Mehr als 1,4 Milliarden Menschen, 54 Länder, über 2.000 Sprachen, seit Jahrzehnten auf einfache Geschichten reduziert: Hunger, Safaris, vielleicht noch brutale Diktaturen. Ein ganzer Kontinent wird bis zur Horrorhaftigkeit simplifiziert, mit desaströsen Folgen ... Dipo Faloyin hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Stereotype aus der Welt zu schaffen. Mit Biss, Tempo, unwiderstehlichem Charme zeichnet er ein zeitgemäßes Porträt Afrikas: urbanes Leben in Lagos, der erfolgreiche Kampf für Demokratisierung, die Kehrseite der Charity-Industrie, durchgeknallte kulinarische Rivalitäten, lebendige zivilgesellschaftliche Bewegungen, die einzigartige Rolle der Aunties im Großfamiliengefüge. Dipo Faloyin erzählt andere Geschichten, positiv, divers, kompliziert. Immer getrieben von Lebenslust und dem Glauben an eine großartige Zukunft trotz aller kolonialen Hindernisse.
Afrika ist kein Land korrigiert eine globale Wahrnehmungsverzerrung. Es ist das erzählerische Manifest gegen Dummheit, Faulheit und Einfachheit im Umgang mit der Vielgestaltigkeit des afrikanischen Kontinents. Und eine absolut hinreißende Intervention.
Afrika ist kein Land korrigiert eine globale Wahrnehmungsverzerrung. Es ist das erzählerische Manifest gegen Dummheit, Faulheit und Einfachheit im Umgang mit der Vielgestaltigkeit des afrikanischen Kontinents. Und eine absolut hinreißende Intervention.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dipo Falovins Buch über Afrika biete zwar nicht die neuesten Argumente, nimmt den hier rezensierenden Historiker und Afrikawissenschaftler Andreas Eckert aber auf andere Weise für sich ein: Denn mit größerer Verve und Beiläufigkeit habe noch niemand gegen die immer noch kolonialistisch geprägte westliche Perspektive auf Afrika angeschrieben, die den vielfältigen Kontinent schon mal zu einem einzigen, hilfsbedürftigen Staat verkürzt. Dabei widmet sich der nigerianische, in London lebende Journalist zentralen Feldern wie der rassistischen Filmlandschaft Hollywoods - immerhin der Blockbuster "Black Panther" sei hier ein frischer Wind, liest Eckert - oder der Raubkunst, aber auch weniger populären Diskriminierungen: Wie der britische Starkoch Jamie Oliver mit einem Rezept für westafrikanischen Jollof-Reis, freischnauze erweitert und so verfälscht, einen "Furor" auslöste, falle in Falovins Darstellung "höchst amüsant" aus, so Eckert. Eine gute Mischung aus "beißender Ironie" und "kühler Analyse", die den Kritiker gut unterhält.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2023Rührt nicht ans Reisgericht!
Der nigerianische Journalist Dipo Faloyin nimmt stereotype Einordnungen Afrikas ins Visier
"Afrika ist eine Nation, die an ungeheuren Krankheiten leidet", wusste der damalige amerikanische Präsident George W. Bush vor rund zwanzig Jahren zu berichten. Afrika als Land zu betrachten und nicht als geschichtsreichen, vielfältigen und widersprüchlichen Kontinent mit über fünfzig Staaten hat eine lange Tradition, die bis heute aktuell ist. In den Vorstellungen vieler Menschen im nordatlantischen Raum steht Afrika für eine enorme Landmasse, auf der Diktatoren und korrupte Regime über zumeist arme Menschen herrschen. Hunger, Kriege, Umweltkatastrophen bestimmen die Berichterstattung, seit einiger Zeit verbunden mit Bildern von Menschen, die auf seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer oder den Atlantik nach Europa zu gelangen suchen. Dass das Gegenteil von gut gemacht gut gemeint ist, belegen die Aktivitäten von Filmemachern, Popstars und Philanthropen, die Afrikanerinnen und Afrikaner vor allem als Opfer darstellen, die westliche Hilfe benötigen.
Der nigerianische, in London lebende Journalist Dipo Faloyin ist beileibe nicht der Erste, der gegen diese zähen Stereotype anschreibt, aber er tut es mit besonders viel Verve und einer soliden Dosis Ironie und Lakonie. Dabei greift sich der Autor eine Reihe von Themen und Aspekten heraus, die aus seiner Sicht besonders repräsentativ für hartnäckige Falschinformationen und Vorurteile über den Kontinent sind. Auf diese Weise will er nicht zuletzt "die schädliche Art und Weise analysieren, wie Afrika sowohl durch billige Stereotype in der Popkultur als auch in der Bildsprache der Wohltätigkeitskampagnen dargestellt wird".
Aufs Korn nimmt Faloyin etwa den ebenso beliebten wie bereits vielfach gescholtenen Song "Do they know it's Christmas", den Bob Geldof mit einer Reihe anderer hochkarätiger Popstars in den Achtzigerjahren angesichts der massiven Hungerkrise in Äthiopien einspielte. "Leidenschaftlich feine Nuancen meidend", verdichte das Lied "alle schlimmen Stereotype zu einem angenehmen, vierminütigen Jingle". Über die Krise in Äthiopien erfahre man nichts, die Kernaussage bestehe darin, dass ganz Afrika "so von Armut verflucht ist, dass über eine Milliarde Menschen nicht in der Lage sind zu wissen, ob bald der Weihnachtsmann kommt".
Reichhaltiges Material findet der Autor, wenig überraschend, in Hollywoodfilmen. Hollywood, schreibt er, sei seit vielen Jahrzehnten gar "der Rädelsführer - der Schuldige, der am stärksten dafür verantwortlich ist, Stereotype über Afrika sauber zu verpacken und sie als High-Budget-Unterhaltung abzuliefern". Immerhin: Dass es anders geht, zeige der Blockbuster "Black Panther", der nicht weniger als eine radikale Neuinterpretation von Hollywoods filmischer Darstellung Afrikas markiere und eine "erlösende Gegenmythologie" darstelle. Hier prägten ein wohlhabendes afrikanisches Land - das fiktive Wakanda - und innovative Menschen das dominierende Narrativ.
Ein Kapitel widmet Faloyin dem viel diskutierten Thema der gestohlenen Objekte in europäischen Museen und ihrer Rückgabe. Neues zur Debatte hat er nicht wirklich beizutragen, aber er bringt einige Aspekte gut auf dem Punkt, wenn er sich etwa über die Rede vom "Universalmuseum" mokiert, welche auf der Annahme beruhe, dass das Wort "universal" Nordamerika und Europa bedeutet. Als ob "die Menschen aller Nationen" problemlos nach London, New York, Paris oder Berlin reisen könnten. Und der Autor mahnt an, sich der "einfachsten aller schmerzhaften Realitäten" zu stellen: Neunzig Prozent des kulturellen Erbes Afrikas seien während der Kolonialzeit aus dem gleichen Grund aus dem Kontinent verschifft worden, aus dem sie heute ausgestellt werden. "Sie sind prachtvoll und von außergewöhnlichem Wert, und ihre Präsenz würde jedes Land, in dem sie ausgestellt wären, reicher machen."
Das Buch befasst sich überdies mit eher ungewöhnlichen Kontroversen, wie dem Kampf um die richtige Art, Jollof-Reis zuzubereiten, ein in Westafrika weit verbreitetes Gericht. Faloyin berichtet auf höchst amüsante Weise, wie der britische Starkoch Jamie Oliver vor einigen Jahren ein Rezept für Jollof-Reis auf seine Website stellte, in dem der Speise Zitronen, Petersilie und Kirschtomaten beigegeben wurden. Ein ungeheurer Furor brach aus. Denn Oliver glaubte die Lizenz zum Experimentieren zu haben, was für viele Menschen in und aus Westafrika "vergleichbar war mit dem Vorschlag eines Dahergelaufenen, der zum ersten Mal den Versuch einer Hirnoperation wagen und zu diesem Zweck deine Großmutter als Versuchskaninchen benutzen will". Der Fernsehkoch beging den Fehler, schreibt Faloyin, ein prototypisches Familiengericht so weit zu zerlegen, "dass es kein Zuhause mehr hatte, das man sein Eigen nennen konnte".
Der Autor vermengt in seinem Text gekonnt Episoden wie die über Reisgerichte mit beißender Kritik an medialen und kulturellen Klischees und nahezu kühler Analyse kolonialer Arroganz, Gewalt und Rassismus. Diese Mischung ergibt eine äußerst anregende Lektüre und wirbt eindringlich und mit viel Verve für den regelmäßig beschworenen und noch immer wenig praktizierten differenzierenden Blick auf einen Kontinent und seine Menschen. ANDREAS ECKERT
Dipo Faloyin: "Afrika ist kein Land".
Aus dem Englischen von Jessica Agoku. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 398 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der nigerianische Journalist Dipo Faloyin nimmt stereotype Einordnungen Afrikas ins Visier
"Afrika ist eine Nation, die an ungeheuren Krankheiten leidet", wusste der damalige amerikanische Präsident George W. Bush vor rund zwanzig Jahren zu berichten. Afrika als Land zu betrachten und nicht als geschichtsreichen, vielfältigen und widersprüchlichen Kontinent mit über fünfzig Staaten hat eine lange Tradition, die bis heute aktuell ist. In den Vorstellungen vieler Menschen im nordatlantischen Raum steht Afrika für eine enorme Landmasse, auf der Diktatoren und korrupte Regime über zumeist arme Menschen herrschen. Hunger, Kriege, Umweltkatastrophen bestimmen die Berichterstattung, seit einiger Zeit verbunden mit Bildern von Menschen, die auf seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer oder den Atlantik nach Europa zu gelangen suchen. Dass das Gegenteil von gut gemacht gut gemeint ist, belegen die Aktivitäten von Filmemachern, Popstars und Philanthropen, die Afrikanerinnen und Afrikaner vor allem als Opfer darstellen, die westliche Hilfe benötigen.
Der nigerianische, in London lebende Journalist Dipo Faloyin ist beileibe nicht der Erste, der gegen diese zähen Stereotype anschreibt, aber er tut es mit besonders viel Verve und einer soliden Dosis Ironie und Lakonie. Dabei greift sich der Autor eine Reihe von Themen und Aspekten heraus, die aus seiner Sicht besonders repräsentativ für hartnäckige Falschinformationen und Vorurteile über den Kontinent sind. Auf diese Weise will er nicht zuletzt "die schädliche Art und Weise analysieren, wie Afrika sowohl durch billige Stereotype in der Popkultur als auch in der Bildsprache der Wohltätigkeitskampagnen dargestellt wird".
Aufs Korn nimmt Faloyin etwa den ebenso beliebten wie bereits vielfach gescholtenen Song "Do they know it's Christmas", den Bob Geldof mit einer Reihe anderer hochkarätiger Popstars in den Achtzigerjahren angesichts der massiven Hungerkrise in Äthiopien einspielte. "Leidenschaftlich feine Nuancen meidend", verdichte das Lied "alle schlimmen Stereotype zu einem angenehmen, vierminütigen Jingle". Über die Krise in Äthiopien erfahre man nichts, die Kernaussage bestehe darin, dass ganz Afrika "so von Armut verflucht ist, dass über eine Milliarde Menschen nicht in der Lage sind zu wissen, ob bald der Weihnachtsmann kommt".
Reichhaltiges Material findet der Autor, wenig überraschend, in Hollywoodfilmen. Hollywood, schreibt er, sei seit vielen Jahrzehnten gar "der Rädelsführer - der Schuldige, der am stärksten dafür verantwortlich ist, Stereotype über Afrika sauber zu verpacken und sie als High-Budget-Unterhaltung abzuliefern". Immerhin: Dass es anders geht, zeige der Blockbuster "Black Panther", der nicht weniger als eine radikale Neuinterpretation von Hollywoods filmischer Darstellung Afrikas markiere und eine "erlösende Gegenmythologie" darstelle. Hier prägten ein wohlhabendes afrikanisches Land - das fiktive Wakanda - und innovative Menschen das dominierende Narrativ.
Ein Kapitel widmet Faloyin dem viel diskutierten Thema der gestohlenen Objekte in europäischen Museen und ihrer Rückgabe. Neues zur Debatte hat er nicht wirklich beizutragen, aber er bringt einige Aspekte gut auf dem Punkt, wenn er sich etwa über die Rede vom "Universalmuseum" mokiert, welche auf der Annahme beruhe, dass das Wort "universal" Nordamerika und Europa bedeutet. Als ob "die Menschen aller Nationen" problemlos nach London, New York, Paris oder Berlin reisen könnten. Und der Autor mahnt an, sich der "einfachsten aller schmerzhaften Realitäten" zu stellen: Neunzig Prozent des kulturellen Erbes Afrikas seien während der Kolonialzeit aus dem gleichen Grund aus dem Kontinent verschifft worden, aus dem sie heute ausgestellt werden. "Sie sind prachtvoll und von außergewöhnlichem Wert, und ihre Präsenz würde jedes Land, in dem sie ausgestellt wären, reicher machen."
Das Buch befasst sich überdies mit eher ungewöhnlichen Kontroversen, wie dem Kampf um die richtige Art, Jollof-Reis zuzubereiten, ein in Westafrika weit verbreitetes Gericht. Faloyin berichtet auf höchst amüsante Weise, wie der britische Starkoch Jamie Oliver vor einigen Jahren ein Rezept für Jollof-Reis auf seine Website stellte, in dem der Speise Zitronen, Petersilie und Kirschtomaten beigegeben wurden. Ein ungeheurer Furor brach aus. Denn Oliver glaubte die Lizenz zum Experimentieren zu haben, was für viele Menschen in und aus Westafrika "vergleichbar war mit dem Vorschlag eines Dahergelaufenen, der zum ersten Mal den Versuch einer Hirnoperation wagen und zu diesem Zweck deine Großmutter als Versuchskaninchen benutzen will". Der Fernsehkoch beging den Fehler, schreibt Faloyin, ein prototypisches Familiengericht so weit zu zerlegen, "dass es kein Zuhause mehr hatte, das man sein Eigen nennen konnte".
Der Autor vermengt in seinem Text gekonnt Episoden wie die über Reisgerichte mit beißender Kritik an medialen und kulturellen Klischees und nahezu kühler Analyse kolonialer Arroganz, Gewalt und Rassismus. Diese Mischung ergibt eine äußerst anregende Lektüre und wirbt eindringlich und mit viel Verve für den regelmäßig beschworenen und noch immer wenig praktizierten differenzierenden Blick auf einen Kontinent und seine Menschen. ANDREAS ECKERT
Dipo Faloyin: "Afrika ist kein Land".
Aus dem Englischen von Jessica Agoku. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 398 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»... eine äußerst anregende Lektüre[, die] eindringlich und mit viel Verve für den ... differenzierenden Blick auf einen Kontinent und seine Menschen [wirbt].« Andreas Eckert Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230828