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Rakel Haslund-Gjerrilds Roman "Adam im Paradies" über einen dänischen Maler der Dekadenz-Ära
Wer bitte ist Kristian Zahrtmann? Ein bei uns ziemlich unbekannter Maler aus Dänemark, der von 1843 bis 1917 lebte. Als Typ etwas merkwürdig, schräg. Auf Englisch, also mittlerweile überall, nennt man das "queer". Dabei hat sich Zahrtmann (was kein Pseudonym ist) nie geoutet. Man glaubt aber, dass er homosexuell war. Manche Indizien sprechen dafür. Er ist ein Mann unter Männern, er verkehrt in einer "homosozialen" Szene, es war die Zeit der Dekadenz. Er lehrte an einer antiakademischen Kunstschule und umgab sich mit jungen Schülern. Frauen waren da ausgeschlossen, er hielt nicht viel von ihnen. Seine männlichen Modelle waren "muskulös und blond", seine weiblichen grob und unansehnlich, manche gar missgebildet.
Zahrtmanns gewagtestes Bild heißt "Adam im Paradies". So heißt auch ein Roman, der mit dem Bild anfängt. Es zeigt einen lasziv sitzenden Adam inmitten einer Blumenpracht und mit einer - es lebe die Diskretion - Bananenstaude zu Füßen. Eva ist noch nicht da, aber die Schlange schon, sie windet sich zwischen seinen Beinen empor. Das Bild entstand 1913, vier Jahre vor Zahrtmanns Tod. Wir erfahren im Roman von seinen Träumen, seinen mehr oder weniger erfolgreichen Eleven, seinen regelmäßigen Aufenthalten im italienischen Dorf Civita d'Antino, seinem schönsten Schüler Hjalmar Sørensen und beider unerklärlicher Trennung und seinem Adam-Modell, einem Soldaten, dem er zufällig in der Eisenbahn begegnete. Das Ganze hat etwas von Männerbund, kommt aber der romantischen Männerfreundschaft nahe, die auch Hans Christian Andersen pflegte.
Die Dänin Rakel Haslund-Gjerrild, Jahrgang 1988, hat diesen exofiktionalen Roman über Kristian Zahrtmann geschrieben, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Dänemark zu den bekanntesten und umstrittensten Künstlern gehörte. Ob auch zu den besten, steht auf einem anderen Blatt. Seine Gemälde sind grell und bunt, er wollte gegen die nordische grau getönte Melancholie anmalen, dadurch haben sie auch etwas Kitschiges; "Farbenmarmelade" nennt das einer seiner Schüler. Für Zahrtmann ist das "Schönheit", sein Lieblingswort. Das Buch fordert geradezu dazu auf, über die Nähe von Schönheit und Schund nachzudenken. Zuweilen fühlt man sich an die Präraffaeliten erinnert, aber die waren handwerklich besser.
Die Modelle damals waren athletisch und nackt, gute Soldaten. Wer die homoerotisch-militärischen Gemälde von Oskar Matthiesen oder Eugène Jansson kennt, weiß, was gemeint ist. Ob Zahrtmann ein Vitalist war und von den Genannten beeinflusst, wird in dem Roman nicht erörtert, es geht der Autorin um die Person mit ihren geheim gehaltenen Sehnsüchten und Schwärmereien. Rakel Haslund versetzt sich in einen Künstler, dessen Werkzeug der Pinsel ist, nicht die Feder, seine Erinnerungen sind bunt und opulent, man möchte fast sagen "versacesk", anfangs auch ungelenk und floskelhaft: "vertrautes Flüstern" und "tiefes Grübeln" zwischen "blühenden Rosensträuchern". Aber mit den Passagen, in denen auch seine negativen Seiten aufscheinen, wird es besser. Schlichtheit ist nicht das Ding dieses Buchs; Rakel Haslund hat sich (wie aus den Anmerkungen hervorgeht) in Zahrtmanns Tagebüchern bedient, daher wohl manch überspannte Formulierung vom "Haken meiner Augen, die sich an seinen Rücken heften" oder lächerliche: "Ja, komm herein, sagt mein Fenster mit gläsernen Lachgrübchen."
So wäre es vielleicht endlos weitergegangen und auch ein wenig langweilig geworden, wenn die Autorin nicht erstens historische Zeitdokumente zur Verfolgung der Homosexuellen eingestreut hätte (unter anderem Johannes V. Jensens Schmähartikel über Herman Bang sowie die Verteidigungsschrift des in der großen Sitten-Affäre 1907 verhafteten Autors und ehemaligen Polizisten Carl Fahlberg Hansen aus dem Gefängnis) und zweitens nicht ein Element dazugekommen wäre, das zwar von Beginn an da gewesen ist und Tee serviert hat, aber gewissermaßen übersehen, unbemerkt, nämlich das, wenn man so sagen darf, wahre weibliche Element: die Haushälterin Frau Hessellund. Im letzten Drittel des Buchs erfahren wir auch ihren Vornamen, sie heißt Marie. Da plötzlich tritt sie aus ihrer subalternen Position heraus (überwindet auch ihre scheinbar subalterne Natur) und wird zur Akteurin der Handlung, ja erst jetzt zu einem ganzen Menschen. Sie ist eine junge Witwe, um die dreißig, ihr Mann, ein mittelmäßiger Künstler, war doppelt so alt, sie hat ein Söhnchen von ihm, Peter, der mit im Haus wohnt.hige ich mal
Zahrtmann gibt eines seiner Abendessen für seine ehemaligen Schüler, da wird Frau Hessellund von ihnen zu einem Glas eingeladen, und für diesen Abend gehört sie dazu, träumt selbst vom Künstlersein, sie vertieft sich in ein Gespräch mit dem etwa zehn Jahre älteren Maler Valdemar Neiiendam. Als die Gäste gegangen sind, geschieht etwas Überraschendes: Sie spricht über sich, jetzt kommen wir ihr näher, der einsamen alleinstehenden Mutter, indem sie ihr tristes Los, ihre Angst, zu vertrocknen und zu versteinern, bekennt, weil sie ihren Körper nicht mehr spürt, "es gibt ja keinen mehr, der ihn anrührt", eine wirklich bewegende Szene. Und was macht der Meister? Guckt auf die Uhr und möchte ins Bett, er lässt sich nicht in die Karten schauen. Nun gut, ihn interessieren die Frauen nicht sehr, die unter ihm stehenden schon gar nicht, und er ist ja auch schon älter. "Frau Hessellund tut mir leid", sagt er, dabei ist er der Bemitleidenswerte. Im Grunde besteht sein einsames Leben aus lauter Ablenkungen, aus "Wirbel und Karussellen und Gaukelei". Gegenüber Marie faselt er etwas von einem guten Schlaf, der alles heile. Was meint er? Den Tod? Es ist ja auch ein unerbittlicher Altersroman, Zahrtmann leidet an schrecklichen Verfallsphantasien.
Am Ende dann kein Wort mehr über Marie Hessellund. Sie geht. Und doch war sie neben dem Icherzähler die wichtigste Person in diesem Buch, im Grunde wichtiger als Hjalmar, wichtiger als Adam, die eigentlich nichts als schwärmerische Projektionen waren. Marie hingegen hat den Roman erweitert, mit ihrer Angst, ihrem Stolz und ihrem Verlangen, das sie ausspricht. Und damit, dass sie Zahrtmann die Augen geöffnet hat, auch wenn er davon wenig wissen will. PETER URBAN-HALLE
Rakel Haslund-Gjerrild: "Adam im Paradies". Roman.
Aus dem Dänischen
von Andreas Donat.
Albino Verlag, Berlin 2022. 328 S., geb., 26,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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