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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
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Die frühe Zeit der Lufthansa
Bei der Gründung der Deutschen Lufthansa stand 1926 neben Technikbegeisterung und Fortschrittsglauben vor allem der Blick auf die starken Luftstreitkräfte der alliierten Siegermächte Pate. Es heißt sogar, eigentlicher Gründungszweck für die Lufthansa sei die geheime Wiederaufrüstung gewesen. Als wichtigster Abnehmer der deutschen Flugzeugindustrie, der mit Aufträgen deren Leistungsfähigkeit auch ohne Luftwaffe aufrechterhielt, habe die Gesellschaft eine zentrale Rolle in der getarnten Rüstung der zwanziger Jahren gespielt. Diese Vermutung ist auch die Kernthese des Bochumer Luftfahrt-Historikers Lutz Budrass in seiner Studie zur Lufthansa und ihrer Geschichte.
Budrass ließ sich auf ein schwieriges Thema ein. Die Lufthansa, die sich ursprünglich "Luft Hansa" schrieb, war von ihrer Gründung an lange Jahre ein hochsubventionierter, politisch dominierter Staatskonzern, der sich allerdings nach außen als mehrheitlich privates Unternehmen gab. In der Weimarer Republik stand das Unternehmen trotz aller Zuschüsse mehrfach vor dem Ende. Erst die Machtübernahme der Nationalsozialisten brachte Aufwind. Die 1955 neu nachfolgende Lufthansa war offenbar kein totaler Bruch mit der Vergangenheit. Sie sei ohne den Rückblick auf die Vorgängergesellschaft von 1926 nicht zu verstehen, meint Budrass.
Die Zeit von 1926 bis 1929 nennt der Autor "Schlaraffenland": Der Luftverkehr in Deutschland sei wie fast überall in Europa zu einer nationalen Aufgabe erklärt worden. Finanzielle Opfer dafür hätten sich für die Verlierer des Ersten Weltkriegs leicht mit dem Blick auf die Restriktionen von Versailles rechtfertigen lassen. Denn die Deutsche Luft Hansa habe eine Rückkehr zu "Weltgeltung" versprochen. Bei ihrer Gründung fanden zahlreiche divergierende staatliche, militärische und privatwirtschaftliche Interessen zusammen. Die aus bestehenden Luftfahrtfirmen fusionierte Einheitsgesellschaft sollte verschiedenste Hoffnungen realisieren - von der Wiederaufrüstung über die Erschließung neuer geographischer Einflusszonen bis hin zu technischer Innovation und industriellem Fortschritt.
Das komplexe Gebilde mit zunächst 62 Mitgliedern im Aufsichtsrat sei von Anfang an als Entscheidungsträger hoffnungslos überfrachtet gewesen. In den Jahren 1929 bis 1932 konstatiert Budrass für das Unternehmen nur Katastrophen. Zudem verlor das Unternehmen seine geheime Existenzberechtigung, als 1930 die letzten Beschränkungen aus dem Versailler Vertrag entfielen: "Sobald offen gerüstet wurde, fehlte der Luft Hansa ihre zentrale Legitimation", sagt Budrass. "Die Luft Hansa war an der Wende zum Jahr 1933 am Ende und wurde nur durch den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft gerettet."
Wichtige personelle Verknüpfungen mit der NSDAP wie die von Vorstandsmitglied Erhard Milch ebneten den Weg. Seit 1929 Mitglied der NSDAP, avancierte der ehemalige Flugbeobachter 1933 zum Staatssekretär von Luftfahrtminister Hermann Göring, 1941 zum Generalluftzeugmeister und 1942 in Personalunion zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Lufthansa. Noch in der Bundesrepublik ließ sich Milch kurz vor seinem Tod in einer Biographie als "Vordenker des Wirtschaftlichkeitskurses in der Lufthansa" feiern.
Auf "Wunsch des Herrn Staatssekretär" richtete die Lufthansa bereits 1936 Reparaturwerkstätten ein, die in erster Linie für die Luftwaffe zur Verfügung stehen sollten. Die Zahl der zu reparierenden Flugzeuge schwoll Ende 1939 bereits auf über 2000, Ende 1940 auf 3000 an. Mit wachsendem Vormarsch des Krieges musste die Lufthansa zur Front-Reparatur übergehen. Gleichwohl wurden die Reparaturen sowie die aufwendige Montage des neu für die Luftwaffe entwickelten Radargerätes zum einträglichen Geschäft. Denn um den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel auszugleichen, konnte das Unternehmen ab Ende 1940 jüdische Zwangsarbeiter und später Kriegsgefangene und aus dem Osten deportierte Arbeitskräfte einsetzen.
Budrass handelt diesen traurigen, bislang weitgehend unter den Teppich gekehrten Part der Lufthansa-Geschichte schonungslos in seinem Kapitel über die Industrialisierung des Unternehmens zwischen 1939 und 1945 ab. Er belegt, dass die Lufthansa nicht nur an der Arbeitsleistung der über 7000 ausländischen Zwangsarbeiter, darunter viele Halbwüchsige und Kinder, satt verdiente. Auch die Vermietung von Unterkünften brachte allein im Jahr 1943 immerhin 553000 Reichsmark ein. Der buchungstechnisch geschickt versteckte Profit der Lufthansa belief sich laut Budrass zwischen 1941 und 1943 auf 5,8 Millionen Reichsmark. Damit war das Unternehmen "ein Gewinner des Krieges", der für die Zeit danach sparen konnte.
Über die Nachkriegszeit wurde offenbar schon im Sommer 1940 nachgedacht. Vorreiter für eine Neugründung der auf Betreiben der Alliierten liquidierten alten Lufthansa war die Arbeitsgemeinschaft von zehn deutschen Flughafengesellschaften, die zunächst nur den Flugverkehr ausländischer Linien in Deutschland am Boden abzuwickeln hatten. Der Verkehrsbetrieb der 1953 gegründeten neuen Lufthansa begann erst 1955, weil der Bund die Mittel aufbringen musste. Das Personaltableau, das den Aufsichtsrat der Lufthansa bis in die sechziger Jahre dominierte, bestand aus Männern, die "mehr als nur zarte Verbindungen sowohl zur ersten Lufthansa als auch zur nationalsozialistischen Luftrüstung" hatten: "Die Vergangenheit der Lufthansa wurde nicht versenkt, sondern nur begradigt", resümiert Budrass.
Dass die Lufthansa bis heute nur ungern über ihre dunkle Geschichte im Dritten Reich spricht, hat Budrass zur Genüge selbst erfahren: Vor 15 Jahren ließ die Gesellschaft von ihm ein Gutachten über den Einsatz von Zwangsarbeitern erstellen. Entgegen der ursprünglichen Zusage wurde es nie als Buch veröffentlicht, sondern nur auf Anforderung als Manuskript verschickt. Erst jetzt ist das Papier als Beilage zu einem Bildband publiziert worden, den die Lufthansa 14 Tage vor Erscheinen von "Adler und Kranich" herausgegeben hat.
ULLA FÖLSING.
Lutz Budrass: Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926-1955, Kurt Blessing Verlag, München 2016, 704 Seiten, 34,99 Euro.
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