Ex africa semper aliquid novi – Immer wieder etwas Neues aus Afrika
Patrick Deville folgte den Spuren von Pierre Savorgnan de Brazza. Ganz in der Tradition der Erzähler auf dem Djeema al Fna in Marrakesch schüttet er ein Füllhorn an Geschichten aus: eine kunstvolle Mischung aus eigenem Erleben,
aus Angelesenem und Gehörtem. Zeitsprünge vom Gestern ins Heute. Verknüpfungen der Vergangenheit mit…mehrEx africa semper aliquid novi – Immer wieder etwas Neues aus Afrika
Patrick Deville folgte den Spuren von Pierre Savorgnan de Brazza. Ganz in der Tradition der Erzähler auf dem Djeema al Fna in Marrakesch schüttet er ein Füllhorn an Geschichten aus: eine kunstvolle Mischung aus eigenem Erleben, aus Angelesenem und Gehörtem. Zeitsprünge vom Gestern ins Heute. Verknüpfungen der Vergangenheit mit der Gegenwart, vielleicht auch mit der uns noch unbekannten Zukunft.
Pierre Savorgnan de Brazza, 1852 geboren, aus kosmopolitischem italienischem Adelsgeschlecht, wollte Seefahrer und Entdecker werden. Er war anders als seine “Kollegen”: Idealist, Menschenfreund, eine seltene Spezie unter den Entdeckern und Kolonisten, in deren Gefolge weiße Gewalt in das dunkle Herz Afrikas eindrang.
Sein Gegenspieler war Henry Morton Stanley. Gegensätzlicher konnten zwei Männer nicht sein. Der reiche Aristokrat. Schwarzer Vollbart, blaue Augen, groß und mager, sanft und menschlich.
Stanley, ein vaterloses Kind aus ärmlichen Verhältnissen. Elf Jahre älter. Mittelgroß, kräftig, mit der Härte des Emporkömmlings. Stanley wurde berühmt durch seine Suche nach dem verschollenen Livingstone: „Dr. Livingstone, I presume?“
Brazza erreicht 1880 zum ersten Mal den Kongo, gründet Brazzaville.
Er starb 1905 im Alter von 53 Jahren und erhielt ein Staatsbegräbnis auf dem Père Lachaise. Heute ruht er mit seiner Familie im millionenschweren Mausoleum in Brazzaville. Er hätte diese monumentale Ehrung sicherlich abgelehnt.
Der Autor führt uns den Äquator entlang nach Osten. Er taucht ein in die Geschichte dieser Gebiete, in die Geschichten seiner nativen Reisebegleiter und bringt uns bekannte und fast vergessene Namen mit ihren biographischen Hintergründen näher. Wer hat schon einmal gelesen, dass es auf Sansibar einen persischen Clan aus Schiras gab, Al Harthi, der seit tausend Jahren an den Inselküsten lebte?
Albert Schweitzer, der in die üppige Urwaldszenerie Bach’sche Fugen ertönen lässt. Sein Pelikan Parzival, der davonfliegt, als sein Herr stirbt.
Aber auch Jules Verne, Pierre Loti, Joseph Conrad und Emin Pascha. Eine hochinteressante Gestalt: Tippu Tip. Er und Brazza sind sich nie begegnet, der eine kam vom Westen nach Osten, der andere vom Osten nach Westen. Der eine ist ein Sklavenhändler, der andere ein Sklavenbefreier. Tippu Tip ist der ungekrönte König von Zentralafrika. Er schrieb übrigens seine Biographie auf Suaheli, das erste Schriftstück dieser Art.
Leopold II von Belgien erwarb den Kongo-Freistaat als Privatbesitz. Voraus denkend sah er, dass die schiffbaren Flüsse und Medikamente wie das Chinin alle Türen für eine ausbeuterische Inbesitznahme öffneten. Apokalyptische Grausamkeiten waren an der Tagesordnung in seinem Reich. Die meisten Weißen hatten keine Vorstellungen von Afrika, seiner Geschichte und seinen Lebensbedingungen, von der Vielfalt an Völkern, Sitten, Gebräuchen, Ritualen und Fehden.
Wieder ist Deville ein narratives Patchwork gelungen, mit verschlungenen Bindegliedern, die Geschichte vom Gestern ins Heute transportieren. Persönliche Impressionen stilistisch gefärbt als Reportage, Portrait oder Geschichtsbuchauszug. Eine lehrreiche Lektüre: Anregend zu persönlicher Entdeckerlust und Recherche.
Der Satz aus Brazzas Brief an seinen Vater soll das Schlusslicht sein:
Und als ich ihnen sagte, dass die Weissen ein Land haben, in dem es an nichts fehlt, konnten sie sich nicht erklären, warum wir hergekommen waren.