scheinen mag - der größte Teil floss nicht in Geld, sondern in Sachleistungen aus deutscher Herstellung. Das "Wiedergutmachungsabkommen" wurde so zum riesigen Konjunkturprogramm für das deutsche Wirtschaftswunder und half gleichzeitig dem jungen Staat Israel, mit deutschen Maschinen in kurzer Zeit eine eigene Industrie aufzubauen. An die Opfer floss kein Pfennig - Ben Gurion hatte diesen Weg gewählt, da ihm nach dem Gründungskrieg von 1948 bewusst war, dass Israel eigene Industrie brauchte, um seine Existenz gegen die feindlich gesinnten Nachbarn sichern zu können.
Es war die Bundesrepublik, so die gut begründete These Marweckis, die den jungen Staat Israel auf feste Beine stellte. Für die englische Ausgabe dieses Buches, die vor vier Jahren als Dissertation erschienen, wählte er den Titel: "Whitewashing and Statebuilding". Marwecki zeichnet nach, wie Westdeutschland in den ersten Jahrzehnten der wichtigste Unterstützer und Handelspartner des jüdischen Staates war, lange bevor diese Rolle von den USA übernommen wurde. Die deutsche Wirtschaft verdiente dabei prächtig. Möglicherweise hätte Israel ohne deutsche Hilfe gar nicht überleben können. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass dieses Detail auf beiden Seiten kaum Beachtung finde.
Die Annäherung erfolgte über wirtschaftliche Verflechtung und wirkt bis heute nach. Deutschland ist Israels wichtigster europäischer Handelspartner. Das israelische Büro in Köln, das im Rahmen des Abkommens für die Bestellungen bei deutschen Unternehmen zuständig war, entwickelte sich zu einem heimlichen Konsulat, lange bevor beide Staaten diplomatische Beziehungen aufnahmen.
Dass dies erst spät geschah, nämlich erst 1965, lag dann nicht an israelischen Berührungsängsten mit dem Land der Täter, sondern am deutschen Zaudern: Die unionsgeführten Bundesregierungen folgten einer beinahe obsessiven Angst, dass die arabischen Staaten als Retourkutsche für den diplomatischen Schritt die DDR anerkennen würden; später dann, unter Willy Brandt, sorgte man sich Bonn eher ums Öl und die guten wirtschaftlichen Beziehungen zur arabischen Welt. Brandt zeigte Israel gegenüber keinen Kniefall, man fühlte sich inzwischen frei von jeder Schuld, da es in der Regierung keine persönlichen Kontinuitäten mehr gab. Die Israel-Politik sei damals vor allem "prodeutsch" gewesen, analysiert Marwecki.
Entsprechend diskret ging Bonn mit Krediten für Israel und mit der intensiven militärischen Zusammenarbeit um, von der beide Seiten profitierten. Marwecki hält es für gesichert, dass die Bundesrepublik das geheime israelische Atomwaffenprogramm finanzierte. Und er legt nahe, dass Israel auch wegen der deutschen Hilfe den Sechstagekrieg gewann. Israels Sieg wurde von der deutschen Presse wiederum mit befremdlicher Euphorie für einen vermeidlich neuartigen Typus "des Juden" bejubelt, der sich in dem heldenhaften Feldzug gezeigt habe.
Interessant ist dieses äußerst lesenswerte Buch auch in seinem letzten Teil, der sich der "Staatsräson" und jener Zeit widmet, in der Werte an die Stelle von nüchterner Interessenpolitik traten. Marwecki seziert das deutsche "Entlastungsbegehren nach Auschwitz" und die "Erlösungshoffnung", die bisweilen in "Bewältigungsstolz" umschlägt. Wenn in Deutschland über Israel geredet werde, gehe es meist um eigene Vergangenheit und Identität. Kurz gesagt: Wer sich mit Israel identifiziert, weiß sich auf der richtigen Seite der Geschichte. Dass man auf diese Weise mit dem wahren Dilemma des Nahostkonflikts, in dem die Vertreibung der Palästinenser Folge der moralisch gerechtfertigten Staatsgründung Israels war, kaum vernünftig umgehen kann, erklärt sich beinahe von selbst. ALEXANDER HANEKE
Daniel Marwecki: Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson.
Wallstein Verlag, Göttingen 2024. 212 S., 22.- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main