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Mit der Neigung zum Psychologisieren: Konrad Adenauer aus der Perspektive eines Labour-Lords
Charles Williams: Adenauer. Der Staatsmann, der das demokratische Deutschland formte. Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2001. 637 Seiten, 44,99 Euro.
Wie die vorliegende Biographie zeigt, ist Konrad Adenauer - ähnlich wie Georges Clemenceau - in den Kreis jener Staatsmänner aufgerückt, die dem britischen Publikum, das ein unstillbares Interesse an Biographien hat, immer wieder einmal präsentiert werden. Nachdem schon 1963 Charles Wighton sehr kritisch und dann 1971 Terence Prittie wohlwollend in Sachen Adenauer aktiv geworden sind, folgt nun ein Labour-Lord. Dessen Buch beruht - anders als bei Prittie - auf einer viel breiteren Quellenbasis und den Ergebnissen der deutschen Adenauer-Forschung. Zudem beherrscht Williams sein Metier, hat er doch schon zwei weitere Biographien, darunter eine über de Gaulle, veröffentlicht. Sein Vorgehen ist relativ simpel und auf ein breiteres Lesepublikum berechnet. Da gibt es viel human touch und eine Neigung zum Psychologisieren sowie eine ausgeprägte Vorliebe für das Detail - etwa bei der Schilderung der Baugeschichte des Rhöndorfer Hauses und der Anlage des schönen Gartens.
Andererseits ist der Autor schließlich Politiker, dem die politische Leistung des ersten Kanzlers durchaus bewußt ist und der positiv zu würdigen weiß, daß es Adenauer gewesen ist, der in der Bundesrepublik die Demokratie fest verankerte und gleichzeitig die Bindung an den Westen unumkehrbar machte. Damit stimmt die Richtung, aber bei näherem Hinsehen gibt es doch Unklarheiten. Das Leben Adenauers bis zum Beginn seiner Regierungszeit bietet viel Interessantes und Abwechslungsreiches im politischen wie im privaten Bereich. Er hatte schließlich, bis er im Alter von 73 Jahren Bundeskanzler wurde, viel erlebt. Es ist einsichtig, daß ein Biograph, der weiß, was sein Publikum gerne liest, von diesem langen und erfüllten Leben angezogen wird. So treten die Jahre als Bundeskanzler und vor allem die von ihm in dieser Stellung vertretene Politik etwas zurück.
Der Politiker Williams weiß aber auch, daß man mit Speck Mäuse fängt. So ist in der Verlagswerbung wie im Vorwort von "neuen Informationsquellen aus der früheren Sowjetunion" die Rede. Das ist - gelinde gesagt - eine Übertreibung, handelt es sich doch nur um marginale und teilweise belanglose Äußerungen über die sowjetische Politik der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das Vertrackte an dem Thema Adenauer ist die Tatsache, daß zur Schilderung dieses Lebens fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte als Hintergrund dienen muß, dessen Epochen sich jedoch denkbar scharf voneinander unterscheiden: Kaiserreich, Weimarer Republik, "Drittes Reich" und die Zeit nach 1945. Das Kaiserreich bereitet dem Autor Schwierigkeiten, wie auch schon die britischen Zeitgenossen diesem eigenartigen Gebilde mit Mißtrauen und Abneigung gegenüberstanden. Daher bietet er so etwas wie eine docu-soap; mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen wird das Leben der Familie Adenauers beschrieben.
Darüber hinaus gibt es Wissenslücken und Fehlurteile. Die Stadt Köln begegnet in eigenartigem Licht. Die Feinde der alten Rheinmetropole, vornehmlich die Düsseldorfer, werden mit Vergnügen zur Kenntnis nehmen, daß man in der Straße, in der Adenauer aufwuchs, die "Abfälle aus dem Fenster warf". In Köln habe zur gleichen Zeit eine "blühende Kleinkriminalität" bestanden, die 1918 "furchterregend hoch" angestiegen sei. Belegt wird das natürlich nicht.
Der Übersetzer oder Textredakteur beweist geradezu peinlich sein historisches Unwissen, wenn er den rheinischen Oberbürgermeister, diesen Eckpfeiler der rheinischen Städteordnung, als "geschäftsführenden Direktor" ausgibt und damit das der britischen Zone später oktroyierte System schon in das Kaiserreich verlegt. Auch Robert Schuman begegnet in einem eigenartigen Kontext. Im Ersten Weltkrieg habe er als "Offizier der Reserve bei der Reichswehr gedient" - ein Doppelfehler, denn er war nie deutscher Offizier und erst recht nicht in der Reichswehr, die bekanntlich erst in der Weimarer Republik geschaffen wurde.
Besondere Erwartungen darf der Leser bei einem britischen Autor über Adenauers Verhältnis zu Großbritannien hegen. Denn im allgemeinen wird es als schlecht bezeichnet. So kolportierte man etwa 1959 in Bonn, der Kanzler habe drei Staatsfeinde: "die Kommunisten, die Engländer und das Auswärtige Amt". Aber der Autor zeigt keine Neigung, das gespannte Verhältnis besonders zu dem britischen Premierminister Macmillan herauszuarbeiten und die englische Seite in dieser Beziehung näher zu beleuchten.
Bei dem spektakulärsten Zusammentreffen Adenauers mit den Briten, seiner Entlassung als Kölner Oberbürgermeister am 6. Oktober 1945, wird eine wenig befriedigende Interpretation angeboten. Es ist die älteste: die Entlassung wegen Unfähigkeit. Obwohl man vor einiger Zeit durch die Veröffentlichung der Berichte des Schweizer Generalkonsuls von Weiss erstmals über die engen Kontakte Adenauers zu französischen Offizieren Kenntnis erhalten hat und Hans Peter Mensing in einer Dokumentation auch britische Quellen publiziert hat, die die Entlassung Adenauers aus politischen Gründen sehr wahrscheinlich machen, wird diese Spur nicht weiter verfolgt. Statt dessen wird ganz anders argumentiert.
Ein alter, schon etwas seniler General habe das Foreign Office im Juli 1945 vor Adenauer gewarnt. Diesen hatte er schon 1918/19 als Besatzungsoffizier kennengelernt. Adenauer habe ihm damals gesagt: "Und wenn es zwanzig Jahre dauert, wir werden nicht ruhen, bis wir uns rächen können." Mit Sicherheit hat Adenauer so etwas nie gesagt, aber der Brief traf Ende September 1945 bei der britischen Besatzung im Rheinland ein. Er soll die Verantwortlichen in ihrem Vorhaben bestärkt haben, ihn loszuwerden.
Williams kennt durchaus die Kontakte Adenauers zu den französischen Offizieren und skizziert auch seine Rheinstaatpläne, sieht aber darin nicht die Ursache für seine Entlassung. Statt dessen argumentiert er eigentümlich: Einerseits "ahnten die Briten jedoch nichts" von den Treffen mit den Franzosen, andererseits aber "waren ihnen mit Sicherheit seine politischen Ränkespiele auf den Territorien ihrer Militärregierung bekannt". Das ergibt jedoch überhaupt keinen Sinn, denn andere "Ränkespiele" als mit den Franzosen veranstaltete Adenauer damals nicht.
Hätte sich Williams die Berichte des Generalkonsuls genauer angesehen, wäre ihm auch eine spektakuläre britische Aktion aufgefallen. Am 27. September 1945 fand im Schweizer Generalkonsulat in Bad Godesberg durch britische Militärpolizei eine Hausdurchsuchung statt. Diese mehr als außergewöhnliche Maßnahme rechtfertigte der die Durchsuchung leitende Oberleutnant mit dem Hinweis, daß er den Befehl "von hoher britischer Stelle" erhalten habe, den er dann auch mit besonderer Gründlichkeit ausführte. Mit Sicherheit wird er Unterlagen über die Treffen Adenauers mit den französischen Offizieren gefunden haben. Denn es war auffällig genug, wenn die französischen Autos vor dem Generalkonsulat parkten, während die Herrschaften dort mit Adenauer speisten und politisierten. Godesberg war schließlich britische Zone. Daher überzeugt die von Williams an den Tag gelegte Ahnungslosigkeit nicht.
HENNING KÖHLER
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