»Bei Arendts Bericht über den Eichmann-Prozeß« handelt es sich »um eine nachgerade apokryphe Schrift […], in der bei weitem mehr abgehandelt wird als der nationalsozialistische Judenmord allein.« (Dan Diner) Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess hat in den 1960er Jahren eine Kontroverse entfacht. Insbesondere frühere Repräsentanten der Juden in Deutschland haben gegen das Buch polemisiert, Arendt gar eine »Kriegserklärung« (Siegfried Moses) ins Haus geschickt. Auch das von Arendt so genannte jüdische Establishment in den USA und in Israel organisierte gegen die Autorin eine regelrechte Kampagne. Monatelang erschienen in Zeitungen und Zeitschriften kritische Artikel und Aufsätze. Die deutsche Ausgabe wollten ihre Gegner verhindern. Sie behaupteten, das Buch richte in Deutschland großen Schaden an und lasse Nazismus und Antisemitismus wieder aufleben. Arendts kritische Darstellung der Anklagevertretung, ihre Bedenken gegen die Instrumentalisierung des Prozesses durch die Ben-Gurion-Regierung, ihre Kritik an der »jüdischen Führung« zur Zeit der sogenannten »Endlösung der Judenfrage«, ihre Ausführungen zur »Kooperation« der Judenräte mit den deutschen Mördern, ihr von Eichmann gezeichnetes Bild, den sie einen »Hanswurst« nannte, lösten Empörung aus. In der Bundesrepublik stieß ihre Darstellung des deutschen Widerstands, ihre Beurteilung der inzwischen verehrten »Männer des 20. Juli«, auf Ablehnung. Unbeachtet blieb indes Arendts vehemente Kritik am Adenauer-Staat, an der unzureichenden justiziellen Aufarbeitung der NS-Verbrechen, an der verlogenen Geschichtspolitik von »Nach-Hitler-Deutschland«. Arendt sprach von der »unbewältigten Vergangenheit« von Deutschen und Juden. Ein Thema, das heute noch zur Debatte steht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2022Erfolgreiche
Wundertüte
Werner Renz zum Eklat um
Arendts „Eichmann in Jerusalem“
„Ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist.“ Dieser Satz und der Hinweis, wie oft sie laut gelacht habe bei der Lektüre des Polizeiverhörs, geäußert in einem Interview mit Günter Gaus, beschreibt recht treffend, welche Sprengkraft der Gerichtsbericht von Hannah Arendt über den Eichmann-Prozess einst hatte. „Diese Reaktion nehmen mir die Leute übel! Dagegen kann ich nichts machen“, fuhr Arendt lapidar fort in dem Interview.
Was sie da geschrieben und was sie dabei falsch gemacht hatte, darüber ist seit der Erstpublikation 1963 viel diskutiert, gestritten und auch publiziert worden. Werner Renz, einst Mitarbeiter am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt und mit Büchern über den Auschwitz-Prozess bekannt geworden, hat nun die verdienstvolle Arbeit übernommen, die Kontroverse von einst in einer kleinen Abhandlung präzise nachzuzeichnen und einzuordnen. Von Bedeutung ist die Analyse vor allem deshalb, weil das geflügelte Wort von der „Banalität des Bösen“ ja auch heute noch immer eine große Rolle spielt – hie und da, ohne dass die, die es im Munde führen, genau über die Entstehung Bescheid wissen.
Renz macht schnell klar, warum die Lektüre von „Eichmann in Jerusalem“ so verstörend wirken konnte. Es lag einerseits daran, dass Arendt recht selektiv mit Quellen umging, dass sie viele Tage des Prozesses gar nicht anwesend war, dass sie Eichmanns Aussagen fast nicht live, sondern nur aus dem Polizeiverhör kannte, kurzum, dass sie eine „erstaunlich unwillige Gerichtsreporterin“ war.
Problematischer aber waren ihre grundsätzliche Ablehnung des Ben-Gurion-Staats, ihre herablassende Art, die Anklagevertreter und ihr Auftreten negativ zu beurteilen („Schau-Prozeß“), und besonders die von ihr weitgehend missverstandene Rolle der „Judenräte“ in den Ghettos, denen sie nicht weniger als eine Mitschuld am Holocaust zuwies. Dies trug ihr erhebliche Vorwürfe von Seiten der Überlebenden und jüdischer Verbände ein, die Arendt vorhielten, die Schuld der deutschen Täter dadurch zu relativieren. Wenngleich die historische Rolle der „Judenräte“ erst später genauer erforscht wurde, war es natürlich zu einfach für die jüdische Politologin, die Vorwürfe als „Hysterie“ und „großes Geschrei“ abzutun.
Was Arendt genau unter der „Banalität des Bösen“ verstand, wie sie ihr bisheriges Bild vom Bösen revidierte und wo sie allerdings auch Eichmanns Selbstdarstellung „auf den Leim“ ging, erklärt Renz ausführlich anhand der Quellen. Ebenso, warum sich Arendt eines derart distanzierten, ironischen, manchmal sarkastischen Schreibstils bediente. Und warum war der Bericht in Deutschland so erfolgreich? Weil jeder aus dieser „Wundertüte“ (Renz) ziehen konnte, was ihm gerade in den Kram passte.
ROBERT PROBST
Werner Renz:
ad Hannah Arendt.
Eichmann in Jerusalem.
Die Kontroverse um den Bericht „von der Banalität des Bösen“. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2021. 193 Seiten, 15 Euro.
E-Book: 7,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Wundertüte
Werner Renz zum Eklat um
Arendts „Eichmann in Jerusalem“
„Ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist.“ Dieser Satz und der Hinweis, wie oft sie laut gelacht habe bei der Lektüre des Polizeiverhörs, geäußert in einem Interview mit Günter Gaus, beschreibt recht treffend, welche Sprengkraft der Gerichtsbericht von Hannah Arendt über den Eichmann-Prozess einst hatte. „Diese Reaktion nehmen mir die Leute übel! Dagegen kann ich nichts machen“, fuhr Arendt lapidar fort in dem Interview.
Was sie da geschrieben und was sie dabei falsch gemacht hatte, darüber ist seit der Erstpublikation 1963 viel diskutiert, gestritten und auch publiziert worden. Werner Renz, einst Mitarbeiter am Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt und mit Büchern über den Auschwitz-Prozess bekannt geworden, hat nun die verdienstvolle Arbeit übernommen, die Kontroverse von einst in einer kleinen Abhandlung präzise nachzuzeichnen und einzuordnen. Von Bedeutung ist die Analyse vor allem deshalb, weil das geflügelte Wort von der „Banalität des Bösen“ ja auch heute noch immer eine große Rolle spielt – hie und da, ohne dass die, die es im Munde führen, genau über die Entstehung Bescheid wissen.
Renz macht schnell klar, warum die Lektüre von „Eichmann in Jerusalem“ so verstörend wirken konnte. Es lag einerseits daran, dass Arendt recht selektiv mit Quellen umging, dass sie viele Tage des Prozesses gar nicht anwesend war, dass sie Eichmanns Aussagen fast nicht live, sondern nur aus dem Polizeiverhör kannte, kurzum, dass sie eine „erstaunlich unwillige Gerichtsreporterin“ war.
Problematischer aber waren ihre grundsätzliche Ablehnung des Ben-Gurion-Staats, ihre herablassende Art, die Anklagevertreter und ihr Auftreten negativ zu beurteilen („Schau-Prozeß“), und besonders die von ihr weitgehend missverstandene Rolle der „Judenräte“ in den Ghettos, denen sie nicht weniger als eine Mitschuld am Holocaust zuwies. Dies trug ihr erhebliche Vorwürfe von Seiten der Überlebenden und jüdischer Verbände ein, die Arendt vorhielten, die Schuld der deutschen Täter dadurch zu relativieren. Wenngleich die historische Rolle der „Judenräte“ erst später genauer erforscht wurde, war es natürlich zu einfach für die jüdische Politologin, die Vorwürfe als „Hysterie“ und „großes Geschrei“ abzutun.
Was Arendt genau unter der „Banalität des Bösen“ verstand, wie sie ihr bisheriges Bild vom Bösen revidierte und wo sie allerdings auch Eichmanns Selbstdarstellung „auf den Leim“ ging, erklärt Renz ausführlich anhand der Quellen. Ebenso, warum sich Arendt eines derart distanzierten, ironischen, manchmal sarkastischen Schreibstils bediente. Und warum war der Bericht in Deutschland so erfolgreich? Weil jeder aus dieser „Wundertüte“ (Renz) ziehen konnte, was ihm gerade in den Kram passte.
ROBERT PROBST
Werner Renz:
ad Hannah Arendt.
Eichmann in Jerusalem.
Die Kontroverse um den Bericht „von der Banalität des Bösen“. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2021. 193 Seiten, 15 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Robert Probst findet die Abhandlung von Werner Renz, die die Kontroverse um Hannah Arendts Eichmann-Gerichtsreport von 1963 analysiert, verdienstvoll und bedeutsam. Von der "Banalität des Bösen" sei schließlich weiterhin die Rede, meint er. Wie genau Arendt damals vorging, was man ihr übelnahm (den ironischen Stil, die selektive Quellenauswahl, die Schuldzuweisung an die Judenräte etc.) und weshalb, vermittelt das Buch laut Probst genau und ordnet es ein. Auch, inwiefern Arendt auf Eichmanns Selbstdarstellung hereinfiel, erläutert der Autor erschöpfend, so Probst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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