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Adornos Erben schreibt die Geschichte der Kritischen Theorie neu: als große, vielstimmige Erzählung aus der alten Bundesrepublik – einem Land, das zwanzig Jahre mit Adorno existierte und zwanzig Jahre ohne ihn.
Im Oktober 1949 kehrte Theodor W. Adorno aus dem amerikanischen Exil in seine Geburtsstadt zurück, um wieder an einer deutschen Universität zu lehren. Frankfurt lag in Trümmern, die Nazis hatten nur die Kleider gewechselt, aber die Studierenden kamen in Scharen. Bald war der Philosoph wöchentlich im Radio zu hören und zum Stichwortgeber und »Erzieher« der jungen Bundesrepublik…mehr

Produktbeschreibung
Adornos Erben schreibt die Geschichte der Kritischen Theorie neu: als große, vielstimmige Erzählung aus der alten Bundesrepublik – einem Land, das zwanzig Jahre mit Adorno existierte und zwanzig Jahre ohne ihn.

Im Oktober 1949 kehrte Theodor W. Adorno aus dem amerikanischen Exil in seine Geburtsstadt zurück, um wieder an einer deutschen Universität zu lehren. Frankfurt lag in Trümmern, die Nazis hatten nur die Kleider gewechselt, aber die Studierenden kamen in Scharen. Bald war der Philosoph wöchentlich im Radio zu hören und zum Stichwortgeber und »Erzieher« der jungen Bundesrepublik geworden. Als Adorno 1969 starb, waren das Institut für Sozialforschung und sein Direktor bundesweit bekannt. Die Frankfurter Schule befand sich auf dem Zenit ihrer öffentlichen Wirkung.

Dieser Denkraum und seine Metamorphosen zwischen Nachkrieg und Wiedervereinigung sind das Thema dieses Buches, zwölf Mitarbeiter Adornos seine Protagonisten. Nach dem Tod des »Meisters« zerstreuten sie sich von der Stadt am Main nach Gießen, Lüneburg oder Starnberg. Jörg Später folgt ihren Wegen und schildert, wie sie in Wissenschaft, Politik und den neuen sozialen Bewegungen Adornos Erbe annahmen und veränderten.

Adornos Erben:
Regina Becker-Schmidt, Gerhard Brandt, Ludwig von Friedeburg, Karl Heinz Haag, Jürgen Habermas, Elisabeth Lenk, Oskar Negt, Helge Pross, Alfred Schmidt, Herbert Schnädelbach, Hermann Schweppenhäuser, Rolf Tiedemann

Autorenporträt
Jörg Später, geboren 1966, ist promovierter Historiker und freier Autor. An der Universität Freiburg ist er mit der Forschungsgruppe Zeitgeschichte assoziiert. Sein Buch über Siegfried Kracauer stand 2017 auf der Shortlist des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Michael Kuhlmann kritisiert die chronologische Anlage des Bandes und dass der Leser schon Bescheid wissen muss über die Kritische Theorie und die sie umgebenden Debatten, wenn er zu Jörg Späters Buch greift. Eine "konzentrierte" Darstellung der Kernthesen und Denkansätze von Adornos Erben, mit denen sich das Buch beschäftigt (mit Habermas vor allem) hätte es dem Leser laut Kuhlmann ermöglicht, sich mit strukturiertem Wissen gewappnet in die dargestellten Diskussionen zu stürzen. Davon abgesehen ist das Buch für Kuhlmann höchst unterhaltsam, wenn es die Wege von Habermas, Negt und Kluge nachzeichnet und in Briefwechseln auf professorale Eitelkeiten hinweist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.07.2024

Triumph der Theorie
Nach Adornos Tod prägten seine Schüler die intellektuelle Landschaft
der Republik. Jörg Später stellt zwölf von ihnen vor.
„Kreis ohne Meister“, so lautete der Titel einer 2009 veröffentlichten Studie von Ulrich Raulff. Er versammelte die Jünger am Sarg Stefan Georges und verfolgte die Erschütterungen, die dessen Tod 1933 bei ihnen auslöste. Indem Raulff das „was zuvor geschah“ aus der Sicht des Nachlebens von George erzählte, gewann er Raum für eine andere Geschichte des „Dritten Reiches“ und vor allem der Bundesrepublik Deutschland. Ideen-, Kultur- und Wirkungsgeschichte fanden im „Kreis“-Buch letztmalig auf beeindruckende, weil auch bestens lesbare Weise zusammen.
Nun liegt fünfzehn Jahre danach mit Jörg Späters Buch „Adornos Erben“ endlich ein ebenbürtiger Nachfolger vor. Wie Raulff, so beginnt auch der Freiburger Historiker mit einem Abschied. Die Beerdigung für den 1969 plötzlich verstorbenen Adorno, der wie George 65 Jahre alt wurde, ist der Ausgangspunkt für eine dichte Beschreibung und Deutung eines genuin westdeutschen Vorhabens: einer Theorie der Gesellschaft.
Dazu versammelt Später zunächst einen Chor, nämlich zwölf Schülerinnen und Schüler Adornos, verfolgt deren persönliche Geschichten und ihre Theoriebildungen bis in die Epochenjahre 1989/90, löst ihn also in Einzelstimmen auf, um deren Spezifik herausarbeiten zu können. Nun ist Später ein Archivgänger und kann daher zeigen, dass man nach Adornos Tod unterschiedliche Wege und entsprechend voneinander abweichende Tonlagen wählte, zugleich aber immer wieder Übungsräume aufsuchte, in denen nach der einen Stimme gefahndet wurde.
Das war nicht immer erfolgreich, zumal sich längst einige Virtuosen etabliert hatten, doch einte sie nicht zuletzt das, was Apostel, weiblich wie männlich, so an sich haben: die Botschaft weiterzutragen und dabei niemals dabei zu vergessen, dass ihre Version der Wahrheit am nächsten kommt.
Die Gruppenbildungen in Hannover und Lüneburg, die zeitweilige Starnberger Filiale, dazu kurzfristige WGs und ihre Auslagerungen werden vorgestellt und dabei stets darauf geachtet, dass es hier nicht ums Singen, Spielen, Tanzen, sondern um das knallharte Geschäft des Denkens ging. Das Libretto stammt von den Choristen, die Koordination übernimmt der Dirigent Jörg Später.
Wer sind die zwölf Auserwählten? Selbstverständlich erhalten Jürgen Habermas und Alexander Kluge große Auftritte. Nach der Lektüre von Späters Buch wird klar, wie sehr Habermas‘ „Theorie des kommunikativen Handelns“ von 1981 jene „Theorie der Gesellschaft“ hätte sein können – und eben nicht eine Verabschiedung eines vermeintlichen marxistischen Projekts der Adorno-Generation. Dass die Restlinke zu dieser Verkennung auch heute noch neigt, legt mehr als alles andere ihren Unwillen offen, auf Ideologie zu verzichten.
Auch die Philosophen Oskar Negt, Gerhard Schnädelbach, Alfred Schmidt und Hermann Schweppenhäuser werden ausführlich gewürdigt. Der zeitweilige hessische Kultusminister Ludwig von Friedeburg und der Walter Benjamin-Herausgeber Rolf Tiedemann erhalten ihren Platz. Wer aber kennt Karl Heinz Haag oder Gerhard Brandt? Besonderes Interesse dürften die 1984 mit nur 57 Jahren verstorbene Soziologin Helge Pross, ihre 1937 geborene Kollegin Regine Becker-Schmidt oder die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Lenk (1937-2022) auf sich ziehen, die allzu gerne vergessen werden.
Doch bevor Adornos Totenruhe gestört wird, also das eigentliche Deutungsgeschäft beginnt, geht Später erst einmal zurück. Die Geschichte der „Frankfurter Schule“, in deren Mittelpunkt Max Horkheimer und eben Adorno stehen, werden, wie bei Raulff, im Hinblick auf das Nachleben erzählt.
Daran fällt auf, dass Adorno selbst sehr früh ein Gespür für Traditionsvermittlung, Generationenfolgen und das Lehrer/Schüler-Verhältnis hatte, wie ein Text von 1930 belegt: „Im strengen Vollzuge ihrer kompositorischen Aufgabe sind Schönbergs Schüler Erben geworden, die erwarben, was sie besitzen, und damit das Erbe weitertreiben zum dunklen, kaum geahnten und dennoch sicheren Ziele aller Musik hin.“
Es waren Alban Berg und Anton Webern, die Theodor Wiesengrund-Adorno mit Hilfe von Goethes klassischer Formel für das bürgerliche Kontinuitäts- und Traditionsverständnis, als jene heraushob, die das Werk ihres Lehrers eigenständig fortentwickelt haben. Der so charakterisierte Webern schrieb dem dem 27-jährigen Autor daraufhin begeistert: „Daß Sie ihrer Arbeit sozusagen die Antithese ‚Schülerschaft – Selbständigkeit‘ zu Grunde legen, ist ganz ausgezeichnet. Denn in dieser Hinsicht ist unser Fall doch wohl ein noch nie dagewesener, eben wegen der ungeheuren Umwälzung, die Schönberg bewirkt hat.“
Dass das Denken des 1969 plötzlich verstorbenen Adorno für seine Anhänger eine „ungeheure Umwälzung“ darstellte, dessen Erbe sie gegen alle Widerstände und zum Besten der Gesellschaft weitertragen wollten, bezeugten nicht nur 33 Studierende, die ihrem Meister über den Tod hinaus intellektuelle Treue schworen. Zu dem Zeitpunkt hatte sich der 1934 über England in die USA Emigrierte und 1949 nach Deutschland Zurückgekehrte eine beeindruckende Schülerschaft an der Frankfurter Universität und dem dortigen Institut für Sozialforschung ausgebildet und teilweise in Positionen gebracht. Und nicht wenige davon haben zeitlebens, wie Später klug zusammengestellter Chor belegt, ihre eigene Arbeit als Auseinandersetzung, Bewahrung und Fortschreibung von Adornos Denkens begriffen.
Liest man die bei Später präzise rekonstruierten und selbst in den unübersichtlichsten Interpretationsscharmützeln immer glasklaren Nachzeichnungen der Äußerungen der Zwölf zu Adorno, dann drängt sich das von ihm benutzte Bild der Goetheschen Erbe-Vermittlung auf unheimliche Weise wieder auf.
Unheimlich deshalb, weil es zunächst Max Horkheimer und Adorno selbst sind, die nach ihrer Rückkehr in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckten, dass ihre Studierenden den Glauben an das Gute im Menschen stärken könnten – und das nach der Vernichtung des europäischen Judentums durch Deutsche. Am 1. August 1952 etwa berichtete Horkheimer, nunmehr Rektor der Frankfurter Universität in einem Interview mit der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“, „äußerst positiven Erfahrungen“ mit den Studenten. „(I)ch bin überzeugt, dass man mithelfen kann, eine Studentengeneration heranzubilden, die so fühlt, wie wir es gewohnt sind.“ Die so Charakterisierten taten dann in der Folge alles, um diesen Kredit einzulösen.
Zwanzig Jahre lang bildeten Adorno und Horkheimer häufig gemeinsam in Frankfurt den Nachwuchs aus. Von Platon und Aristoteles bis hin zu Martin Heidegger und die moderne empirische Sozialforschung ließen sie, vor allem Ersterer, nichts und niemanden aus, mit und gegen den sie eine Theorie der Gesellschaft anstrebten. Es war das, was stets am Horizont aufschien, sich aber zugleich ständig zu entziehen schien.
Hier setzt Später ein und verfolgt akribisch, die vielen Annäherungen an die überlassene Aufgabe. Im Moment des Todes von Adorno setzt sich, nach zeitweiliger Verzweiflung, zahllosen Abgesängen und ersten Revisionsbereitschaften, eine theoretische Energie frei, die so noch nie dargestellt wurde. Mit Sympathie und einem unglaublichen Sprachwitz, mit Detailversessenheit und stetem Blick auf das große Ziel der Theorie der Gesellschaft, führt Später die Zwölf als Anarchisten, Empiristen, Konservative, Marxisten und Synthetiker vor.
So ernst wurden Ideen schon lange nicht mehr genommen, die gesellschaftlichen und politischen Transformationen Westdeutschlands schon lange nicht so entlastet von vermeintlichen Großerzählungen – sei es der „Westen“ oder die „Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik“ – anhand ihrer theoretischen Bewältigungsversuche dargestellt, wie es in „Adornos Erben“ geschieht.
Als kürzlich im „Merkur“ der Stuttgarter Historiker Thomas Hertfelder der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung die Versetzung in die nächste Klasse verweigerte, weil er sie in ihrer Begeisterung für das Selbsterlebte gefangen sah, war die Frage, wie sie denn anders zu erzählen wäre. Für die Ideengeschichte liegt die Antwort vor. Jörg Später führt mit seinen zwölf Erwählten ohne jede Nostalgie die Suchbewegungen nach einer Theorie der Gesellschaft vor. Worin sie möglicherweise bestand, das lässt bei keinem der Zwölf genau sagen. Man muss schon den Chor vernehmen, der für „Adornos Erben“ eigens zusammengestellt wurde.
THOMAS MEYER
Adornos Denken war
für seine Anhänger eine
„ungeheure Umwälzung“
So ernst wurden
Ideen schon lange
nicht mehr genommen
Jörg Später: Adornos
Erben. Eine Geschichte aus
der Bundesrepublik.
Suhrkamp Verlag, Berlin
2024. 760 Seiten, 40 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»... ein materialreiches Panorama, dessen zentrale Motive die Zerstreuung und die Verwerfungen einer Tradition sind.« Robert Zwang wochentaz 20240719