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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Howard W. French zeigt, dass sich der Aufstieg des Westens zu einem großen Teil der Ausbeutung Afrikas verdankt
Der 18. Juli 1324 war einer der wichtigsten Momente in der Entstehung der atlantischen Welt. Diese zunächst kühn anmutende These vertritt Howard French in seiner Darstellung der zentralen, oft jedoch absichtlich marginalisierten Rolle Afrikas und von Afrikanern bei der Entstehung von Wirtschaftssystemen und politischem Denken unserer modernen Welt. Warum dieses Datum? An diesem Tag zog Mansa Musa, der Herrscher des westafrikanischen Reiches Mali, mit einer Entourage von sechzigtausend Männern, darunter zwölftausend Sklaven, im Zuge seiner Pilgerreise nach Mekka in Kairo ein. Die Menge an hochreinem Gold, die Musa auf dieser Tour mit sich führte, schätzen einige Historiker auf bis zu achtzehn Tonnen. Überall auf seinem Weg verteilte er Goldgeschenke an Arm und Reich, offenbar mit dem Ziel, Aufsehen zu erregen und der Welt Malis Herrlichkeit zu signalisieren.
French, langjähriger Korrespondent der "New York Times" in Afrika, der Karibik und Ostasien, Sachbuchautor, politischer Kommentator und seit einigen Jahren Journalistik-Professor an der New Yorker Columbia-Universität, legt dar, dass sich Berichte über diesen Auftritt des malischen Herrschers in Ägypten erstaunlich schnell verbreiteten. Bereits Ende der 1320er-Jahre waren in Europa Karten im Umlauf, die von der Existenz eines Reiches mit gewaltigen Goldvorkommen namens Mali kündeten. Zudem zeitigte die Reise "gewaltige, unbeabsichtigte Folgen". So habe Musas "übermäßiger Einsatz von Sklaven" ebenso wie "sein angeberischer Umgang mit Gold" in Teilen Europas, und nicht zuletzt in Portugal, den Ruf des subsaharischen Afrikas als einer Region untermauert, welche über große Mengen Gold verfügte und eine scheinbar unermessliche Quelle für Arbeitskraft darstellte.
Nicht die Sehnsucht nach Verbindungen mit Asien bildete daher den Impetus für die Schaffung europäischer Weltreiche, sondern das Verlangen, Handelsbeziehungen mit diesen sagenumwoben reichen schwarzen Gesellschaften zu etablieren. Entlang der Westküste Afrikas perfektionierten Europäer Techniken der Kartographie und Navigation, testeten und verbesserten das Design ihrer Schiffe. Seeleute lernten, die Winde des atlantischen Ozeans besser einzuschätzen.
Madeira und die Kanaren dienten gleichsam als Labor, in dem Europäer das logistische und agrartechnische Know-how akkumulierten, das ihnen in den folgenden Jahrhunderten die Ausbeutung des amerikanischen Kontinents erleichtern sollte. Denn wie bald darauf in den brasilianischen, karibischen und nordamerikanischen Plantagenkolonien wurde hier die Arbeitskraft für die mit großem Kapitaleinsatz eingerichtete, exportorientierte Agrarproduktion durch Versklavung von Einheimischen und zunehmend von Afrikanern sichergestellt.
Die nachhaltigsten Konsequenzen dieser Entwicklung hatten die Gesellschaften in Afrika zu tragen. Auf die verheerenden Folgen des Aderlasses von weit mehr als zwölf Millionen Menschen, die bis weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein über den Atlantik verschleppt wurden, um in der Neuen Welt als Sklaven zu schuften, geht French ausführlich ein. Besonderen Nachdruck legt er darauf, zu zeigen, wie stark der wirtschaftliche Aufstieg Europas, die Verankerung demokratischer Strukturen im nordatlantischen Raum und die Umsetzung der Ideale der Aufklärung aus dem dehumanisierenden Umgang Europas mit Afrika hervorgingen.
Zugleich verschließt der Autor nicht die Augen vor der Komplizenschaft zahlreicher afrikanischer Herrscher im Sklavenhandel. So berichtet er etwa von wichtigen einheimischen politischen Persönlichkeiten im Königreich Kongo im siebzehnten Jahrhundert, die "schon mal 400 oder mehr Sklaven pro Jahr verkaufen, nur um sich mit ausreichend Rum einzudecken, der pikanterweise von gefangenen Afrikanern in Brasilien hergestellt worden war."
An seiner zentralen These ändern diese kritischen Bemerkungen freilich nichts: Aus Afrika verschleppte Sklaven und ihre Arbeitskraft, argumentiert French, bildeten den Angelpunkt der Moderne. Denn die Afrikaner, die auf den Plantagen in den Amerikas schufteten, "trugen mehr als jeder andere Faktor" dazu bei, die Neue Welt wirtschaftlich tragfähig zu machen. "Auf der Grundlage ihrer Stärke und ihres Willens, die Schrecken der Sklaverei zu ertragen und zu überleben", schreibt er weiter, fuße "ein großer Teil des Reichtums und der Macht des Kapitalismus der westlichen Welt" - ein in der Geschichtsschreibung wie in der allgemeinen Wahrnehmung Afrikas noch immer gerne ignoriertes Faktum.
Europa habe jedenfalls keinen Grund, so French, selbstgefällig auf irgendwelche besonderen Eigenschaften zu verweisen, welche den Vorsprung vor anderen Weltregionen erklären könnten. Vielmehr überquerten seine Nationen den Atlantik zu einem besonders günstigen Zeitpunkt und veränderten das Leben an den gegenüberliegenden Küsten vor allem "dank des unverzichtbaren Beitrags der Afrikaner".
Der Autor greift hier eine seit W. E. B. Du Bois in der Historiographie immer wieder geäußerte Auffassung auf, die seit einigen Jahren auf gesellschaftspolitischer Ebene durch den fortgesetzten und sich zum Teil verstärkenden Rassismus und den intensivierten Kampf dagegen zusätzliche Dynamik erfährt. Neben Klassikern wie Eric Williams, C. L. R. James und Walter Rodney kann French überdies aus einer Fülle neuerer Studien schöpfen, die auf der Grundlage aktueller Quellenfunde nicht nur die - bisher viel zu klein geschriebene - Rolle Portugals als Motor der Moderne im atlantischen Raum betonen, sondern vor allem hervorheben, wie bedeutend Afrikas Rohstoffe und Manpower für die Entstehung und Geschichte des Kapitalismus waren.
Für Spezialisten mögen dies zwar keine neuen Nachrichten sein. Frenchs höchst kenntnisreiches, elegant und eindringlich geschriebenes, mit persönlichen Erfahrungen aufgelockertes Buch eröffnet jedoch erstmals eine provokante wie plausible Perspektive auf die Weltgeschichte für ein größeres Lesepublikum. ANDREAS ECKERT
Howard W. French: "Afrika und die Entstehung der modernen Welt". Eine Globalgeschichte.
Aus dem Englischen von K. Schuler, A. Thomsen und T. Stauder. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023. 512 S., Abb., geb., 35,- Euro.
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